Urteil des OLG Köln vom 11.01.2005

OLG Köln: ermächtigung zur strafverfolgung, rechtskräftiges urteil, gefährdung, brief, geheimnis, quote, presse, anschluss, befangenheit, prozess

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, 8 Ss 460/04
11.01.2005
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Urteil
8 Ss 460/04
Die Revision wird verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens und die dem Angeklagten insoweit
entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
G r ü n d e
Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten zur Last, sich gemäß § 353 b Abs. 1 Nr. 1
StGB strafbar gemacht zu haben. Der Angeklagte habe als ehrenamtlicher Richter an der
erstinstanzlichen Hauptverhandlung in einem gegen vier Angeklagte gerichteten
Strafverfahren teilgenommen, in dem diesen zur Last gelegen worden sei, am 13.11.1998
einen bewaffneten Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft in B verübt und dabei Uhren und
Schmuck im Gesamtwert von rd. 800.000,- DM erbeutet zu haben. Nach einer im Anschluss
an den 10. Verhandlungstag durchgeführten Zwischenberatung der Kammer sei der
Angeklagte mit seiner Auffassung bezüglich der Notwendigkeit einer weiteren
Beweisaufnahme zum Nachweis einer möglichen Beteiligung des geschädigten Juweliers
an der angeklagten Tat nicht durchgedrungen. Daraufhin habe der Angeklagte in einem
anonymen Brief an Rechtsanwalt G als Verteidiger eines der damaligen Angeklagten
Anregungen zur Durchführung weiterer Ermittlungen gegeben, die sich mit seiner
Argumentation in der Zwischenberatung gedeckt hätten.
Der Anklageerhebung war die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 353 b Abs. 4 StGB
durch das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen
vorausgegangen.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten freigesprochen.
Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen.
Nach den Feststellungen des Berufungsurteils war die große Strafkammer in der
Hauptverhandlung gegen die vier des Raubüberfalls auf das Juweliergeschäft angeklagten
Täter mit drei Berufsrichtern, u.a. dem Zeugen E als Vorsitzenden, und zwei Schöffen, einer
davon der Angeklagte, besetzt. Verteidiger des Angeklagten M war der Zeuge G. Die von
dem Zeugen G und seinem Mandanten M vertretene Verteidigungsstrategie zielte
insbesondere auf den Nachweis einer Einweihung des Mitinhabers des Juweliergeschäfts
V in den Überfall ab.
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Am 10. Verhandlungstag, dem 10.03.2000, brachte der Zeuge E zum Ausdruck, dass im
Rahmen einer Zwischenberatung überlegt werden sollte, ob noch von Amts wegen weitere
Beweise zu erheben seien.
In der daraufhin kontrovers geführten Beratung tat sich der Angeklagte dadurch hervor,
dass er mit Blick auf die aus seiner Sicht mögliche Beteiligung des Inhabers des
Juweliergeschäfts weitere Nachforschungen und Beweiserhebungen für notwendig
erachtete. Demgegenüber vertraten die übrigen Kammermitglieder, d.h. die drei
Berufsrichter und der zweite Laienrichter, die Auffassung, dass eine weitere
Beweisaufnahme von Amts wegen nicht erforderlich sei. Mit dem hiernach erzielten
Abstimmungsergebnis der Zwischenberatung – vier Stimmen gegen eine Stimme – war der
Angeklagte absolut nicht einverstanden und erregte sich hierüber in erheblicher Weise. Der
