Urteil des OLG Köln vom 16.01.1995

OLG Köln (antragsteller, vorzeitige auflösung, positive vertragsverletzung, verwalter, umfang, schaden, beschwerde, aufklärung, gerichtsbarkeit, mutter)

Oberlandesgericht Köln, 16 WX 174/94
Datum:
16.01.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 WX 174/94
Normen:
§ 43 ABS. 1 WEG; § 12 FGG; WEG; AMTSERMITTLUNG;
Grundsatz der Amtsermittlung in WEG-Sachen
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Der Amtsermittlungsgrundsatz des § 12 FGG gilt auch in den sogenannten
privatrechtlichen Streitsachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondere den
Wohnungseigentumssachen. Der gebotene Umfang der Ermittlungen ergibt sich aus
den Voraussetzungen des in Frage stehenden materiellen Rechts. Unsubstantiierter
oder zu pauschaler Vortrag der Parteien ist in diesen Verfahren daher nicht von
vornherein unbeachtlich, sondern muß Anlaß für das Gericht sein, auf eine
Vervollständigung hinzuwirken, die gegebenenfalls eine Beweiserhebung möglich
macht.
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beschlossen :
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Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner vom 4.11.1994 wird der
angefochtene Beschluß des Landgerichts Köln vom 13.10.1994 -29 T 59/94aufgehoben.
Der in der Antragschrift vom 10.12.1993 erhobene Hauptantrag wird abgewiesen. Zur
Verhandlung und Entscheidung über den am 4.2.1994 angekündigten Hilfsantrag wird
das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses hat dann auch über die
Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde zu entscheiden.
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Gründe :
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Das Rechtsmittel der Antragsgegner ist zulässig. Ihre sofortige weitere Beschwerde
gegen die vorbezeichnete Entscheidung des Landgerichts Köln wurde form- und
fristgerecht eingelegt. In der Sache führt die Beschwerde zur Aufhebung des
landgerichtlichen Beschlusses, zur Abweisung des Hauptantrages und zur
Zurückverweisung des Verfahrens hinsichtlich des Hilfsantrages. Der angefochtene
Beschluß beruht auf einer Gesetzesverletzung im Sinne von § 27 Abs. 1 FGG.
Bezüglich des Hilfsantrages ist dies ein Verfahrensmangel, weil der Sachverhalt nicht
hinreichend aufgeklärt wurde, § 12 FGG.
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Der Hauptantrag des Antragstellers ist nicht begründet. Die von den Vorinstanzen
gegebene Begründung trägt seinen Zahlungsanspruch nicht. Der Vorwurf, bereits die
Art der Kontoführung der Antragsgegner zur Instandhaltungsrücklage führe zur
Schadensersatzpflicht, geht fehl. Ob diese Praxis der Kontoführung mit den Pflichten
eines sorgfältigen Verwalters in Einklang gebracht werden kann, darf offenbleiben. Der
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erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dieser vermeintlichen
Pflichtverletzung der Antragsgegner und dem vom Antragsteller eingeklagten Schaden
fehlt. Der vom Antragsteller geforderte Schaden ist der nicht ausgezahlte Anteil an der
Instandhaltungsrücklage. Dieser Schaden kann durch die Tatsache, daß die
Antragsgegner die Rücklage im Gesamtobjekt hausbezogen und nicht bezogen auf die
einzelnen Gemeinschaften führten, nicht ursächlich entstanden sein. Das von den
Antragsgenern vorgelegte Kontenblatt dokumentiert vielmehr augenscheinlich, daß eine
Trennung und Berechnung der Einzelanteile buchhalterisch problemlos möglich war.
Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer vertraglichen Pflichtverletzung der
Antragsgegner mit dem vom Antragsteller verlangten Schadensausgleich ist nur
denkbar, wenn man auf die Umbuchung der Instandhaltungsrücklage auf das
Bewirtschaftungskostenkonto abstellt. Doch auch insoweit ist der Antragsteller nicht
berechtigt, von den Antragsgegnern 7801,25 DM zu verlangen. Sein Begehren, ihm die
auf seinen Wohnungsanteil entfallende Instandhaltungsrücklage nach einem
Verwalterwechsel vollständig auszuzahlen, anstatt das Geld an den neuen Verwalter zu
überweisen, läuft darauf hinaus, die Instandhaltungsrücklage insoweit aufzulösen. Dazu
gibt es keine tragfähige rechtliche Grundlage. Ein entsprechender verbindlicher
Beschluß ist nicht ersichtlich. Ein zustimmender Beschluß erscheint auch nicht
nachholbar. Die Auflösung der Instandhaltungsrücklage ist mit dem Gebot
ordnungsgemäßer Verwaltung nicht in Einklang zu bringen, § 21 Abs. 5 Ziff. 4 WEG.
