Urteil des OLG Köln vom 27.11.1996

OLG Köln (geburt, mutter, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, gutachten, untersuchung, behandlungsfehler, 1995, schaden, kind, teil)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 39/94
Datum:
27.11.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 39/94
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 107/87
Tenor:
Die Berufung der Beklagten und der Streithelfer zu 1) und 5) gegen das
am 24. November 1992 verkündete Teil- und Grund- Urteil der 25.
Zivilkammer des Landgerichts Köln- 25 O 107/87- wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Streithelfer; diese sind von
den Streithelfern jeweils selbst zu tragen. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 31.000,- DM abwenden, wenn
nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, Sicherheit auch durch die
selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder
öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
T a t b e s t a n d :
1
Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagte mit dem Vorwurf von Behandlungsfehlern
im Zusammenhang mit ihrer Geburt am 19. April 1981 in der Frauenklinik der Beklagten,
deren Leiter der Streithelfer zu 1) war, auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Die am 12. Juni 1946 geborene Mutter der Klägerin wurde am 12. April 1981 wegen
vorzeitiger Wehen auf der geburtshilflichen Station der Frauenklinik der Beklagten ohne
Vereinbarung wahlärztlicher Leistungen stationär aufgenommen, nachdem die von dem
behandelnden Arzt am Wohnort der Mutter verabreichte orale tokolytische Behandlung
keinen Erfolg gezeigt hatte. Auf der Basis der letzten Monatsblutung im Oktober 1980
war für die Klägerin als Geburtstermin der 16. Juli 1981 errechnet. 1977 war bei der
Mutter der Klägerin in der Frauenklinik der Beklagten eine sog. Konisation (Entnahme
eines konusförmigen Gewebestückes aus dem Scheidenteil des Gebärmutterhalses)
zwecks histologischer Abklärung eines Cervixkarzinom- Verdachts vorgenommen
worden, was ein erhöhtes Fehl- und Frühgeburtsrisiko für nachfolgende
Schwangerschaften begründete. Die Schwangerschaft der Mutter der Klägerin war am
14. Januar 1981 bei einer ambulanten Untersuchung in der Frauenklinik der Beklagten
festgestellt worden. Bei den Wiedervorstellungen am 4. Februar 1981 und 24. Februar
981 hatte sich ein normgerechter Befund ohne Auffälligkeiten gezeigt. Die weitere
Schwangerschaftsvorsorge fand bei Gynäkologen am Wohnort statt.
3
Am 12. April 1981 befand sich die Schwangerschaft rechnerisch am 2. Tag der 27.
Woche. Mit Rücksicht auf den Aufnahmebefund, der im Cardiotokogramm (nachfolgend:
CTG) eine unregelmäßige Wehentätigkeit in Abständen von 3 bis 6 Minuten und bei der
vaginalen Untersuchung u.a. ergeben hatte, daß der Muttermund "für Fingerkuppe
einlegbar" war, wurde eine intravenöse Tokolyse mittels Dauertropfinfusion
aufgenommen, die von zunächst 30ml/h wegen anhaltender Wehentätigkeit in den
Folgetagen auf 50ml/h gesteigert wurde. Die bei einer am 16. April 1981 von dem
Streithelfer zu 2) - der als Oberarzt in der Frauenklinik der Beklagten tätig war-
durchgeführten Ultraschalluntersuchung ermittelten Maße des Kindes - BPD 6,5 cm,
THU 18,5 cm, BU 20,2 cm- entsprachen der 25. bis 26. Schwangerschaftswoche und
wurden im Sinne einer Wachstumsretardierung um ca. 2 Wochen interpretiert. In der
Nacht vom 17. April 1981 auf den 18. April 1981 war die Mutter der Klägerin wegen
verstärkter Wehen trotz fortlaufender Tokolyse zur Beobachtung im Kreißsaal. Am 18.
April 1981 - Karsamstag- wurde sie nach vorzeitigem Blasensprung um 23.30 Uhr
erneut in den Kreißsaal verlegt, wo die Streithelferin zu 6) als Hebamme Nachtdienst
hatte. Als diensttuende Ärztin war in dieser Nacht für diesen Kreißsaal die Streithelferin
zu 4) eingeteilt. Sie befand sich im dritten Jahr ihrer Facharztausbildung in der
Frauenklinik und war seit ca. sechzehn Monaten in der Geburtshilfe tätig. Bei dem
Kreißsaal der Frauenklinik handelt es sich um eine Funktionseinheit, die unter anderem
aus dem Operations- bzw. Entbindungsraum sowie sog. Wehenzimmern besteht, in
welche Patientinnen verlegt zu werden pflegen, bei denen mit Rücksicht auf ihre Wehen
eine Beobachtung erforderlich ist. In einen solchen Raum wurde die Mutter der Klägerin
gebracht. Bereits bei ihrer Untersuchung auf der Station um 23.15 Uhr war der Abgang
von reichlich klarem Fruchtwasser dokumentiert worden, der sich nach den um 23.30
Uhr von der Streithelferin zu 6) getroffenen Feststellungen fortsetzte. Bezüglich der von
ihr bei der Aufnahme im Kreißssal vorgenommenen vaginalen Untersuchung notierte
die Streithelferin zu 6) ferner: "MM (Muttermund) 3 cm, dünnsaumig. V.T.
(vorangehender Teil) fest i. B.E." (Beckeneingang). An weiteren
Untersuchungsbefunden für diese Nacht findet sich in dem Krankenblatt eine für 5.00
Uhr am Morgen des 19. April 1981 von der Streithelferin zu 6) dokumentierte
Untersuchung, nach der die Patientin angegeben haben soll, stärkere Wehentätigkeit zu
haben. Mit Rücksicht hierauf wurde der Mutter der Klägerin Dolantin spezial injiziert,
wobei die Dosierung zwischen den Parteien streitig ist. Die vaginale Untersuchung
durch die Streithelferin zu 6) ergab zu diesem Zeitpunkt eine Weite des "dünnsaumigen"
Muttermundes von 4- 5 cm, der vorangehende Teil wurde als "fest i. BE." notiert. Für
6.50 Uhr ist in dem Krankenblatt mit der Handschrift der Streithelferin zu 6) eine
Blutdruck-, Puls und Temperaturmessung und die Anlegung eines CTG dokumentiert.
Zuletzt war ein CTG am 18. April 1981 um 6.30 Uhr ebenfalls von der Streithelferin zu 6)
bei dem erstmaligen Aufenthalt der Mutter der Klägerin im Kreißsaal abgeleitet worden.
Ferner trug die Streithelferin zu 6) bezüglich der Untersuchung um 6.50 Uhr "H.T.