in der Abstimmung unterlegene Angeklagte nahm das Beratungsergebnis vielmehr zum
Anlass, den Vizepräsidenten des Landgerichts A aufzusuchen, um sich über den/die
Berufsrichter zu beschweren. In Anwesenheit des von dem Vizepräsidenten
hinzugezogenen Dezernenten des Landgerichts, des Zeugen Dr. C, wurde ihm sodann
anheim gestellt, ggf. nach anwaltlicher Beratung eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu
verfassen. Auch damit mochte sich der Angeklagte indes nicht abzufinden, weil es ihm
darauf ankam, seine Vorstellungen über den weiteren Verfahrensgang und insbesondere
die aus seiner Sicht notwendige weitere Beweiserhebung über die vermeintliche
Beteiligung des Inhabers des Juweliergeschäfts an dem Raub in seinem Sinne zu
beeinflussen. Vor diesem Hintergrund fasste er deshalb den Entschluss, dem Verteidiger
des Angeklagten M mittels eines anonymen Schreibens seine bereits in der vorgenannten
Zwischenberatung vertretene Auffassung nahe zubringen, um diesen dadurch zu
veranlassen, entsprechende Beweisanträge zu stellen. In Ausführung dieses
Tatentschlusses verfasste er ein Schreiben mit folgendem Inhalt:
"Sehr geehrter Herr G,
zur Unterstützung ihrer Verteidigung von Herrn M mache ich folgende Angaben: ...(Es folgt
eine Darstellung von drei Zeugenaussagen. Sodann wird ausgeführt, was nach Auffassung
des Verfassers des Schreibens noch aufzuklären ist. Dazu heißt es u.a.:) Um den ganzen
Vorgang aufzuklären, wäre zu verlangen, dass alle schriftlichen Unterlagen über den Kauf
des Colliers im Werte von ca. 400.000,- DM vorgelegt werden. Dass heißt, Kaufvertrag oder
Bestellung von Frau L... Weiterhin wäre eine Begutachtung durch einen Goldschmied (evtl.
Obermeister der Goldschmiedeinnung) angebracht, um die wirklichen Maßnahmen am
Schmuckstück festzustellen. ...(Der Schluss des Schreibens lautet wie folgt:) Bitte
verwenden Sie diese Informationen so, dass keine Rückschlüsse auf die wirkliche Herkunft
gezogen werden können. z.B. Während des Studiums der Akten "spontan" im Gericht oder
irgend eine andere nicht nachvollziehbare schlüssige Einbringung.
Persönlich
an Herrn
Rechtsanwalt G
in der Kanlzlei I1
U-Straße"
Der Poststempel des handschriftlich mit der Adresse der Rechtsanwaltskanzlei I in F
versehenen Briefumschlags weist das Datum 13.03.2000 aus. Der Zeuge G hat das
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Schreiben am 14.03.2000 erhalten. Da der Angeklagte sich nicht sicher war, ob der Zeuge
G möglicherweise in der Kanzlei Sp tätig ist, richtete er ein wortgleiches Schreiben auch an
die Adresse dieser Kanzlei. Von dort aus wurde das Schreiben in Erkenntnis der
Zuordnung an die Kanzlei I in F weitergeleitet, wo es am 16.03.2000 eintraf.
Dem Zeugen G kam zwar der Gedanke, dass das ihn erreichende Schreiben des
Angeklagten von einem mit dem Verfahrensablauf vertrauten Dritten verfasst worden sein
musste. Auf die Idee, dass der Angeklagte als Mitglied des Richtergremiums Verfasser des
Schreibens war, kam er wegen der Ungewöhnlichkeit einer solchen Vorgehensweise nicht.
Dementsprechend zog er auch keine Rückschlüsse darauf, dass der Angeklagte sich in der
Zwischenberatung mit seiner Auffassung nicht durchgesetzt hatte und die verbleibenden
vier Mitglieder des Spruchkörpers in der Zwischenberatung gegen die Durchführung einer
weiteren Beweisaufnahme von Amts wegen gestimmt hatten.
