Urteil des OLG Köln vom 11.10.2010

OLG Köln (beschwerde, rechtsgeschäft unter lebenden, neues tatsächliches vorbringen, gerichtshof für menschenrechte, erbschein, erblasser, europäische menschenrechtskonvention, letzte instanz, verhältnis zwischen, materielle rechtskraft)

Oberlandesgericht Köln, 2 Wx 39/10
Datum:
11.10.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Wx 39/10
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 11 T 305/09
Schlagworte:
Kein gesetzl. Erbrecht vor dem 1. JUli 1949 geborener nichtehel.
Abkömmlinge
Normen:
GG Art. 20 Abs. 3; NEhelG Art. 12 Abs. 1 § 10 Abs. 2 Satz 1; EMRK Art.
8, 14, 34
Leitsätze:
Aus der Bindung des Richters an Recht und Gesetz folgt das Gebot, die
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen methodisch
vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Die
Stichtagsregelung des Art. 12 Abs. 1 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG ist
indes eindeutig und lässt keinen Auslegungsspielraum offen. Auch nach
der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
vom 28. Mai 2009 verbleibt es deshalb bis zu einer Neuregelung durch
den Gesetzgeber bei dem Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts der
vor dem 1. Juli 1949 geborener nichtehelicher Abkömmlinge des
Erblassers.
Tenor:
Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 18. März 2010 gegen
den Beschluß der 11. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 16.
Februar 2010 - 11 T 305/09 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde einschließlich der
den Beteiligten zu 2), 3), 4), 5), 6) und 7) im Verfahren der weiteren
Beschwerde entstandenen notwendigen Auslagen hat der Beteiligte zu
1) zu tragen.
G r ü n d e
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1. Der am 10. Mai 1920 geborene Erblasser, Herr K. L. I., verstarb am 23.
Oktober 2007. Er war ledig, lebte zuletzt in einem Seniorenheim und stand unter
Betreuung. Der Beteiligte zu 1) ist der einzige Abkömmling des Erblassers. Er
wurde nach den Feststellungen des Landgerichts am 20. September 1943 als
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nichteheliches Kind des Erblassers und der Frau F. B. X. geboren und von dem
Erblasser am 3. März 1944 als sein Sohn anerkannt.
Nach dem Tode des Erblassers hat der Beteiligte zu 1) am 6. November 2007
einen Erbschein beantragt. Am 7. November 2007 hat die Rechtspflegerin des
Amtsgerichts Köln dem Beteiligten zu 1) auf diesen Antrag einen Erbschein
erteilt, der ihn als Alleinerben des Erblassers auswies. Diesen Erbschein hat
das Amtsgericht durch Beschluß vom 10. Dezember 2007 - 33 VI 505/07 - mit
der Begründung wieder als unrichtig eingezogen, daß der Beteiligte zu 1) vor
Inkrafttreten des Nichtehelichenrechts geboren und deshalb trotz der
Anerkennung der Vaterschaft durch den Erblasser nicht dessen Erbe geworden
sei. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1) hat das
Landgericht Köln durch Beschluß vom 25. August 2008 - 11 T 81/08 -
zurückgewiesen.
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Bei den Beteiligten zu 2) bis 6) handelt es sich um Enkel der Mutter des
Erblassers. Ihnen hat das Amtsgericht Köln einen gemeinschaftlichen
Teilerbschein vom 31. Oktober 2008 erteilt, nach dem der Erblasser von den
Beteiligten zu 2) bis 5) zu je 1/12-Anteil und von der Beteiligten zu 6) zu 1/3-
Anteil beerbt worden ist. Danach erwarb der Beteiligte zu 1) - jeweils im Wege
der Erbteilsschenkung - gemäß notariellem Vertrag vom 3. Dezember 2008 von
den Beteiligten zu 5) und 6) und gemäß weiterer notarieller Vereinbarung vom
8. Dezember 2008 von dem Beteiligten zu 2) deren 1/12-Erbanteile am Nachlaß
des Erblassers. Die Beteiligte zu 7) ist eine Halbschwester des Erblassers. Ihr
erteilte das Amtsgericht Köln am 6. April 2009 einen 2. Restteil-Erbschein mit
dem Inhalt, daß sie den Erblasser zu 1/3-Anteil beerbt habe.
