Urteil des OLG Köln vom 03.09.2008

OLG Köln: operation, umkehr der beweislast, befund, klinik, einwilligung, eingriff, behandlung, auflage, arbeitsteilung, rechtswidrigkeit

Oberlandesgericht Köln, 5 U 51/08
Datum:
03.09.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 U 51/08
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 179/07
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Grundurteil der 25. Zivilkammer
des Landgerichts Köln vom 06.02.2008 - 25 O 179/07 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
G r ü n d e :
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Die im April 1959 geborene Klägerin, die entsprechend ihrem damaligen
phänotypischen Erscheinungsbild als Junge aufwuchs, begab sich ab Ende des Jahres
1976 in die Medizinische Klinik des Krankenhauses N. zur Behandlung. Zuvor war im
Zusammenhang mit einer im Krankenhaus L. durchgeführte Operation ein
Kryptorchismus diagnostiziert worden. Bei der anschließenden klinischen Untersuchung
waren jedoch weder im Hodensack noch in der Leistengegend Hoden tastbar. Auch bei
der operativen Exploration fanden sich rechts weder Samenstrang noch Hoden, statt
dessen ein ovarförmiges Gebilde mit Fimbrien. Auf der linken Seite des Unterbauchs
wurde der gleiche Tastbefund erhoben. Die histologische Untersuchung einer
Probeentnahme ergab Tube, Ovar und Nebenhoden bzw. ein Kanälchensystem, das
einem Nebenhoden entspreche. Nebenbefundlich erfolgte die Diagnose einer
Hypospadie. Der Klägerin wurde daraufhin der Befund der Eierstöcke mitgeteilt mit der
Einschätzung, dass sie "zu 60 %" eine Frau sei. Eine im Krankenhaus N. im Dezember
1976 erstellte Chromosomenanalyse ergab indessen eine normal weibliche
Chromosomenkonstitution (46,XX). Davon erfuhr die Klägerin nichts. Nach weiterer
Behandlung und Betreuung in der Medizinischen Klinik des Krankenhauses N. und
nachdem die Klägerin, die durch die Befunde stark verunsichert war und sich mit
Suizidgedanken trug, wieder weitgehend psychisch stabilisiert war und sich für eine
operative Anpassung an ihr phänotypisch männliches Erscheinungsbild entschieden
hatte, erfolgte am 12.08.1977 durch den Beklagten, der Facharzt für Urologie und
Chirurgie ist und seinerzeit leitender Oberarzt der Chirurgischen Abteilung im
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Krankenhaus N. war, im Beisein des Oberarztes der Medizinischen Klinik Dr. I. der
laparaskopische Eingriff zur laut Anästhesieprotokoll "Testovarektomie". Ausweislich
der histologischen Untersuchung des entfernten Gewebes wurde ein 6 x 3 x 2 cm großer
rudimentärer atrophischer Uterus mit einem flachen Endometrium, regelrechtem
Myometrium und spärlichen Anteilen eines Portioepitels, Ovarialgewebe mit zystischen
Follikeln, Primär- und Sekundärfollikeln sowie einzelnen Corpora albicantia entfernt.
Männliches Keimdrüsengewebe in Form eines Testovars konnte nicht nachgewiesen
werden.
Das Landgericht hat die im Jahre 2007 erhobene Klage auf Zahlung eines
Schmerzensgeldes in Höhe von 100.000 € für den nach Auffassung der Klägerin nicht
indizierten und mangels Einwilligung rechtwidrigen Eingriff dem Grunde nach
stattgegeben, weil der Beklagte die Klägerin mangels wirksamer Einwilligung
rechtswidrig in vorsätzlicher und schuldhafter Weise durch die Entnahme der weiblichen
Geschlechtsorgane in ihrer Gesundheit verletzt habe.
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Mit Verfügung vom 02.07.2008 hat der Senat den Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, seine gegen das landgerichtliche Urteil
gerichtete Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Zur Begründung
hat der Senat ausgeführt:
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"Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder
auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende
Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1
ZPO). Das Berufungsvorbringen nötigt nicht zu weiterer Sachaufklärung oder
ergänzender Beweiserhebung.
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a) Nach den Angaben in der Behandlungsdokumentation der Medizinischen Klinik
über die der Klägerin zuteil gewordene Aufklärung bedarf es keiner näheren
Erörterung, dass das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin in ganz erheblichem
Maße verletzt worden ist. Damit fehlte es an einer wirksamen Einwilligung der
Klägerin in die Operation, so dass sie ohne Zweifel rechtswidrig war.