(Herztöne) +" ein. Ob um 7.30 Uhr eine weitere vaginale Untersuchung stattgefunden
hat, bei der die Muttermundsweite 5 - 6 cm betrug und der Kopf des Kindes fest im
Beckeneingang war- wie es in der von dem Streithelfer zu 1) in der mündlichen
Verhandlung vom 4. Dezember 1995 zu den Gerichtsakten gereichten Originalakte
dokumentiert ist- ist streitig. In den bis zu der am 4. Dezember 1995 durchgeführten
Beweisaufnahme als alleiniger Beleg des Behandlungsgeschehens bei den
Gerichtsakten befindlichen Fotokopien ist eine um 7.30 Uhr erfolgte Untersuchung nicht
dokumentiert.
4
Um 7.33 Uhr wurde die CTG- Aufzeichnung beendet, wie sich aus dem CTG-
Originalstreifen ergibt. Wer das CTG abschaltete, ist ungeklärt. Um 7.00 Uhr findet
5
üblicherweise der Schichtwechsel zwischen den Hebammen statt. Zum Tagesdienst
war am 19. April 1981 die Streithelferin zu 5) eingeteilt. Bei der von ihr für 8.00 Uhr
dokumentierten Untersuchung war der Muttermund vollständig. Um 8.14 Uhr wurde die
Klägerin spontan aus der II. vorderen Hinterhauptslage geboren. Sie maß bei ihrer
Geburt 38 cm, als Geburtsgewicht wurden in allen Behandlungsunterlagen 1.114 g, als
Apgarwerte- die sich üblichwerweise auf die Zeitpunkte der Geburt sowie jeweils 5 bzw.
10 Minuten danach beziehen- zum Teil "1", zum Teil auch "1-1-1" eingetragen. Die
Klägerin war bei ihrer Geburt schlaff und ohne Spontanatmung, an Vitalitätszeichen war
allein ein Herzschlag festzustellen, dessen Frequenz mit "unter 100" dokumentiert ist.
Zu einem nicht genau feststehenden Zeitpunkt nach der Geburt wurde die Kinderklinik
der Beklagten informiert, die daraufhin ein von einem Arzt geleitetes Team entsandte.
Die Streithelferin zu 4) unternahm eine Reanimation der Klägerin, wobei streitig ist, ob
sie die Klägerin auch intubierte oder ob dies erst durch den herbeigerufenen Pädiater
geschah. In dem Aufnahmebefund der Kinderklinik vom 19. April 1981 ist der Zustand
der Klägerin als "blau, ohne Spontanmotorik, nach Intubation rosig" beschrieben.
Darüber hinaus sind dort "ausgeprägte Ödeme im Bereich der rechten Gesichtshälfte
und des rechten Oberarmes" dokumentiert worden.
Die Klägerin wurde auf der Intensivstation der Kinderklinik wegen eines
Hyalinmebransyndroms (Neugeborenen- Atemnotsyndrom) vom Stadium III apparativ
beatmet. Wegen rezidivierender Atelektasen wurde die Beatmung bis zum 19. Mai 1981
fortgeführt. Danach kam es verschiedentlich noch zu Apnoe- Anfällen. Wegen des
vorzeitigen Blasensprungs sowie des Nachweises von E.- Coli- Bakterien im
Ohrabstrich der Klägerin wurde eine antibiotische bzw. eine Sepsis- Therapie, wegen
einer anfänglichen Hyperbilirubinämie eine Phototherapie durchgeführt. Eine wiederholt
auftretende Neugeborenenanämie machte diverse Transfusionen, das Auftreten
amorpher Neugeborenenkrämpfe eine Luminal- Therapie erforderlich. Am 22. Mai 1981
wurde die Klägerin auf die Neugeborenen- Station der Kinderklinik verlegt, von der sie
am 11. August 1981 in die hausärztliche Behandlung entlassen wurde. Die im
Entlassungsbericht gestellte Diagnose lautete u.a. " leichte Tonus- und
Koordinationsstörungen". Am 4. Januar 1982 wurden nach Feststellung einer totalen
Netzhautablösung links der Glaskörper und die Linse des linken Auges entfernt, was zu
einer Mikrophthalmie links geführt hat.
6
Die Klägerin ist mehrfachbehindert. Sie hat eine Cerebralparese mit spastischer links-
und beinbetonter Tetraplegie, die sie rollstuhlpflichtig macht. In ihrer geistigen
Entwicklung ist sie retardiert. Sie besucht eine Behindertenschule. Nach ihren
Krankenunterlagen liegt ein Anfallsleiden in Form einer Epilepsie vor, die sich nach
einem anfallfreien Intervall erstmals 1984 wieder mit Krämpfen bemerkbar machte. In
den letzten zwei Jahren war die Klägerin anfallfrei.
7
Die Klägerin hält die sie behandelnden Ärzte der Beklagten für ihren Hirnschaden für
verantwortlich. Nachdem ihre Eltern mit Anwaltsschreiben vom 26. August 1985
erfolglos gegenüber der Beklagten Behandlungsfehler angemahnt und
Schadensersatzansprüche geltend gemacht hatten, hat die Klägerin am 25. Februar
1987 Klage bei dem Landgericht Köln eingereicht, welche der Beklagten am 12. Juni
1987 zugestellt worden ist. Unter dem 3. Oktober 1985 hatte die Beklagte der Klägerin
die sie betreffenden Krankenunterlagen in Fotokopie zugesandt.
8
Die Klägerin hat den Ärzten der Beklagten eine Reihe von Versäumnissen vorgeworfen.
Unter anderem hat sie behauptet, es seien unzureichende Maßnahmen zur
9
Verhinderung einer Frühgeburt getroffen worden. Auch sei die Geburtsleitung
unzureichend gewesen. Es hätte frühzeitig ein Arzt hinzugezogen, zumal nach dem
Blasensprung medizinisch die Frage einer Sectio hätte abgeklärt werden müssen. Wäre
die Mutter der Klägerin darüber aufgeklärt worden, so hat die Klägerin behauptet, daß
die Sectio eine echte Alternative mit wesentlich besseren Überlebenschancen für das
Kind gewesen wäre, hätte sie im Interesse des Kindes die mit der Sectio für sie
verbundenen Risiken bereitwillig in Kauf genommen. Mit fortschreitendem
Geburtsfortgang hätte auch ein Dammschnitt erwogen werden müssen, um die
Austreibungsphase zu beschleunigen und zu erleichtern. Die Überwachung der Geburt
mit Hilfe des CTG sei in zu geringem Umfang erfolgt. Die am Morgen vor ihrer Geburt
um 5.00 Uhr erfolgte Verabreichung von Dolantin Spezial sei kontraindiziert gewesen,
da Dolantingaben bei Frühgeborenen die Gefahr von Atemdepressionen verursachten.
