Urteil des OLG Köln vom 03.07.2009

OLG Köln: unbewusste fahrlässigkeit, strafzumessung, beleuchtung, blutalkoholkonzentration, beweismittel, kreuzung, verfügung, rechtskraft, aufwand, verkehrsverhältnisse

Oberlandesgericht Köln, 83 Ss 51/09
Datum:
03.07.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
83 Ss 51/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Gummersbach, 82 Ds 543/08
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts Gummersbach zurückverwiesen.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des
Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit
vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten mit
Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt; es hat zudem die Entziehung der
Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins und eine Sperrfrist für die Erteilung
einer neuen Fahrerlaubnis von sieben Monaten angeordnet.
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Zum Schuldspruch heißt es im Urteil:
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"Am 03.10.2008 nahm der Angeklagte alkoholische Getränke zu sich.
Anschließend führte er am 04.10.2008 gegen 02:45 Uhr in H-E. seinen
dunkelfarbigen Pkw Opel-Vectra, obwohl er infolge des genossenen Alkohols
nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Der Angeklagte befuhr
ohne Beleuchtung die L. Straße aus Fahrtrichtung C. kommend. Im durch
Straßenlaternen gut ausgeleuchteten Kreuzungsbereich L. Straße / U. / F. - aus
Sicht des Angeklagten eine Linkskurve - stieß er mit seiner rechten Fahrzeugseite
gegen den auf dem rechts von der Fahrbahn vor dem Hause L. Straße 39 auf dem
dortigen breiten gepflasterten Gehweg abgestellten Pkw des Zeugen V. J., der
durch die Wucht des Anstoßes gegen den davor abgestellten Pkw des Zeugen T.
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H. geschleudert wurde. Obwohl der Angeklagte den Zusammenstoß mit dem
anderen Pkw bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt auf der L. Straße fort und fuhr
weiter ohne Beleuchtung an den einige Meter weiter vor dem Hause L. Straße 37
erhöht auf der dortigen Hauseingangstreppe stehenden Zeugen W. H. und N. J.
vorbei. Der durch den Knall auf das Geschehen aufmerksam gewordene Zeuge V.
J., der sich im Hause L. Straße 37 befand, begab sich ebenfalls nach draußen und
sah den Pkw des Angeklagten ohne Licht an sich vorbei fahren. Die Zeugen
riefen noch hinter dem Angeklagten her, der seine Fahrt jedoch fortsetzte. Der
Zeuge N. J. sah dem Pkw des Angeklagten nach und konnte beobachten, wie
dieser an der nächsten Kreuzung nach rechts auf die G. Straße in Richtung B./O.
abbog. Kurz hinter dieser Kreuzung befanden sich auf dem X-D-Platz mit ihrem
Streifenwagen die Polizeibeamten POK I. und PHK M., die bereits durch das
Anstoßgeräusch und die Rufe der Zeugen aufmerksam geworden waren und den
Pkw des Angeklagten ohne Beleuchtung hatten von der L. Straße herannahen
und in die G. Straße hatten abbiegen sehen. Die Polizeibeamten folgten mit ihrem
Dienstfahrzeug dem Pkw des Angeklagten, konnten auf diesen nach etwa 300
Metern Fahrtstrecke aufschließen und ihn etwa zwei Kilometer weiter in der
Ortschaft B. zum Anhalten bringen. Die Beamten stellten an der Beifahrerseite des
Pkw des Angeklagten vom vorderen Kotflügel bis zur Türe frische Kratzspuren
und Lackschäden fest, der rechte Außenspiegel war abgerissen. Der Pkw des
Zeugen V. J. wies korrespondierende Schäden auf. Ein durch die Polizeibeamten
vor Ort beim Angeklagten durchgeführten Atemalkoholtest ergab einen Wert von
0,61 mg/1 AAK, die dem Angeklagten um 03:23 Uhr entnommene Blutprobe hat
eine BAK von 1,25 Promille im Mittelwert ergeben, womit unwiderleglich feststeht,
dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Fahrt absolut fahruntüchtig war. Nach den
Bekundungen des Zeugen V. J. ist durch den Anstoß des Pkw des Angeklagten
am Pkw des Zeugen ein Schaden in Höhe von 6.737,29 EUR verursacht worden,
der Zeuge T. H. hat bekundet, dass an seinem Pkw ein Schaden in Höhe von
1.716,12 EUR eingetreten ist."
