Urteil des OLG Köln vom 07.07.2006

OLG Köln: entlassung aus der haft, straflose vorbereitungshandlung, schwere körperverletzung, vorzeitige entlassung, besitz, amerika, haftbefehl, anklageschrift, auslieferungsersuchen, strafbarkeit

Oberlandesgericht Köln, 6 Ausl. 19/06
Datum:
07.07.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 Ausl. 19/06
Tenor:
Die Auslieferung des amerikanischen Staatsangehörigen N F O zur
Verfolgung wegen der ihm in dem Haftbefehl des United States District
Court – Northern District Of Georgia - vom 16. Mai 2006
( Aktenzeichen : Case No.:1:04-CR-665-CC ) zur Last gelegten Taten ist
– mit Ausnahme des Anklagepunktes 11 : Besitz einer
Tabletttiermaschine – zulässig.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der Verfolgte ist am 22.04.2006 aufgrund eines Festnahme- und
Auslieferungsersuchens des Justizministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika
vom 30.03.2006 festgenommen worden.
3
Mit Beschluss vom 26.04.2006 hat der Senat gegen den Verfolgten die vorläufige
Auslieferungshaft und mit Beschluss vom 20.06.2006 deren Fortdauer angeordnet. Bei
seiner richterlichen Anhörung am 23.04. vor dem Amtsgericht Köln hat er sich mit einer
vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und bei der weiteren Anhörung
am 28.06.2006 hierzu keine Erklärung abgegeben.
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Die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika ersucht nunmehr mit Verbalnote vom
14.06.2006 förmlich um die Auslieferung zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl
des United States District Court – Northern District Of Georgia - vom 16.05.2006 (
Aktenzeichen : Case No.:1:04-CR-665-CC ) in Verbindung mit der eidlichen Erklärung
des Staatsanwalts K I vom 16.05.2006 als stellvertretendem Bundesanwalt der
Vereinigten Staaten für den nördlichen Justizbezirk des Bundesstaates Georgia (
Aktenzeichen: Nr. 1:03-CR-665 ), der Erklärung des bei der US-
Drogenbekämpfungsbehörde ("DEA") angestellten Task Force Agenten S D vom
16.05.2006 und der bei dem Bundesgericht der Vereinigten Staaten für den nördlichen
Justizbezirk des Bundesstaates Georgia eingereichten Anklageschrift – zweite
Nachtragsanklageschrift – vom 10.08.2004
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( Aktenzeichen: Nr. 1:03-cr-665 ) aufgeführten Straftaten.
6
Nach diesen Unterlagen liegen dem Verfolgten folgende Drogendelikte zur Last :
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Er soll in den Zeiträumen von April 1998 bis Juli 1999, von Oktober 1999 bis Dezember
2000 und von März 2001 bis September 2003 an einer Verschwörung zur Herstellung
sowie zum Vertrieb von Methylendioxymethamphetamin (auch genannt "MDMA" oder
"Extacy") teilgenommen haben. Er soll in den genannten Zeiträumen als Kopf einer
Organisation im Raum Atlanta im Bundesstaat Georgia nach einer von ihm selbst
entwickelten Rezeptur in verschiedenen Labors in großen Mengen – im kg-Bereich –
Extacy hergestellt, vertrieben und anderen Beschuldigten die Synthetisierung von
Extacy beigebracht haben, wofür er als Gegenleistung Extacy-Pulver im Wert von
180.000 $ gefordert und erhalten haben soll (Anklagepunkte 1, 2 und 3)
8
Des weiteren soll der Verfolgte am 29.05.,10.06.,26.06.,26.07.,29.07.und 04.08.2003 im
Besitz von Extacy gewesen sein mit dem Vorsatz, die Drogen zu vertreiben
(Anklagepunkte 4 bis 10) und außerdem bis September 2003 im Besitz einer
Tabletttiermaschine gewesen sein, die er zur massenhaften Herstellung von Extacy-
Tabletten über einen Strohmann angeschafft haben soll (Anklagepunkt 11).
9
Dem Ersuchen sind die maßgeblichen US-amerikanischen Strafvorschriften beigefügt.