Zudem sei die Dosis überhöht gewesen; ursprünglich sei in den Krankenakten die
injizierte Menge mit 150 mg angegeben gewesen; diese sei auch tatsächlich verabreicht
worden, wie sich daran zeige, daß ihre Mutter anschließend eingeschlafen sei.
Offensichtlich habe man sich in der Frauenklinik der Beklagten auf eine Totgeburt
eingestellt und deshalb ein möglichst schadensfreies Überleben der Klägerin nicht
gesichert. Auch die Reanimationsmaßnahmen nach ihrer Geburt seien unzureichend
gewesen; dies zeige sich daran, daß der Apgar- Wert auch noch nach zehn Minuten
konstant bei 1 blieb. Die bei ihr von den Kinderklinikern festgestellten Hämatome und
Ödeme seien, so hat die Klägerin weiter vorgetragen, entweder durch den
Geburtsvorgang selbst infolge fehlerhafter Maßnahmen, wie etwa den Verzicht auf eine
Episiotomie, oder auch durch einen Sturz von der Waage bedingt. Ein solcher sei als
klinischer Befund in den unter dem 22. Mai 1981 erstellten Unterlagen der Kinderklinik
vermerkt. Auf einen solchen Sturz- eventuell auch in der Kinderklinik- deuteten die die
chemischen Untersuchungen der Liquor- und der Gehirnflüssigkeit am 19. April und 18.
Mai 1981 hin, die jeweils stark xanthochrome Befunde enthielten und damit auf eine
Hirnblutung hindeuteten. Die Klägerin hat im übrigen weitere Behandlungsfehler
während ihrer stationären Behandlung in der Kinderklinik behauptet und unter anderem
den Verlust ihres Sehvermögens auf dem linken Auge dem dortigen
Behandlungspersonal angelastet.
Seit dem Ende ihres ersten Lebensjahres, so hat die Klägerin vorgetragen, falle bei ihr
ein schädigungsbedingter Pflege- Mehraufwand von monatlich mindestens 1.800,- DM
an, den sie bis zum 31. Dezember 1986 mit dem Klageanatrag zu 1) geltend gemacht
hat.
10
Die Klägerin hat beantragt,
11
##blob##nbsp;
12
##blob##nbsp;
13
1) die Beklagte zu verurteilen,
14
##blob##nbsp;
15
##blob##nbsp;
16
an sie zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter 100.800,- DM nebst 4 % Zinsen seit
Klagezustellung zu zahlen,
17
##blob##nbsp;
18
##blob##nbsp;
19
2) an sie zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter ab 1. Januar 1987 eine monatliche
Mehrbedarfsrente von z.Z. 1.800,- DM abzüglich der von
Sozialversicherungsträgern als Pflegegeld geleisteten Beiträge zu zahlen,
20
##blob##nbsp;
21
##blob##nbsp;
22
3) an sie zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter ein angemessenes, der Höhe nach
in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld , mindestens jedoch
100.000,- , nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen,
23
##blob##nbsp;
24
##blob##nbsp;
25
4) festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen weiteren Schaden zu
ersetzen, der ihr anläßlich des stationären Aufenthalts ihrer Mutter vom 12. April
1981 bis zu ihrer Geburt am 19. April 1981 und anläßlich ihrer Geburt am 19. April
1981 in der Frauenklinik der Beklagten sowie anläßlich ihres stationären
Aufenthaltes vom 19. April bis 11. August 1981 in der Kinderklinik der Beklagten
entstanden sei und noch entstehen werde, soweit solche Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien oder noch
übergehen.
26
Die Beklagte und die Streithelfer haben beantragt,
27
##blob##nbsp;
28
##blob##nbsp;
29
die Klage abzuweisen.
30
##blob##nbsp;
31
##blob##nbsp;
32
##blob##nbsp;
33
Die Beklagte hat die Vorwürfe der Klägerin zurückgewiesen und vorgetragen, die der
Mutter der Klägerin zuteil gewordene Behandlung habe dem im Jahre 1981
herrschenden medizinischen Standard entsprochen. Nach dem vorzeitigen
Blasensprung sei die Überwachung der Mutter der Klägerin durch die Streithelferin zu 6)
mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgt. Zu häufigeren Untersuchungen habe angesichts
der regelrecht verlaufenden Eröffnungs- und Austreibungsperiode kein Anlaß
bestanden. Um 5.00 Uhr sei wegen der Schmerzäußerungen der Patientin Dolantin in
34
einer Dosis von 50mg injiziert worden. Die ständige Anwesenheit eines Arztes sei nicht
erforderlich gewesen. Die ärztliche Versorgung sei an jenem Osterwochenede im
übrigen gewährleistet gewesen: Für Nacht- und Feiertagsdienste stünden vier Ärzte
einschließlich des Oberarztes jederzeit zur Verfügung. 1981 habe allerdings ein
Blasensprung in der 26./27. Schwangerschaftswoche als Grenzfall bezüglich des
Überlebens eines als hochgradig unreif anzusehenden Neugeborenen gegolten.
Aufgrund der Ultraschalluntersuchung vom 16. April 1981 sei von einem Gewicht der
Klägerin von ca. 935g als Mittel zwischen 700 g und 1350g auszugehen gewesen.
Tatsächlich habe das Geburtsgewicht der Klägerin auch nicht 1140g, sondern 200 bis
300g weniger betragen, weil der Infusionskatheter und das Intubationsgerät mitgewogen
worden seien. Die damals medizinisch möglichen Intensivmaßnahmen am
Neugeborenen seien mit den heutigen nicht vergleichbar. Eine abdominale
Schnittentbindung in der 26./27. Schwangerschaftswoche habe 1981 wegen der
schlechten Prognose kein übliches Geburtsmanagement dargestellt. Die Entscheidung,
ob auf vaginalem oder auf abdominalem Wege entbunden werden solle, sei 1981
weitgehend von dem CTG abhängig gemacht worden, welches indes bei der Klägerin
keine pathologischen Auffälligkeiten gezeigt habe. Eine Episiotomie hätte den
Geburtsvorgang nicht beschleunigen können. Bei der Geburt der Klägerin seien sowohl
die Streithelferin zu 5) als auch die Streithelferin zu 4) anwesend gewesen. Unmittelbar
nach ihrer Geburt sei die Klägerin in wärmende Tücher gewickelt und zur
Reanimationseinheit gebracht worden, wo die Streithelferin zu 4) sie reanimiert habe.