Am 12. Verhandlungstag, dem 24.03.2000, überreichte der Zeuge G mehrere schriftlich
zusammengefasste und von ihm verlesene Beweisanträge. Außerdem verlas der das
Schreiben des Angeklagten, das in beiden Originalfassungen daraufhin zur Akte
genommen wurde. Der Zeuge E erkannte sofort, dass die in dem anonymen Schreiben
enthaltene Argumentation exakt derjenigen entsprach, die der Angeklagte anlässlich der
Zwischenberatung nach dem 10. Verhandlungstag für die Fortführung der aus seiner Sicht
erforderlichen Beweisaufnahme vorgebracht hatte. Er war sich indes zunächst mit Blick auf
das aus seiner Sicht zu wahrende Beratungsgeheimnis der Zwischenberatung nicht
schlüssig, wie er mit diesem Wissen weiter umgehen sollte. Zunächst protokollierte er am
03.04.2000, dem 13. Verhandlungstag, folgende eigene Erklärung:
"Aufgrund des Inhalts des in der letzten Hauptverhandlung von Rechtsanwalt G verlesenen
und zu Protokoll genommenen anonymen Briefs ist der Kammer der dringende Verdacht
entstanden, dass dieser Brief von dem Schöffen N A geschrieben worden ist. Dieser hat
soeben auf diesbezügliches Befragen erklärt, dass dieser Verdacht unzutreffend sei, er
habe diesen Brief nicht geschrieben."
Daraufhin lehnte der Vertreter der Staatsanwaltschaft den Angeklagten wegen Besorgnis
der Befangenheit ab. Mit Schriftsatz vom 05.04.2000 lehnte der Zeuge G für den
Angeklagten M alle Mitglieder der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Auch
von den anderen Verteidigern wurden Ablehnungsanträge gestellt. Durch Beschluss der 4.
großen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 11.04.2000 wurde die Ablehnung
hinsichtlich des Zeugen E, der beiden Berufsrichter und des Angeklagten wegen der
Besorgnis der Befangenheit für berechtigt erklärt. Der gegen den Schöffen Y gerichtete
Befangenheitsantrag wurde zurückgewiesen.
Die am Ausgang des Verfahrens interessierten Pressevertreter erkundigten sich bei dem
damaligen Pressedezernenten, dem Zeugen Dr. C, nach dem Ausgang des Verfahrens. Im
Anschluss hieran erschien in der Ausgabe der Lokalzeitung B'er Nachrichten am
18.04.2000 ein Artikel mit der Überschrift "Drei Richter befangen", in dem es u.a. heißt:
"...Im Laufe des Verfahrens kamen die unterschiedlichen Gesichtspunkte zur Sprache, von
Versicherungsbetrug verbundenen mit einer Auftragstat war die Rede. In diese Situation
platzte ein anonymer Brief, gerichtet an einen der Verteidiger der Angeklagten, in dem
verschiedene Vorschläge zur Verteidigungsstrategie und zur Beweiserhebung unterbreitet
wurden. Als Verfasser der Zeilen kam offensichtlich nur ein Schöffe in Frage, da dieser in
einer Zwischenberatung genau die gleichen Argumente vertreten hatte, mit denen sich
wenig später der Verteidiger in dem Brief konfrontiert sah. Damit war es mit der
Verwendbarkeit des Schöffen dahin, so dass die 5. Kammer das Befangenheitsgesuch der
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Staatsanwaltschaft und der Angeklagten für gerechtfertigt erklärte. Nicht korrekt benahmen
sich aus Sicht der Angeklagten kurz darauf auch die drei Berufsrichter der 4. Kammer, da
sie mit einer Information hinter dem Berg gehalten hätten. Somit galt der gesamte
rechtsprechende Apparat in diesem Prozess für befangen und damit als nicht mehr
arbeitsfähig. Das Verfahren wird nun mit gänzlich veränderter Richter- und
Schöffenbesetzung von einer anderen Strafkammer erneut verhandelt."
Weitere Reaktionen zum Ausgang des Verfahrens erfolgten weder in den redaktionellen
Teilen der Lokalpresse noch in den dortigen Leserbriefsparten.
