Urteil des OLG Köln vom 25.06.2002

OLG Köln: immobilie, verwertung, mietobjekt, verkehrswert, mahnung, alleineigentum, leistungsfähigkeit, eltern, miteigentumsanteil, erfüllung

Oberlandesgericht Köln, 25 UF 303/01
Datum:
25.06.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 UF 303/01
Vorinstanz:
Amtsgericht Leverkusen, 32 C 14/98
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. November 2001
verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Leverkusen - 32 C
14/98 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
1
I.
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Die zulässige, an sich statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete
Berufung (§§ 511, 511a, 516, 518, 519 ZPO a. F.) hat auch in sachlicher Hinsicht Erfolg;
sie führt unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur Klageabweisung.
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II.
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1. Der in zweiter Instanz von dem Kläger nur noch in Höhe des zuerkannten
Betrages weiterverfolgte Anspruch auf Zahlung von sog. Elternunterhalt für die Zeit
vom 21. Januar 1993 bis 30. Juni 1996 aus übergeleitetem Recht gemäß §§ 1601,
1602 Abs.1 BGB i. V. m. § 91 Abs.1 S.1 BSHG ist entgegen der Auffassung der
Beklagten nicht bereits deswegen unbegründet, weil der Kläger erstmals mit der
Überleitungsanzeige vom 2. Dezember 1997 ( Bl. 17 ff. d. A.) betreffend
ungedeckte Heimkosten in Höhe von 120.843,41 DM die Beklagte zur Zahlung -
zunächst nur eines Teilbetrages, aber unter ausdrücklichem Vorbehalt des
Anspruchs auch auf den Restbetrag - aufgefordert hatte. Denn die schriftliche
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Rechtswahrungsanzeige vom 15. Februar 1993 (Bl.10 f. d. A.), zugestellt der
Beklagten am 18. Februar 1993 (Bl.12 d. A.), hat zur Folge, dass der
Unterhaltsschuldner - nach entsprechender Überleitung - auch für die
Vergangenheit auf Unterhalt in Anspruch genommen werden kann ( § 91 Abs.2
BSHG). Dass in der Rechtswahrungsanzeige wegen der noch zu erfolgenden
Überprüfung der Leistungsfähigkeit der Beklagten noch offengeblieben war, ob
und in welchem Umfang sie in Anspruch genommen werden wird, steht dem nicht
entgegen. Wie der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden hat ( vgl. BGH NJW
1985,2589; FamRZ 1983, 895/896), lassen sich daraus, dass die
Rechtswahrungsanzeige Rechtsfolgen wie eine Mahnung herbeiführt und sie eine
der Mahnung vergleichbare Warnungsaufgabe hat, keine
Bestimmtheitsanforderungen ableiten, wie sie an eine Mahnung zu stellen sind.
Nach § 91 Abs.2 BSHG hängt vielmehr die Möglichkeit, Unterhalt auch für die
Vergangenheit geltend zu machen, allein davon ab, dass dem
Unterhaltspflichtigen die Gewährung der Sozialhilfe mitgeteilt worden ist. Bereits
diese Mitteilung zerstört sein Vertrauen, dass er mit einer Inanspruchnahme nicht
zu rechnen brauche. Die Mitteilung vom 15.Februar 1993 hat die Beklagte in
diesem Sinne hinreichend deutlich davon in Kenntnis gesetzt, dass ihre Mutter seit
dem 21.Januar 1993 Leistungen nach dem BSHG erhält; auch ist sie durch das
Schreiben zugleich auf ihre mögliche Inanspruchnahme aufmerksam gemacht
worden.
1. Das Klagebegehren scheitert - anders als die Beklagte meint - ebenso wenig
daran, dass ihre Mutter in dem maßgeblichen Zeitraum nicht bedürftig gewesen
sei.