Jeder diensthabende Arzt im Kreißsaal der Frauenklinik beherrsche die
Reanimationstechniken sowohl bei reifen als auch bei unreifen Neugeborenen. Einen
Sturz von der Waage habe es nicht gegeben. Die Blutgefäße Frühgeborener seien sehr
vulnerabel, so daß es schon auf geringen Druck zu Blutungen komme könne. Während
des Geburtsvorganges sei das Kind dem Druck des Geburtskanals ausgesetzt, was die
Hämatome bei der Klägerin erkläre. Auch die Tetraplegie der Klägerin sei hierbei durch
eine Blutung aus den vulnerablen Hirngefäßen in das benachbarte Gewebe verursacht
worden. Der schlechte Zustand der Klägerin trotz sofort durchgeführter
Intensivmaßnahmen (Intubation und Beatmung) müsse im Zusammenhang mit der
hochgradigen Unreife insbesondere des kardiopulmonalen Systems des Kindes
gesehen werden. Auch die weitere Behandlung der Klägerin sei lege artis verlaufen.
Vorsorglich hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben und darüber hinaus
die Ansprüche der Klägerin auch der Höhe nach bestritten.
Die Streithelfer haben sich dem Vorbringen der Beklagten angeschlossen und im
übrigen ihre Verantwortlichkeit jeweils verneint. Der Streithelfer zu 1) hat unter anderem
vorgetragen, die Mutter der Klägerin sei von der Streithelferin zu 4) über beide
Geburtsmodi aufgeklärt worden; gleiches gelte für die anderen Ärzte, die in den Tagen
zuvor die Mutter der Klägerin behandelten.
35
Nach 7.30 Uhr sei eine Not- Sectio nicht mehr möglich gewesen, weil der kindliche Kopf
bereits tief in den Geburtskanal eingetreten gewesen sei. Er hat - ebenso wie die
Streithelfer zu 2) und 4) - ferner vorgetragen, daß ein Pädiater zu der Geburt nicht
hinzugerufen worden sei, weil die Austreibungsperiode einen unerwartet raschen
Verlauf genommen habe.
36
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines pädiatrischen Gutachtens
des Sachverständigen Prof. Dr. von H. und eines gynäkologischen Gutachtens des
Sachverständigen Dr. M. sowie durch Vernehmung der Streithelferinnen zu 4) und 5) als
Zeuginnen.
37
Durch Teil- und Grund- Urteil vom 24. November 1992 hat das Landgericht die Klage
hinsichtlich der Anträge zu 1), 2) und 3) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt,
soweit der materielle Schaden der Klägerin auf den frühkindlichen Hirnschaden
zurückzuführen ist. Darüber hinaus hat es festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist,
der Klägerin allen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund des am 19. April 1981
unter der Geburt erlittenen Hirnschadens entstanden ist und noch entstehen wird, soweit
nicht die Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen
sind. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat sich auf den
Standpunkt gestellt, daß die Beklagte der Klägerin für den ihr entstandenen
Hirnschaden sowohl nach Vertrags- als auch nach deliktischem Schadensersatzrecht
aufzukommen habe, weil es den behandelnden Ärzten der Beklagten bzw. dem
Streithelfer zu 1) als dem für die Klinikorganisation verantwortlichen Leiter - für deren
Verschulden die Beklagte aufzukommen habe- als Organisationsfehler anzulasten sei,
daß die Geburt der Klägerin nicht - wie in solchen Risikofällen erforderlich- von einem
Facharzt geleitet wurde, der die Klägerin hätte fachgerecht reanimieren und ihr die für
Frühgeborene erforderliche spezielle Erstversorgung hätte zukommen lassen können.
Die Tatsache, daß die Geburtsleitung in die Hände der - wie sich bei der
Zeugenvernehmung ergeben habe- noch in der Facharztausbildung befindlichen
Streithelferin zu 4), weitgehend sogar lediglich in die Hände einer Hebamme gelangt
sei, stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Da dieser als solcher geeignet gewesen
sei, den Hirnschaden der Klägerin herbeizuführen, komme der Klägerin eine
Beweislastumkehr zugute mit der Folge, daß von einer Ursächlichkeit auszugehen sei.
Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung hat das Landgericht für nicht
durchgreifend erachtet. Hinsichtlich der Höhe hat es das Klagebegehren für noch nicht
entscheidungsreif gehalten. Als unbegründet hat das Landgericht die Klage
abgewiesen, soweit die Klägerin mit ihr Ersatz für solchen materiellen bzw.
immateriellen Schaden begehrt hat, der nicht auf den frühkindlichen Hirnschaden
zurückzuführen ist, was insbesondere für die Netzhautablösung gelte. Mit einem
zugleich mit dem Grund- und Teilurteil verkündeten Beweisbeschluß hat das
Landgericht Beweiserhebung mit Rücksicht auf die Höhe der Klageforderung
angeordnet. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bl. 581- 592 d.A. sowie den
Beweisbeschluß Bl. 606 d.A. verwiesen.
38
Gegen dieses ihr am 20. Januar 1993 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Sonntag,
den 21. Februar 1993 Berufung eingelegt und ihr Rechtmsittel mit einem am Montag,
den 24. Mai 1993 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die
Berufungsbegründungsfrist auf ihren Antrag bis zum 22. Mai 1993 verlängert worden
war. Die Streithelfer zu 1) und 5) haben ebenfalls form- und fristgerecht Berufung
eingelegt und ihre Rechtsmittel jeweils in prozeßordnungsgemäßer Weise begründet.
Die Streithelfer zu 2), 3) und 4) haben sich dem Berufungsvorbringen der Beklagten
angeschlossen. Die Streithelferin zu 6) hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.