Vertretbar ist eine solche Maßnahme allein, wenn gerade die vorzeitige Auflösung der
Rücklage ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht. Diese Feststellung ist hier nicht
möglich, und dürfte ohnehin nur in eng begrenzten Ausnahmefällen denkbar sein ( vgl.
BayObLG Rpfleger 1981, 284 ).
Nach Abweisung des Hauptantrages muß jetzt der Hilfsantrag der Antragsteller
beschieden werden, den geforderten Betrag an den neuen Verwalter der Gemeinschaft
zu zahlen. Auch wenn den Akten weder eine Zustellung des Schriftsatzes der
Antragsteller vom 4.2.1994 mit diesem Antrag, noch eine Verhandlung darüber
entnommen werden kann, darf davon ausgegangen werden , daß dieser Antrag mit zur
Entscheidung des Landgerichts stand. Im Tatbestand des angefochtenen Beschlusses
heißt es, daß der Antragsteller hilfsweise Zahlung an den neuen Verwalter fordere. Eine
Entscheidung des Hilfsantrages ist dem Senat verwehrt. Der Sachverhalt ist dazu nicht
hinreichend aufgeklärt, § 12 FGG. Da dies durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht
nachgeholt werden kann, muß das Verfahren insoweit aufgehoben und
zurückverwiesen werden.
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Das Verfahren in Wohnungseigentumssachen wird gemäß § 43 Abs.1 S. 1 WEG nach
der Verfahrensordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit geführt. Diese bestimmt in § 12
FGG den Grundsatz der Amtsermittlung. Anders als im Zivilprozeß bleibt das Gericht
danach nicht auf die vorgetragenen Behauptungen und Beweisangebote beschränkt. Es
kann und muß eigene Nachforschungen anstellen. Dieses Prinzip besteht auch in den
sogenannten privatrechtlichen Streitsachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, wozu die
Wohnungseigentumssachen gehören. Sie unterliegen lediglich insoweit einer
Parteidisposition, als die Beteiligten das Verfahren durch Antragsrücknahme, Verzicht,
Vergleich, oder durch übereinstimmende Erledigungserklärung beschränken und
beenden können. Ferner ist es in der Regel vertretbar, bei unbestritten gebliebenem
Sachvortrag von weiteren Ermittlungen Abstand zu nehmen. Alles das ändert nichts am
grundsätzlichen Bestand der Amtsermittlungspflicht. ( vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG,
13.Aufl. § 12, Rdnr. 195, 196 m.w.N. ) . Der gebotene Umfang der Ermittlungen ist mit
dem in § 12 FGG genannten Wort erforderlich vorgegeben, wobei dies in jedem
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Einzelfall neu konkretisiert und bestimmt werden muß ( vgl. OLG Köln, OLGZ 1989,
144/147 ). Der Maßstab dieser Konkretisierung ergibt sich aus den Vorraussetzungen
des in Frage stehenden materiellen Rechtes ( vgl. OLG Köln a.a.O. ). Für das hier zu
beurteilende Geschehen bedeuten diese Grundsätze, daß alle Ermittlungen
durchgeführt sein müssen, die zur Feststellung einer Pflichtverletzung der
Antragsgegner, und einer dadurch entstandenen Ersatzpflicht in der vom Antragsteller
geforderten Höhe erforderlich sind.
Dieser Ermittlungspflicht ist die Vorinstanz nicht gerecht geworden. Die angefochtene
Entscheidung geht davon aus, die durch die Antragsgegner vorgenommene
Umbuchung der anteiligen Instandhaltungsrücklage auf ein notleidend gewordenes
Bewirtschaftungskostenkonto sei ohne Rechtsgrund erfolgt. Der im nachhinein gefaßte
Beschluß zur Genehmigung dieses Vorgehens ändere an dieser Sichtweise nichts. Die
Pflichtverletzung der Antragsgegner liege darin, einen solchen Beschluß herbeigeführt
zu haben. Deshalb bestehe die Verpflichtung der Antragsgegner, dem Antragsteller den
Schaden in Form der ausgefallenen Instandhaltungsrücklage zu zahlen. Der
Antragsteller könne auch Zahlung an sich selbst verlangen. Diese Begründung wird
vom bisherigen Ermittlungsergebnis nicht getragen. Wesentliche Bereiche der
beiderseitigen Rechtsbeziehungen sind ungewiß. Die mögliche weitere Aufklärung
kann zu einer anderen Entscheidungsgrundlage führen.