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Aus der mit der Klageschrift überreichten detaillierten Aufstellung Bl.13 ff. d. A. sind im
Einzelnen die vom 21.Januar 1993 bis 30.Juni 1996 für die Mutter monatlich
angefallenen Heimkosten - Pflegekosten ( dazu auch Unterlagen Bl.210 ff. d. A.)
zuzüglich Barbetrag gemäß § 21 Abs.3 BSHG - sowie das darauf angerechnete
monatliche Renteneinkommen der Mutter und weitere unter der Rubrik "Unterhalt"
aufgeführte ihr ebenfalls angerechnete Leistungen der Schwester der Beklagten, B. D.,
zu entnehmen, die im Ergebnis einen Gesamtbetrag von aufaddiert 120.454,91 DM
"ungedeckter Heimkosten" ausmachen. Die so im einzelnen dargelegte Bedürftigkeit ,
mit Schriftsatz vom 13. Mai 1998 beklagtenseits zunächst sogar ausdrücklich unstreitig
gestellt, ist im Folgenden nicht hinreichend substantiiert in Abrede gestellt worden. Für
ein ausreichendes Bestreiten hätte die Beklagte schon im einzelnen angeben müssen,
welche Positionen der besagten Aufstellung aus welchen Gründen unzutreffend seien.
Dass die Mutter ab 1. Juli 1996 die Heimkosten aus ihrem eigenen Einkommen
finanzieren konnte, ist vom Kläger bereits in der Klageschrift - und wiederholend in der
Berufungserwiderung - damit erklärt worden, dass sie ab diesem Zeitpunkt Pflegegeld
und Pflegewohngeld erhielt. Dieser durchaus plausiblen Darstellung hat die Beklagte
nicht widersprochen.
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1. Die Klage scheitert allerdings daran, dass die Beklagte in dem maßgeblichen
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Zeitraum vom 21. Januar 1993 bis 30. Juni 1996 leistungsunfähig gewesen ist. Ein
Anspruch der Mutter gegen die Beklagte auf Zahlung von Unterhalt bestand
deshalb nicht, denn Kinder schulden ihren Eltern Unterhalt nur im Rahmen ihrer
Leistungsfähigkeit ( § 1603 Abs.1 BGB). Die Anspruchsüberleitung auf den Kläger
ging deshalb ins Leere.
Zur Leistungsunfähigkeit der Beklagten im Einzelnen:
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a)
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Die Beklagte hatte unstreitig kein eigenes Erwerbseinkommen. Mit dem Architekten K.
S. hat sie eine sog. Hausfrauenehe geführt, war also nicht berufstätig, sondern
kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Das in dem Einkommensteuerbescheid für das
Jahr 1995 ausgewiesene Jahreseinkommen der Beklagten aus "nichtselbständiger
Arbeit" von 3.600,- DM brutto ist unbedeutend und außerhalb jeder unterhaltsrechtlichen
Relevanz.
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b)
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Zur Unterhaltszahlung verfügbares Einkommen resultierte ebenso wenig aus den in
dem maßgeblichen Zeitraum von der Beklagten vereinnahmten Mieten aus
Immobilieneigentum.
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An sich sind der Beklagten die von ihr damals tatsächlich gezogenen Mieteinnahmen
aus dem gesamten Mietobjekt P.straße xx in Leverkusen insgesamt zuzurechnen. Zwar
war und ist die Beklagte bis heute nur zu 1/2 Miteigentümerin dieser Immobilie. Mit dem
anderen Miteigentümer zu 1/2, H. W., hatte sie in dem mit diesem abgeschlossenen
notariellen Vertrag vom 9. Juli 1992, Urkundenrolle Nummer xxxx für 1992 des Notars H.
E. in Leverkusen, Bl.33 ff. d. A., die Übertragung des Objekts P.straße auf sich zu
Alleineigentum und zugleich die Übertragung des ebenfalls im hälftigen Miteigentum der
Vertragsparteien stehenden Objekts H.straße xx in Leverkusen auf W. zu
Alleineigentum vereinbart. Auch hatten sie wechselseitig in demselben Vertrag bereits
die entsprechende Auflassung erklärt und die Eigentumsübertragung bewilligt. Die
entsprechenden grundbuchlichen Eintragungen sind bis heute nicht erfolgt. Jedoch
haben die Vertragsparteien in demselben Notarvertrag den wirtschaftlichen Übergang
des Vertragsgegenstandes bereits zum Tage des Vertragsschlusses ( 9. Juli 1992)
vereinbart ( § 4) sowie die Freistellung von den grundpfandrechtlich gesicherten
Verbindlichkeiten im Außenverhältnis bis spätestens 31. Dezember 1992 (§2). Unstreitig
ist dies seitdem auch so praktiziert worden. Unterhaltsrechtlich sind daher der Beklagten
die Einnahmen und Aufwendungen betreffend das Grundstück P.straße voll
zuzurechnen, während Einnahmen und Aufwendungen betreffend die Immobilie
H.straße voll auf W. entfallen und damit für die Beklagte unterhaltsrechtlich außer
Betracht zu bleiben haben.