39
Die Beklagte und die Streithelfer zu 1) bis 5) machen geltend, daß das Landgericht mit
dem Hinweis auf die fehlende Qualifikation der Streithelferin zu 4) eine
Überraschungsentscheidung getroffen und verfahrensfehlerhaft entgegenstehende
Beweisanträge übergangen habe. Die Streithelferin zu 4) sei keineswegs in der
Geburtshilfe unerfahren gewesen. Sie habe bereits vor der Geburt der Klägerin eine
Vielzahl von Geburten einschließlich Risikogeburten verantwortlich geleitet. In dem
angefochtenen Urteil sei auch in keiner Weise dargetan, was denn ein Facharzt anders
als die Streithelferin zu 4) hätte tun können. Die Streithelferin zu 4) habe die Klägerin
40
sofort nach der Abnabelung intubiert. 1981 habe es an der Universität noch keine
Kinderärzte gegeben, die in der Behandlung extrem unreifer Kinder erfahrener gewesen
wären als die Ärzte der Universitäts- Frauenklinik. Das Vorgehen der Ärztin sei zudem
sachgerecht gewesen. Es habe auch kein Anlaß bestanden, an eine überstürzte Geburt
zu denken. Um 7.30 Uhr sei der Muttermund erst um 5 bis 6 cm geöffnet und der Kopf
noch fest im Geburtskanal gewesen, so daß davon auszugehen gewesen sei, daß die
Geburt noch Stunden dauern werde. Darüber hinaus fehle es am
Ursachenzusammenhang zwischen angeblichen Behnadlungsfehlern und dem
eingetretenen Schaden. Dieser sei allein auf die mangelhafte Lungenfunktion infolge
der Lungenunreife zurückzuführen, was medizinisch nicht hätte beeinflußt werden
können. Der Druck des Geburtskanals sei für die späteren Gesundheitsschäden der
Klägerin ohne, allenfalls von minimaler Bedeutung, weil der Kopf der Klägerin noch so
klein gewesen sei, daß der den Geburtskanal schnell und ohne Druckeinwirkung habe
passieren können. Im übrigen haben die Beklagte und die Streithelfer erneut vorsorglich
die Einrede der Verjährung erhoben.
Die Beklagte und die Streithelfer zu 1) bis 5) beantragen,
41
##blob##nbsp;
42
##blob##nbsp;
43
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,
44
##blob##nbsp;
45
##blob##nbsp;
46
hilfsweise,
47
##blob##nbsp;
48
##blob##nbsp;
49
der Beklagten Vollstreckungsschutz zu gewähren und ihr zu gestatten, erforderliche
Sicherheit auch durch Bürgschaft einer bundesdeutschen Großbank oder
öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
50
Die Klägerin beantragt,
51
##blob##nbsp;
52
##blob##nbsp;
53
die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
54
Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Beklagten und ihrer Streithelfer entgegen und
verteidigt das erstinstanzliche Urteil, indem sie ihr erstinstanzliches Vorbringen zum Teil
vertieft.
55
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß seinen Beweisbeschlüssen vom 10. November
56
1993 (Bl. 766- 768), 13. Juli 1995 (Bl. 1040- 1042), 17. Januar 1996 (Bl. 1079- 1081)
und 22. April 1996 (Bl. 1185) durch Einholung von Sachverständigengutachten sowie
durch Vernehmung der Streithelferinnen zu 4) und 5) als Zeuginnen. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten der
Sachverständigen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. S. vom 29. November 1994 (Bl. 808- 820),
das Protokoll der Beweisaufnahme vom 4. Dezember 1995 (Bl. 1052- 1067), das
schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sc. vom 26. Februar 1996 (Bl.
1096-1117) sowie das Protokoll über die mündlichen Erläuterungen dieses Gutachtens
in der Sitzung vom 12. Juni 1996 (Bl. 1190- 1196) verwiesen.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
57
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
58
Die Berufung der Beklagten und ihrer Streithelfer zu 1) und 5) ist zulässig, insbesondere
ist sie frist- und formgerecht eingelegt und in der rechten Weise begründet worden. In
der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
59
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht eine Einstandspflicht der Beklagten für den
frühkindlichen Hirnschaden der Klägerin bejaht und in verfahrensrechtlich zulässiger
Weise insoweit durch Grund- und Teilurteil (soweit es das Feststellungsbegehren der
Klägerin betrifft) entschieden, §§ 301, 304 ZPO. Die gleichfalls im Wege des Teilurteils
erfolgte Klageabweisung, welche die nicht durch den Hirnschaden bedingten weiteren
Schädigungen der Klägerin - wie insbesondere die Netzhautablösung - betrifft, ist von
der Klägerin nicht angefochten und somit nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens
geworden.
60
Auch nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme
ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Schadensersatz zu leisten, weil ihre mit der
Geburtsvorbereitung und der Leitung der Geburt der Klägerin befaßten Ärzte ihre
Pflichten aus dem Behandlungsvertrag verletzt haben und die Beklagte für den bei der
Klägerin eingetretenen frühkindlichen Hirnschaden nach den für grobe
Behandlungsfehler entwickelten Grundsätzen einzustehen hat. Die Haftung für
materielle Schäden gründet sich zum einen auf vertragliche Ansprüche wegen sog.
positiver Vertragsverletzung in Verbindung mit §§ 31, 89 bzw. 278 BGB, zum anderen
auf §§ 823, 831 BGB in Verbindung mit §3 31, 89 BGB. Ein Anspruch auf Ersatz
immaterieller Schäden besteht nach § 847 BGB in Verbindung mit den vorbezeichneten
Zurechnungsnormen. Der zwischen der Mutter der Klägerin und der Beklagten
zustandegekommene Behandlungsvertrag entfaltete Schutzwirkung auch zugunsten der
Klägerin mit der Folge einer unmittelbaren vertraglichen Haftung der Beklagten
gegenüber der Klägerin für schuldhaft verursachte Schäden (BGH NJW 1989, 1541). Mit
der Vollendung der Geburt steht der Klägerin ein deliktischer Schadensersatzanspruch
auch wegen solcher Gesundheitsschäden zu, die ihr noch im Mutterleib zugefügt
wurden (BGH NJW 1989, 1539). Die von der Beklagten erhobene Einrede der
Verjährung greift gegenüber den deliktischen Schadensersatzansprüchen nicht durch.
61
I.)
62
Im Zusammenhang mit der Leitung der Geburt der Klägerin und ihrer Versorgung
unmittelbar nach der Geburt sind den Ärzten der Frauenklinik der Beklagten
63
schwerwiegende Organisations- und Behandlungsfehler unterlaufen. Dabei kann
dahinstehen, ob im Jahre 1981 zumindest an geburtshilflichen Zentren- wie es die
Frauenklinik der Beklagten zweifellos ist und war- eine primäre Sectio bereits die
Methode der Wahl bei extrem kleinen Frühgeborenen war oder ob nach den
seinerzeitigen Erkenntnissen die vaginale Entbindungsmethode wegen des damals bei
Kaiserschnitt als erheblich höher eingeschätzten Mortalitätsrisikos als vorzugswürdig
galt, wie die Sachverständigen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. S. in ihrem Gutachten vom 29.
