Urteil des OLG Köln vom 17.10.2007

OLG Köln: auflage, insolvenz, unterbrechung, verfahrensrecht, drucksache, verwaltung, zivilprozess, genehmigung, beschwerdeinstanz, anfechtbarkeit

Oberlandesgericht Köln, 16 W 24/07
Datum:
17.10.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 W 24/07
Tenor:
Es wird festgestellt, dass das Verfahren wegen der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens gem. dem polnischen Gesetz über das Insolvenz-
und Sanierungsrecht über das Vermögen der Antragsgegnerin
unterbrochen ist.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e
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I.
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Mit einem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. Art. 730 ff. der
polnischen Zivilverfahrensordnung ergangenen Beschluss vom 02.04.2007 hat das
Appellationsgericht Warschau zur Sicherung eines von der französischen
Antragstellerin geltend gemachten und vor einem Schiedsgericht anhängigen
Schadensersatzanspruchs von 1,994 Milliarden Euro die Pfändung angeblicher
Ansprüche der polnischen Antragsgegnerin gegen Drittschuldner mit Sitz in
Deutschland angeordnet. Diesen Beschluss hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des
Landgerichts Bonn am 14.05.2007 für vollstreckbar erklärt. Hiergegen wendet sich die
Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, die am 27.07.2007 eingelegt worden ist.
Danach, nämlich mit Beschluss vom 21.08.2007 hat das Bezirksgericht Warschau
bezüglich der Antragsgegnerin das Insolvenzverfahren eröffnet, Eigenverwaltung
angeordnet und einen Vergleichsverwalter bestellt.
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II.
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Die Eröffnung des polnischen Insolvenzverfahrens hat nach Auffassung des Senats zu
einer Unterbrechung des anhängigen Beschwerdeverfahrens gem. § 240 ZPO geführt,
was klarstellend festzustellen war.
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1.
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Bei dem polnischen Insolvenzverfahren handelt es sich um ein Verfahren, das gem. Art.
16 EuInsVO anzuerkennen ist mit der Folge, dass sich deren Wirkungen auf einen in
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Deutschland anhängigen "Rechtsstreit" gem. Art. 15 EuInsVO nach deutschem
Verfahrensrecht richten. Dies führt dazu, dass bei einer Insolvenzeröffnung über das
Vermögen des Antragsgegners in einem anderen Mitgliedsstaat der EU die
Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO grundsätzlich in gleicher Weise eintritt wie bei
einer inländischen (vgl. z. B. Gruber IPRax 2007, 426 [427]; Rauscher/Mäsch, EuZPR,
Art. 15 EuInsVO Rdn. 4; Zöller/Greger, ZPO 26. Auflage, § 240 Rdn. 6).
Zweifelhaft und umstritten ist es allerdings, ob es sich bei dem
Vollstreckbarkeitsverfahren nach Art. 38 ff. EuGVVO i. V. m. dem AVAG um einen
"Rechtsstreit" i. S. d. Art. 15 EuInsVO handelt bzw. – unter nationalem Blickwinkel - ob
die für das Erkenntnisverfahren geltende Vorschrift des § 240 ZPO auch im
Vollstreckbarkeitsverfahren gilt. Für das erstinstanzliche Verfahren vor dem
Vorsitzenden der Zivilkammer gem. Art. 40, 41 EuGVVO wird dies wegen der nur
einseitigen Verfahrensgestaltung ohne Möglichkeit für den Schuldner bzw. einen
etwaigen Insolvenzverwalter, sich am Verfahren zu beteiligen, ganz überwiegend
verneint (OLG Bamberg IPRax 2007, 454 mit insoweit zustimmender Anm. Gruber IPrax
2007, 426 [428], Hess, IPRax 1995, 16 [18]; Mankowski ZIP 2004, 1577 [1579]; OLG
Dresden FamRZ 2006, 563 für ein Vollstreckbarkeitsverfahren nach dem HUVÜ 1958 i.
V. m. § 2 Abs. 1 AusführungsG u. §§ 1063 Abs. 1, 1064 Abs. 2 ZPO; a. A. OLG Dresden
IPRspr 2001, Nr. 182, 383; wohl auch MünchKommInsO/Reinhart, Art. 101 EGInsO
Rdn. 172).
