Urteil des OLG Köln vom 07.07.1994

OLG Köln (haftung des betreibers, zivilrechtliche ansprüche, weitergehende vorsorge, vorschrift, schaden, grund, vorsorge, grundstück, treffen, begehren)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 28/94
Datum:
07.07.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 28/94
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 4 O 54/90
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des
Landgerichts Aachen vom 22.09.1993 wird zurückgewiesen, soweit die
Klägerin begehrt, a) die Verurteilung der Beklagten zu weitergehendem
Schadensersatz, b) die Verurteilung der Beklagten, geeignete Vorsorge
dafür zu treffen, daß von dem angrenzenden Bundesbahngelände auf
die Grundstücke der Klägerin K.straße 51 und 53/55 sowie M.straße 8 in
A. kein Flugrost gelangt, c) hilfsweise zu b) festzustellen, daß die
Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr
über die in diesem Prozeß geltend gemachten Zahlungsansprüche
hinaus dadurch entstanden ist und noch entsteht, daß Flugrost vom
Bundesbahngelände auf die genannten Grundstücke der Klägerin
gelangt. 2. Auf die Berufung der Beklagten wird das genannte Urteil
abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit ihr das Landgericht
stattgegeben hat. 3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil
vorbehalten. 4. Die Revision wird zugelassen, soweit die Klage mit dem
geltend gemachten Ansprüchen abgewiesen worden ist.
T a t b e s t a n d
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4
Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke K.straße 51, 53/55 und M.straße 8 in
A., die neben der von M. (Belgien) nach A. führenden Bahnstrecke liegen. In dem
Haus K.straße 51 betreibt die Klägerin ein Maklerbüro, das Grundstück M.straße 8 ist
mit einem Mehrfamilienhaus bebaut. Das Grund-stück K.straße 53/55 ist nicht bebaut,
es grenzt an die beiden anderen Grundstücke an und wird als Parkplatz für
Fahrzeuge der Klägerin sowie ihrer Mitarbeiter und Kunden genutzt. Unmittelbar
neben dem Parkplatzgrundstück führt die um cirka 5 Meter höher liegende Bahnlinie
vorbei.
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Die Klägerin hat von der Beklagten Schadensersatz und die Ergreifung von
Schutzmaßnahmen begehrt mit der Begründung, von den auf der Bahnlinie vorbei-
fahrenden Zügen werde sogenannter Flugrost auf ihr Grundstück gewirbelt, der bei
Betätigung der Brem-sen durch den Abrieb von Graugußbremsklötzen ent-stehe.
Durch diesen Flugrost würden auf dem Grund-stück parkende Fahrzeuge sowie der
Anstrich der Fassade und der Fensterrahmen ihrer beiden Häuser in Mitleidenschaft
gezogen und beschädigt. Das Landgericht hat nach Einholung von Sachverständi-
gengutachten der Klage insoweit teilweise stattge-geben, als die Klägerin
Schadensersatz für Lack-schäden an zwei Personenkraftwagen geltend macht. Als
Anspruchsgrundlage hat es die Vorschrift des § 1 Haftpflichtgesetz herangezogen
und ausgeführt, die festgestellten Lackschäden seien bei dem Betrieb der von der
Beklagten unterhaltenen Schie-nenbahn durch einen Unfall verursacht worden. Das
Begehren der Klägerin auf Ergreifung von Schutz-maßnahmen sei jedoch nicht
begründet, da diese der Beklagten wirtschaftlich nicht zuzumuten seien.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug
sowie der dort von ihnen gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen.
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Gegen das ihr am 04.10.1993 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 02.11.1993
eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Der Beklagten ist das Urteil am
27.09.1993 zugestellt worden; ihre Berufungsschrift ist am 27.10.1993 bei Gericht
eingegangen. Beide Parteien haben innerhalb der ihnen gewährten Fristen ihre
Rechtsmittel be-gründet.
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Die Klägerin wendet sich gegen die vom Landge-richt vorgenommenen Abzüge bei
der Ermittlung der Schadenshöhe und verfolgt ihr Begehren auf Ergrei-fung von
Abwehrmaßnahmen weiter. Sie wiederholt, ergänzt und vertieft ihr diesbezügliches
erstin-stanzliches Vorbringen.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Ur-teils die Beklagte zu verurteilen,
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1.
