Urteil des OLG Köln vom 09.07.2002

OLG Köln: vernehmung von zeugen, geschwindigkeit, wasser, verschulden, verminderung, wohnung, versicherer, gefahr, vollstreckbarkeit, überholen

Oberlandesgericht Köln, 3 U 250/01 BSchRh
Datum:
09.07.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 U 250/01 BSchRh
Vorinstanz:
Amtsgericht Duisburg-Ruhrort, 4 C 17/00 BSchRh
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 5. November 2001
verkündete Grundurteil des Amtsgerichts - Rheinschifffahrtsgericht - St.
Goar - 4 C 17/00 BSchRh - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Beklagte hat auch die Kosten der Streithelfer im Berufungsverfahren
zu tragen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin macht als Versicherer des TMS B. aus übergegangenem und
abgetretenem Recht Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten als Eigentümer
und Schiffsführer des Containerschiffes C geltend.
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TMS B. war am 6.9.1999 bei Rhein-KM XXX linksrheinisch an der F-Verladeanlage in L
ordnungsgemäß befestigt und wartete auf den Beginn der Löscharbeiten. Gegen 8.30
Uhr fuhr bei niedrigem Wasserstand das MS C zu Berg vorbei, das gleichzeitig von den
Schiffen der Streithelfer, GMS T und GMS W, überholt wurde. GMS W befand sich noch
hinter MS C. Während der Vorbeifahrt des MS C brachen an dem GMS B. fünf von sechs
Festmachern. Das Schiff drifftete einige Meter nach Backbord ab, wurde aber durch
seinen Vorderanker gehalten.
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Die Klägerin gewährte den Eignern des TMS B. wegen des Schadensfalles Deckung.
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Sie hat behauptet, MS C sei zu schnell und zu nah an TMS B. vorbeigefahren und habe
die schädlichen Sogwirkungen verursacht, die zum Abriss der Festmacher geführt
hätten. Dadurch sei ihren Versicherungsnehmern ein Schaden in Höhe von 39.931,70
hfl. entstanden.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten – auch dinglich mit MS C haftend - zur Zahlung von 39.931,70
hfl. bzw. den gleichwertigen Betrag in DM zu dem am Zahlungstage gültigen
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Umrechnungskurs nebst 4 % Zinsen seit dem 15.12.1999 zu verurteilen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
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Er hat behauptet, den Stillieger mit langsamer Fahrt und ausreichendem Seitenabstand
passiert zu haben. Der schadensverursachende Sog sei von dem GMS T und dem GMS
W ausgegangen, die schnell gefahren seinen und MS C in einem geringen
Seitenabstand überholt hätten. Außerdem seien zur selben Zeit rechtsrheinisch zwei
sehr schnell fahrende Tanker zu Tal gekommen, die ebenfalls sehr hohe Wellen
verursacht hätten.
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Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Vernehmung von Zeugen die Klage dem Grunde
nach für gerechtfertigt erachtet. Es geht von einem nicht entkräfteten Anscheinsbeweis
für ein Verschulden des Beklagten und ferner davon aus, dass dieses Verschulden
ursächlich für den Abriss der Festmacher gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf
das Grundurteil vom 05.11.2001 (Bl. 62 ff. GA) Bezug genommen.
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Der Beklagte hat gegen das ihm am 19.11.2001 zugestellte Grundurteil am 18.12.2001
Berufung eingelegt, die er in einem weiteren Schriftsatz begründet hat, der am
14.1.2002 beim Oberlandesgericht eingegangen ist.
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Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und wendet ein, der Beweis
des ersten Anscheins gelte hier nicht, weil sich nicht nur sein Schiff in Höhe des
Stilliegers befunden habe und weil er langsam gemacht und genügend Abstand zum
Stillieger gehalten habe.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und nach seinen in erster Instanz
gestellten Anträgen zu erkennen.
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Die Klägerin und die Streithelfer beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie wiederholen und ergänzen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den
Parteien und den Streithelfern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die
Sitzungsprotokolle des Rheinschifffahrtsgerichts über die Zeugenvernehmung, das
angefochtene Urteil sowie die Kopien aus den OWi-Akten 134/00, 135/00 und 136/00
Wasserschutzpolizeiamt Rheinland-Pfalz Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage zu Recht dem Grunde nach für gerechtfertigt
erachtet.
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Der Beklagte ist gemäß § 823 BGB, §§ 92 Abs. 2, 92 b BinSchG i.V.m. § 6.20
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RheinSchPVO und § 398 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der den
Versicherungsnehmern der Klägerin durch das Schadensereignis vom 6.9.1999
entstanden ist.
Nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht auch
zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte den Unfall jedenfalls
mitverschuldet hat.
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Der Beklagte hat gegen § 6.20 RheinSchPV verstoßen, weil er die Geschwindigkeit des
MS C nicht rechtzeitig so vermindert hat, dass Sogwirkungen, die Schäden an dem
stillliegenden MS B. verursachen konnten, vermieden wurden.
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Der Senat folgt der Aussage des Zeugen Y.. Dieser hat das Schraubenwasser des MS
C gesehen, das zunächst seine Fahrt nicht gedrosselt hatte. Erst als die Drähte des
TMS B. brachen, verschwand das Schraubenwasser; MS C hat die Geschwindigkeit
soweit vermindert, dass der Zeuge mit GMS W leicht überholen konnte. Diese Aussage
steht im Einklang mit den Bekundungen der Zeugen Z., die sich auf dem TMS B.
befanden. Der Zeuge S.Z. hat das MS C als "nicht sehr schnell" – nach seiner
Schätzung 6-8 km/h – bezeichnet. Er hatte dieses Schiff aber erst wahrgenommen, als
er aus der Wohnung zum Steuerhaus hinaufstieg. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits
die an dem steuerbordseitigen Vorderpoller befestigten Leinen gerissen und brachen
gerade die Festmacher am Mittelpoller und an dem Poller vor dem Steuerhaus. Wenn
das MS C zu dieser Zeit "nicht sehr schnell" war, lag dies daran, dass das Schiff gerade
die Geschwindigkeit erheblich vermindert hatte, so dass das Schraubenwasser zu dem
Zeitpunkt ganz verschwand, als die Festmacher brachen.