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Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 23. Juli 2009, der am
Folgetage bei dem Amtsgericht eingegangen ist, hat der Beteiligte zu 1) unter
Hinweis auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Januar
2009 - 1 BvR 755/08 - und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
vom 28. Mai 2009 - Nr. 3545/04 C. ./. Deutschland - beantragt, den Erbschein
vom 31. Oktober 2008 einzuziehen und ihm, dem Beteiligten zu 1), einen
Erbschein mit dem Inhalt des ursprünglichen Erbscheins vom 7. November
2007 zu erteilen. Diesen Antrag hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts durch
Beschluß vom 3. November 2009 zurückgewiesen und es abgelehnt, die
Erbscheine vom 31. Oktober 2008 und vom 6. April 2009 einzuziehen. Der
gegen diesen Beschluß vom 3. November 2009 gerichteten Beschwerde des
Antragstellers vom 16. November 2009 hat die Rechtspflegerin des
Amtsgerichts durch Beschluß vom 19. November 2009 nicht abgeholfen und
zugleich die Sache dem Oberlandesgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Beschluß vom 1. Dezember 2009 hat der Senat eine Entscheidung über die
ihm von der Rechtspflegerin des Amtsgerichts vorgelegte Beschwerde vom 16.
November 2009 abgelehnt, die Sache an das Amtsgericht zurückgegeben und
zur Begründung darauf hingewiesen, daß sich das Verfahren - einschließlich
des Rechtsmittelsverfahrens - und der Rechtsmittelzug hier aufgrund der
Übergangsregelung des Art. 111 Abs. 1 FGG-RG hier noch nach dem bis zum
31. August 2009 geltenden Recht richten, so daß zur Entscheidung über die
Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts noch das Landgericht
zuständig war.
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Daraufhin hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts der Beschwerde vom 16.
November 2009 mit Beschluß vom 15. Dezember 2009 wiederum nicht
abgeholfen und die Sache dem Landgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt.
Durch Beschluß vom 16. Februar 2010, der den Verfahrensbevollmächtigten
des Beteiligten zu 1) am 5. März 2010 zugestellt worden ist, hat das Landgericht
dessen Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts zurückgewiesen.
Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit einem mit Schriftsatz seiner
Verfahrensbevollmächtigten vom 18. März 2010 am Folgetage bei dem
Oberlandesgericht eingelegten und in diesem Schriftsatz als "sofortige weitere
Beschwerde" bezeichneten Rechtsmittel.
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2. Das Rechtsmittel des Beteiligten zu 1) vom 18. März 2010 gegen den
Beschluß des Landgerichts Köln vom 16. Februar 2010 ist als weitere
Beschwerde gemäß § 27 Abs. 1 FGG zulässig, bleibt in der Sache aber ohne
Erfolg. Nach der Übergangsregelung des Art. 111 Abs. 1 FGG-RG sind im
vorliegenden Verfahren noch die bis zum 31. August 2009 geltenden
Verfahrensvorschriften anzuwenden, weil der dieses Verfahren einleitende
Antrag des Beteiligten zu 1) vom 23. Juli 2009 am 24. Juli 2009 und damit noch
vor dem nach den Art. 111 Abs. 1, 112 Abs. 1 FGG-RG für Anwendung des
neuen Verfahrensrechts maßgeblichen Stichtag, dem 1. September 2009 bei
der ersten Instanz eingegangen ist. Wie der Senat in seinem in der vorliegenden
Sache ergangenen Beschluß vom 1. Dezember 2009 - 2 Wx 105/09 - ausgeführt
hat, richten sich aufgrund dieser Übergangsregelung deshalb hier auch der
Rechtsmittelzug und das Rechtsmittelverfahren nach dem bis zum 31. August
2009 geltenden Verfahrensrecht (so inzwischen auch BGH FGPrax 2010, 102
[103]), so daß gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 3. November
2009 die Beschwerde nach § 19 FGG zum Landgericht gegeben war und gegen
die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts die weitere Beschwerde zum
Oberlandesgericht nach den §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 FGG gegeben ist. Der
Beteiligte zu 1) hat dieses Rechtsmittel in rechter Form, durch den Schriftsatz
eines Rechtsanwalts (§ 29 Abs. 1 Satz 2 FGG) eingelegt. Befristet ist das
Rechtsmittel der weiteren Beschwerde nach § 27 Abs. 1 FGG im
Erbscheinsverfahren nicht. Seine Bezeichnung als "sofortige" Beschwerde im
Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) vom 18. März
2010 geht deshalb fehl.