10
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat die Akten gem. § 29 Abs. 1 IRG mit dem
Antrag vorgelegt, die Auslieferung für zulässig zu erklären. Der Verfolgte tritt dem
entgegen. Er hält die Auslieferung aus mit Schriftsatz vom 04.07.2006, mit dem auch
mündliche Verhandlung beantragt wird, im einzelnen dargelegten Gründen für
unzulässig.
11
II.
12
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist gem. den §§ 32, 15 IRG zu entsprechen.
Die von dem ersuchenden Staat vorgelegten Auslieferungsunterlagen rechtfertigen den
Antrag. Auslieferungshindernisse bestehen nicht.
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Eine mündliche Verhandlung, die gem. § 30 Abs. 3 IRG in seinem Ermessen steht, hat
der Senat nicht angeordnet. Angesichts der nicht zweifelhaften Sach- und Rechtslage
besteht dazu keine Veranlassung.
14
1.
15
Die an ein Auslieferungsersuchen gestellten Anforderungen (§ 2 Abs. 1 IRG, Art. 14
Abs. 1 des Auslieferungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
Vereinigten Staaten von Amerika vom 20.06.1978 in der Fassung des Zusatzvertrages
vom 21. Oktober 1986 im folgenden: AuslV ) werden durch das vorgelegte Ersuchen
der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika vom 14.06.2006 erfüllt. Diesem sind
die nach Art. 14 Abs. 2 und 3 AuslV erforderlichen Unterlagen beigefügt worden. Es ist
ein als "derzeit gültig" bezeichneter Haftbefehl des United States District Court –
Northern District Of Georgia - vom 16.05.2006 vorgelegt worden. Auch ist eine nach Art.
14 Abs. 3 lit b AuslV erforderliche zusammenfassende Darstellung des Sachverhalts,
der im Haftbefehl nur verkürzt angegeben ist, beigefügt. Sie ergibt sich aus der eidlichen
Erklärung zur Unterstützung des Auslieferungsersuchens des Staatsanwalts K I vom
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16.05.2006, der als stellvertretender Bundesanwalt der Vereinigten Staaten für den
nördlichen Justizbezirk des Bundesstaates Georgia tätig ist, der Erklärung des bei der
US-Drogenbekämpfungsbehörde ("DEA") angestellten Task Force Agenten S D vom
16.05.2006 und der bei dem Bundesgericht der Vereinigten Staaten für den nördlichen
Justizbezirk des Bundesstaates Georgia eingereichten Anklageschrift – zweite
Nachtragsanklageschrift – vom 10.08.2004.
Außerdem enthalten die Unterlagen den Wortlaut der anwendbaren
Gesetzesbestimmungen, und zwar entgegen der Auffassung des Verfolgten auch die
nach Art.14 Abs. 2 lit b AuslV vorzulegenden Verjährungsbestimmungen des US-
amerikanischen Rechts (vgl Seite 13 f der Erklärung des Staatsanwalts I vom
16.05.2006). Aus der Erläuterung geht hervor, dass die dem Verfolgten zur Last
liegenden Taten nach den maßgeblichen Bestimmungen nicht verjährt sind.
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Soweit der Verfolgte "den Wortlaut der anwendbaren Gesetzesbestimmungen
hinsichtlich … Gesamtstrafenbildung und Strafvollstreckung" vermisst, sind diese nach
Art. 14 Abs. 2 lit b AuslV nicht vorzulegen.
18
2.
19
Bei den dem Verfolgten zur Last gelegten Taten handelt es sich um auslieferungsfähige
Straftaten ( Art. 2 AuslV).
20
Die Strafbarkeit der Taten nach dem Recht des ersuchenden Staates - als
Verschwörung zu Herstellung und Vertrieb von Extacy, dessen Besitz mit dem Vorsatz
des Vertriebs sowie Besitz einer Tabletttiermaschine mit dem Vorsatz der Benutzung zur
Herstellung einer kontrollierten Substanz - folgt aus Hauptabschnitt 21 des
Bundesgesetzes der Vereinigten Staaten, §§ 846, 841(a)(1) und 843(a)(6), die mit
Freiheitsstrafen im Höchstmaß über einem Jahr geahndet werden.
21
In der Bundesrepublik Deutschland wären die Taten nach den §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30
Abs. 1 Nr. 1, 30a Abs. 1 BtMG strafbar und im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von
mehr als einem Jahr bedroht ( Art. 2 Abs. 2 lit. a AuslV ).