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Anders ist es dagegen beim Beschwerdeverfahren gem. Art. 43 EuGVVO i. V. m. §§ 11
ff. AVAG. Dieses ist kontradiktorisch ausgestaltet und unterscheidet sich von einer
Vollstreckbarkeitsklage gem. dem §§ 722, 723 ZPO letztlich nur dadurch, dass ohne
Strukturwandel das Verfahren erleichtert wird - z. B. durch eine nur fakultative mündliche
Verhandlung - und aufgrund von europarechtlichen oder staatsvertraglichen Vorgaben
zur Wahrung des Überraschungseffekts gegenüber dem Schuldner eine Verlagerung
der Prüfung möglicher Einwendungen gegen die Vollstreckbarkeit in das
Beschwerdeverfahren erfolgt (Gesetzesbegründung zum AVAG 1988 – BT-Drucksache
11/351 S. 19). Bei dem Verfahren nach den §§ 722, 723 ZPO handelt es sich aber um
solches, das die Durchsetzung ausländischer Ansprüche vorbereiten soll und damit um
einen "ordentlichen Zivilprozess", auf das die allgemeinen Vorschriften des
Erkenntnisverfahrens Anwendung finden (BGHZ 118, 312 [316], unter juris Gliederungs-
Nr. 11). Nichts anderes kann daher auch für das vereinfachte kontradiktorische
Verfahren nach Art. 43 EuGVVO i. V. m. §§ 11 ff. AVAG gelten, auf das im Übrigen die
Vorschriften der §§ 567 ZPO über das Beschwerdeverfahren ergänzend Anwendung
finden (BT-Drucksache 11/351 S. 23). Deswegen ist § 240 ZPO als Teil des
allgemeinen Verfahrensrechts zumindest im Falle einer Inlandsinsolvenz auch auf das
Beschwerdeverfahren nach dem AVAG anzuwenden (OLG Zweibrücken NZI 2001, 148;
Gruber a. a. O. S. 429, Hess, a. a. O. S. 17; Mankowski a. a. O. S. 1579; a. A. OLG
Saarbrücken NJW-RR 1994, 636; Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Auflage, § 240 Rdn. 5).
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Soweit teilweise die Anwendung des § 240 ZPO im Beschwerdeverfahren nach dem
AVAG auf eine Inlandsinsolvenz beschränkt wird (Gruber a. a. O. S. 429], kann dem
nicht gefolgt werden. Durch die EuInsVO soll ein Insolvenzverfahren in einem anderen
Mitgliedsstaat einem inländischen weitestgehend gleichgestellt werden. Deshalb ist es
den Gerichten durch Art. 15 EuInsVO verwehrt, § 240 ZPO dahingehend auszulegen,
dass ausländischen Insolvenzverfahren anders als inländischen keine
Unterbrechungswirkung zukommt (Rauscher/Mäsch, EuZPR, 2. Auflage, Art. 15 EG-
InsVO Rdn. 4). Wegen des Umstandes, dass es sich bei dem Beschwerdeverfahren um
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ein dem Erkenntnisverfahren gleichgestelltes Verfahren handelt, auf das die
allgemeinen Vorschriften der ZPO grundsätzlich Anwendung finden, kann es keinen
Unterschied machen, ob die Insolvenz eine inländische ist oder nicht. Sinn und Zweck
des Art. 15 EuInsVO ist es, dass das Gericht, bei dem ein "Rechtsstreit" anhängig ist,
sich wegen der Wirkungen der ausländischen Insolvenz auf das Verfahren nicht – wie
an sich grundsätzlich in Art. 4 Abs. 1 i. V. m. dem Regelbeispiel des Abs. 2 lit. f, 1.
Halbsatz EuInsVO vorgesehen - mit dem für ihn normalerweise unbekannten
ausländischen Verfahrensrecht befassen soll, sondern sein eigenes Recht anwenden
kann (Rauscher/Mäsch a. a. O. Rdn. 1). Das muss in gleicher Weise dann gelten, wenn
es in einem kontradiktorischen Verfahren darum geht, ob einem ausländischen
Anspruch im Inland Geltung verschafft, dieser also tituliert werden kann. Es kann
deswegen nicht darauf ankommen, ob im konkreten Fall das Vollstreckbarkeitsverfahren
Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Beteiligten des ausländischen
Insolvenzverwahrens hat (verneinend Gruber a.a. O. für das französische
Insolvenzverfahren). Eine derartige Betrachtungsweise würde dazu führen, dass das
geschehen müsste, was durch Art. 15 EuInsVO gerade vermieden werden soll, nämlich
dass sich das Gericht, das zu prüfen hat, ob ein Anspruch – im Inland - tituliert werden
kann, sich mit Insolvenzrecht eines anderen Mitgliedsstaates zu befassen hat.