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Auch die Zeugin O. Z. hat das MS C erst durch das Küchenfenster gesehen, nachdem
der "Vorfall" passiert war, so dass sich ihre Aussage, dieses Schiff sei "nicht sehr
schnell" bzw. "nicht schnell" gefahren, ebenfalls auf den von dem Zeugen Z.
geschilderten Zeitraum bezog, als das Schiff die Geschwindigkeit erheblich verringert
hatte. Es mag auch sein, dass das MS C entsprechend der Aussage der Ehefrau des
Beklagten die ursprüngliche Geschwindigkeit bereits vermindert hatte, als es noch ca.
150-200 Meter von dem Heck des TMS B. entfernt war. Das schließt aber nicht aus,
dass die Geschwindigkeit nochmals verringert wurde, als der Beklagte sah, dass das
TMS B. losgerissen wurde.
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War aber eine nochmalige Verminderung ohne weiteres möglich, so hätte der Beklagte
sie frühzeitiger vornehmen müssen. Denn die gesamten Umstände ließen die Situation
als erkennbar gefährlich erscheinen. An der Unfallstelle "stand ganz wenig Wasser",
wie die Ehefrau des Beklagten bekundet hat; hinzu kommt, dass das MS C während des
Überholens des TMS B. selbst von dem GMS T überholt wurde, das "sehr schnell" fuhr
und "sehr hohe Wellen" verursachte, wie der Zeuge Z. bekundet hat. Deshalb bestand
die Gefahr, dass die beim Passieren des TMS B. von dem in einem Abstand von ca. 20-
25 Metern (so der Zeuge Z.) bzw. ca. 30 Metern (so die Ehefrau des Beklagten)
vorbeifahrenden MS C ausgehende Sogwirkung das TMS B. mitzog. Ist die Situation
erkennbar gefährlich und kann – wie hier wegen der weiteren Überholer – kein größerer
Abstand eingehalten werden, so muss der Vorbeifahrer seine Geschwindigkeit bis zu
dem Maß herabsetzen, dass seine Steuerfähigkeit eben erhalten bleibt. Diese Pflicht hat
der Beklagte zu spät erfüllt.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht der Beweis des ersten
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Anscheins dafür, dass das Verhalten des Vorbeifahrers ursächlich für das Brechen der
Drähte ist, wenn das vorbeifahrende Schiff unter Verstoß gegen die Schutzvorschrift des
§ 54 RheinSchPVO (heute § 6.20) an einem ordnungsgemäß gesicherten Stillieger
vorbeifährt und es innerhalb eines räumlichen oder zeitlichen Zusammenhangs mit der
Vorbeifahrt zu einem Brechen der Drähte des Stilliegers kommt (vgl. BGH VersR 1969,
1090, 1091). Da die Drähte des ordnungsgemäß gesicherten TMS B. innerhalb eines
räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit der Vorbeifahrt des beladenen
Containerschiffs C, das sich beim Brechen der Drähte etwa auf gleicher Höhe mit dem
TMS B. befand, brachen, ist der der Klägerin obliegende Beweis des
Ursachenzusammenhangs erbracht. Der Anscheinsbeweis wird gestützt durch die
Aussage des Zeugen Z., dass viel Wasser von seinem Schiff weggesogen wurde und
dass der Kopf seines Schiffes mit dem vorbeifahrenden MS C mitgezogen wurde.
Der Beklagte hat keine Tatsachen schlüssig dargetan, aus denen sich die Möglichkeit
eines anderen Sachablaufs ergibt. Soweit er behauptet, die Sogwirkung, die zum Bruch
der Drähte geführt hat, könne auch von dem GMS T und/oder dem GMS W
ausgegangen sein, ist sein Vorbringen nicht schlüssig. Als die Drähte brachen, hatte
das GMS T schon teilweise das MS C überholt. Es mag dahinstehen, ob sich
Wellenschlag und Sogwirkung des GMS T noch bis zum Stillieger auswirken konnten.
Jedenfalls wurde damit nicht die von dem MS C ausgehende Sogwirkung beseitigt, die
sich unmittelbar auf den Stillieger auswirkte.
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Nicht schlüssig vorgetragen ist ferner eine Schadensverursachung durch das MS W, da
sich dieses Schiff nach den Aussagen sämtlicher Zeugen nach dem Abriss der
Festmacher erst gerade mit dem Bug in Höhe des Hecks des TMS B. befand. Auch eine
Schadensverursachung durch die beiden Talfahrer, deren genaue Position die Zeugen
sehr unterschiedlich angegeben haben, ist nicht schlüssig dargetan. Deren Sogwirkung
konnte sich wegen des großen Abstandes jedenfalls nicht unter dem Schiffskörper des
MS C bis hin zu dem Stillieger entfalten.
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Selbst wenn ein weiteres Schiff für die den Versicherungsnehmern der Klägerin
entstandenen Schäden verantwortlich sein sollte, haftet der Beklagte gemäß § 830 Abs.
1 S. 2 BGB in voller Höhe.
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Die Berufung des Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1
ZPO zurückzuweisen.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht
vor.
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Berufungsstreitwert und Beschwer des Beklagten: 18.120,22 Euro (= 39.931,70 hfl.).
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