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Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
7
II.
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Das Rechtsmittel hat insofern (zumindest vorläufigen) Erfolg, als es gemäß §§ 353, 354
Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der
Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts führt.
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Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es materiell-rechtlich
unvollständig ist.
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Schon im Falle der Verurteilung wegen einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt ist der
Tatrichter regelmäßig verpflichtet, neben der Höhe der Blutalkoholkonzentration und der
Schuldform weitere Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher
zu bestimmen und einzugrenzen (BayObLG VRS 93, 108 = NZV 1997, 244 = NStZ
1997, 359 = MDR 1997, 486; OLG Karlsruhe VRS 79, 199 [200]; SenE v. 19.12.2000 -
Ss 488/00 - = StV 2001, 355; SenE v. 29.02.2008 - 83 Ss 14/08). Dazu zählen
insbesondere die Umstände der Alkoholaufnahme (Trinken in Fahrbereitschaft) sowie
der Anlass und die Gegebenheiten der Fahrt (BayObLG VRS 97, 359 [360] = NZV 1999,
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483; SenE v. 27.10.2006 - 82 Ss 123/06 -).
Für das Ausmaß der abstrakten Gefahr und den Schuldumfang kommt es weniger auf
die Höhe der Blutalkoholkonzentration (den Grad der Fahruntüchtigkeit) als auf die
Fahrweise, die Art (Verkehrsverhältnisse) und Länge der zurückgelegten Strecke an
(BayObLG NZV 1997, 244; OLG Karlsruhe VRS 81, 19 [20] und VRS 79, 199 [200];
Fischer, StGB, 56. Aufl., § 316 Rdnr. 54). Wichtige Kriterien sind mithin Dauer und
Länge der bereits zurückgelegten und noch beabsichtigten Fahrstrecke,
Verkehrsbedeutung der befahrenen Straßen sowie der private oder beruflich bedingte
Anlass der Fahrt. Bedeutsam kann ferner sein, ob der Angeklagte aus eigenem Antrieb
handelte oder von Dritten verleitet wurde, ob ihm bewusste oder unbewusste
Fahrlässigkeit anzulasten ist und ob er sich in ausgeglichener Gemütsverfassung oder
einer Ausnahmesituation befand (BayObLG VRS 93, 108; SenE v. 04.11.1997 - Ss
547/97 -; SenE v. 19.12.2000 - Ss 488/00 - = StV 2001, 355). Auch polizeilich
festgestellte Auffälligkeiten des Angeklagten am Kontrollort oder bei der Blutentnahme
können von Bedeutung sein (BayObLG DAR 2004, 282).
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Feststellungen hierzu oder wenigstens zu einigen nach Lage des Einzelfalles
besonders bedeutsamen Umständen sind im Allgemeinen zur näheren Bestimmung des
Schuldgehalts der Tat als Grundlage für eine sachgerechte Rechtsfolgenbemessung
erforderlich. Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort und Blutalkoholwert keine
weiteren, für den Schuldumfang wesentlichen Feststellungen möglich sind, weil der
Angeklagte schweigt und Beweismittel dafür entweder nicht zur Verfügung stehen oder
nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen wären, so ist dies im Urteil
hinreichend klarzustellen. In einem solchen Fall ist für die Strafzumessung ein
entsprechend geringer Schuldumfang ohne wesentliche Besonderheiten zugrunde zu
legen (SenE v. 04.11.1997 - Ss 547/97 -; SenE v. 19.12.2000 - Ss 488/00 - = StV 2001,
355).