Der Umstand schließlich, dass Eigenverwaltung angeordnet worden ist, steht schon im
Falle einer Inlandsinsolvenz nach zutreffender h. M. der Unterbrechungswirkung des §
240 ZPO nicht entgegen (OLG München MDR 2003, 412; OLG Naumburg ZInsO 2000,
505; Musielak/Stadler, ZPO 5. Auflage, § 240 Rdn. 1; Stein/Jonas/Roth, a. a. O. Rdn. 3;
a. A. MünchKommZPO/Feiber, 2. Auflage, § 240 Rdn. 10). Deshalb bedarf es auch
insoweit keiner Prüfung, welche Befugnisse die Eigenverwaltung polnischen Rechts,
bei der nach den Gründen des Eröffnungsbeschlusses die Organe der Schuldnerin für
Tätigkeiten, die "über den Bereich der üblichen Verwaltung hinausgehen" die
Genehmigung des Vergleichsverwalters einzuholen haben, in Bezug auf das anhängige
Vollstreckbarkeitsverfahren der Schuldnerin gibt. Ihrer bloßen Mitteilung in dem
Schriftsatz vom 28.09.2007, dass das Insolvenzverfahren eröffnet sei, kann jedenfalls
eine Aufnahme des Verfahrens nicht entnommen werden. Der Umstand, dass sie
zugleich zu den Hinweisen und Anheimgaben in der Verfügung des Senatsvorsitzenden
vom 22.08.2007 sowie zu der Beschwerdeerwiderung Stellung nimmt, erklärt sich
zwanglos damit, dass sie Rechtsnachteile vermeiden will, zumal die Frage der
Unterbrechung – wie aufgezeigt – nicht unproblematisch ist.
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Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen. Es handelt sich nicht um eine Entscheidung, zu
der bereits kraft Gesetzes gem. § 574 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO i. V. m. Art. 44 EuGVVO und
dem Anhang IV der EuGVVO die Rechtsbeschwerde eröffnet ist, da der Senat über die
Beschwerde der Antragsgegnerin gerade nicht entschieden, sondern beschlossen hat,
diese wegen der Insolvenzeröffnung derzeit nicht zu bescheiden. Vielmehr handelt es
sich um eine Zwischenentscheidung, die wegen der zum Ausdruck gebrachten
Weigerung des Gerichts, sich derzeit mit der Sache zu befassen, in entsprechender
Anwendung des § 252 ZPO grundsätzlich anfechtbar ist (vgl. Zöller/Greger, a. a. O. §
252 Rdn. 1; siehe auch BGH NJW 2005, 290 zur Anfechtbarkeit eines Zwischenurteils
über die Feststellung der Unterbrechung eines Verfahrens gem. § 240 unter bestimmten
Voraussetzungen). Die hierfür im vorliegenden Fall einer Entscheidung des
Oberlandesgerichts erforderlichen zusätzlichen Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Ziff.
2, Abs. 2, Ziff. 1, Abs. 3 ZPO liegen vor; denn die Sache hat grundsätzliche Bedeutung.
Die Frage, welche Wirkungen eine Insolvenz in einem anderen Mitgliedsstaat der EU
auf ein in der Beschwerdeinstanz befindliches inländisches Vollstreckbarkeitsverfahren
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nach den Art. 38 ff. EuGVVO hat, kann eine unbestimmte Vielzahl von Fällen betreffen
und ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt. Die innerstaatliche Möglichkeit der
Herbeiführung einer letztinstanzlichen Entscheidung durch den Bundesgerichtshof
durch Zulassung der Rechtsbeschwerde schließt gem. Art. 68 EGV zugleich eine
Möglichkeit des Senats aus, zu den vorstehend aufgeworfenen Fragen der Auslegung
des Art. 15 EuInsVO die Sache dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.