Urteil des OLG Köln vom 22.11.2006

OLG Köln: treu und glauben, abrede, nichtigkeit, steuerhinterziehung, werklohn, werkvertrag, beweiswürdigung, ersparnis, sicherheit, quittung

Oberlandesgericht Köln, 11 U 89/06
Datum:
22.11.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 89/06
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 12 O 621/04
Tenor:
1. Die Berufung der Kläger gegen das am 28.4.2006 verkündete Urteil
der 12. Zivilkammer des Landgerichts Aachen (12 O 621/04) wird
zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung tragen die Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die
Vollstreckung durch Sicherheit in Höhe von 110% des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
G r ü n d e :
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I.
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Die Kläger beauftragten den Beklagten im Jahre 2004 mit Vermessungsarbeiten für den
Neubau ihres Einfamilienhauses in O, I-Straße 36. Bei diesen Arbeiten unterlief dem
Beklagten ein – in seinen Einzelheiten und Auswirkungen umstrittener – Fehler. Das
Honorar des Beklagten beglichen die Kläger in bar; es wurde weder eine Rechnung
noch eine Quittung erteilt.
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Die Kläger behaupten, aufgrund des Vermessungsfehlers sei es zu einer falschen
Platzierung des Hauses und des Carports gekommen; ihr Schaden belaufe sich auf
insgesamt 31.005,80 €.
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Die Kläger haben beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 31.005,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.10.2004 zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat eingewendet, ein wirksamer Vertrag sei nicht zustande gekommen, da man
vereinbart habe, das Geschäft ohne Rechnung abzuwickeln.
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Die Kläger haben eine Ohne- Rechnung-Abrede bestritten. Nach ihrer Ansicht würde
diese auch nicht zur Nichtigkeit des Vertrages führen. Sie hätten 640,-- € ohne Quittung
gezahlt sowie Material zur Verfügung gestellt; ihre Ersparnis habe rund 135,-- €
betragen.
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Das Landgericht hat zu der Frage, ob eine Ohne-Rechnung-Abrede getroffen worden ist,
durch Vernehmung des Zeugen T Beweis erhoben. Es hat eine solche Abrede als
bewiesen erachtet. Der Werkvertrag sei daher nach §§ 134, 138 BGB unwirksam, so
dass Gewährleistungsansprüche der Kläger ausschieden.
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Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihren erstinstanzlichen Antrag in vollem Umfange
fort. Sie greifen die Beweiswürdigung des Landgerichts an und wiederholen ihre
Rechtsmeinung, dass eine Ohne-Rechnung-Abrede nicht die Unwirksamkeit des
Vertrages zur Folge habe. Im übrigen wiederholen und vertiefen sie ihr erstinstanzliches
Vorbringen
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Auch er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das
angefochtene Urteil sowie die Schriftsätze der Parteien und die sonstigen zu den Akten
gereichten Unterlagen Bezug genommen.
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II.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
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1.
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Vertragliche Schadensersatzansprüche wegen Schlechterfüllung nach §§ 631, 634
BGB stehen den Klägern nicht zu, da die Parteien eine sog. Ohne-Rechnung-Abrede
getroffen haben, so dass ein wirksamer Werkvertrag nicht zustande gekommen ist. Als
Vereinbarung, die letztlich der Ermöglichung und Absicherung einer
Umsatzsteuerverkürzung (§ 370 AO, §§ 1, 13 UstG) diente, ist eine derartige
Verabredung nach §§ 134, 138 BGB nichtig (BGH – VIII. Zivilsenat - LM § 134 BGB Nr.
57 = MDR 1968, 834 = NJW 1968, 1927 Leitsatz; BGH - XII. Zivilsenat - NJW 2003,
2742 = EWiR § 139 BGB 2/03, 1121 (Eckkert); OLG Hamm NJW-RR 1997, 722 = BauR
1997, 501 = ZfBR 1997, 151; OLG Saarbrücken OLGR 2000, 303 = IBR 2000, 424).