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Die von der Beklagten in der maßgeblichen Zeit vereinnahmten Mieten des Objekts
P.straße einschließlich Garagen sind durchgehend mit monatlich 1.957,33 DM
anzusetzen. Das ist der Betrag, den der Kläger in Anlehnung an die Schätzung des
Sachverständigen Dipl. Ing. C. R. in seinem Gutachten vom 1. Dezember 1999 der
Unterhaltsberechnung zugrunde gelegt wissen will. Dem war Folge zu leisten, weil die
Beklagte ihrerseits andere, insbesondere niedrigere Einnahmen nicht nachvollziehbar
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dargelegt und belegt hat.
Der Beklagten verblieb trotz dieser Einnahmen kein für den Elternunterhalt verfügbares
Einkommen. Denn die Einnahmen wurden damals aufgezehrt durch die für die
Immobilie notwendige Aufwendungen. So beliefen sich bereits die von der Beklagten
belegten Zins- und Tilgungszahlungen (Bl.620 ff. d. A.) für das Objekt P.straße auf im
Durchschnitt monatlich rd. 2.043,- DM in 1993, 2.517,- DM in 1994, 1.947,- DM in 1995
und 1.872,- DM in 1996.
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c)
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Es gab schließlich auch kein Vermögen, dass für den Unterhalt ihrer Mutter einzusetzen
die Beklagte verpflichtet gewesen wäre.
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Grundsätzlich hat der Unterhaltspflichtige beim sog. Elternunterhalt nicht nur sein
Einkommen, sondern auch sein Vermögen einzusetzen. Eine Billigkeitsprüfung, wie sie
§ 1581 S.2 BGB beim Ehegattenunterhalt vorsieht, erfolgt beim Verwandtenunterhalt
nicht ( vgl. BGH FamRZ 1986, 48/50; Schibel, NJW 1998, 3449 ff., 3450). Dennoch
besteht keine uneingeschränkte Verpflichtung, den Vermögensstamm für
Unterhaltsleistungen einzusetzen. So besteht selbst bei der gesteigerten
Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern nach § 1603 Abs.2
S.1 BGB keine Obliegenheit den Vermögensstamm zu verwerten, wenn der eigene
Unterhalt des Verpflichteten unter Berücksichtigung seiner voraussichtlichen
Lebensdauer und unter Einbeziehung zu erwartender künftiger Erwerbsmöglichkeiten
bis an das Lebensende nicht gesichert ist (vgl. BGH FamRZ 1989,170). Eine
Vermögensheranziehung scheidet zudem aus, soweit sie den Unterhaltsschuldner von
fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer
Unterhaltsansprüche, anderer berücksichtigungswürdigender Verbindlichkeiten oder
zum Bestreiten seines eigenen Unterhalts benötigt. Ebenso scheidet eine
Vermögensverwertung aus, wenn sie mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren
Nachteil verbunden wäre ( vgl. BGH FamRZ 1986, 48/40; Schibel, a.a.O., S.3452).
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Unter Beachtung dieser Grundsätze ist es zutreffend, dass der Miteigentumsanteil der
Beklagten an dem von ihr zusammen mit ihrem Ehemann bewohnten Hausgrundstück
F. Str. xx in Leverkusen als "geschütztes Vermögen" von dem Kläger als nach § 88
Abs.2 Nr.7 BSHG nicht zu verwertendes Vermögen angesehen wird. Diese Bewertung
findet ihre Bestätigung gleichermaßen nach unterhaltsrechtlichen Kriterien und
Maßstäben.
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Auch die Verwertung des Objekts P.straße war unter den gegebenen Umständen der
Beklagten nicht abzuverlangen. Bei einem von dem Kläger behaupteten Verkehrswert
der Immobilie von 500.000,- DM (Bl.649 oben d. A.) und den im einzelnen dargelegten
und belegten grundpfandrechtlich damals noch gesicherten Darlehensvaluten von ca.