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Das führt jedoch noch nicht ohne weiteres zu einer Haftung des Beklagten. Im
Ansatz weist der Beklagte nämlich zu Recht darauf hin, dass er sich als letztlich nur
für die Durchführung der Operation hinzugezogener Chirurg auf die Indikation und
auch eine ausreichende und ordnungsgemäße Aufklärung seitens der
überweisenden Ärzte, die die Operation erbeten hatten, verlassen darf (vgl. nur
Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Auflage, 2006, Rn. 236; Geiss/Greiner,
Arzthaftungsrecht, 5. Auflage, 2006, Rn. 128, jeweils m.w.N.). Er ist lediglich für die
Aufklärung über die seinen Eingriff unmittelbar betreffenden spezifischen Risiken
verantwortlich. Dazu hat die Klägerin indes nichts gerügt.
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Für eine Haftung des Beklagten kommt es daher nicht darauf an, ob der Klägerin
alle Umstände des Falles, wie es zur Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts
erforderlich gewesen wäre, mitgeteilt worden waren. Anhaltspunkte dafür, dass der
Beklagte gewusst hatte oder hätte wissen müssen, dass die Klägerin nach der
Chromosomenanalyse vom Genotyp her weiblich war und dass dies der Klägerin
nicht mitgeteilt worden war, ergeben sich weder aus den Krankenunterlagen noch
kann die Klägerin dies beweisen.
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Für eine Pflicht des Beklagten, sich selbst im Vorfeld der Operation noch zu
vergewissern, dass eine hinreichende Aufklärung vorlag (vgl. Frahm/Nixdorf,
Arzthaftungsrecht, 3. Auflage, Rn. 196), ist im konkreten Fall in Anbetracht der
durchaus sorgfältigen und intensiven Behandlung der Klägerin in der
Medizinischen Klinik nichts ersichtlich. Es spricht nichts dafür, dass er sich "ohne
näheren Anhalt" auf die Erfüllung der Aufklärungspflicht verlassen hätte (vgl. dazu
BGH NJW 1980, 633).
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b) Der Grundsatz, dass der Arzt sich im Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung auf
die Indikation und ordnungsgemäße Aufklärung des zuweisenden Arztes verlassen
darf, findet jedoch dort seine Grenze, wo gewichtige Bedenken gegen das
diagnostische oder therapeutische Vorgehen des überweisenden Arztes bestehen.
Anhaltspunkten für Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Behandlung und
Aufklärung hat demnach auch der hinzugezogene Arzt nachzugehen. Denn liegen
solche Zweifel vor, bleibt kein Raum für ein etwaiges Vertrauen. Er beteiligt sich
dann schuldhaft an einem rechtswidrigen Eingriff.
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Die hier entscheidende Frage ist demzufolge, ob intraoperativ Umstände
aufgetreten waren, die dem Beklagten Anlass geben mussten, an der Richtigkeit
der Indikation und/oder an einer ordnungsgemäßen Aufklärung der Klägerin zu
zweifeln. Derartige Umstände waren vorliegend gegeben.
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Nach den Ausführungen des bei der Operation anwesenden Internisten Dr. I. vom
14.08.1977 zeigte sich intraoperativ eine "normale weibliche Anatomie mit
präpuberalem Uterus normal großen Ovarien ...". Ob dieser Befund im Detail dem
späteren pathologischen Befund entsprach, kann dahin stehen. Denn jedenfalls
zeigte sich ein erheblich anderes Bild als nach den Vorbefunden erwartet worden
war. Auch ein "Testovar", weswegen die Operation nach dem Anästhesiebericht
durchgeführt wurde und das der Beklagte entfernen sollte, wurde nicht gefunden
(vgl. den pathologischen Bericht vom 16.08.1977). Dabei kommt es auf eine
genaue Definition wiederum nicht entscheidend an. Der Beklagte selbst behauptet
nicht, dass das, was sich intraoperativ darstellte, als "Testovar" hätte angesehen
werden können und als solches entfernt worden wäre. Zudem war ihm im
Zusammenhang mit der konsiliarischen Untersuchung vom Dezember 1976
bekannt, dass histologisch Ovarialgewebe und Nebenhoden gefunden worden
waren. Es musste auch ihm also klar sein, dass das Vorgefundene sich essentiell
von dem unterschied, zumindest über das hinausging, worauf offenbar die
Indikation gründete. Für eine zwischenzeitliche Änderung der Indikation spricht
nichts, dafür, dass es dabei geblieben ist, vielmehr die Bezeichnung der Operation
als "Testovarektomie". Die Unterschiede liegen indes aufgrund des von Dr. I.
dokumentierten intraoperativen Befunds auf der Hand und bedürfen keiner
weiteren sachverständigen Aufklärung. Von der Richtigkeit der Ausführungen Dr.