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an sie weitere 897,05 DM nebst 4 % Zin-sen seit dem 11.05.1990 zu zahlen,
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2.
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geeignete Vorsorge dafür zu treffen, daß von dem angrenzenden Bundesbahnge-
lände auf die Grundstücke der Klägerin K.straße 53/55 und 51 wie M.straße 8 in A.
kein Flugrost gelangt;
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dazu hilfsweise festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Kläge-rin allen
Schaden zu ersetzen, der ihr über die in diesem Prozeß geltend ge-machten
Zahlungsansprüche hinaus dadurch entstanden ist und noch entsteht, daß
Flugrost vom Bundesbahngelände auf die genannten Grundstücke der Klägerin
ge-langt.
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Im Wege der Klageerweiterung beantragt die Klägerin außerdem,
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nachrangig hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an sie einen angemessenen
Ausgleich nach § 906 BGB zu zahlen, des-sen Höhe in das Ermessen des
Gerichts gestellt wird.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Ur-teils die Klage vollständig abzuweisen.
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Darüber hinaus beantragen beide Parteien wechsel-seitig,
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die Berufung des Gegners zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, daß sie zum Scha-densersatz für durch den Flugrost
eventuell verur-sachte Schäden nicht nach Maßgabe des Haftpflicht-gesetzes
verpflichtet sei, weil diese Schäden nicht auf einen bestimmten Betriebsvorgang
zurückgingen und deshalb keinen Unfall im Sinne des Haftpflicht-gesetzes
darstellten. Zur Frage der Zumutbarkeit von Abwehrmaßnahmen ergänzt und vertieft
die Be-klagte ihr erstinstanzliches Vorbringen.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug
wird auf den Inhalt der von ihnen vorgelegten Berufungsbegründungen sowie der
Schriftsätze der Klägerin vom 28.04. und 06.05. sowie der Beklagten vom 24.05.1994
Bezug ge-nommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die (selbständigen) Berufungen der Parteien sind in formeller Hinsicht unbedenklich.
Das Rechts-mittel der Beklagten ist begründet, wohingegen der Berufung der
Klägerin der Erfolg überwiegend versagt bleiben muß. Der Klägerin steht weder ein
Schadensersatzanspruch wegen der Schäden, die durch den Flugrost verursacht
worden sein sollen, zu, noch besitzt sie einen Anspruch gegen die Beklagte auf
Vornahme von Abwehrmaßnahmen. Soweit die Klä-gerin einen Ausgleichsanspruch
gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB geltend macht, ist der Rechtsstreit noch nicht zur
Entscheidung reif, da weitere Sachaufklä-rung erforderlich ist. Soweit
Entscheidungsreife besteht, erachtet es der Senat für sachgerecht, durch Teilurteil zu
entscheiden, § 301 ZPO.
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I.
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Der von der Klägerin mit dem Klageantrag zu 1) gel-tend gemachte
Schadensersatzanspruch ist nicht be-gründet.
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1)
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Das Schadensersatzbegehren der Klägerin läßt sich nicht auf die Vorschrift des § 1
Haftpflichtgesetz stützen. Eine Haftung des Betreibers einer Schie-nenbahn für einen
Sachschaden besteht nur, wenn dieser durch einen Betriebsunfall verursacht worden
ist. Von dem Vorliegen eines solchen Unfalles kann hinsichtlich der von der Klägerin
geltend gemachten Schäden jedoch nicht ausgegangen werden.
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Ein Unfall im Sinne des Haftpflichtgesetzes ist nur dann gegeben, wenn ein äußerer
Tatbestand plötzlich auf einen Menschen oder eine Sache einwirkt und dies eine
Schädigung zur Folge hat. An der plötz-lichen Einwirkung fehlt es, wenn es sich um
eine bloße Dauerbeeinträchtigung handelt, die erst im Laufe der Zeit zu einer
Schädigung führt. Exempla-rische Beispiele für derart "schleichend" entste-hende
Schäden sind z.B. Vergiftungserscheinungen bei einem Menschen infolge
jahrelanger Aufnahme von mit Bleistaub durchgesetzter Luft (RGZ 21, 77, 78), ein
chronisches Nervenleiden durch ständige Bodenerschütterungen (RGZ 29, 42,
43/44) sowie Ge-sundheitsschäden durch immer wiederkehrende nächt-liche
Lärmbelästigungen oder Gebäudeschäden durch Erschütterungen infolge des
Fahrbetriebs einer Bahn (siehe Filthaut, Haftpflichtgesetz, 3. Aufl. 1993, § 1 Rn. 125
f.). Vorliegend ist von einer ver-gleichbaren Konstellation auszugehen. Die Feststel-
lung, daß von einem einzelnen bestimmten oder zu-mindest bestimmbaren
Betriebsvorgang ein konkreter Schaden an den Fahrzeugen der Klägerin verursacht
worden ist, läßt sich nämlich nicht treffen.