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Die weitere Beschwerde ist nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung
des Landgerichts beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts, §§ 27 Abs. 1
FGG, 546 ZPO. Die weitere Beschwerde nach den §§ 27 ff. FGG ist gemäß den
§§ 27 Abs. 1 FGG, 546, 547, 559 ZPO eine Rechtsbeschwerde; das
Oberlandesgericht als Rechtsbeschwerdegericht hat (nur) zu prüfen, ob die
angefochtene Entscheidung der Vorinstanz auf einer Verletzung des Rechts
beruht. Eine Nachprüfung tatsächlicher Verhältnisse durch das
Rechtsbeschwerdegericht sowie die Berücksichtigung neuen
Tatsachenvortrages und / oder neuer Beweisantritte sind dagegen
ausgeschlossen (vgl. nur Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl.
2003, § 27, Rdn. 42 und 45 mit weit. Nachw.). Dies verkennen die
Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1), wenn sie die weitere
Beschwerde auch auf neues tatsächliches Vorbringen und - mit ihren
Schriftsätzen vom 21. Juli und 18. August 2010 - auf neue Beweisangebote
stützen. Vielmehr hat der Senat als Rechtsbeschwerdegericht nach den §§ 27
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Abs. 1 Satz 2 FGG, 559 Abs. 1 und 2 ZPO seiner Beurteilung den von dem
Landgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde zu legen, sofern nicht in Bezug
auf diese Feststellungen ein zulässiger und begründeter Angriff der
Rechtsbeschwerde vorliegt. Letzteres ist hier nicht der Fall. Das Verfahren des
Landgerichts bei der Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts
ist nicht zu beanstanden. Etwas anderes macht auch die weitere Beschwerde
nicht geltend. Die tatsächlichen Behauptungen zu den persönlichen
Beziehungen zwischen dem Beteiligten zu 1) und dem Erblasser, welche sich
erst in seinen in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu den Akten gereichten
Schriftsätzen vom 21. Juli und vom 18. August 2010 finden, hatte der Beteiligte
zu 1) in den Tatsacheninstanzen nicht aufgestellt.
Auf den von ihm verfahrensfehlerfrei festgestellten Sachverhalt hat das
Landgericht das Recht zutreffend angewandt. Dem Beteiligten zu 1) steht als
dem nichtehelichen Sohn kein gesetzliches Erbrecht nach seinem Vater, dem
Erblasser, zu. Dies folgt aus Art. 12 Abs. 1 § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über
die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG), da der Beteiligte zu
1) am 20. September 1943 und somit vor dem nach dieser Bestimmung
maßgeblichen Stichtag vom 1. Juli 1949 geboren wurde. Deshalb kann ihm
weder der von ihm erstrebte Erbschein erteilt werden, noch sind die den
Beteiligten zu 2) bis 7) erteilten Erbscheine vom 31. Oktober 2008 und vom 6.
April 2009 nach § 2361 Abs. 1 BGB als unrichtig einzuziehen.
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An die gesetzliche Regelung des Art. 12 Abs. 2 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG ist
der Senat gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG. Daß diese Bestimmung nicht
verfassungswidrig ist, hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt
ausgesprochen (vgl. BVerfGE 44, 1 [20, 34]; BVerfG ZEV 2004, 114). Aus der
von dem Beteiligten zu 1) für seinen Standpunkt in Anspruch genommenen
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Januar 2009 (NJW 2009,
1065 f.) ergibt sich nichts anderes. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht
auch in jener Entscheidung nicht die Regelung des Art. 12 Abs. 2 § 10 Abs. 2
Satz 1 NEhelG, sondern nur beanstandet, daß sie in jenem Fall von den mit ihm
befaßten Gerichten ohne Berücksichtigung des § 1719 BGB a.F. angewandt
worden war. Nach der mit dem Ablauf des 30. Juni 1998 außer Kraft getretenen
Bestimmung des § 1719 BGB wurde ein nichteheliches Kind ehelich, wenn sein
Vater mit seiner Mutter die Ehe schloß. Darum geht es hier nicht: Der Erblasser
hat die Mutter des Beteiligten zu 1) nicht geheiratet, sondern ist bis zu seinem
Tode ledig geblieben. Zu Recht hat deshalb bereits die Rechtspflegerin des
Amtsgerichts in ihrem Beschluß vom 3. November 2009 ausgeführt, daß die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Januar 2009 hier nicht
einschlägig ist.