In der anschließend in anderer Besetzung vom 15.06. bis zum 20.12.2000 an 41
Verhandlungstagen durchgeführten Hauptverhandlung sind die (damaligen) Angeklagten
durch zwischenzeitlich rechtskräftiges Urteil des schweren Raubes in Tateinheit mit
Freiheitsberaubung für schuldig befunden worden und zu Freiheitsstrafen zwischen 4
Jahren 9 Monaten und 6 Jahren verurteilt worden. Nach den in jenem Urteil getroffenen
Feststellungen haben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der
Geschäftsinhaber an dem Raubüberfall beteiligt war. In den Lokalzeitungen B'er
Nachrichten und B'er Zeitung vom 21.12.2000 erschienen im Anschluss hieran Artikel über
den Verfahrensausgang, in denen es u.a. heißt:
"...Besonders "in sich" hatte es der Prozess auch deshalb, weil es dazu bereits einen
Anlauf gegeben hatte. Doch der erste Versuch gegen die vier Angeklagten zu verhandeln
war im Mai dieses Jahres gescheitert, nach dem ein anonymer Brief bei einem der
Verteidiger aufgetaucht war. Darin hatte der Schreiber Tipps zur Verteidigungsstrategie
gegeben und Details aus kammerinternen Beratungsgesprächen dargelegt. Mutmaßlich
war der Autor einer der beiden Laienrichter. Einpacken konnte aber die gesamte Kammer.
..."
"Weil ein Schöffe für befangen erklärt worden war, platze der Prozess gegen das Quartett
im Alter zwischen 44 und 49 Jahren im April 2000 zunächst einmal. Das Verfahren musste
gänzlich neu aufgerollt werden und hatte dann noch viele Klippen zu umschiffen."
Das Berufungsgericht hat die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte der Verfasser
der anonymen Schreiben war. Nach einer Beweiswürdigung dazu heißt es im
Berufungsurteil, bei dieser Sachlage sei der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen von
dem Vorwurf einer Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353 b StGB
freizusprechen. Zwar sei der Angeklagte als Schöffe Richter und damit Amtsträger im Sinne
von § 353 b StGB. Auch habe er ein Geheimnis offenbart. Dazu heißt es:
"Hier ist am 10. Verhandlungstag, an dem sich für die Verfahrensbeteiligten mit der
Verlesung der Vorstrafen und der Erstattung des Gutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit
einzelner Angeklagter das Ende des Verfahrens abzeichnete, eine Zwischenberatung
angekündigt worden. Wenn im Anschluss hieran die von dem Angeklagten in seinem
Schreiben enthaltene Argumentation einem Verteidiger zugeleitet wird und am nächsten
Verhandlungstag keine weitere Beweiserhebung von Amts wegen seitens der Kammer
angekündigt wird, liegt darin jedenfalls eine schlüssige Offenbarung des
Abstimmungsergebnisses der Zwischenberatung mit einer Quote von 4 : 1 gegen den
Angeklagten. ...Dem Angeklagten kann jedoch nicht mit der die Überzeugung der Kammer
notwendigen Sicherheit nachgewiesen werden, dass er auch subjektiv davon ausging,
dieses Geheimnis unbefugt zu offenbaren. ... Der gesamte Inhalt des Schreibens war schon
gerade darauf angelegt, den Angeklagten als Teilnehmer der Zwischenberatung nicht als
den Verfasser des Schreibens erkennen zu lassen. ... Dann fehlt es aber auch am
nachweisbaren Vorsatz bezüglich der Offenbarung der Quote bei der Abstimmung über die
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weitere Verfahrensweise innerhalb der Kammer, weil ohne Kenntnis von der Urheberschaft
des Schreibens der aufgezeigte Rückschluss nicht möglich ist. Aus diesem Grund entfällt
auch eine Versuchsstrafbarkeit."
Sodann heißt es im Berufungsurteil:
"Mangels nachweisbarem Vorsatz bezüglich der Offenbarung dieses Geheimnisses kann
deshalb dahinstehen, ob die festgestellte Reaktion in der Öffentlichkeit durch die Berichte
in der regionalen Presse bereits für die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen im
Sinne von § 353 b StGB genügt (vgl. zu den Anforderungen OLG Köln NJW 1988, 2489 ff.).
...