November 1994 ausgeführt haben. Ebenso kann dahinstehen, ob im Jahre 1981 die von
dem erstinstanzlich bestellten Sachverständigen Dr. M. erhobenen Anforderungen an
eine vaginale Entbindung sehr kleiner Frühgeborener - als da sind: Periduralanästhesie,
breite Episiotomie und Einlage eines Spiegels, um eine Traumatisierung insbesondere
des kindlichen Schädels zu verhindern- Allgemeingut an den mit der Frauenklinik der
Beklagten vergleichbaren Zentren war oder ob diese Forderungen auf die F. Schule, der
der Sachverständige Dr. M. angehörte, beschränkt waren und sind.
Jedenfalls entsprach es bei weitem nicht dem geburtshilflichen Standard einer
Universitätsklinik, die sich als Risikogeburt ankündigende Geburt der Klägerin wie eine
durchschnittliche Geburt ohne jegliche Anweisungen der noch in der
Facharztausbildung befindlichen, mit Entbindungen vergleichbar kleiner Frühgeborener
und deren postpartaler Versorgung noch nicht verantwortlich betraut gewesenen
Streithelferin zu 4) und einer Hebamme anzuvertrauen; denn dies hatte- ungeachtet der
sachverständigerseits nicht abschließend geklärten Frage, ob das Geburtsmanagement
nicht auch aus anderen Gründen fehlerhaft war, zumindest zur Folge, daß der schwer
apshyktische Zustand der Klägerin bei ihrer Entbindung über einen Zeitraum von
mindestens 10 Minuten prolongiert wurde.
64
1) Wie die Vernehmung der Streithelferin zu 4), Frau Dr. Re., als Zeugin durch den
Senat ergeben hat, ist eine sach- und fachgerechte Reanimation der Klägerin durch
Intubation nicht vor Ablauf von mindestens 10 Minuten nach ihrer Geburt erfolgt. Frau Dr.
Re. hat eingeräumt, daß es ihr bis zum Eintreffen der Kinderkliniker nicht gelungen sei,
die Klägerin erfolgreich zu intubieren; sie habe vielmehr zunächst versucht, der Klägerin
Sauerstoff im Wege der "Bebeutelung" zuzuführen, und sodann den Versuch
unternommen, die Klägerin zu intubieren. Dies habe sich allerdings unter den
gegebenen Bedingungen - ebenso wie bereits die Beatmung mit dem Beutel- schwierig
gestaltet, so daß die Ärztin zu dem Zeitpunkt, als die hinzugeholten Pädiater
erschienen, erst soweit war, den Tubus zu schieben und die Reanimation von den
Kinderklinikern übernommen wurde. Hieraus wird im Gegensatz zu der unbestimmten
erstinstanzlichen Aussage, bei der Frau Dr. Re. noch angegeben hatte, sie habe die
Klägerin intubiert, deutlich, daß die Reanimationsbemühungen bis zu dem Eintreffen der
Kinderkliniker im bloßen Versuch stecken geblieben waren und der asphyktische
Zustand der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt angedauert hatte. Daran, daß die
Streithelferin zu 4) bei ihrer Vernehmung durch den Senat die Umstände der
Reanimation der Klägerin insoweit glaubhaft geschildert hat, besteht für den Senat kein
Zweifel. Die Streithelferin zu 4) hatte zum einen nach ihrer eigenen Darstellung noch
recht deutliche Erinnerungen an die Geburt der Klägerin; zum anderen kann
vorausgesetzt werden, daß die Streithelferin zu 4) nicht unnötig Belastendes geschildert
haben wird. Bestätigt wird ihre Aussage durch den in dem Aufnahmebogen der
Kinderklinik vom 19. April 1981 enthaltenen Befund: "Nach Intubation rosig", sowie
durch die Dokumentation in dem für diesen Tag erstellten Verlaufsbogen der
Kinderklinik: "von Dr. N. intubiert... , daraufhin rosig".
65
Die hierzu im Gegensatz stehende Bekundung der Streithelferin zu 5), Frau Dr. Re.
habe die Klägerin "sofort intubiert", kann deshalb nicht den Tatsachen entsprechen,
wobei dahinstehen mag, ob die Streithelferin zu 5) insoweit von ihrem
Erinnerungsvermögen im Stich gelassen worden ist oder ob ihre Bekundung auch
subjektiv unwahr war.
66
Wie der Sachverständige Prof. Dr. Sc., von dessen hoher fachlicher Qualifikation sich
der Senat bereits wiederholt in früheren Prozessen hat überzeugen können, verdeutlicht
hat, hat die von Frau Dr. Re. vorgenommene Bebeutelung der Klägerin keinen Vorteil
gebracht. Darüber hinaus war es auch verfehlt, die Bebeutelung über einen so langen
Zeitraum - die Streithelferin zu 4) hat ihn auf ca. zehn Minuten geschätzt- zu
unternehmen. Zulässig ist nach Prof. Dr. Sc.s Darlegungen allenfalls eine Bebeutelung
von ein bis zwei Minuten. Richtigerweise hätte zudem zunächst der oberflächlich
erkennbare Schleim abgesaugt werden müssen, bevor mit der Bebeutelung begonnen
wurde. Daß dies geschehen sei, hat die Streithelferin zu 4) nicht bekundet und ergibt
sich auch nicht aus den Dokumentationen.
67
Der schwer asphyktische Zustand der Klägerin hat infolgedessen mindestens zehn
Minuten, keinesfalls weniger, über die Geburt hinaus angedauert. Dies folgert der Senat
zum einen aus der ebenfalls ohne weiteres glaubhaften Bekundung der Streithelferin zu
4), sie habe sich bis zu dem Erscheinen der Kinderkliniker schätzungsweise ca. zehn
Minuten mit der Klägerin beschäftigt. Die gleiche Einschätzung hatte Frau Dr. Re.
bereits bei ihrer Aussage vor dem Landgericht geäußert. Hiermit steht in Einklang, daß
die Streithelferin zu 5) in dem Neugeborenen- Formblatt den dritten Apgar- Wert, der 10
Minuten nach der Geburt vergeben zu werden pflegt, ebenso mit "1" angegeben hat wie
die beiden ersten, unmittelbar nach der Geburt bzw. fünf Minuten danach,
festzustellenden Werte. Die Vorbehalte, die die Streithelferin zu 5) insoweit bei ihrer
Vernehmung gemacht hat- daß nämlich von ihr lediglich der erste Wert festgestellt
worden sei, während es sich bei den übrigen Apgar- Benotungen, auch hinsichtlich des
Zeitpunktes, nur um unmaßgebliche schätzungen gehandelt habe-, vermag diese
Beurteilung nicht in Frage zu stellen. Es kann im Gegenteil aus den Bekundungen von
Frau Dr. Re. und den Befunden der Kinderkliniker darauf geschlossen werden, daß die
damaligen Eintragungen der Streithelferin zu 5) zu den Apgar- Werten auf zutreffenden-
wenn auch nachträglich vorgenommenen- schätzungen beruhten.