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Auch der Hinweis des Beteiligten zu 1) auf die Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Mai 2009 (veröffentlicht u.a. in DNotZ
2010, 136 ff.) veranlaßt keine andere Beurteilung. Der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte hat in jenem Verfahren im Hinblick auf den Ausschluß der
dortigen Beschwerdeführerin von der gesetzlichen Erbfolge nach ihrem Vater,
einen Verstoß gegen Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 der EMRK und damit eine
unzulässige Diskriminierung der dortigen Beschwerdeführerin festgestellt. Art.
12 Abs. 2 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG, wonach nichteheliche Kinder, die vor dem
1. Juli 1949 geboren sind, von dem gesetzlichen Erbrecht nach ihrem Vater
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ausgeschlossen sind, diskriminiere die dortige Beschwerdeführerin. Nach
Auffassung des Gerichtshofs sind die Motive des deutschen Gesetzgebers nicht
mehr zeitgemäß. Die deutsche Gesellschaft habe sich - wie andere europäische
Gesellschaften - erheblich weiter entwickelt, und die rechtliche Stellung
nichtehelicher Kinder entspreche heute dem rechtlichen Status ehelicher
Kinder.
Die Entscheidung vom 28. Mai 2009 ist in einem Verfahren der
Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK ergangen. Die materielle Rechtskraft
einer solchen Entscheidung ist durch die personellen, sachlichen und zeitlichen
Grenzen des Streitgegenstandes begrenzt (vgl. BVerfG EuGRZ 1985, 654 [656];
BVerfG NJW 2004, 3407 [3409]). Das Konventionsrecht enthält keine dem § 31
Abs. 1 BVerfGG vergleichbare Regelung, wonach alle Verfassungsorgane des
Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind.
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Allerdings folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus
der Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) auch das
Gebot, die Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und der Grundfreiheiten sowie die Entscheidungen des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer
Gesetzesauslegung zu berücksichtigen (BVerfGE 111, 307 [324]; vgl. auch BGH
NJW 2008, 223 [225]; BGH NStZ 2010, 565 [566]). Innerhalb der deutschen
Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre
Zusatzprotokolle - soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft
getreten sind - im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 [370];
BVerfGE 82, 106 [120]). So lange Auslegungs- und Abwägungsspielräume
eröffnet sind, trifft deshalb den Richter die Pflicht, einer konventionsgemäßen
Auslegung den Vorzug zu geben (vgl. BGH NStZ 2010, 565 [566]). Anderes gilt
allerdings dann, wenn die Beachtung einer Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht verletzen würde (vgl.
BVerfGE 111, 307 [329]; BGH NStZ 2010 565 [566]). Die Möglichkeit
konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der
Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des Gesetzgebers hinreichend deutlich
erkennbar wird (vgl. BGH, a.a.O.; Giegerich in Grote/Marauhn, EMRK/GG,
Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz,
2006, Kap. 2, Rdn. 20). Die Regelung des Art. 12 Abs. 2 § 10 Abs. 2 Satz 1
NEhelG ist eindeutig. Die Bestimmung, daß für die erbrechtlichen Verhältnisse
eines vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindes und seiner
Abkömmlinge zu dem Vater und dessen Verwandten die bisher geltenden
Vorschriften auch dann maßgebend sind, wenn der Erblasser nach dem
Inkrafttreten des Gesetzes, also nach dem 1. Juli 1970, stirbt, läßt keinen
Auslegungsspielraum offen. Die Möglichkeit einer konventionsgemäßen
Auslegung des Art. 12 Abs. 2 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG haben auch das
Oberlandesgericht Stuttgart (vgl. FamRZ 2010, 674 [675]) sowie das
Kammergericht (ZErb 2010, 249 [250 f.]) zutreffend verneint. Entsprechend hat
auch das Landgericht Saarbrücken mit Beschluß vom 14. Juni 2010 - 5 T
531/09 - (hier zitiert nach juris; Leitsatz veröffentlicht in ZErb 2010, 248) in dem
Fall der Beschwerdeführerin des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof
deren Beschwerde gegen die Ablehnung ihres neuerlichen Antrages auf
Erteilung eines Erbscheins nach ihrem Vater durch das Amtsgericht
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Neunkirchen zurückgewiesen. Auch eine Auslegung dahin, daß die
Anwendung des Art. 12 Abs. 2 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG davon abhängig
gemacht würde, ob die bei Anwendung des Gesetzes erbberechtigten Personen
zum engeren Kreis der (Familien-) Angehörigen des Erblassers gehören, ist
nicht möglich. Für eine solche Auslegung bietet die gesetzliche Regelung
keinen Anknüpfungspunkt. Mithin ist der Senat nach Art. 20 Abs. 3 GG an jene
Regelung gebunden. Überdies liefe das Verwerfungsmonopol des
Bundesverfassungsgerichts (Art. 100 Abs. 1 GG) leer, wenn die Gerichte
Bestimmungen des Gesetzes an den Generalklauseln der Europäischen
Menschenrechtskonvention messen und deshalb gegebenenfalls verwerfen und
damit unangewendet lassen könnten (vgl. auch Link, NJW 2010, 430 [431]).
