Urteil des OLG Köln vom 23.01.1992

OLG Köln (kläger, grundstück, unerlaubte handlung, licht, eigentümer, vermögensschaden, aufstockung, einwirkung, minderung, nachbar)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 169/91
Datum:
23.01.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 169/91
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 5 O 390/90
Schlagworte:
Amtshaftung Nutzungsbeeinträchtigung
Normen:
GG Art. 34; BGB §§ 839, 906; OBG NW § 39 Abs.1 b
Leitsätze:
Die nur vorübergehende Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit
eines Hauses durch Einsichtsmöglichkeiten vom Nachbarhaus aus oder
durch die Entziehung von Licht stellt keinen ersatzfähigen
Vermögensschaden dar. Ebensowenig besteht ein Anspruch auf
Geldausgleich nach § 906 Abs.2 BGB.
Tenor:
Die Berufung gegen das am 16. April 1991 verkündete Urteil der 5.
Zivilkammer des Landgerichts Köln - 5 O 390/90 - wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je 1/2 Anteil.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
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1.
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Den Klägern steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte weder nach §
839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG noch nach § 39 Abs. 1 b OBG zu. Ihnen ist
kein ersatzfähiger Vermögensschaden entstanden.
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a)
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Ein Anspruch wegen Minderung des Verkehrswerts ihres Grundstücks durch die vom
unzulässigen Dach-geschoßaufbau des Nachbarhauses ausgehende Beein-
trächtigung besteht nicht. Die Beeinträchtigung ist, auch wenn sie inzwischen schon
über 8 Jahre anhält, nicht von Dauer, sondern nur vorübergehend. Die Beklagte ist
aufgrund rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 29.03.1988 ver-
pflichtet, der Nachbarin durch Ordnungsverfügung den Abriß der am 07.06.1983
genehmigten Aufstockung ihres Hauses aufzugeben. Sie hat das inzwischen, wenn
auch vielleicht nur gezwungen durch die Zwangsgeldandrohung des
Verwaltungsgerichts Köln mit Beschluß vom 12.02.1991, getan. Sie hat den Mietern
der Dachgeschoßwohnungen aufgegeben, diese bis zum 31.12.1991 zu räumen, und
der Nachbarin ei-ne Frist zum Abriß bis zum 31.03.1992 gesetzt.
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Bei einer nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit eines
Grundstücks kommt ein Anspruch wegen Minderung des Verkehrswerts nicht in
Betracht, weil es nach Wegfall der Beeinträchtigung an einem Minderwert fehlt.
Richtig mag sein, daß die Kläger in der Zeit, in der über den Abriß des
Dachgeschosses des Nachbarhauses noch nicht rechts-kräftig entschieden war, auf
dem Markt nur einen geringeren Kaufpreis für ihr Grundstück hätten er-zielen können.
Darauf kommt es, nachdem inzwischen rechtskräftig über die Verpflichtung zum
Abriß ent-schieden ist, jedoch nicht an. Im übrigen haben die Kläger selbst nicht
vorgetragen, in der Vergangen-heit die Absicht gehabt zu haben, ihr Grundstück zu
verkaufen.
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Belanglos ist ferner, daß nach enteignungsrechtli-chen Grundsätzen beim
vorübergehenden Entzug von Nutzungen bzw. Nutzungsmöglichkeiten des Grund
und Bodens eine Verzinsung der Minderung des Bodenwerts - "Bodenrente" - in
Betracht kommt. Das setzt näm-lich die Blockierung wirtschaftlicher Nutzungsmög-
lichkeiten voraus (vgl. Aust-Jacobs, Enteignungs-entschädigung 3. Aufl. S. 201/2,
314/5). Daran fehlt es bei der hier in Rede stehenden Nutzung des auf dem
Grundstück der Kläger befindlichen Gebäudes als Eigenheim, die auch während der
Zeit der Be-einträchtigung ohne weiteres möglich blieb und tat-sächlich erfolgte.
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b)
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Die vorübergehende Beeinträchtigung ist nicht unter dem Gesichtspunkt entgangener
Gebrauchsvorteile er-satzfähig. Im Anschluß an den Beschluß des Großen
Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 09.07.1986 (NJW 1987, 50 ff.) ist in der
Rechtsprechung allerdings anerkannt, daß es einen ersatzfähigen
Vermögensschaden darstellt, wenn der Eigentümer eines von ihm selbst bewohnten
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Hauses infolge eines deliktischen Eingriffs in das Eigentum die Sache
vorübergehend nicht benutzen kann, auch wenn ihm hierdurch keine zusätzlichen
Kosten entstehen oder Einnahmen entgehen. Hier geht es aber nicht um einen
Gebrauchsverlust, sondern um eine Gebrauchs-beeinträchtigung. Die Kläger machen
geltend, sie würden in der Nutzung ihres Eigenheims gestört, weil ihr Grundstück
vom ausgebauten Dachgeschoß des Nachbarhauses aus eingesehen werden
könne, weil die unzulässige Aufstockung den Einfall von Licht auf ihr Grundstück
behindere und weil die vom Nachbar-grundstück ausgehende Geräuschbelästigung
das zu-mutbare Maß überschreite. Diese Beeinträchtigungen schlossen eine
Nutzung des auf ihrem Grundstück befindlichen Gebäudes als Eigenheim nicht aus.