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Die genannten Grundsätze gelten erst recht, wenn es - wie hier - infolge der
trunkenheitsbedingten Fahruntüchtigkeit zu einem Verkehrsunfall gekommen ist (so
insgesamt: SenE v. 03.04.2009 – 83 Ss 20/09).
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Gemessen an diesen Maßstäben weist das angefochtene Urteil revisionsrechtlich
beachtliche Unvollständigkeiten auf. Den Feststellungen können die Umstände, die
geeignet sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen, nicht
hinreichend entnommen werden. So bleibt nicht nur offen, unter welchen näheren
Umständen (Anlass und Dauer der Fahrt sowie Fahrstrecke) der Angeklagte das
Fahrzeug geführt hat. Es wird aber auch nicht ausgeführt, unter welchen Umständen es
zur Alkoholaufnahme gekommen ist, insbesondere ob der Angeklagte bereits zu diesem
Zeitpunkt damit gerechnet hat, später noch ein Fahrzeug zu führen.
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Allerdings ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass sich der Angeklagte – bis auf die
Äußerung in seinem letzten Wort, dass ihm leid tue, was passiert sei – zur Sache nicht
eingelassen hat. Dass aber keine sonstigen Beweismittel zur Verfügung standen (z.B.
Aussagen der Polizeibeamten oder des Bewährungshelfers zu Angaben des
Angeklagten ihnen gegenüber) oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu
beschaffen gewesen wären, ist durch die Urteilsgründe nicht klargestellt.
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Die in einer solchen Weise lückenhaften Feststellungen stellen keine hinreichende
Grundlage für die Bemessung einer tat- und schuldangemessenen Strafe dar (SenE
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vom 03.04.2009 – 83 Ss 20/09).
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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Soweit im Rahmen der Strafzumessung Vorbelastungen eines Angeklagten
mitberücksichtigt werden sollen, setzt dies voraus, dass der Tatrichter sie im Urteil so
genau mitteilt, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglicht wird, ob und
inwieweit Vorstrafen überhaupt noch verwertet werden dürfen und - falls verwertbar - ob
sie im Hinblick auf ihre Bedeutung und Schwere für die Strafzumessung richtig bewertet
worden sind. Neben dem Zeitpunkt und der Rechtskraft der Verurteilung und der Art und
der Höhe der Strafen sind daher in der Regel die den als belastend eingestuften
Vorverurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalte zwar knapp, aber doch in einer
aussagekräftigen Form zu umreißen (zu vgl. SenE vom 12.12.2008 81 Ss 9899/08 ;
SenE vom 26.06.2007 81 Ss 61/07 ; SenE vom 20.04.2007 81 Ss 52/07 ; Senat,
StV 1996, 321 ff.; OLG Frankfurt, StV 1995, 27 ff. und StV 1989, 155; OLG Koblenz,
StV 1994, 291). Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - eine kurzfristige
Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB festgesetzt wird (vgl. SenE vom 16.12.2003
Ss 513/03 ; SenE vom 06.08.2004 Ss 337/04 ; SenE vom 26.10.2007 81 Ss 166/07 ;
SenE v. 23.06.2009 – 83 Ss 48/09).
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Soweit Bewährungsversagen als Strafschärfungsgrund berücksichtigt werden soll,
müssen die Urteilsgründe ausweisen, dass die abzuurteilende Tat während laufender
Bewährungszeit begangen worden ist. Dazu ist festzustellen, wann hinsichtlich der
früheren Entscheidung(en) die Rechtskraft eingetreten ist (SenE v. 27.12.2005 - 83 Ss
72/05 -; SenE v. 28.07.2006 - 82 Ss 68/06 -; SenE v. 28.07.2006 - 82 Ss 68/06 -; SenE v.
31.10.2008 - 81 Ss 93/08 -; SenE v. 14.11.2008 - 83 Ss 70/08 -).
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