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Es sind bereits keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß bei jedem
Bremsvorgang oder bei unter bestimmten Bedingungen stattfindenden
Bremsvorgängen eines mit Graugußbremsklötzen ausge-statteten
Schienenfahrzeugs Flugrost entsteht. Um so weniger kann aber davon ausgegangen
werden, daß bei jedem Bremsvorgang oder zumindest bestimmbaren
Bremsvorgängen in der Nähe des Grundstücks der Klägerin Flugrost auf dieses
Grundstück bzw. die dort abgestellten Fahrzeuge gelangt. Insbesondere ist aber nicht
festgestellt, daß dann, wenn aus Anlaß eines einzelnen Bremsvorgangs Flugrost auf
die Fahrzeuge der Klägerin gelangt ist, dies auch jeweils zu einem Schadenseintritt
geführt hat. Zum einen muß nämlich nicht jedes Niedergehen von Flugrostpartikeln
auf der Oberfläche der Pkw auch zu einem Lackschaden führen. Nach den
Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. T. ist nämlich davon
auszugehen, daß nach der Ablage-rung der Flugrostpartikel auf der Oberfläche der
Fahrzeuge durchaus mehrere Stunden vergehen können, bevor diese in den Lack
"eintauchen" oder "einbren-nen". Die Dauer dieses Vorgangs hängt insbesondere
von den vorherrschenden Temperaturen und sonstigen Wetterbedingungen ab. Geht
während oder kurze Zeit nach der Ablagerung der Flugrostpartikel auf dem Pkw
Regen nieder, können die Partikel folglich bereits wieder abgespült werden, bevor
sie mit dem Lack eine schädliche Verbindung eingehen. Derselbe Effekt tritt dann
ein, wenn kurz nach der Ablage-rung Wind aufkommt, der den Flugrost abweht oder
aber das Fahrzeug in Bewegung gesetzt wird und die Partikel durch den Fahrtwind
abgeweht werden, bevor sie in den Lack eingebrannt sind.
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Aber auch dann, wenn trotz dieser oder ähnlicher Umstände die auf der Oberfläche
der Pkw niederge-gangenen Flugrostpartikel dort solange verbleiben, daß sie in den
Lack eintauchen können, bedeutet dies nicht, daß damit jeweils auch ein Schaden
eingetreten ist. Als Schaden im Rechtssinn kann nämlich nicht bereits jede auch
noch so geringe Veränderung in der Substanz einer Sache angesehen werden. Eine
Eigentumsverletzung liegt vielmehr nur dann vor, wenn eine Beeinträchtigung des
bestim-mungsgemäßen Gebrauchs der Sache eintritt oder eine sich nachteilig
auswirkende Beeinflussung ihrer Beschaffenheit erfolgt ist (vgl. z.B. Pa-
landt/Thomas, BGB, 53. Aufl., § 823 Rn. 8 m.w.N.). Da die Fahrzeuge der Klägerin
bei Zugrundelegung ihres Vortrages über mehrere Jahre hinweg immer wieder der
Einwirkung von Flugrost ausgesetzt ge-wesen sind, erscheint es aber
ausgeschlossen, daß Flugrostpartikel in nennenswerter Zahl durch einen
Bremsvorgang auf dem Fahrzeug niedergegangen sind. Wäre dies der Fall, müßten
die Fahrzeuge mit tau-senden von entsprechenden Oxidationsflecken bedeckt sein.
