Urteil des OLG Köln vom 02.12.1997

OLG Köln (kläger, grobe fahrlässigkeit, polizei, vvg, obliegenheit, unverzüglich, sache, eintritt, versicherungsnehmer, verzeichnis)

Oberlandesgericht Köln, 9 U 83/97
Datum:
02.12.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 83/97
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 9 O 487/96
Schlagworte:
Versicherung Einbruchdiebstahlsversicherung Stehlgutliste
Verzögerung Obliegenheitsverletzung Belehrung
Normen:
VERSICHERUNG; EINBRUCHDIEBSTAHLSVERSICHERUNG;
STEHLGUTLISTE; VERZÖGERUNG;
OBLIEGENHEITSVERLETZUNG; BELEHRUNG;
Leitsätze:
Reicht der Versicherungsnehmer eine Liste der angeblich entwendeten
Gegenstände nicht - wie in § 21 Nr. 1 b VHB 84 gefordert - unverzüglich
bei der Polizei ein, sondern erst 6 Monate später, so liegt eine
vorsätzliche Verletzung der Obliegenheiten im Schadensfall vor, die,
auch wenn sie folgenlos bleibt, zur Leistungsfreiheit des Versicherers
führt. Einer vorangehenden Belehrung durch den Versicherer bedarf es
bei derartigen spontan zu erfüllenden Obliegenheiten nicht.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 07.03.1997 verkündete Urteil
der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 U 83/97 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem
Kläger auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung des Klägers ist in der Sache nicht
begründet.
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stehen aus dem
zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag Versicherungsleistungen aus §§ 1, 49
VVG ungeachtet sonstiger Zweifel jedenfalls deshalb nicht zu, weil die Beklagte wegen
Verletzung der den Kläger treffenden Obliegenheit, bei Eintritt eines Versicherungsfalles
unverzüglich der zuständigen Polizeidienststelle ein Verzeichnis der
abhandengekommenen Sachen einzureichen (§ 21 Nr. 1 b) VHB 84), gemäß § 21 Abs.
3 VHB 84 in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG von ihrer etwaigen Leistungspflicht
freigeworden ist.
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Auch der Begründung der angefochtenen Entscheidung schließt sich der Senat an. Zur
Vermeidung von Wiederholungen nimmt er die diesbezüglichen Ausführungen des
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Landgerichts in dem angefochtenen Urteil (dort S. 5 - 7, Bl. 43 ff. d.A.) in Bezug und sieht
insoweit auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab, (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Die mit der Berufung gegen das angefochtene Urteil vorgetragenen Einwände greifen
nicht durch.
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Unstreitig hat der Kläger ein Verzeichnis der ihm angeblich anläßlich der Brandstiftung
vom 03.09.1995 gestohlenen Schmuckstücke, die einen Wert von mindestens 20.000,00
DM verkörpert haben sollen, erst mit Anwaltsschreiben vom 21.03.1996 und damit mehr
als 6 Monate nach dem angeblichen Diebstahl bei der Polizei eingereicht. Damit hat der
Kläger unstreitig ein Verzeichnis der abhandengekommen Sachen nicht "unverzüglich"
im Sinne des § 21 Nr. 1 b) VHB 84 bei der zuständigen Polizeidienststelle eingereicht,
folglich objektiv der Obliegenheit des § 21 Nr. 1 b) VHB 84 zuwider gehandelt. Damit
wird zugleich ein vorsätzliches Handeln des Klägers - und nicht nur, wie das
Landgericht möglicherweise angenommen hat, grobe Fahrlässigkeit - vermutet, § 21
Abs. 3 VHB 84 in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG. Deshalb ist es Sache des
Versicherungsnehmers, darzulegen und zu beweisen, daß die Obliegenheitsverletzung
weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht (vgl. hierzu statt vieler:
Prölss/Martin, VVG, 25. Auflage 1992, § 6 VVG Anm. 14).
