Urteil des OLG Köln vom 04.11.1997

OLG Köln (versicherungsnehmer, versicherungsschutz, anweisung, avb, geschäftsführer, firma, versicherer, vvg, umfang, vertragsverletzung)

Oberlandesgericht Köln, 9 U 76/97
Datum:
04.11.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 76/97
Schlagworte:
Gegenstand des Deckungsprozesses in der
Berufschaftpflichtversicherung Versicherung, Haftpflichtversicherung,
Deckungsprozeß, Gegenstand, Trennungsprinzip
Normen:
VVG §§ 1, 149; AVB VERMÖGEN §§ 1 I, 3 II NR. 1; AVB VERMÖGEN
§§ 4 NR. 2 U. 5, 5;
Leitsätze:
Im Deckungsprozeß zwischen Versicherungsnehmer und
Haftpflichtversicherer kann die Frage, ob tatsächlich
Haftpflichtansprüche Dritter gegen den Versicherungsnehmer bestehen,
offen bleiben. Entscheidend ist allein, ob zur Begründung solcher
Haftpflichtansprüche ein Sachverhalt behauptet wird, der, seine
Richtigkeit unterstellt, unter den bedingungsgemäßen Schutzbereich der
Haftpflichtversicherung fiele. Grundsätzlich kommt es dazu auf die
Behauptungen des Dritten und Anspruchstellers an; allerdings müssen
bei unterstellter Schädigung des Dritten durch den
Versicherungsnehmer diejenigen Tatsachen auch objektiv vorliegen, die
für den zeitlichen, räumlichen und sachlichen Umfang des versicherten
Risikos und für Risikoausschlüsse bedeutsam sind.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Beklagte ist aufgrund der von der Klägerin bei ihr abgeschlossenen
Berufshaftpflichtversicherung für Vermögensschäden verpflichtet, der Klägerin für das
Schadensereignis vom 23.12.1994 bedingungsgemäß Versicherungsschutz zu
gewähren.
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Gem. § 1 Abs. 1 AVB Vermögen ist die Beklagte für den Fall zur Deckung verpflichtet,
daß die Klägerin wegen eines bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit begangenen
Verstoßes von einem anderen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privaten
Inhalts für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird.
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Der den Versicherungsschutz auslösende Versicherungsfall besteht gem. § 5 AVB
Vermögen in einem Verstoß, der Haftpflichtansprüche gegen den Versicherungsnehmer
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zur Folge haben könnte. Dafür genügt es, daß der von einem Dritten erhobene
Anspruch mit einem unter den Versicherungsschutzbereich fallenden Rechtsverhältnis
begründet wird. Ob der Anspruch des Dritten gegen den Versicherungsnehmer
berechtigt ist, kann im vorliegenden vorweggenommenen Deckungsprozeß
dahingestellt bleiben, weil der Versicherungsschutz nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 AVB
Vermögen nicht nur die Befriedigung begründeter Schadensersatzansprüche sondern
auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche umfaßt. Die Frage, ob der Versicherte dem
Dritten haftet, ist daher in einem Rechtsstreit zwischen diesen Personen, aber nicht
zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer auszutragen. In dem
vorweggenommenen Deckungsprozeß kommt es für diese Frage grundsätzlich auf den
Sachverhalt an, welchen der Dritte behauptet (Trennungsprinzip, ständige
Rechtsprechung, z. B. BGH VersR 1967, 769, 770, Prölss/Martin:
Versicherungsvertragsgesetz, 25. Aufl., § 149 VVG, Anm. 1 b, cc).
Vorliegend nimmt die Firma W. die Klägerin mit der Begründung auf Schadensersatz in
Anspruch, daß es die Klägerin weisungswidrig aufgrund einer Verletzung ihrer Pflichten
aus dem Versicherungsmaklervertrag unterlassen habe, einen zusätzlichen
Versicherungsschutz für Fremdgeräte herbeizuführen. Der geltend gemachte
Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Maklervertrages wegen
Unterdeckung des noch offenen Schadensbetrages aus dem Schadensfall vom
23.12.1994 fällt unter den sachlichen Schutzbereich der Haftpflichtversicherung.
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Um zu vermeiden, daß der Versicherer auf der Grundlage der Behauptungen des Dritten
Rechtsschutz für Ansprüche gewähren muß, die nach dem wahren Sachverhalt nicht
unter das versicherte Risiko fallen oder umgekehrt der Versicherungsnehmer in Gefahr
ist, den Anspruch auf Rechtsschutz nur deswegen zu verlieren, weil der Dritte
wahrheitswidrig einen Sachverhalt behauptet, bei dem kein Deckungsschutz besteht,
wird der Grundsatz, daß für den Rechtsschutzanspruch die Behauptungen des Dritten
maßgebend sind, dahin eingeschränkt, daß diejenigen Tatsachen, welche - eine
Schädigung des Dritten durch den Versicherungsnehmer unterstellt - für den zeitlichen,
räumlichen und sachlichen Umfang des versicherten Risikos und für Risikoausschlüsse
bedeutsam sind, objektiv vorliegen müssen. Dies bedeutet, daß die Leistungspflicht des
Versicherers, also die Frage, ob dieser nach den Versicherungsbedingungen zur
Deckung verpflichtet ist, auch im vorweggenommenen Deckungsprozeß festzustellen
ist. Denn auch unberechtigte Ansprüche sind vom Haftpflichtversicherer nur insoweit
abzuwehren, als sie in den zeitlichen, räumlichen und sachlichen Umfang des
versicherten Risikos fallen (BGH VersR 1967, 769, 770, Prölss/Martin § 149 VVG, Anm.