Ein derartiger Zustand ist jedoch nicht fest-gestellt worden. Dies läßt nur den Schluß
zu, daß als Folge eines einzelnen Bremsvorganges allenfalls einige wenige der
winzigen Eisenoxidpartikel auf einen Pkw gelangt bzw. dort in den Lack eingetaucht
sind. Eine derart minimale Substanzveränderung, die weder die Gebrauchsfähigkeit
des Fahrzeugs noch seine Wertschätzung im allgemeinen Wirtschaftsleben negativ
beeinflußt, kann nicht als Schaden im Rechtssinn eingestuft werden. Zu einer
schadenser-satzrechtlich ins Gewicht fallenden Veränderung der Kraftfahrzeuge ist
es erst im Laufe der Jahre durch die Summierung zahlreicher kleiner und kleinster, für
sich betrachtet jeweils belangloser Veränderun-gen in der Lackoberfläche
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gekommen. Hierbei handelt es sich um den Effekt, wie er für Immissionen und die
durch sie hervorgerufenen Schäden typisch ist. Schadensverursachungen dieser Art
werden von dem Unfallbegriff des Haftpflichtgesetzes jedoch nicht erfaßt.
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2.
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Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadens-ersatzanspruch auch nicht aus
dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssiche-rungspflicht zu.
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§ 839 BGB i.V.m. Artikel 34 GG scheidet für den gegen die Beklagte erhobenen
Anspruch als Grundlage von vornherein aus, da die Bundesbahn auch bereits vor
ihrer während dieses Rechtsstreits erfolgten Privatisierung als privatrechtlicher
Betrieb ein-zustufen war (vgl. Palandt/Thomas a.a.O., § 839 Rn. 96 "Eisenbahn").
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Aber auch eine Schadensersatzverpflichtung der Be-klagten nach § 823 Abs. 1 BGB
besteht gegenüber der Klägerin nicht. Eine Haftung nach dieser Norm wird zwar
durch die spezielleren Haftungstatbestände des Haftpflichtgesetzes nicht verdrängt
(vgl. § 12 Haftpflichtgesetz). Sie scheidet hier jedoch aus, weil eine Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte nicht gegeben ist.
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Zum einen erscheint es bereits zweifelhaft, ob die Gefahr, die sich zu Lasten der
Klägerin ver-wirklicht hat, als naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutgefährdung
eingestuft werden kann (vgl. dazu z.B. BGH VersR 1975, 812); Vorsorge gegen jede
nur denkbare auch entfernt liegende Gefährung braucht der Sicherungspflichtige
nicht zu treffen, so daß das Unterlassen einer solchen nicht zur Haf-tung führt. Dies
kann letztlich aber dahinstehen, denn jedenfalls scheitert der Vorwurf einer Verlet-
zung der Verkehrssicherungspflicht daran, daß der Beklagten weitergehende
Vorsorge- und Schutzmaßnah-men wirtschaftlich nicht zumutbar sind. Die Siche-
rungspflicht endet nach ständiger Rechtsprechung nämlich dort, wo das Verlangen
nach umfassender Sicherung für den Sicherungspflichtigen unzumutbar wäre. Dies
gilt jedenfalls dann, wenn eine Gefähr-dung des Lebens oder der Gesundheit von
Menschen nicht in Rede steht, was vorliegend der Fall ist.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Güterwaggons der Beklagten mit
Graugußbremsen aus-gerüstet sind, die Flugrost verursachen können. Im Hinblick
darauf, daß es - was allgemein bekannt und deshalb des Beweises nicht bedürftig ist
- tausende dieser Waggons gibt, liegt es auf der Hand, daß die Aufwendungen für
eine Umrüstung aller Waggons Beträge von mehreren Milliarden DM verschlingen
würden. Ob es sich hierbei um 20 oder 30 oder vielleicht "nur" 5 Milliarden DM
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handelt, worüber die Parteien streiten, ist unerheblich. Bei einer Abwägung zwischen
den Schäden, die durch den Flugrost verursacht werden können und den zu ihrer
Verhinderung erforderlichen Aufwendungen sind derartige Maßnahmen für die
Beklagte wirtschaftlich unzumutbar sind. Auch kommt es bei dieser Situation nicht
darauf an, ob die Umrüstung aller Güterwag-gons der Beklagten überhaupt
ausreichen würde, um Immissionen zuverlässig zu unterbinden, weil nach dem
Vortrag der Beklagten dann immer noch ausländi-sche Waggons auf deutschen
Gleisen fahren können, die mit Graugußbremsen ausgerüstet sind und deren weitere
Benutzung die Beklagte nach ihrem Vortrag aufgrund bestehender internationaler
Abkommen nicht untersagen kann.