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Im Streitfall hat der Kläger keine Tatsachen vorgetragen, die ihn entschuldigen könnten;
die Vorsatzvermutung ist deshalb nicht widerlegt. Sein von der Beklagten bestrittener
Sachvortrag in der Berufungsbegründung, der Schadensregulierer W. sei nicht nur
zweimal, sondern dreimal bei ihm - dem Kläger - gewesen, er habe bei diesem dritten
Besuch erklärt, er - der Kläger - müsse im Moment nicht zur Polizei gehen, wenn es zu
keiner Vereinbarung über die Entschädigungsleistung komme, könne er insbesondere
den Schmuck ja noch einmal im einzelnen auflisten und dann auch zur Polizei gehen,
ist zu seiner Entlastung nicht geeignet. Dieser Vortrag ist bereits nicht mit dem
notwendigen Tatsachenmaterial untermauert, folglich unschlüssig und deshalb für die
Entscheidung des Rechtsstreits unbeachtlich. Jedermann - auch der Kläger - weiß, daß
man als Opfer eines Einbruchdiebstahls sofort die Polizei einzuschalten und ihr
mitzuteilen hat, welche Gegenstände im einzelnen anhandengekommen sind. Nur so
besteht die Möglichkeit, zeitnah Ermittlungen einzuleiten, um nach dem Verbleib des
Stehlguts zu forschen und es ggf. wiederaufzufinden. Daß ausgerechnet der
Schadenregulierer der Beklagten dem Kläger zugeraten haben könnte, diesen Schritt
zunächst zu unterlassen, widerspricht jedweder Lebenserfahrung und macht keinen
Sinn. Deshalb wäre es Sache des Klägers gewesen, den Gesprächsinhalt im einzelnen
wiederzugeben und vor allen Dingen darzutun, welchen Anlaß es bei diesem
angeblichen dritten Gespräch überhaupt gegeben haben soll, über die Stehlgutliste zu
sprechen. Der pauschale Vortrag des Klägers, der Schadenregulierer Wermers habe
ihm gesagt, er müsse zunächst nicht zur Polizei gehen, könne das vielmehr nachholen,
wenn es zu keiner Vereinbarung über die Entschädigungsleistung komme, reicht hierfür
nicht aus. Eine Vernehmung des Schadensregulierers Wermers durch den Senat kommt
deshalb ebenso wenig in Betracht wie die Vernehmung der Tochter des Klägers, die bei
dem Gespräch zugegen gewesen sein soll.
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Verbleibt es damit bei der Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG, ist die somit
vorsätzliche Obliegenheitsverletzung allerdings folgenlos geblieben, da sie nicht zu
einer Entschädigungsleistung geführt hat. Für diese Fälle ist nach der sog.
Relevanzrechtsprechung, wie sie auch in § 21 Abs. 4 VHB 84 ihren Niederschlag
gefunden hat, weitere Voraussetzung für den Eintritt der Leistungsfreiheit, daß der
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Verstoß gegen die Obliegenheit generell geeignet war, die Interessen des Versicherers
ernsthaft zu gefährden und den Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden trifft
(vgl. hierzu Prölss/Martin, a.a.O., § 21 VHB 84 Anm. 4).
Daß die Verletzung der Obliegenheit, der Polizeidienststelle unverzüglich eine
Stehlgutliste einzureichen, generell geeignet ist, die Interessen des Versicherers
ernsthaft zu gefährden, liegt auf der Hand. Zum einen kann eine zeitnahe Fahndung der
Polizei nach den angeblich gestohlenen Schmuckgegenständen zur Wiedererlangung
von Stehlgut und damit zur Minderung des vom Versicherer zu entschädigenden
Gesamtschadens führen. Zum anderen wird durch eine schon frühe Festlegung des
Versicherungsnehmers hinsichtlich der abhandengekommenen Gegenstände ein
nachträgliches Aufbauschen des Schadens erschwert (vgl. zu den Motiven der
Obliegenheit Prölss/Martin, a.a.O., § 13 AERB Anm. 1).
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Es liegt auch ein erhebliches Verschulden des Klägers vor. Seine
Obliegenheitsverletzung, hier das Zuwarten bis zur Einreichung der Stehlgutliste über
mehr als sechs Monate, kann nicht lediglich als ein solches Fehlverhalten angesehen
werden, das auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer einmal unterlaufen kann
und für das ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermöchte (vgl.
hierzu: BGH r+s 1989, 5, 6).
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Damit liegen sämtliche Voraussetzungen für die Leistungsfreiheit nach § 21 Abs. 3 VHB
84 vor. Einer in Fällen der Aufklärungsobliegenheit grundsätzlich erforderlichen
Belehrung über die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit (vgl. dazu: Prölss/Martin, a.a.O., §
34 Anm. 3 C)) bedarf es bei spontan nach dem Eintritt eines Versicherungsfalles zu
erfüllenden Obliegenheiten naturgemäß nicht.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und
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Wert der Beschwer des Klägers: 20.000,00 DM
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