68
Die Tatsache, daß es der Streithelferin zu 4) über die Dauer von ca. zehn Minuten nicht
gelungen ist, die Klägerin sachgerecht zu reanimieren, stellt objektiv einen
Behandlungsfehler, gegebenenfalls auch ein Übernahmeverschulden der Streithelferin
zu 4) dar, da ihr bekannt war, daß sie ein Frühgeborenes in der 28.
Schwangerschaftswoche noch nicht reanimiert hatte und ihr die Schwierigkeit der
Intubation bei solch extrem kleiner Kindern hätte bekannt sein müssen. Von daher hätte
sie selbst frühzeitiger die Kinderklinik oder den angeblich dienstbereiten Oberarzt rufen
müssen, der nach der Darstellung der Beklagtenseite zu einer fachgerechten
Reanimation in der Lage gewesen sein soll.
69
Der Einwand, man sei von der Geburt überrascht worden, verschlägt nicht. Zum einen
wäre um 8.00 Uhr, als die Streithelferin zu 5) festgestellt hatte, daß der Muttermund
vollständig eröffnet war, noch Zeit gewesen, die Kinderkliniker rechtzeitig herbeizurufen,
die - wie der Sachverständige Prof. Dr. Sc. in der mündlichen Verhandlung am 12. Juni
996 erläutert hat- rund zehn Minuten gebraucht haben werden, bis sie nach ihrer
Benachrichtigung im Kreißsaal waren. Zweifelhaft kann insofern allenfalls sein, ob die
70
Streithelferin zu 4) tatsächlich unmittelbar nach 8.00 Uhr durch die Streithelferin zu 5)
von dem Stand der Geburt unterrichtet worden war- ihre Aussage, sie sei
hinzugekommen, als das Kind "quasi aus der Vulva herausgetreten" sei, könnte dafür
sprechen, daß bis dahin noch einige Minuten verstrichen waren.
Die von der Beklagtenseite bemühte Dokumentation für 7.30 Uhr, wonach um diese Zeit
der Muttermund erst auf 5 bis 6 cm eröffnet und der Kopf des Kindes "fest i. BE"
(Beckeineingang) gewesen sein soll, ist nicht geeignet, das Argument der
überraschenden Geburt zu stützen. Eine Untersuchung zu diesem Zeitpunkt hat
tatsächlich nicht stattgefunden. Die in der Original- Krankenakte der Frauenklinik
enthaltene Eintragung ist offensichtlich nachträglich, nach der Aussage der Streithelferin
zu 4) zudem von einer an dem Geburtsvorgang nicht beteiligten Person, hinzugefügt
worden. Bis zur Berufungsbegründung des Streithelfers zu 1), dessen
Prozeßbevollmächtigter in der Sitzung vom 4. Dezember 1995 das Original-
Krankenblatt erstmals zu den Gerichtsakten gereicht hat, war von einer Untersuchung
der Mutter der Klägerin um 7.30 Uhr nie die Rede, vielmehr wurde auch von der
Beklagtenseite stets vorgetragen, die Hebammen- zunächst die Streithelferin zu 6),
dann die Streithelferin zu 5)- hätten um 23.30 Uhr, um 5.00 Uhr , um 6.50 Uhr und um
8.00 Uhr Untersuchungen vorgenommen (vgl. u.a. den Schriftsatz der Beklagten vom
14. September 1987, Bl. 80 d.A.). Dies stimmt mit dem Inhalt der bis zum 4. Dezember
1995 einzig bei den Gerichtsakten befindlichen Fotokopie des Krankenblattes überein,
auf welcher ersichtlich ist, daß die Streithelferin zu 6) um 6.50 Uhr den Blutdruck , den
Puls und die Temperatur der Mutter der Klägerin gemessen, ein CTG angelegt und
Herztöne der Klägerin festgestellt hat. Die in der linken Spalte des Original-
Krankenblattes enthaltene Eintragung "7.30" ist auf der Fotokopie ebenso wenig
abgelichtet wie der in der rechten Spalte notierte Befund , der auch ganz offensichtlich
weder von der Hand der Streithelferin zu 6) noch von der Streithelferin zu 5) stammt. Die
Streithelferin zu 4) kommt als Urheberin ebenfalls nicht in Frage. Der Gedanke, daß
diese Dokumentation bei der Ablichtung der Krankenunterlagen abgedeckt worden sein
könnte, ist zu verwerfen, da in diesem Fall zumindest Teile der Uhrzeit- Eintragung auf
der Fotokopie hätten ersichtlich sein müssen, was indes nicht der Fall ist.
71
Hatte aber die letzte vaginale Untersuchung der Mutter der Klägerin durch die
Streithelferin zu 6) um 5.00 Uhr stattgefunden, könnte sich das Argument der
überraschenden Geburt sogar gegen die Beklagte umkehren: Ein Zeitraum von
immerhin drei Stunden erscheint als Untersuchungsintervall bei einer Frühgeburt wie
hier reichlich lang.
72
2) Daß es zu den unsachgemäßen Reanimationsmaßnahmen der Streithelferin zu 4)
kommen konnte, ist zumindest zu einem ganz erheblichen Teil- über die Quote im
Innenverhältnis der Streithelfer braucht hier nicht entschieden zu werden- auf
Organisationsfehler zurückzuführen, wobei in diesem Prozeß ebenfalls nicht
entschieden zu werden braucht, inwieweit dieser Vorwurf den Streithelfer zu 1) oder
einen seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Amt treffen würde. Es entsprach
nicht dem medizinischen Standard an deutschen Universitäten im Jahre 1981, eine
Risikogeburt verantwortlich in die Hände einer noch in der Facharztausbildung
befindlichen Ärztin zu legen; zumindest hätten nach den in der Frauenklinik der
Beklagten üblichen Gepflogenheiten konkrete Direktiven an den diensthabenden Arzt
für den Fall des vorzeitgen Blasensprunges bei der Mutter der Klägerin in den
Krankenakten niedergelegt bzw. auf sonstige Weise existent sein müssen.
73
Bei der Frühgeburt eines Kindes in der 28. Schwangerschaftswoche handelt es sich um
ein erhebliches Risiko für das Kind, welches eine besondere ärztliche Fürsorge
erfordert. Dazu gehören einmal während des Geburtsvorganges - abhängig von den
Gegebenheiten des Einzelfalles- geburtshilfliche Kontroll- und
Unterstützungsmaßnahmen, wobei hier offen bleiben kann, inwieweit solche
Maßnahmen- wie etwa eine Fortschreibung des CTG über 7.33 Uhr hinaus oder eine
Episiotomie zwecks erleichterten Austretens des Köpfchens- bei der Geburt der Klägerin
erforderlich gewesen wären, um ein möglichst schadensfreies Überleben der Klägerin
zu ermöglichen. Zum anderen ist für eine fachkundige postpartale Betreuung zu sorgen,
weil es, wie der Sachverständige Prof. Dr. Sc. in seinem schriftlichen Gutachten vom 26.