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Als andere Alternative zur Unterbindung der Einwir-kungen käme die Anbringung von
Schutzwänden am Rand der Bahntrasse in Betracht, unter Umständen wäre auch
noch eine Teilüberdachung erforderlich. Es er-scheint bereits fraglich, ob die
Aufwendungen nicht schon dann unzumutbar wären, wenn die Schutzvor-richtungen
nur in unmittelbarer Nachbarschaft der Grundstücke der Klägerin angebracht werden
müßten. Das Landgericht hat nämlich zu Recht bei seinen Ausführungen zu § 906
BGB in die Betrachtung einbe-zogen, daß bei Bejahung eines Abwehranspruchs der
Klägerin es auch zahlreiche weitere Grundstücksei-gentümer im
Zuständigkeitsbereich der Beklagten gä-be, die dasselbe verlangen könnten, daß
damit aber die Schwelle der Unzumutbarkeit jedenfalls über-schritten wäre.
Dieselben Erwägungen greifen auch im Rahmen der Prüfung des Umfangs der
Verkehrssi-cherungspflicht der Beklagten Platz. Diese Betrach-tungsweise ist die
allein zutreffende, da anderen-falls z.B. 9 Eigentümer Schutzmaßnahmen verlangen
bzw. aus der Nichtvornahme solcher Maßnahmen Scha-densersatzansprüche wegen
Verletzung der Verkehrs-sicherungspflicht herleiten könnten, solange die für die
Frage der Unzumutbarkeit aufzustellende Ko-stenschwelle noch nicht überschritten
ist, die For-derung des 10. Eigentümers dann aber an der Unzu-mutbarkeit scheitern
würde. Dieses Ergebnis, das zu einem Wettrennen der in Frage kommenden
Eigentümer bei der Geltendmachung von Ansprüchen führen würde, ist rechtlich
unhaltbar. Sachgerechte Ergebnisse können vielmehr nur dann gewonnen werden,
wenn vergleichbare Grundstückssituationen in die Gesamt-betrachtung einbezogen
werden. Davon, daß zahlrei-che weitere Grundstücke im Gebiet der gesamten BRD
vorhanden sind, die vergleichbaren Imissionen aus-gesetzt sind, kann aufgrund der
eigenen Erfahrungen der Richter des erkennenden Senats aber ausgegangen
werden, ohne daß es insoweit einer Beweiserhebung bedürfte. Zwar mag es sein,
daß - wie die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung schildert - die Situa-tion ihres
Grundstücks deshalb besonders ungünstig ist, weil sich in der Nähe eine
Signalanlage befin-det, die Züge häufiger zum Abbremsen zwingt. Ähn-liche
Situationen gibt es aber auch in zahlreichen Städten, insbesondere vor Einfahrten in
Bahnhöfen, die sich oft in dicht besiedelten Ortsteilen befin-den, wobei es auch
häufig vorkommt, daß die Bahn-gleise mehrere Meter über dem Straßenniveau
geführt werden. Die Situation im Bereich der Bahnüberfüh-rungen über die K.straße
in A. ist - auch wenn die Bahnstrasse dort, wie die Klägerin in der mündli-chen
Verhandlung hervorgehoben hat, nicht ganz eben verlaufen sollte - keineswegs als
singulär einzu-stufen, vielmehr sind offenkundig im Bundesgebiet zahlreiche andere
Grundstücke ähnlichen Belastungen ausgesetzt.
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94
II.
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Der Klägerin steht der mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachte Anspruch auf
Vornahme von Abwehr-maßnahmen seitens der Beklagten nicht zu.
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1.
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Die von der Beklagten erhobene Rechtswegrüge greift allerdings nicht durch. Dabei
kann es dahinstehen, ob die von der Beklagten vertretene Auffassung, die sich auf
das Urteil des OVG Bremen vom 19.01.1993 - 1 BA 11/92 - (abgedruckt u.a. in
NVwZ-RR 1993, 468 ff. = DÖV 1993, 833) stützt, zutrifft, für die Geltendmachung
derartiger Ansprüche sei nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern der Rechtsweg zu
den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit eröffnet.