1, b, cc). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Insoweit ist nämlich zu
beachten, daß die allgemeine Vermutung der Redlichkeit des Versicherungsnehmers
dazu führt, daß der Versicherer regelmäßig dessen Angaben zugrunde legen muß, und
zwar mit Vorrang vor denen des Dritten. Ergibt sich - wie vorliegend - aus den Angaben
des Versicherungsnehmers die Verpflichtung zur Rechtsschutzgewährung, so muß der
Versicherer diese Verpflichtung zunächst erfüllen. Nur dann, wenn im Einzelfall die
Vermutung der Redlichkeit des Versicherungsnehmers erschüttert ist oder sonst
erhebliche Zweifel an der Darstellung des Versicherungsnehmers bestehen, ist im
Dekkungsprozeß zu klären, ob die erörterten Tatsachen objektiv vorliegen
(Prölss/Martin a.a.O.). Umstände, welche die Redlichkeit der Klägerin in Frage stellen,
sind vorliegend nicht feststellbar, so daß die Beklagte zunächst Rechtsschutz auf der
Grundlage von deren Angaben zur Abwehr eines Schadensersatzanspruches aus
positiver Vertragsverletzung des Versicherungsmaklervertrages zu gewähren hat.
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Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf einen Haftungsausschluß nach § 4 Nr. 5 AVB
Vermögen. Nach dieser Vorschrift bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf
Haftpflichtansprüche wegen Schadensstiftung durch ein wissentliches Abweichen von
einer Anweisung des Auftraggebers. Es handelt sich um einen subjektiven
Risikoausschluß (BGH VersR 1987, 174, 175), gegen dessen Wirksamkeit weder im
Hinblick auf § 152 VVG noch unter dem Gesichtspunkt des § 9 AGBG Bedenken
bestehen (BGH r + s 1991, 45, 47, OLG Köln r + s 1989, 213). Voraussetzung ist eine
wissentliche Pflichtverletzung in der Form des direkten Vorsatzes, wobei sich dieser
aber nicht auf die Schadensfolgen beziehen muß (BGH VersR 1991, 176). Die Beklagte
vermag jedoch nicht zu beweisen, daß der Geschäftsführer der Klägerin bewußt gegen
die - im Haftpflichtprozeß zu klärende und vorliegend nach den Angaben des
Versicherungsnehmers und der Firma W. zu unterstellende - Anweisung zur
Herbeiführung eines zusätzlichen Deckungsschutzes verstoßen hat. Der Senat folgt
nicht der Auffassung des Landgerichts, daß aus den vom Zeugen W. bekundeten
Umständen und dem gesamten Ablauf der Geschehnisse zu schließen sei, daß der
Geschäftsführer der Klägerin die Befolgung der - vorliegend zu unterstellenden -
Anweisung zur Erweiterung des Versicherungsschutzes nicht vergessen, sondern
bewußt und wissentlich unterlassen hat. Dies folgt weder daraus, daß es sich um das
erste Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und ihrem Kunden W.
gehandelt hat, bei welchem der Bedarf der Firma W. an zusätzlichem
Versicherungsschutz im einzelnen erläutert und ein Handlungsbedarf lediglich im
Hinblick auf den zusätzlichen - im vorliegenden Rechtsstreit streitbefangenen -
Versicherungsschutz für Kräne festgestellt worden ist, noch daraus, daß sich der
Geschäftsführer der Klägerin über dieses Gespräch Notizen gemacht hat. Auch der
Umstand, daß dem Geschäftsführer der Klägerin als erfahrenem Versicherungsagenten
bewußt gewesen sein müßte, daß die fehlende Herbeiführung des zusätzlichen
Versicherungsschutzes zu einer Haftung der Klägerin für den abzudeckenden
Versicherungsfall führen konnte und daß die zu erwartende Provision für die Klägerin
einen Anreiz zur Erfüllung der Anweisung des Zeugen W. darstellte, vermag die
Einlassung der Klägerin nicht zu widerlegen, daß die Erfüllung der Anweisung schlicht
vergessen worden ist. Zweifelhaft kann allenfalls sein, ob der Zeuge W. dem
Geschäftsführer der Klägerin überhaupt schon die verbindliche Anweisung erteilt hatte,
unmittelbar und ohne weitere Rücksprache über die Art des zusätzlichen
Versicherungsschutzes und insbesondere über die Höhe der zusätzlichen
Prämienkosten für eine Erweiterung der Deckung zu sorgen. Fehlte es an einer
verbindlichen Anweisung, so liegt eine haftungsbegründende Pflichtverletzung der
Klägerin nicht vor. Diese Frage bedarf aber vorliegend - wie bereits ausgeführt - keiner
Entscheidung, sondern ist in einem etwaigen Haftpflichtprozeß zu klären. Für den Fall,
daß eine Anweisung erteilt worden war, kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß
der Geschäftsführer der Klägerin deren Befolgung vergessen hat. Daß auch
bedeutsame Dinge, auch solche, die in Notizen festgehalten werden, einfach vergessen
werden, ist eine alltägliche Erfahrung. Die vom Landgericht gegen die Behauptung des
Klägers, er habe die Anweisung vergessen, ins Feld geführten Indizien reichen nach
Auffassung des Senats auch im Lichte allgemeiner Lebenserfahrung nicht aus, diese
Behauptung zu widerlegen. Die Nichterweislichkeit eines bewußten Pflichtverstoßes
geht zu Lasten der für die Voraussetzungen des Risikoausschlusses beweispflichtigen
Beklagten (OLG Köln VersR 1990, 193, 194). Eine erneute Vernehmung des Zeugen W.
ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, da nicht von der
Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Landgerichts abgewichen wird, sondern lediglich
andere rechtliche Schlußfolgerungen aus der Zeugenaussage gezogen werden. Das
Berufungsgericht kann aus einer Zeugenaussage andere rechtliche Schlüsse als das
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Erstgericht ziehen, ohne die Beweisaufnahme wiederholen zu müssen (Schumann:
Berufung in Zivilsachen, 4. Aufl., Rn. 428).
Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Beklagte nicht gem. § 4 Nr.
2 AVB Vermögen von der Leistungspflicht befreit. Nach dieser Vorschrift bezieht sich
der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche, welche aufgrund einer
besonderen Zusage über den Umfang der gesetzlichen Haftpflicht hinausgehen. Selbst
wenn eine Anweisung zur Herbeiführung einer erweiterten Deckung vorgelegen hat, so
beinhaltet dies keine Verschärfung des vertraglichen Haftungsmaßstabes, sondern
begründet lediglich die gesetzliche Haftung aus positiver Vertragsverletzung.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten kann eine Leistungsfreiheit wegen
Obliegenheitsverletzung des Geschäftsführers der Klägerin nach § 6 Ziff. 1, § 5 Ziff. 3 a
AVB Vermögen nicht bejaht werden. Die Ausführungen der Klägerin im vorliegenden
Prozeß sowie die Bekundungen des Zeugen W. ergeben nicht, daß die Klägerin
gegenüber der Firma W. zu erkennen gegeben hat, daß sie den
Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung als zu Recht bestehend
anerkenne. Vielmehr zielten die Ausführungen der Klägerin lediglich darauf ab, von der
Beklagten den bedingungsgemäßen Versicherungsschutz für den von der Firma W.
erhobenen Haftpflichtanspruch zu erlangen.
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Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, daß die Firma W. die Klägerin bislang
nicht in Anspruch genommen habe. Denn der Rechtsschutzanspruch entsteht und wird
fällig mit der Erhebung von Ansprüchen durch Dritte. Die Erhebung von Ansprüchen ist
jede ernstliche Erklärung des Dritten gegenüber dem Versicherungsnehmer, aus der
sich ergibt, daß der Dritte Ansprüche zu haben glaubt und diese verfolgen wird. Ein
ernsthaftes Inaussichtstellen von Ersatzansprüchen genügt (OLG Düsseldorf VersR
1981, 1072, Prölss/Martin, § 149 VVG, Anm. 1 b, bb). Der Zeuge W. hat bekundet, daß
die Firma W. eine Erstattung des Schadens wegen behaupteter Pflichtverletzung der
Klägerin erwartet. Daß sie zunächst den Ausgang dieses vorliegenden Prozesses
abwarten will, bevor sie mit der Klägerin über eine Regulierung verhandeln will, steht
der Ernsthaftigkeit des Anspruchs nicht entgegen. Dem Versicherungsnehmer ist es
nämlich ohnehin verwehrt, an den Dritten zu zahlen. Vielmehr muß der
Versicherungsnehmer die Abwicklung dem Versicherer überlassen und hat gegen
diesen einen Freistellungsanspruch (Prölss/Martin, § 149 VVG, Anm. 1 a). Sobald ein
Dritter Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer erhebt, hat dieser ein Interesse für
eine Klage auf Feststellung, daß der Versicherer wegen einer bestimmt zu
bezeichnenden Haftpflichtforderung bedingungsgemäß Versicherungsschutz zu
gewähren habe.
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Der Senat sieht keinen Anlaß, auf Antrag der Beklagten die Revision zuzulassen, da die
Voraussetzungen des § 546 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht vorliegen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahrens: 50.000,00 DM.
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Wert der Beschwer für die Beklagte: unter 60.000,00 DM.
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