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Ungeklärt ist insbesondere der Umfang der Wohnungseigentümergemeinschaft des
Gesamtkomplexes und die für deren Rechtsstellung getroffenen Vereinbarungen. Das
Gleiche gilt für das streitbefangene Haus 10 und die eigene
Wohnungseigentümergemeinschaft des Antragstellers. Erst recht ist bisher nicht
festgestellt, in welchem rechtlichen Bezug, die drei angesprochenen Gemeinschaften
zueinander stehen, vor allem ist ungewiß, ob und welche Regelungen für einen
denkbaren Ausgleich der Gemeinschaften untereinander in dem hier strittigen Komplex
der Bewirtschaftungskosten und Instandhaltungsrücklagen existieren. Offen blieb bisher
auch der genaue Umfang des Verwaltervertrages. Es ist nicht erkennbar, ob die
Antragsgegner alleine an die Gesamtgemeinschaft, an eine mögliche Gemeinschaft des
Hauses 10 oder an den Antragsteller gebunden waren, sowie mit welcher inhaltlichen
Gestaltung. Eine Aufklärung der angesprochenen Fragen ist nicht mit dem bisherigen
Parteivorbringen möglich. Zum Verwaltervertrag ist der Vortrag widersprüchlich und
unkonkret. Der Antragsteller spricht davon, daß ursprünglich ein Werkvertrag seiner
Mutter mit der Rechtsvorgängerin der Antragsgegner bestanden habe. Später sei diese
Verwalterin der Wohnungen der Mutter geworden. Im übrigen sei auf beiden Seiten
Rechtsnachfolge eingetreten. Der Antragsteller habe jetzt alle zunächst der Mutter
gehörenden Wohnungen, die hier in Anspruch genommenen Antragsgegner hätten die
Rechte und Pflichten aus dem Ausgangsvertrag übernommen. Zu den Einzelheiten der
jeweiligen Verträge wird jedoch ebensowenig gesagt, wie zu der Frage, wie die
jeweiligen Rechte und Pflichten auf die hier handelnden Parteien übergegangen sind.
Schon dies alles zeigt, daß eine für die Entscheidung notwendige verbindliche Klärung
der Rechtsbeziehungen zwischen Eigentümern und ehemaligem Verwalter derzeit nicht
möglich ist. Verstärkt und untermauert wird diese Einschätzung mit dem Hinweis der
Antragsgegner, daß eine andere Wohnungseigentümergemeinschaft im Haus 10 weiter
von den Antragsgegnen betreut wird, und der neu bestellte Verwalter lediglich an die
Gesamtgemeinschaft gebunden ist. So bleibt offen, wer mit wem, mit welcher
Verbindlichkeit vertraglich verbunden ist. Ein vergleichbares Bild zeigt sich bei der
Frage, welche Rechtsbeziehungen die Einzelgemeinschaften untereinander. haben.
Auch dazu existieren ausschließlich pauschale Hinweise. Für die Frage, wie die
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Rechtsbeziehungen der Gemeinschaften untereinander insbesondere zum Thema
Bewirtschaftungskosten und Instandhaltungsrücklage konkret gestaltet sind, kann
daraus nichts gewonnen werden.
Die angeführten Unklarheiten sind alle entscheidungserheblich und müssen durch
Aufklärungsmaßnahmen der Vorinstanz beseitigt werden. Erst wenn festgestellt ist,
welche vertragliche Bindung die Antragsgegner mit dem Antragsteller zu welchem
Zeitpunkt genau hatten, ist entscheidbar, ob in der Entnahme der
Instandhaltungsrücklage für die Bewirtschaftungskosten eine positive
Vertragsverletzung der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller liegt. Nur wenn
geklärt wurde, welche Rechtsbeziehungen die Gemeinschaften untereinander haben,
kann gesagt werden, ob und in welchem Umfang der Antragsteller eigene Ansprüche
erheben kann. Die erforderliche Aufklärung ist zu erreichen. Die Parteien brauchen
zunächst nur alle für den Gesamtkomplex dieses Falles vorhandenen
Teilungserklärungen und alle Verwaltungsverträge vorzulegen. Unabhängig davon, daß
diese Unterlagen in Verfahren der vorliegenden Art immer benötigt werden und
angefordert werden müssen, kann aus ihnen eine Antwort auf die hier im Raum
stehenden Fragen gefunden werden. In der Unterlassung, diese Urkunden anzufordern
und bei der Entscheidung zu berücksichtigen, liegt der Verfahrensfehler, der zur
Aufhebung und Zurückverweisung nötigt. Das Landgericht wird dann auch über die
Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben. Der Geschäftswert für
das Rechtsbeschwerdeverfahren wird gemäß § 48 Abs. 2 WEG in Höhe des geltend
gemachten Schadensersatzbetrages festgesetzt. Die verlangten Zinsen haben als
Nebenforderung unberücksichtigt zu bleiben, § 4 Abs. 1 ZPO.
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Unabhängig von alledem ist zu berücksichtigen, daß sowohl die Antragsgegner, wie
auch der neue Verwalter über das streitbefangene Geschäftsjahr bereits abgerechnet
und in die Abrechnung die hier strittigen Salden eingestellt haben. Sollten diese
Abrechnungen genehmigt worden sein, dürfte dies dem Zahlungsanspruch des
Antragstellers entgegengehalten werden können. 3
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