Zwar hat der Europäische Gerichtshof (in Luxemburg) ausgesprochen, daß der
nationale Richter nicht nur das nationale Recht soweit wie möglich
unionsrechtskonform auszulegen habe (vgl. EuGH NJW 2004, 3547 [3549]),
sondern auch gehalten sei, im Rahmen seiner Zuständigkeit gegebenenfalls
den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem Unionsrecht ergibt,
dadurch sicherzustellen und die volle Wirksamkeit des Unionsrechts dadurch zu
gewährleisten, daß er erforderlichenfalls eine dem Unionsrecht entgegen
stehende Bestimmung des nationalen Rechts nicht anwendet (vgl. EuGH, NJW
2010, 427 [429 f.]). Diese aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts (vgl.
BVerfG NZA 2010, 995 [996] mit weit. Nachw.) folgende Überlegung läßt sich
indes auf das Verhältnis zwischen einer Generalklausel der Europäischen
Menschenrechtskonvention und einer konkreten Regelung eines
Bundesgesetzes nicht übertragen, nachdem die Menschenrechtskonvention -
wie dargestellt - im nationalen Recht gleichfalls nur den Rang eines einfachen
Gesetzes hat.
Die im Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung
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nichtehelicher Kinder (Bundesrats-Drucksache 486/10) vorgesehenen
Regelungen sind bei der Entscheidung über die weitere Beschwerde nicht
anzuwenden, weil sie bislang nicht Gesetz geworden sind. Nach der
Begründung jenes Entwurfs (Teil A, Ziff. II 2, lit. d) [S. 6]) soll zudem bei
Erbfällen, die sich vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte vom 29.Mai 2009 ereignet haben, aus Gründen des
Vertrauensschutzes keine Änderung der bisherigen Rechtslage eintreten (vgl.
dazu auch KG, ZErb 2010, 249 [250]), sofern nicht der Fiskus geerbt hat.
Darüber, ob dieses Ziel in den Bestimmungen des Entwurfs zutreffend
umgesetzt wird, ist hier nicht zu befinden.
15
Der Erbschein vom 31. Oktober 2008 ist auch nicht deshalb einzuziehen, weil
mehrere der in ihm ausgewiesenen Erben danach ihre Erbanteile durch
notarielle Vereinbarungen vom 3. bzw. 8. Dezember 2008 nach § 2033 BGB auf
den Beteiligten zu 1) übertragen haben. Denn hierdurch ist er nicht Erbe
geworden. Im Fall des § 2033 BGB wird der Erbteil durch Rechtsgeschäft unter
Lebenden übertragen. Erbe im Sinne von § 2353 BGB ist dagegen nur, wer von
dem Erblasser hierzu berufen oder im Wege gesetzlicher Erbfolge in die
Rechtsstellung des Erblassers eingetreten ist. Dagegen bleiben
rechtsgeschäftliche Übertragungen im Erbscheinsverfahren unberücksichtigt.