Die vorübergehende Gebrauchsbeeinträchtigung eines ei-gengenutzten Hauses
durch eine unerlaubte Handlung begründet keinen ersatzfähigen
Vermögensschaden, wenn der Eigentümer, sei es auch unter fühlbaren
Erschwernissen, sein Haus weiter benutzen kann (BGH NJW 1980, 775 ff.). Eine
andere Beurteilung würde die Abgrenzung zwischen - grundsätzlich ersatzfä-higem -
Vermögensschaden und - grundsätzlich nicht ersatzfähigem (§ 253 BGB) -
immateriellem Schaden verwischen. Das, was die Kläger als Beeinträchti-gung
anführen, betrifft ausnahmslos den immateriel-len Bereich. Es geht um einen früher
vorhandenen (und nach Beseitigung des Dachgeschoßaufbaus wieder eintretenden)
Lagevorteil, der für die Annehmlich-keit des Wohnens bedeutsam ist. Daß auf dem
Markt für ein Grundstück mit einem entsprechenden Lage-vorteil ein höherer Preis zu
erzielen ist als für ein Grundstück ohne einen solchen, reicht nicht aus für die
Feststellung, daß der Verlust einer solchen Annehmlichkeit einen materiellen
Schaden darstellt. In der heutigen Zeit kann eine Vielzahl immate-rieller Güter gegen
Entgelt erworben werden. Die Kommerzialisierung eines Gutes reicht deshalb nicht
aus, um im Falle seiner Beeinträchtigung einen ma-teriellen Schaden zu bejahen.
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Die oben zitierte Entscheidung des Großen Zivilse-nats des Bundesgerichtshofs
ändert an dieser Bewer-tung nichts, im Gegenteil:
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Zum einen nimmt er - offenbar zustimmend - die in NJW 1986, 775 abgedruckte
Entscheidung des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in Bezug (NJW 1987, 50,
51). Zum anderen differenziert er ausdrücklich zwischen einem "Funktionsverlust"
und bloßen "Funktionsstörungen". Zu letzteren hat er (a.a.O. Seite 52 unten, 53 oben)
ausgeführt:
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"Funktionsstörungen der Sache für ihren Ei-gengebrauch sind notwendig mit
Einbußen in der Lebenshaltung verbunden. Ein Schadens-ersatz für diese
Störungen läuft deshalb Gefahr, zum Ersatz für Einbußen in der von der Person
untrennbaren Sphäre zu führen, die nach § 253 BGB grundsätzlich
entschädigungslos bleiben sollen. Für den hier allein in Fra-ge stehenden
außervertraglichen, deliktischen Schadensersatz ist diese Schranke zwingend."
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Hier geht es allein um den außervertraglichen Be-reich. Zwischen den Parteien
besteht keine Sonder-rechtsbeziehung.
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2.
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Entgegen der Seite 10 der Berufungsbegründung (Bl. 76 GA) vertretenen Ansicht
besteht auch kein Anspruch auf Geldausgleich "aus dem Grundgedanken des § 906
Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 14 GG". Es fehlt schon an dem in § 906 BGB
vorausgesetzten Nachbarschaftsverhältnis. Für die Anwendung dieser Norm genügt
es nicht, daß ein deliktischer Eingriff bzw. eine ordnungsbehördliche Maßnahme
(hier: Ge-nehmigung der Aufstockung des Nachbarhauses) zur Folge hat, daß der
Nachbar Beeinträchtigungen der in § 906 BGB genannten Art hinnehmen muß. Der
in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB normierte Ausgleichsan-spruch richtet sich zwar nicht
notwendigerweise nur gegen den Eigentümer des Nachbargrundstücks, son-dern
auch gegen dessen Benutzer, das heißt denjeni-gen, der die Nutzungsart des
Nachbargrundstücks be-stimmt (BGH NJW 1991, 1671, 1673). Die Beklagte ist aber
weder Eigentümerin noch in dem genannten Sinne Benutzerin des
Nachbargrundstücks der Kläger.
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Bei den in der Enteignungsrechtsprechung ent-schiedenen Fällen (zum Beispiel
BGH NJW 1988, 900 - Straßenlärm -; NJW 1984, 1876 - Geruchsbelä-stigung durch
eine Kläranlage -) stand das Nachbar-schaftsverhältnis zwischen dem Betroffenen
und der öffentlichen Hand außer Zweifel.