Diese Nichtigkeit erstreckt sich nach § 139 BGB auf den gesamten Vertrag, es sei denn
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die Parteien hätten die gleiche Preisvereinbarung auch mit Rechnung getroffen (so BGH
- VIII. Zivilsenat - LM Nr. 57 zu § 134 BGB; BGH - XII. Zivilsenat - NJW 2003, 2742;
ebenso OLG Hamm NJW-RR 1997, 722; Betriebs-Berater 1989, 651; OLG Saarbrücken
OLGR 2000, 303; OLG Naumburg IBR 2000, 64; OLG Oldenburg OLGR 1997, 2 = IBR
1997, 146; RGRK/Krüger/Nieland/Zöller, BGB, 12. Aufl., § 134 Rdn. 129 und § 138 Rdn.
156; Erman-Palm, BGB, 11. Aufl., § 134 Rdn. 93; Münchener Kommentar – Armbrüster,
BGB, 5. Aufl., 134 Rdn. 57; Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 138 Rdn. 44; Soergel-
Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 134 Rdn. 65; Flume, BGB AT II, 2. Aufl., § 17, 4, S. 346 Fn.
14 a; Sethe, WuB IV A. § 134 BGB 1.01). Die Beweislast für die Ausnahme von der
Gesamtnichtigkeit hat nach allgemeinen Grundsätzen die Partei, die sich auf die
Wirksamkeit des Vertrages beruft (Palandt-Heinrichs § 134 Rdn. 14 m.w.N.). Ist der
gesamte Vertrag danach nichtig, so hat das den Ausschluss aller vertraglichen
Ansprüche zur Folge. Das gilt auch für vertragliche Gewährleistungs- und
Schadensersatzansprüche (OLG Hamm NJW-RR 1997, 722; OLG Saarbrücken OLGR
2000, 303).
Allerdings hat der VII. Zivilsenat des BGH in einer zu einem Architektenvertrag
ergangenen Entscheidung vom 21.12.2000 die gegenteilige Auffassung vertreten (NJW-
RR 2001, 380 = BauR 2001, 630 = NZBau 2001, 195 = EWiR § 134 BGB 1/01, 357
(Wenner); ebenso Kniffka/Koeble, Kompendium des BauR, 2. Aufl., 5. Teil Rdn. 15;
Staudinger-Sack, BGB, Neubearbeitung 2003, § 134 Rdn. 287). Der VII. Zivilsenat
verweist auf die Rechtsprechung, nach der ein Vertrag, mit dessen Abwicklung eine
Steuerhinterziehung verbunden ist, nur dann nichtig ist, wenn die Steuerhinterziehung
Hauptzweck des Vertrages ist. Der Hauptzweck eines Architekten- oder Bauvertrages
sei in der Regel nicht auf eine Steuerhinterziehung, sondern auf die Errichtung des
vereinbarten Werkes gerichtet. Grundsätzlich könne nicht davon ausgegangen werden,
dass die Nichtigkeit der Abrede, keine Rechnung zu stellen, die Nichtigkeit des
gesamten Vertrages erfasse. Die Abrede habe auf die Verpflichtung zur Vergütung des
vereinbarten Honorars ohne Mehrwertsteuer keinen Einfluss. Dieses bleibe auch dann
ohne Mehrwertsteuer geschuldet, wenn die Ohne-Rechnung-Abrede unwirksam sei.
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Das überzeugt nicht. Die Entscheidung des VII. Zivilsenats lässt nicht nur eine
Auseinandersetzung mit der herrschenden gegenteiligen Ansicht vermissen, die auch
der VIII. und XII. Zivilsenat des BGH vertreten. Vor allem geht sie nicht auf die
gesetzliche Bestimmung des § 139 BGB ein, nach der sich die Nichtigkeit des Teils
eines Rechtsgeschäftes auf das ganze Rechtsgeschäft erstreckt, wenn nicht
anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Der
Senat folgt deshalb der herrschenden Auffassung, nach der eine Ohne-Rechnung-
Abrede zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages führt, soweit nicht ausgeschlossen werden
kann, dass diese Abrede die Preisvereinbarung beeinflusst hat.
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2.
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Nach diesen Grundsätzen ist eine Haftung des Beklagten zu verneinen.