440.400,- DM in 1993 und von noch ca. 340.300,- DM in 1996 wäre ein Erlös selbst bei
außer Achtlassung aller mit einer Verwertung verbundenen sonstigen Kosten von
allenfalls 50.600,- DM bis 159.700,- DM zu erzielen gewesen. Lag der tatsächliche
Verkehrswert entsprechend der Behauptung der Beklagten sogar nur bei höchstens
400.000,- DM, wäre ein Überschuss erst gar nicht zu erzielen gewesen. Für diesen Fall
würde eine Vermögensverwertung ausscheiden, weil sie offensichtlich unwirtschaftlich
wäre.
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Das von dem Familiengericht eingeholte, an anderer Stelle bereits erwähnte Gutachten
des Sachverständigen Dipl. Ing. R. ist für die Entscheidung des Streits über den
Verkehrswert unbrauchbar, weil es auf den Wertermittlungsstichtag 1. September 1997
abstellt. Die gutachterliche Bewertung hätte richtigerweise für den Beginn des
Unterhaltszeitraumes, den Stichtag 21. Januar 1993 angeordnet werden müssen.
Indessen bedarf es nach Ansicht des Senates nicht der Klärung der streitigen Frage des
Verkehrswertes durch erneute Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der 1993
56 Jahre alten Beklagten, die damals noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von
25,83 Jahren hatte, war das Mietobjekt nämlich zur Sicherung ihres angemessenen
Lebensunterhalts sowie einer angemessenen eigenen Altersversorgung zu belassen.
Der nicht erwerbstätigen Beklagten, die schon 1993 aufgrund ihres Alters und ihrer
geführten "Hausfrauenehe" zukünftige Erwerbsmöglichkeiten aus eigener
Berufstätigkeit nicht mehr zu erwarten hatte und deren Ehemann lediglich eine
Mindestrente von 900,- DM bezog, musste gewährleistet sein, dass ihre Zukunft aus
eigenen Einnahmequellen - aus eigenem Vermögen - in angemessenem Rahmen
abgesichert ist. Das aber war nur der Fall, wenn ihr das Mietobjekt, aus dem sie in
absehbarer Zeit bei zunehmender Verringerung der Zins- und Tilgungslasten die
Mieteinnahme als Gewinn würde verbuchen können, verblieb. Dass die Beklagte
anderweitig, etwa durch abgeschlossene Lebensversicherungen hinreichend gesichert
wäre, erschließt sich nicht.
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Auch der nach dem Vortrag der Parteien als Erlös bei einer Verwertung der Immobilie
P.straße zu erzielende Betrag von allenfalls 50.600,- DM bis 159.700,- DM müsste der
Beklagten aus denselben Erwägungen belassen werden. Abgesehen von einem dem
Unterhaltsverpflichteten regelmäßig zuzubilligenden Barbetrag als Schonvermögen in
Höhe von seinerzeit ca. 20.000,- DM (nach den aktuellen Sozialhilferichtlinien für
Nordrhein-Westfalen beläuft sich der Betrag auf das 5-fache des Vermögensfreibetrages
von zur Zeit 4.500,- DM) bewegt sich die genannte Erlösspanne in einem solchen
Bereich, dass der Betrag der Beklagten in Hinblick auf die Sicherstellung ihres eigenen
angemessenen Lebensunterhalts sowie einer eigenen angemessenen Altersversorgung
belassen werden müsste.
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Schließlich ist anzumerken, dass eine Verwertung des ebenfalls formal noch der
Beklagten zukommenden hälftigen Miteigentumsanteils an der Immobilie H.straße
wegen der von ihr mit in dem besagten notariellen Vertrag von 1992 gegenüber W.
wirksam eingegangenen Übertragungsverpflichtung und dem bereits vollzogenen
wirtschaftlichen Übergang der Immobilie nicht in Betracht kam. Im Übrigen ist es
angesichts des Ergebnisses des - ebenfalls zu dem falschen Bewertungsstichtag 1.
September 1997 - eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Roth vom 14.
Dezember 2000 ( Bl.401 ff., 434 ff. d. A.) äußerst
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fragwürdig, ob eine Verwertung dieser Immobilie Anfang 1993 überhaupt zu einem
positiven Erlös hätte führen können.
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs.1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Gebührenstreitwert für
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das Berufungsverfahren:
43.613,20 EUR
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gemäß § 17 Abs.4 S.1 GKG.
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