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Davon abgesehen liegen die Voraussetzungen des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auch
aus folgenden Gründen nicht vor:
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Nur bezüglich der angeblichen Geräuschbeeinträch-tigung ist der unmittelbare
Anwendungsbereich des § 906 BGB betroffen. Ein Ausgleichsanspruch nach § 906
Abs. 2 Satz 2 BGB scheidet insoweit schon deshalb aus, weil die Kläger im Falle
einer unzu-mutbaren Geräuschbeeinträchtigung ganz unabhängig vom Ausgang der
verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Nachbarn auf Unterlassung einer solchen
Beein-trächtigung hätten in Anspruch nehmen können. Der Eigentümer kann vom
Benutzer des anderen Grund-stücks einen angemessenen Ausgleich in Geld nur
dann verlangen, wenn er die von dessen Grundstück ausgehende Einwirkung zu
dulden hat. Der Aus-gleichsanspruch ist gewissermaßen die Kompensation dafür,
daß dem Betroffenen der Abwehranspruch aus § 1004 BGB "genommen" wird.
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Außerdem ist eine unzumutbare Geräuschbelastung nicht substantiiert vorgetragen.
Das Nachbarhaus ist nicht übermäßig frequentiert. Die Kläger geben Seite 8 der
Berufungsbegründung (Bl. 74 GA) selbst an, es seien 7 Mietvertragsparteien
vorhanden, be-stehend aus mindestens 11 Personen einschließlich 2 Familien mit
Kindern. Damit ist der übliche Rahmen für ein Haus mit 7 Wohneinheiten ersichtlich
nicht überschritten. Im übrigen kommt es entgegen der Ansicht der Kläger nicht auf
den "Gesamtver-kehr" auf dem Nachbargrundstück an, sondern auf denjenigen, der
durch die Aufstockung hervorgerufen worden ist. Durch diese sind zwei neue
Wohneinhei-ten geschaffen worden. Nichts ist dafür ersicht-lich, daß davon
übermäßige Geräuschbelästigungen ausgehen, sei es auch nur im Zusammenhang
mit den schon früher geschaffenen 5 Wohneinheiten. Gegen die letzteren können die
Kläger berechtigterweise nichts vorbringen. Sie haben nämlich die insoweit 1967
erteilte Baugenehmigung für ein zweigeschossi-ges Wohnhaus mit Flachdach nicht
angegriffen, kön-nen deshalb, da sie den primären Rechtsschutz ver-säumt haben,
aus deren Genehmigung keine Ansprüche gegen die Beklagte herleiten. Auf die
angebliche Rechtswidrigkeit der 1967 erteilten Baugenehmigung kommt es daher
nicht an.
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Die angebliche Entziehung von Licht ist keine Immission im Sinne des § 906 BGB.
Unter "ähnlichen Einwirkungen" im Sinne von Abs. 1 dieser Vorschrift sind nur den
gesetzlichen Beispielen gleichartige, das heißt allein positiv die Grenze
überschreiten-de, im allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Wirkungen zu verstehen
(BGH NJW 1984, 729; 1991, 1671, 1672). Die Entziehung von Licht ist eine
sogenannte negative Einwirkung (BGH a.a.O.). Insoweit kommt allenfalls ein
nachbarlicher Ausgleichsanspruch in Betracht, sei es aus § 242 BGB, sei es in
entspre-chender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Vor-aussetzung für
diesen ist aber, daß der Eigentümer infolge der negativen Einwirkungen Nachteile
erlei-det, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden
Beeinträchtigung übersteigen (BGH NJW 1991, 1671, 1673). Dafür ist hier nichts
ersichtlich. Enteignungsrechtlich ist nur eine wesentliche Beschränkung des
Lichteinfalls entschä-digungsfähig - im Rahmen eines nachbarlichen Aus-
gleichsanspruchs gilt nichts anderes -. Diese ist dann anzunehmen, wenn tagsüber
die Räume häufiger durch künstliches Licht beleuchtet werden müssen (Aust-Jacobs,
a.a.O. S. 268). Das behaupten die Kläger selbst nicht. Unter Berücksichtigung der
von ihnen vorgelegten Fotos (Bl. 80 GA) kann allenfalls angenommen werden, daß
vom Dachgeschoßaufbau des Nachbarhauses aus ab und an eine Schattenwirkung
auf den Rasen der Kläger, vielleicht auch noch auf deren Terrasse ausgeht.
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Die schwerwiegendste Beeinträchtigung sehen die Kläger offenbar darin, daß ihr
Grundstück von den im Dachgeschoß des Nachbarhauses befindlichen Woh-nungen
aus ungehindert eingesehen werden kann. Das fällt nicht in den Anwendungsbereich
des § 906 BGB. Es handelt sich auch nicht um eine sogenannte negative Einwirkung.
Eine solche liegt vor, wenn natürliche Zuführungen zum Beispiel von Licht, Luft,
Wasser oder Abschattung von Funk- oder Fern-sehwellen durch Maßnahmen auf
dem Nachbargrundstück von dem betroffenen Grundstück abgehalten werden (BGH
a.a.O.; Palandt-Bassenge, BGB § 903 Rdn. 9 und § 906 Rdn. 4). Die mangelnde
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Einsehbarkeit eines Grundstücks von der Nachbarschaft aus ist zwar ein Lagevorteil;
er beruht aber nicht auf der Zuführung natürlicher Gegebenheiten.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO, die über
die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Es besteht kein Anlaß, die Revision zuzulassen.
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Streitwert zweiter Instanz und Wert der Beschwer: 43.650,00 DM
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