Soweit der Angeklagte in dem Schreiben an den Zeugen G den Wert des Colliers offenbart
hat, kann im Ergebnis dahinstehen, ob es sich insoweit um ein Geheimnis handelt oder ob
er insoweit mit Blick auf die Entscheidungsgründe des die Ablehnung der Berufsrichter
betreffenden Beschlusses des Landgerichts Aachen vom 11.04.2000 – die eine
Offenlegung verlangt – unbefugt gehandelt hat. Denn jedenfalls insoweit kann eine
Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen nicht festgestellt werden. ...Sonstige
Geheimnisse hat der Angeklagte nicht offenbart. Soweit er in dem Schreiben die eigene
Argumentation innerhalb der Zwischenberatung offen legt, handelt es sich nicht um ein
Geheimnis im Sinne von § 353 b StGB, weil eigene Meinungsäußerungen, auch wenn sie
innerhalb einer Beratung geäußert werden, nicht unter dem Schutzzweck der Vorschrift
fallen..."
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge
der Verletzung materiellen Rechts.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat den Angeklagten im Ergebnis zu Recht vom Vorwurf der Verletzung
des Dienstgeheimnisses nach § 353 b Abs. 1 StGB freigesprochen.
Mit rechtsfehlerfreien Erwägungen ist die Strafkammer (allerdings) zu der Überzeugung
gelangt, dass der Angeklagte Verfasser der beiden anonymen Schreiben war, die am
14.03.2000 und 16.03.2000 den Rechtsanwalt G erreicht haben.
Es spricht auch vieles dafür, dass er damit unbefugt ein Geheimnis offenbart hat, das ihm
als Amtsträger anvertraut war.
Der Senat sieht – anders als das OLG Düsseldorf (NStZ 1981, 25; sich anschließend: KG
GA 87, 227; NStZ 1999, 427) – keinen Anlass, das richterliche Beratungsgeheimnis aus
dem Anwendungsbereich des § 353 b Abs. 1 BGB herauszunehmen. Der Gesetzeswortlaut
bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Vorschrift auf Verwaltungsgeheimnisse
beschränkt sein soll. Geschützt sind durch sie diejenigen staatlichen Bereiche, in denen
die aufgeführten Personen tätig sind. Amtsträger im Sinne der Nr. 1 sind auch Richter
einschließlich der Schöffen (§§ 11 Abs. 1 Nr. 2 a StGB, 44, 45, 45 a DRiG; wie hier u.a.:
Träger in LK, StGB, 11. Aufl., § 353 b Rn. 11; Hoyer SK, StGB, 5. Aufl., § 353 b Rn. 4;
Kuhlen NK, StGB, § 353 b Rn. 12; Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 353 b Rn. 6; anderer
Ansicht: Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 353 b Rn. 5).
Soweit es die Frage betrifft, ob die Strafkammer den (gleichlautenden) anonymen
Schreiben die Offenbarung des Abstimmungsverhältnisses bei der Ablehnung weiterer
Beweiserhebungen entnehmen konnte, neigt der Senat zu der Auffassung, dass insoweit
ein Rechtsfehler bei der tatrichterlichen Auslegung nicht vorliegt – jedenfalls soweit die
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Tatsache einer Mehrheitsentscheidung verraten worden ist. Dabei mag dahinstehen, ob –
wie das Landgericht meint – eine Mehrheitsentscheidung mit einer Quote von 4 : 1 offenbart
worden ist oder ob auch eine Quote von 3 : 2 als offenbart in Betracht kommt, letzteres im
Hinblick darauf, dass sich die Mitglieder der Strafkammer auch durch Abstimmung mit
(einfacher) Stimmenmehrheit (§ 196 Abs. 1 GVG) Klarheit darüber verschaffen konnten, ob
es noch der Erhebung weiterer Beweise bedurfte (vgl. BGH DRiZ 1976, 318; Wickern in
LR, StPO, 25. Aufl., GVG § 194 Rn. 13; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 263 Rn.
2; Engelhardt in KK-StPO, 5. Aufl., § 263 Rn. 8).