Deshalb ist weder dem Erwerber eines Erbteils ein Erbschein zu erteilen, noch
wird ein den gesetzlichen (Mit-) Erben ausweisender Erbschein im Sinne von §
16
2361 Abs. 1 BGB dadurch unrichtig, daß der Erbe seinen Erbteil auf einen
Dritten überträgt (vgl. RGZ 64, 173 [178]; BayObLG NJW-RR 2001, 1521 [1522];
OLG Braunschweig, NJOZ 2004, 3856 [3857]; OLG Düsseldorf, MDR 1981, 143;
OLG Düsseldorf, NJW-RR 1991, 332; OLG Schleswig, SchlHA 2010, 292 ff.,
hier zitiert nach juris, Rdn. 27, 28; Gergen in Münchener Kommentar zum BGB,
5. Aufl. 2010, Rdn. 27; Jauernig/Stürner, BGB, 13. Aufl. 2009, § 2033, Rdn. 5;
Staudinger/Werner, BGB, Neubearbeitung 2002, § 2033, Rdn. 24). Der
Erwerber ist gehalten, seine Rechte durch einen auf den gesetzlichen Erben
lautenden Erbschein und den notariell beurkundeten Übertragungsvertrag
nachzuweisen.
Die weitere Beschwerde muß deshalb zurückgewiesen werden. Der Senat
entscheidet abschließend über das Rechtsmittel. Eine Aussetzung des
Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG und die Vorlage der Sache an das
Bundesverfassungsgericht kommen nicht in Betracht (so auch OLG Stuttgart,
FGPrax 2010, 83 [84]; LG Saarbrücken, a.a.O., Rdn. 41), weil die Regelung des
Art. 12 Abs. 2 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG nicht verfassungswidrig ist, wie das
Bundesverfassungsgericht wiederholt ausgesprochen hat.
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Eine Vorlage des Verfahrens an den Bundesgerichtshof nach § 28 Abs. 2 Satz 1
FGG wäre nicht zulässig, weil der Senat mit der vorliegenden Entscheidung
weder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch von einer auf eine
weitere Beschwerde nach § 27 FGG ergangenen Entscheidung eines anderen
Oberlandesgerichts abweicht. Die angeführten Entscheidungen des OLG
Stuttgart (FGPrax 2010, 83 f.) und des Kammergerichts (Zerb 2010, 249 ff.) sind
jeweils nicht aufgrund einer solchen weiteren Beschwerde, sondern im
Verfahren der Erstbeschwerde nach § 58 FamFG ergangen. Abgesehen hiervon
weicht der Senat mit seiner vorliegenden Entscheidung auch nicht von einer
diese beiden Entscheidungen tragenden Rechtsauffassung ab, nachdem in den
von dem OLG Stuttgart und dem Kammergericht entschiedenen Fällen jeweils
ebenfalls ein gesetzliches Erbrecht des dortigen Beschwerdeführers verneint
worden ist. Die Möglichkeit eine Vorlage nach § 28 Abs. 2 FGG ist auf die in
dieser Bestimmung genannten Divergenzfälle beschränkt; eine mögliche
grundsätzliche Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage allein erlaubt
deren Übertragung auf den Bundesgerichtshof nicht.
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Dem Antrag im Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1)
vom 8. Juni 2010 auf "Zulassung der weiteren Rechtsbeschwerde" kann nicht
entsprochen werden. Vielmehr verkennen die Verfahrensbevollmächtigten des
Beteiligten zu 1) mit diesem Antrag den Rechtsmittelzug. Im Verfahren nach §
27 FGG ist das Oberlandesgericht das Rechtsbeschwerdegericht und zugleich -
wenn es nicht die Sache unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 FGG dem
Bundesgerichtshof vorlegt - die letzte Instanz. Ein weiteres Rechtsmittel gegen
die Entscheidung des Oberlandesgerichts gibt es nicht (vgl. nur Meyer-Holz,
a.a.O., § 28, Rdn. 35), so daß ein solches weiteres Rechtsmittel auch nicht
zugelassen werden kann. Daß in den angeführten Entscheidungen des OLG
Stuttgart und des Kammergerichts jeweils die Rechtsbeschwerde gemäß § 70
Abs. 1 und 2 FamFG zugelassen worden ist, beruht darauf, daß in jenen
Verfahren bereits das FamFG anzuwenden war und das OLG Stuttgart sowie
das Kammergericht deshalb jeweils nicht als Rechtsbeschwerdegericht (3.
Instanz), sondern als Gericht der Erstbeschwerde (2. Instanz) entschieden
19
haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG.
20
Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde : EUR 115.000,--
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