I.'s ist ebenfalls auszugehen. Dabei wird nicht verkannt, dass die Klägerin die
Beweislast für das Vorliegen eines anderen bzw. weitergehenden Befundes trägt.
Für die Richtigkeit des Befundes sprechen aber bereits die Feststellungen des Dr.
I. nach seinem unmittelbaren Eindruck bei der Operation und offenbar darauf und
auf dem pathologischen Bericht beruhend die mehrfachen Angaben in den
Behandlungsunterlagen der Medizinischen Klinik, nach denen der Klägerin bei der
Operation ein "normales inneres weibliches Genitale" (vgl. etwa den Arztbrief von
Dr. Winkelmann vom 29.06.1978) entfernt worden sei. Hier gilt der – in diesem Fall
zugunsten der Klägerin anwendbare - Grundsatz, dass einer ordnungsgemäßen
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und ersichtlich nicht fehlerhaften Dokumentation Glauben zu schenken ist.
Außerdem hat der Beklagte selbst vorgetragen, dass "der intraoperative Befund
aus Sicht des Zeugen Dr. I. am 14.08.1977 im Verlaufsbogen niedergelegt" wurde
und es sich dabei "um das übliche Vorgehen im Falle des Hinzutretens zu einer
Operation im benachbarten Fachgebiet" handele (vgl. den Schriftsatz des
Beklagten vom 09.01.2008, Bl. 54, 57 GA). In Abrede gestellt hat er die Richtigkeit
der Feststellungen Dr. I's aus dessen Sicht mithin nicht. Diese sich aus den
Behandlungsunterlagen der Medizinischen Klinik ergebenden Indizien, die ohne
Zweifel für einen anderen als den erwarteten Befund sprechen, reichen nach der
Einschätzung des Senats für eine Beweisführung gemäß § 286 ZPO aus. Ob sich
aus dem Operationsbericht etwas anderes ergibt, kann nicht mehr festgestellt
werden. Weder für noch gegen den Beklagten lässt sich deshalb daraus etwas
herleiten. Ausgehend somit allein von den Feststellungen in den
Behandlungsunterlagen der Medizinischen Klinik, die der Klägerin die
Beweisführung durch die sich daraus ergebenden Indizien ermöglichen, wäre es
jedoch die Sache des Beklagten diese Indizien zu entkräften. Dazu hat der
Beklagte indessen nicht ausreichend vorgetragen. Soweit er den intraoperativen
Befund im Hinblick auf die Vorbefunde in Zweifel zieht, ergibt sich aus den
späteren Feststellungen in den Behandlungsunterlagen der Medizinischen Klinik
mit Deutlichkeit, dass sich diese Vorbefunde so eben nicht bestätigten. Darüber
hinaus ist nicht nachvollziehbar, dass sich ihm als Urologen und Chirurgen, der
sich einen solchen Eingriff zutraute und dem damit die anatomischen Verhältnisse
der jeweiligen Geschlechter vertraut sein mussten, bei der Operation nicht ein
wesentlich anderes, im Wesentlichen pathologisch bestätigtes Bild gezeigt haben
sollte als das, was die Vorbefunde auswiesen.
c) Musste der Beklagte demzufolge ebenso wie Dr. I. erkennen, dass der
intraoperative Befund sich essentiell anders darstellte als angenommen, musste er
auch Zweifel daran haben, dass die von der Klägerin erteilte Einwilligung in die
Operation die Entfernung sämtlicher und ausschließlich vorhandener weiblicher
Genitalien deckte. Insoweit entlastet ihn auch nicht sein Einwand, er habe im
Ganzen nur auf Anweisung und nach Vorgabe der Internisten gehandelt. Denn
betroffen ist die Rechtmäßigkeit der von ihm durchgeführten Operation. Ihm kann
nach den Grundsätzen der horizontalen Arbeitsteilung der Einwand der
Rechtswidrigkeit nicht entgegengehalten werden, wenn er auf eine
ordnungsgemäße Aufklärung vertrauen durfte. Ist dieses Vertrauen – wie hier durch
den intraoperativen Befund - erschüttert, trägt er – wie auch sonst - die
Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seines Eingriffes. Daher spielt auch allein
die Anwesenheit des Internisten Dr. I. bei der Operation sowie der Umstand, dass
dieser nicht den Abbruch der Operation veranlasste, keine Rolle. Dafür, dass der
Beklagte sich etwa bei Dr. I. vergewissert hätte, dass die Einwilligung der Klägerin
auch den – weitergehenden – Eingriff deckte, ist nichts ersichtlich, wird vom
Beklagten auch nicht vorgetragen.