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Lediglich zu Anklagepunkt 11 – Besitz der Tabletttiermaschine – ist die beiderseitige
Strafbarkeit nicht gegeben, worauf der Senat bereits mit Beschluss vom 20.06.2006
hingewiesen hat. Das US-amerikanische Strafrecht sieht aufgrund der Strafbestimmung
des § 843(a)(6) ausdrücklich bereits den Besitz der Tabletttiermaschine als strafbar an,
sofern damit die Herstellung von Betäubungsmitteln beabsichtigt ist. Das US-
amerikanische Strafrecht zieht damit die Grenzen strafbaren Handelns weiter als das
deutsche Betäubungsmittelstrafrecht, das die Ausstattung und Einrichtung eines Labors
mit Gerätschaften zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln, wozu auch die
Anschaffung einer Tabletttiermaschine zu rechnen sein dürfte, noch als bloße – straflose
– Vorbereitungshandlung zur Herstellung ansieht (vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz,
5. Aufl., § 29 Rdn.137). Dementsprechend hat der Senat den Anklagepunkt 11 von der
Zulässigkeitsentscheidung ausgenommen.
23
3.
24
Einer näheren Befassung mit den dem Auslieferungsersuchen beigefügten
Beweismitteln bedarf es nicht, da eine Tatverdachtsprüfung im Auslieferungsverkehr mit
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den Vereinigten Staaten von Amerika auf deutscher Seite nicht stattfindet, wie der Senat
mit Beschluss vom 20.06.2006 näher dargelegt hat (vgl. auch Senat 03.09.2004 – Ausl
189/04-28/04 -; OLG Karlsruhe MDR 1986, 521 = GA 1986, 459; OLG Düsseldorf, NStZ
2003, 684=StV 2004,147 mit eingehender Begründung). Im übrigen ist darauf zu
verweisen, dass der Verfolgte zwar Einwendungen gegen seine Auslieferung erhebt,
die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aber nicht bestreitet.
4.
26
Gründe, die der Zulässigkeit einer Auslieferung nach den Art. 4 ff. des
Auslieferungsvertrages entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
27
a)
28
Soweit der Verfolgte vorbringt, dass ihm in den Vereinigten Staaten "faktisch" eine
lebenslange Freiheitsstrafe ohne Chance auf Wiedererlangung der Freiheit drohe – was
wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen und damit
gemäß § 73 IRG zur Unzulässigkeit der Auslieferung führen könnte – findet das in den
mitgeteilten US-amerikanischen Strafvorschriften keine Stütze. Danach beträgt das
Strafmaß für die dem Verfolgten angelasteten Taten im Höchstmaß nicht mehr als 20
Jahre, wobei diese Strafandrohung allerdings für jeden Anklagepunkt gilt. Soweit die
US-amerikanischen Gesetzesbestimmungen härtere Strafen (bis hin zu lebenslanger
Freiheitsstrafe) vorsehen, wenn der Drogenkonsum den Tod oder eine schwere
Körperverletzung zur Folge hat, wird ein derartiger Vorwurf gegen den Verfolgten nicht
erhoben.
29
An der im Beschluss vom 20.06.2006 vertretenen Auffassung, bei einem nicht
vorbestraften Täter komme eine sog. "Entlassung zur überwachten Bewährung" in
Betracht, hält der Senat nach nochmaliger Prüfung nicht fest. Der Einwand des
Verfolgten, es handele sich nicht um eine vorzeitige Entlassung aus der Haft, trifft zu.
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Das ändert indes nichts daran, dass es sich auch unter Berücksichtigung der von der
Rechtsprechung des BVerfG aufgestellten Maßstäbe nicht um eine übermäßige
Strafandrohung handelt, die mit den völkerrechtlichen Mindeststandards und den
unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der
Bundesrepublik Deutschland unvereinbar wäre. Es genügt nicht, dass die Strafe
lediglich als in hohem Maße hart bzw. unter Anlegung der Maßstäbe der deutschen
Rechtsordnung als zu hart anzusehen ist; sie muss vielmehr als unerträglich hart und
als unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheinen, wobei es stets
auf den Einzelfall ankommt (BVerfG NJW 1994, 2884 ; JZ 2004, 141).
31
Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfGE 75,1 <16f>) geht das Grundgesetz
von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der
Staatengemeinschaft aus (vgl. Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 23 bis 26 GG).
Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich
zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen
Auffassungen übereinstimmen. Soll der in gegenseitigem Interesse bestehende
zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische
Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben, so dürfen die Gerichte als
unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung nur die Verletzung der unabdingbaren
Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung zu Grunde legen.
32
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Auslieferung zulässig.
Die Höhe der zu erwartenden Strafe kann gegenwärtig nur Gegenstand von
Spekulationen sein und ist der Klärung durch ein rechtswissenschaftliches Gutachten,
wie von dem Verfolgten beantragt, nicht zugänglich. Selbst wenn es zur Verhängung
einer Freiheitsstrafe kommen sollte, bei deren (vollständiger) Vollstreckung der jetzt 37-
jährige Verfolgte in vorgerücktem Alter sein sollte, läge darin kein
Auslieferungshindernis. Auch in Deutschland sieht der Strafrahmen für ein
Betäubungsmittelverbrechen nach § 30 a BtMG eine Haftstrafe von fünf bis zu 15 Jahren
vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass dieses Strafmaß hinter der dem Verfolgten
drohenden möglicherweise längeren Freiheitsentziehung so erheblich zurückbleibt,
dass von einem krassen Missverhältnis gesprochen werden kann. Im übrigen geht auch
die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH davon aus, dass sich aus dem
Lebensalter eines Straftäters unter Berücksichtigung seiner Lebenserwartung keine
Strafobergrenze ergeben kann. Einen Rechtssatz, dass jeder Straftäter schon nach dem
Maß der verhängten Strafe die Gewissheit haben müsse, im Anschluss an die
Strafverbüßung in Freiheit entlassen zu werden, hat der BGH verneint (vgl BGH Urteil
vom 27.04.2006 – 4 Str 572/05 -).
33
Die Strafvorwürfe gegen den Verfolgten wiegen auch nach der deutschen
Rechtsordnung im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteldelikten überdurchschnittlich
schwer. Der Verfolgte soll über mehrere Jahre hinweg die Herstellung von
Betäubungsmitteln in industriellem Stil betrieben, seine Kenntnisse an andere Täter
weitergegeben und hieraus erhebliche wirtschaftliche Vorteile gezogen haben. Seine
Auffassung, der Wirkstoff MDMA sei "eine relativ weiche Droge", offenbart jegliches
Desinteresse an den gesundheitlichen Gefahren, in die er eine unüberschaubare Zahl
von Konsumenten gebracht haben dürfte.
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b)
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Das Vorbringen des Verfolgten, er müsse wegen seiner Flucht mit verschärften
Haftbedingungen – die in den Vereinigten Staaten ohnehin äußerst hart seien – ist
gänzlich unbestimmt und einer Überprüfung (durch ein rechtswissenschaftliches
Gutachten) ebenfalls nicht zugänglich.
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c)
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Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 20.06.2006 ausgeführt hat, steht der Umstand,
dass der Verfolgte mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist und mit ihr ein
minderjähriges Kind hat, einer Auslieferung ebenfalls nicht entgegen. Daran wird auch
unter Berücksichtigung der Ausführungen im Schriftsatz des Beistandes vom
04.07.2006 festgehalten.
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Nach der Rechtsprechung des BVerfG schützt Art. 6 GG nicht dagegen, dass ein
Ausländer als Folge der Verletzung von Strafnormen seines Heimatstaates dort zur
Verantwortung gezogen wird (vgl BVerfG NJW 94, 2884; BVerfG, Beschluss vom
22.11.2005 – 2 BvR 1090/05 -, Rdnr. 42).
39
Daran vermag der Umstand, dass die Ehefrau des Verfolgten angesichts von ihrer
befürchteter Strafverfolgung und Verhaftung als Mittäterin nicht zu Besuchen des
Verfolgten in die Vereinigten Staaten reisen zu können glaubt, nichts zu ändern. Art. 6
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GG schützt auch die (deutsche) Ehefrau eines Ausländers nicht vor Strafverfolgung im
Heimatstaat des Ehemannes. Ganz besondere Umstände, die eine abweichende
Beurteilung gebieten könnten – etwa eine lebensbedrohliche Erkrankung des Kindes,
vgl dazu OLG Karlsruhe NStZ 05,351 - weist der vorliegende Fall nicht auf.