Soweit im angefochtenen Urteil die Möglichkeiten nicht erörtert worden sind, dass ein
Mitglied der Strafkammer sich zu den Hinweisen an die Verteidigung veranlasst sah, weil
er eine Ablehnung der von ihm gewünschten Beweiserhebungen bei einer späteren
Abstimmung befürchtete oder er nach Zustimmung zur Ablehnung seine Meinung geändert
hatte, wäre darin ein Rechtsfehler nur dann zu sehen, wenn sich der Strafkammer die
Erörterung einer solchen (anderen) Auslegungsmöglichkeit hätte aufdrängen müssen. Die
tatrichterliche Auslegung kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie
lückenhaft ist, gegen Sprach- und Denkgesetze oder gegen anerkannte Auslegungsregeln
verstößt (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur Senatsentscheidung NJW 1988, 1802;
NJW 1993, 1486).
Soweit es die Frage betrifft, ob der Angeklagte (zumindest bedingt) vorsätzlich das
Beratungsgeheimnis gebrochen hat, ist der Senat der Auffassung, dass die Erwägungen
des Landgerichts nicht haltbar sind.
Die Erwägung, ein vorsätzliches Handeln sei schon deshalb zu verneinen, weil der
gesamte Inhalt des Schreibens darauf angelegt war, den Angeklagten nicht als Verfasser
des Schreibens erkennen zu lassen, begegnet durchgreifenden Bedenken. Sie ist schon
mit der vorhergehenden Erwägung nicht vereinbar, es liege "auf der Hand, dass ein
Mitglied der Kammer Verfasser des anonymen Schreibens war" (S. 19 UA). Wenn es – was
zutrifft – auf der Hand lag, dass ein Kammermitglied Verfasser war, dann ist nicht
ersichtlich, wieso der Angeklagte diese Sachlage nicht in seine Vorstellungen
aufgenommen haben sollte. Der Angeklagte konnte sein Ziel, die Verteidigung zu
Beweisanträgen zu veranlassen, nur erreichen, wenn der Inhalt des Schreibens
authentisch in dem Sinne wirkte, dass ein Kammermitglied als sein Urheber erschien. Dass
er dies verkannt haben könnte, leuchtet nach dem Zusammenhang der Gründe des
angefochtenen Urteils nicht ein. Zutreffend führt die Staatsanwaltschaft dazu aus, dass
auch die dringende Bitte um Diskretion nur so verstanden werden kann.
Eine Verurteilung des Angeklagten scheidet jedenfalls deshalb aus, weil es nach den
rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts an einer
Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen als Folge der Vorgehensweise des
Angeklagten fehlt.
Die Strafbarkeit nach § 353 b Abs. 1 StGB setzt neben der Verletzung des
Dienstgeheimnisses als zusätzliches Tatbestandsmerkmal voraus, dass gerade durch die
Tathandlung wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Daran fehlt es hier.
Der Gegenstand des festgestellten Geheimnisbruchs – nämlich die Tatsache, dass die
Strafkammer weitere Beweiserhebungen nicht einstimmig, sondern gegen das Votum
mindestens eines Mitglieds beschlossen hat – lässt eine unmittelbare Gefährdung
öffentlicher Belange nicht besorgen. Denn es ist weder für die Entscheidung als solche
noch für ihre Auswirkungen auf den Verfahrensfortgang von Bedeutung, ob sie einstimmig
oder mehrheitlich getroffen worden ist. Anders als etwa die Offenbarung von
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Ermittlungsergebnissen, des Erlasses eines Haftbefehls oder der Themen von
Prüfungsarbeiten (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 353 b Rn.13, 13 a, b m. N.) führt
die Preisgabe einer Abstimmungsquote nicht zu einer Gefährdung des Verfahrenszwecks.
Allerdings können nach der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Auffassung
wichtige öffentliche Interessen im Sinne von § 353 b Abs. 1 StGB mittelbar auch dadurch
gefährdet werden, dass die Tatsache des Geheimnisbruchs aufgedeckt und allgemein
bekannt wird, und dass sodann als mittelbare Folge der Tat das Vertrauen der Öffentlichkeit
in das Ansehen und die Verschwiegenheit der Verwaltung erschüttert wird (BGH NStZ
2000, 596; BGHSt 48, 126 = NJW 2003, 979; Senatsentscheidung NJW 1988, 2489; vgl.
u.a. Träger in LK, § 353 b Rn. 26; Tröndle/Fischer a.a.O. , § 353 b Rn. 13 a).