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102
Eine dahingehende Prüfung wird dem Senat durch § 17 a Abs. 5 GVG verwehrt. Die
Beklagte hätte eine entsprechende Rüge mit Erfolg nur in erster Instanz anbringen
können.
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2.
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106
Entgegen der von der Beklagten geäußerten Auffas-sung steht dem auf die Vorschrift
des § 906 BGB gestützten Begehren der Klägerin auch nicht die Vorschrift des § 75
VwVfG entgegen. Diese Vor-schrift gilt nur für Anlagen, die nach Maßgabe eines
Planfeststellungsverfahrens errichtet worden sind. Da die Bahnanlage nach dem
eigenen Vorbrin-gen der Klägerin bereits vor mehr als 150 Jahren errichtet worden
ist, kann aber nicht davon aus-gegangen werden, daß es sich um eine sogenannte
planfestgestellte Anlage handelt. Eine entsprechen-de Anwendung der genannten
Vorschrift auf nicht festgestellte Anlagen bzw. die Heranziehung einzel-ner
Ausschlußtatbestände aus dieser Vorschrift auf nicht planfestgestellte Anlagen
scheidet wegen der grundsätzlichen rechtlichen Andersartigkeit aus. Eine
Verdrängung der Vorschrift des § 906 BGB durch die Bestimmung des § 75 VwVfG
kommt hier - anders als in dem vom Landgericht Kassel in seinem Ur-teil vom
28.12.1993 Az.: 3 O 2263/92 entschiedenen Fall - nicht in Betracht.
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108
Ob der Umstand, daß die Benutzung der Schienenwege durch die Beklagte dem
öffentlichen Recht zuzuord-nen ist, dazu führt, daß zivilrechtliche Ansprüche gemäß §
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906 ausgeschlossen sind, wie das Landge-richt Kassel in dem vorgenannten Urteil
meint, mag dabei dahinstehen. Denn wenn nicht die Bestimmung des § 906BGB
einschlägig sein sollte, bliebe noch zu prüfen, ob der Klägerin nicht ein nachbarlicher
Immissionsabwehranspruch des öffentlichen Rechts zusteht, der in der
verwaltungsgerichtlichen Recht-sprechung seit langem anerkannt ist und eine nähere
Ausformung erhalten hat. Dabei kann es offenblei-ben, ob dieser Anspruch sich aus
einer analogen An-wendung der Vorschriften des privaten Nachbarrechts (§§ 1004,
906 BGB) herleitet oder eine selbständige öffentlich-rechtliche Grundlage besitzt, da
der Maßstab, nachdem die Duldungspflicht sich bestimmt, der gleiche ist (vgl. OVG
Bremen NVwZ-RR 1993, 468, 469).
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3.
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112
Der von der Klägerin geltend gemachte Abwehran-spruch scheitert - auch wenn die
Wesentlichkeit der Immissionen im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB zugunsten der
Klägerin unterstellt wird - jedenfalls daran, daß die Nutzung des Betriebsgrundstücks
durch die Beklagte ortsüblich ist und Beseitigungsmaßnahmen für die Beklagte
unzumutbar sind , § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB.
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Zur Frage der Unzumutbarkeit von Abwehrmaßnahmen kann auf die vorstehenden
Ausführungen unter I 2) verwiesen werden.
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Das Landgericht ist - allerdings ohne nähere Be-gründung - auch zu Recht davon
ausgegangen, daß die Nutzung des Grundstücks der Beklagten ortsüblich ist.
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Für die Frage der Ortsüblichkeit ist entscheidend, ob in dem Gebiet, in dem das
emittierende Grund-stück liegt, eine Mehrheit von Grundstücken mit ei-ner nach Art
und Maß einigermaßen gleichbleibenden Einwirkung genutzt wird (ständige
Rechtsprechung z.B. BGHZ 111, 63 = NJW 1990, 2465, 2467).
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Maßgebend ist bei dieser Betrachtung die etwa gleichartige Benutzung einer
Mehrheit von Grund-stücken derselben örtlichen Lage. Für die Frage der
Ortsüblichkeit kommt es nach dem Wortlaut des Ge-setzes nicht auf die
Benutzungsart des betroffenen Grundstücks an, sondern ausschließlich auf die Be-
nutzung des "anderen" Grundstücks, d.h. desjenigen, von dem die Emissionen
ausgehen (st. Rspr.; vgl. z.B. RGZ 139, 29, 31). Der Bezirk der Grundstücke, die für
die gleichartige Übung in Betracht kommen, muß nach gefestigter Rechtsprechung je
nach Lage des Falles weiter oder enger gezogen werden (RGZ 70, 150, 154 m.w.N.).