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a) Das Landgericht sieht aufgrund der Gesamtumstände und der Aussage des Zeugen T
eine Vereinbarung der Parteien als erwiesen an, dass der vereinbarte Werklohn zum
Zwecke der Steuerhinterziehung ohne Rechnung gezahlt werden sollte. Die
Beweiswürdigung des Landgerichts ist in Begründung und Ergebnis überzeugend und
vollständig. Die Berufung zeigt keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der
Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen begründen könnten (§ 529 Abs. 1
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Nr. 1 ZPO). Der von ihr angeführte Umstand, dass sich der Beklagte vorprozessual und
selbst in der Klageerwiderung noch nicht auf die Unwirksamkeit des Vertrages wegen
der Ohne-Rechnung-Abrede berufen hat, ist nicht von erheblichem Gewicht. Es
erscheint nicht unverständlich, dass der Beklagte die Einräumung der
Steuerhinterziehung – einer Straftat – nicht ohne weiteres eingeräumt hat, zumal er sich
offenkundig für den ihm unterlaufenen Fehler auch verantwortlich fühlte.
b) Die nach § 139 BGB für die Gesamtnichtigkeit des Vertrages streitende Vermutung
haben die Kläger nicht widerlegt. Hierzu hätten sie darlegen und beweisen müssen,
dass der Werklohn auch ohne die getroffene Ohne-Rechnung-Abrede in der gleichen
Höhe vereinbart worden wäre. Nach ihrem eigenen Vortrag betrug die Differenz
zwischen dem gezahlten und dem berechtigten Honoraranspruch etwa 135,-- €. Es ist
nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte sich bei ordnungsgemäßer
Rechnungsstellung und Verbuchung ebenfalls auf den Preis von 640,-- € eingelassen
hätte. Soweit die Kläger in der Berufungsbegründung behaupten, der gezahlte Werklohn
von 640,-- € habe dem vollen angemessenen Honorar eines nicht vereidigten
Landvermessers entsprochen, setzen sie sich in Widerspruch zu ihrem erstinstanzlichen
Vorbringen, nach dem die Ersparnis etwa 135,-- € betragen habe (Schriftsatz vom
30.1.2006, S. 4 f. = Bl. 287 f. d.A.). Im übrigen ist die Höhe des üblichen Werklohnes für
die entscheidende Frage, auf welchen Preis sich die Parteien geeinigt hätten, nicht von
maßgebender Bedeutung.
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c) Aus dem damit insgesamt unwirksamen Werkvertrag können die Kläger keine
Ansprüche herleiten. Der Beklagte verstößt mit der Berufung auf die Unwirksamkeit des
Vertrages auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die
Nichtigkeit des Vertrages ist von Amts wegen zu beachten. Sie kann von jedermann
geltend gemacht werden, auch von dem, der selbst verbotswidrig und sittenwidrig
gehandelt hat (OLG Saarbrücken, OLGR 2000, 303, 304; Palandt-Heinrichs § 138 Rdn.
21). Nur in besonders gelagerten Fällen kann § 242 BGB der Geltendmachung der
Nichtigkeit entgegenstehen, wenn diese zu grob unbilligen Folgen führen würde. Das ist
hier aber nicht der Fall. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verneinung vertraglicher
Ansprüche der Kläger gerade dem Zweck der §§ 134, 138 BGB entspricht, während die
Kläger durch eine ihnen günstigere Entscheidung der Sache nach so gestellt würden,
als hätten sie einen rechtswirksamen Vertrag abgeschlossen. Letzteres verbietet sich
schon aus der Erwägung, dass die von §§ 134, 138 BGB angeordnete Rechtsfolge der
Nichtigkeit dadurch aufgehoben würde (OLG Saarbrücken a.a.O.; auch Sethe a.a.O.
unter III).
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3.
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Wie das Landgericht richtig ausgeführt hat, lag in dem vorprozessualen Verhalten des
Beklagten auch kein – abstraktes oder deklaratorisches – Schuldanerkenntnis, aufgrund
dessen er haften würde. Für andere als vertragliche Ansprüche besteht ersichtlich keine
Grundlage, so dass die Klage abzuweisen ist.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision wird zugelassen. Im Hinblick auf die nicht einheitliche Rechtsprechung
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des BGH zur Wirksamkeit von Verträgen bei Ohne-Rechnung-Vereinbarung ist die
Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung; auch erfordert die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO).
Berufungsstreitwert: 31.005,80 €
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