Ob in diesem Sinne wichtige öffentliche Interessen gefährdet worden sind, kann nicht
allgemein beurteilt werden, sondern ist Tatfrage des Einzelfalls. Der Tatrichter hat dies in
eigener Verantwortung zu prüfen und darf nicht die Gefährdung bereits aus dem Umstand
folgern, dass die vorgesetzte Behörde – wie hier der Justizminister des Landes Nordrhein-
Westfalen – die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 353 b Abs. 4 Nr. 3 StGB erteilt
hat. Immer ist darauf abzustellen, ob konkret eine Gefahr entstanden ist. Die Gefährdung
liegt nicht schon dann vor, wenn mit ihr nur nach allgemeinen Erfahrungssätzen (abstrakt)
zu rechnen ist (BGHSt 20, 342; ähnlich: BGH MDR 1963, 426; OLG Köln GA 1973, 57;
Träger in LK, § 353 b Rn. 27).
Es müssen vielmehr konkrete Feststellungen dazu getroffen werden, ob und inwieweit das
Ansehen – hier: der Aachener Justiz – bzw. das Vertrauen in die Verschwiegenheit der
fraglichen Behörde in der Öffentlichkeit durch das Aufdecken und Bekanntwerden des
Vorfalls erschüttert worden ist oder ob dieser Vorgang als Einzelfall gewertet worden ist. Es
müssen konkrete Tatsachen vorliegen, die geeignet sind, eine konkrete Gefährdung durch
Erschütterung des Ansehens oder Vertrauens zu untermauern (z.B. Reaktion in der
seriösen Presse, zahlreiche schriftliche oder mündliche Proteste aus der Bevölkerung etc.;
vgl. SenE NJW 1988, 2489, 2491).
Daran fehlt es hier. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich die örtliche Presse lediglich in
drei Artikeln mit dem Vorgang befasst. Inhaltlich beschränken sich die Veröffentlichungen
im Wesentlichen auf eine Darstellung des Geschehensablaufs. Der Bruch des
Beratungsgeheimnisses wird dabei nicht einmal als schlagzeilentauglich empfunden. Kritik
an den beteiligten Richtern oder dem Justizapparat generell wird nicht geäußert. Insgesamt
erscheint die Handlungsweise des Angeklagten vielmehr als das, was sie auch tatsächlich
ist: nämlich als – nicht alltägliche – Entgleisung eines Laienrichters, als außergewöhnliche
Absonderlichkeit in einem seltenen Einzelfall, hervorgerufen durch einen Schöffen, dem es
offenbar an der persönlichen Eignung zur Wahrnehmung dieses Ehrenamtes fehlt.
Weitere Reaktionen – namentlich in den Leserbriefen der Lokalpresse – hat es nach den
Urteilsfeststellungen nicht gegeben. Dafür war auch der Gegenstand des Geheimnisverrats
für die Öffentlichkeit ersichtlich zu uninteressant. Ob eine Strafkammer über weitere
Beweiserhebungen einstimmig oder mehrheitlich entscheidet, ist offensichtlich nicht von
öffentlichem Interesse. Dass "das Scheitern des ersten Prozesses und der Neubeginn vor
einer anderen großen Strafkammer... großes Interesse in der B'er Presse gefunden und in
der Öffentlichkeit zu erheblichen Diskussionen geführt haben", – wie es in dem in
vorliegender Sache auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs. 2
StPO) ergangenen Beschluss des Landgerichts Aachen vom 26.05.2003 (62 QS 54/03)
heißt – belegen die Urteilsfeststellungen nicht. Eine Vertrauenskrise oder ein
Ansehensverlust der Aachener Justiz als Folge der Tat des Angeklagten ist nicht
ersichtlich.
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Eine Verurteilung wegen der Offenbarung des Wertes des Colliers der Zeugin L hat das
Landgericht mit zutreffenden Gründen abgelehnt. Da die Zeugin L keinen Strafantrag
gestellt hat, ist auch nicht etwa § 203 Abs. 2 StGB anwendbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.