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d) Schließlich bedarf es zur Ermittlung des berufsfachlichen Sorgfaltsmaßstabs und
zur Klärung der Frage, wer der behandelnden Ärzte worüber aufklärungspflichtig
war, nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Denn es geht weder
darum, welcher Behandler aufklärungspflichtig war, noch um die Frage eines
Behandlungsfehlers, sondern um die Frage, ob der Beklagte schuldhaft gehandelt
hat. Dafür ist maßgeblich, ob er an der Indikation und einer ordnungsgemäßen
Aufklärung Zweifel haben musste und sich daher auf ein ordnungsgemäßes
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Vorgehen der überweisenden Internisten nicht (mehr) verlassen konnte. Das sind
rechtliche Wertungsfragen, die der Senat aufgrund der hier festgestellten
Tatsachen selbst und ohne sachverständige Hilfe entscheiden kann.
e) Letztlich greift auch die mit der Berufung aufrecht erhaltene Einrede der
Verjährung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf
die insoweit verwiesen wird, nicht durch."
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Die Stellungnahme des Beklagten vom 15.08.2008 zu diesem Hinweis gibt zu einer
abweichenden und ihm günstigeren Beurteilung der Sach- und Rechtslage keine
Veranlassung. Sie gibt insbesondere keine Veranlassung zur Aufhebung und
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht oder zu einer weitergehenden
Aufklärung durch den Senat.
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Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des angefochtenen Urteils und eine
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht liegen nicht vor. Die Anwendung der
Grundsätze der horizontalen Arbeitsteilung im Arzthaftungsrecht ist eine Frage der
materiellen Rechtsanwendung. Ihr Unterlassen ist kein Verfahrensmangel, wie ihn die
Vorschrift des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für die Aufhebung und Zurückverweisung
erfordert. Die übrigen Gründe des § 538 Abs. 2 ZPO für eine Aufhebung und
Zurückverweisung sind ebenfalls nicht gegeben.
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In der Sache ist der Senat weiterhin aufgrund der vorliegenden Indizien gemäß § 286
ZPO davon überzeugt, dass sich der bei der Operation vorgefundene Befund derart von
dem unterschied, was durch die Operation entfernt werden sollte, dass der Beklagte
Anlass hatte, in haftungsrechtlich relevanter Weise an einer ordnungsgemäßen
Aufklärung durch die behandelnden Internisten zu zweifeln. Mit seinen gegen die
entsprechenden Ausführungen in der Hinweisverfügung gerichteten Einwänden setzt
der Beklagte lediglich seine eigene Würdigung der vorhandenen Indizien an die Stelle
des erkennenden Gerichts. Damit sind jedoch Fehler in der Wertung des Senats nicht
aufgezeigt. Der Senat hat nicht verkannt, sondern in der Hinweisverfügung ausdrücklich
herausgestellt, dass die in dem Vermerk vom 14.08.1977 niedergelegten Feststellungen
Dr. I's seinem unmittelbaren Eindruck bei der Operation entsprachen. Dass dieser
Eindruck zunächst nur subjektiv sein kann, liegt auf der Hand. Dieser dokumentierte
subjektive Eindruck ist von dem Beklagten indes nicht in Abrede gestellt worden, so
dass keine Veranlassung besteht Dr. I. zu seiner schriftlich niedergelegten
Einschätzung zu vernehmen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auch
nicht darauf an, ob Dr. I. die chirurgische Situation entsprechend dem Facharztstandard
eines Chirurgen einzuschätzen vermochte. Denn seine Einschätzung ist objektiviert
worden durch den histologischen Befund, der im Wesentlichen mit der Einschätzung Dr.