So weist z.B. die Abgrenzung des Vergleichsgebiets, durch welche der Charakter der
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maßgebenden Lage wesentlich bestimmt wird, bei Verkehrsanlagen Besonderheiten
auf, da der Verkehr im Hinblick auf die notwendige Planung größerer Räume seiner
eigenen Gesetzlichkeit unterliegt (BGHZ 54, 384, 390). Bei überörtlichem Verkehr,
wie es derjenige auf den Schienenanlagen der Beklagten ist, kann nicht allein ein
einzelner Teil des Schienennetzes nur im Zusammenhang mit einem Gebiet von
bestimmtem Charakter beurteilt werden, vielmehr muß auch die überörtliche
Verkehrsanlage in sich als zusammenhängendes Ganzes in Verbindung mit dem
verkehrsmäßig zu erschließenden Raum gewürdigt werden (BGH a.a.O.). Dies führt
regelmäßig dazu, daß die gewöhnlichen von einem Eisen- oder Straßen-bahnbetrieb
oder einer Autostraße ausgehenden Ein-wirkungen von den benachbarten
Grundbesitzern als unvermeindlich hingenommen werden müssen (vgl. RGZ 70, 150,
152; 57, 224, 226; 159, 129, 137/8). Die lästigen Auswirkungen auch des
überörtlichen Ver-kehrs sind nämlich ein Teil der gesamtwirtschaftli-chen Lasten,
denen sich selbst Eigentümer solcher Grundstücke, die bisher abseits dieser
Störquellen gelegen haben, nicht unter Berufung auf eng be-grenzte Verhältnisse
entziehen können (BGH a.a.O.). Dies gilt aber erst recht für die Grundstücke der
Klägerin, die in einer Großstadt gelegen sind, die - nicht zuletzt als Folge ihrer Lage
sowohl an der holländischen als auch der belgischen Grenze - von mehreren
Bahnlinien durchquert wird und über mehrere Bahnhöfe für Personen- und
Güterverkehr verfügt. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, daß die das Grundstück der
Klägerin belastenden Immissionen nicht auf dem üblichen Fahrbetrieb beruhen,
sondern die Störung von einer besonderen, auf einem Ein-zelgrundstück befindlichen
Betriebsanlage ausgehen (z.B. Wagenhalle, Lokomotivschuppen o.ä.; vgl. dazu RGZ
57, 224 ff. u. 159, 129, 138), bestehen hier nicht. Der Umstand, daß in einiger
Entfernung von den Grundstücken der Klägerin ein Haltesignal vorhanden ist, reicht
für die Annahme einer solchen besonderen Situation nicht aus.
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III.
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Aus der Abweisung des bezifferten Schadensersatzan-spruchs oben zu I. folgt, daß
auch das zum Abwehr-anspruch hilfsweise geltend gemachte Begehren auf
Feststellung der Schadensersatzverpflichtung für weitergehende Schäden keinen
Erfolg haben kann.
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IV.
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Soweit die Klägerin weiter hilfsweise einen An-spruch auf Ausgleich gemäß § 906
Abs. 2 S. 2 BGB geltend macht, ist der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif,
weil das Ausmaß der Beeinträch-tigungen noch der Aufklärung bedarf. Hierüber ver-
hält sich der zusammen mit diesem Teilurteil ver-kündete Beweisbeschluß.
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V.
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Dazu, ob die Klägerin wegen der durch Flug-rost verursachten Schäden
Schadensersatz ver-langen kann, hat der Senat die Revision gemäß § 546 Abs. 1 S.
2 ZPO zugelassen, weil diese Frage - insbesondere im Hinblick auf die
Anwendbarkeit des Haftpflichtgesetzes - in der Rechtsprechung bislang noch nicht
hinreichend geklärt erscheint und grundsätzliche Bedeutung hat.
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Die Beschwer der Klägerin durch dieses Urteil liegt unter 60.000,00 DM.
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