I's übereinstimmte. Wie in der Hinweisverfügung ausgeführt, liegt es unter diesen
Umständen an dem Beklagten darzulegen, dass sich die Situation nach dem
Facharztstandard eines Chirurgen gleichwohl anders darstellte. Entgegen der Meinung
des Beklagten führt das nicht systemwidrig zu einer Umkehr der Beweislast, sondern
entspricht allgemeinen zivilprozessualen Beweisregeln, nach denen es dem
Beweisgegner obliegt, Indizien, die wie hier den logischen Rückschluss auf eine zu
beweisende Tatsache zulassen, zu entkräften. Das ist dem Beklagten jedoch auch mit
seinen weiteren Einwänden nicht gelungen. Unerheblich ist hierzu der Hinweis auf die
Dokumentation des vorbehandelnden Krankenhauses L.. Der Senat hat bereits darauf
hingewiesen, dass sich durch die histologische Untersuchung des am 12.08.1977
entnommenen Gewebes gerade gezeigt hatte, dass der im Krankenhaus L. festgestellte
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Befund, so wie er seinerzeit anhand die Probenentnahme erstellt worden war, nicht
richtig und unvollständig war. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Bauchraum der
Klägerin im Krankenhaus in L. nicht vollständig geöffnet worden war, sondern nur die
rechte Bauchhöhle, wo ein ovarförmiges Gebilde mit Fimbrien gefunden und
gleichermaßen links ertastet wurde; der Uterus ist dabei ganz offensichtlich nicht
gesehen oder übersehen worden. Im Übrigen hat der Beklagte an keiner Stelle
behauptet, dass sich das intraoperative Bild, so wie es sich ihm darbot, dem
entsprochen haben soll, was durch die behandelnden Ärzte in L. beschrieben worden
war. Der Beklagte selbst vermag sich nunmehr daran zu erinnern, dass sich ihm
Ansätze von verkümmerten Organen darstellten. Wie in der Hinweisverfügung
ausgeführt, kann freilich davon ausgegangen werden, dass diese Organe sich bei
bekannten Ovarien und Tuben und mit einem immerhin 6 cm langen Uterus auch dem
Beklagten nach dem Facharztstandard eines Chirurgen, ebenso wie dem Internisten Dr.
I., als weibliche darstellten. Darüber hinaus kommt es nicht darauf an, ob sich dem
Beklagten vollständige "unversehrte" weibliche Geschlechtsorgane zeigten.
Entscheidend ist, dass jedenfalls mehr an weiblichen Geschlechtsorganen vorhanden
war als angenommen, nämlich alle, dagegen wider Erwarten keine Anzeichen für
männliche Geschlechtsorgane, für ein Testovar vorlagen. Keine Rolle spielt weiter, dass
der vorgefundene Uterus "rudimentär athrophisch" war. Dass dieser "verkümmerte"
Uterus für den Beklagten, anders als für Dr. I., nicht mehr als solcher erkennbar
gewesen wäre, hat der Beklagte nicht behauptet so dass es einer weiteren Aufklärung
dieses Befundes durch Sachverständigengutachten nicht bedarf.
Es bleibt schließlich dabei, dass der Beklagte in Anbetracht der intraoperativ
vorgefundenen Situation gewichtige Zweifel an einer ordnungsgemäße Aufklärung der
Klägerin haben musste, so dass der Einwand der Rechtswidrigkeit des Eingriffs
mangels ordnungsgemäßer Aufklärung auch gegenüber ihm als Operateur durchgreift.
Der Beklagte sollte eine "Testovarektomie" durchführen, d.h. ein Testovar entfernen.
Statt eines Testovars zeigten sind indessen komplette weibliche Geschlechtsorgane. Ob
gleichwohl die Indikation zur Operation bestand oder der Beklagte davon ausgehen
durfte, berührt nicht die Frage, ob die Klägerin insoweit ordnungsgemäß aufgeklärt war.
Das war nicht der Fall und davon konnte auch der Beklagte unter Berücksichtigung der
ihm bekannten Vorbefunde nicht ausgehen. Die Ausführungen des Beklagten in der
Stellungnahme vom 15.08.2008 betreffen im Übrigen die Frage einer hypothetischen
Einwilligung. Dafür spricht aber nichts, zumal wenn, wie der Beklagte selbst anführt,
präoperativ sowohl eine männliche als auch eine weibliche Anpassung in Betracht
gezogen worden war.
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Die Berufung des Beklagten war nach alledem gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO
zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung zukommt und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher
Verhandlung nicht erfordern.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Berufungsstreitwert: 100.000 €
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