Februar 1996 einleuchtend ausgeführt hat, bei Frühgeborenen entscheidend darauf
ankommt, durch eine sofortige und effiziente- d.h. innerhalb weniger Minuten
einsetzende- Reanimation die aus der Unreife resultierenden Anpassungs- und
Versorgungsstörungen auszugleichen, die ohne eine solche Atem- und
Kreislaufunterstützung zu irreversiblen HirnSchädigungen führen können. Ein geübter
Praktiker ist, wie Prof. Dr. Sc. bei seiner mündlichen Anhörung durch den Senat
verdeutlicht hat, auf Anhieb in der Lage, ein unreifes Frühgeborenes wie die Klägerin zu
intubieren; wenn alle Geräte vollständig seien, dauere es bis zum Einsetzen einer
effizienten Reanimation nur Sekunden, maximal eine Minute.
74
Die Zusammenhänge zwischen den Mechanismen, die zu Versorgungsstörungen des
kindlichen Gehirns vor und während der Geburt führen, und der unabweisbaren
Notwendigkeit einer innerhalb weniger Minuten erfolgreich einsetzenden Atemhilfe bei
Kindern mit einem Apgarwert 1 waren den überzeugenden Darlegungen Prof. Dr. Sc.s
in seinem schriftlichen Gutachten zufolge bereits in den 70iger Jahren in zahlreichen
wissenschaftlichen Veröffentlichungen diskutiert worden und jedenfalls an deutschen
Universitäts-Frauen- und Kinderkliniken als bekannt vorauszusetzen. Die Dringlichkeit
einer effizienten Atemhilfe bei einem Kind mit den Apgarwerten 1 sei im übrigen, so hat
der Sachverständige weiter in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, auch aus den
Lehrbüchern und Monographien hervorgegangen, die für das Jahr 1981 in Deutschland
und in allen zivilisierten, medizinisch entwickelten Ländern Gültigkeit gehabt hätten.
Wenn sich hieraus nach Auffassung Prof. Sc.s auch wohl bis heute nicht die prinzipielle
Forderung ableiten lasse, zu jeder Risikogeburt einen Pädiater und einen geschultenn
Neonatologen hinzuzuziehen, so erfordere aber die unabdingbare Indikation zur
sofortigen, d.h. innerhalb weniger Minuten erfolgreich einsetzenden Atemhilfe den
Einsatz eines in der Reanimation unreifer Frühgeborener versierten Geburtshelfers; nur
dann sei es erlaubt, auf die Hinzuziehung eines Pädiaters zu verzichten, wobei auch
berücksichtigt werden müsse, daß der Geburtshelfer im Einzelfall durch eine gleichzeitig
notwendig werdende Versorgung von Mutter und Kind überfordert sein könne.
Entsprechende Einsichten haben nach Prof. Sc.s überzeugenden Darlegungen bereits
1981 an den deutschen Universitätskliniken geherrscht und ihrem Standard
entsprochen. Zwischenzeitlich seien insoweit keine neuen wissenschaftlichen
Erkenntnisse gesammelt worden, sondern lediglich dieser Standard weitgehend bis in
alle Bereiche der Geburtshilfe, auch in kleinere Abteilungen, gedrungen.
75
Der von den Sachverständigen Prof. G. und Prof. S. in ihrem Gutachten vom 29.11.1994
vertretenen Auffassung, die Geburtsleitung bei der Geburt der Klägerin habe dem
medizinischen Standard an deutschen Universitäten entsprochen, ist Prof. Dr. Sc., der
sich ansonsten bei der Beurteilung geburtshilflicher Vorgänge zurückhält, entschieden
entgegengetreten. Der Senat hält seine Kritik an dem Gutachten der Sachverständigen
Prof.G. und Prof. S. für berechtigt. Dieses Gutachten geht bereits insofern von
76
unzutreffenden Voraussetzungen aus, als die generelle Aussage , es habe sich im
Jahre 1981 bei einer Schwangerschaftsbeendigung vor der 29.
Schwangerschaftswoche rechtlich um einen Spätabort gehandelt, nicht haltbar ist, weil
sie in Widerspruch zu § 29 der Verordnung zur Ausführung des
Personenstandsgesetzes vom 25. Februar 1977 steht. Die Tatsache, daß die Mutter der
Klägerin auf der Entbindungsstation untergebracht war und für den Fall nicht
aufzuhaltender Frühgeburtsbestrebungen in die Zuständigkeit des Kreißsaales fallen
sollte- während es nach Aussage der Streithelferin zu 4) in der Frauenklinik auch eine
spezielle Station für Fehlgeburten gab- macht im übrigen auch deutlich, daß dieser
rechtliche Ansatz in der Frauenklinik der Beklagten nicht geteilt wurde. Unzutreffend ist
auch die Einschätzung des von Prof. G. verfaßten Gutachtens, die Chancen der
Klägerin, in Gesundheit zu überleben, seien "gleich Null" gewesen; sie widerspricht
bereits den von ihm selbst referierten Zahlen, wonach die Überlebensrate von Kindern
um 1000g in den besten Zentren der Welt bei 30% gelegen haben soll, wobei die
Schädigungsrate solcher Kinder 40 bis 70% betragen habe. Der von Prof. G.
hervorgehobene Umstand, daß die Ultraschalluntersuchung vom 16. April 1981 auf eine
Wachstumsretardierung von zwei Wochen hatte schließen lassen, war in keiner Weise
geeignet, seine Einschätzung der Chancen des Kindes zu stützen: Die
Ultraschalluntersuchung war - wie im Jahre 1981 auch als bekannt vorauszusetzen- für
exakte Berechnungen nicht geeignet. Vorliegend hat sich die am 16. April 1981
angenommene Wachstumsretardierung auch als Fehleinschätzung erwiesen. Die
Klägerin war mit einer Körperlänge von 38 cm und einem Geburtsgewicht von 1.140g
altersgerecht entwickelt. Die Behauptung der Beklagten, hierbei handele es sich um das
"Bruttogewicht" der mit dem Infusions- und Intubationsgerät gewogenen Klägerin, ist
durch nichts belegt. In allen Dokumentationen ist das Geburtsgewicht der Klägerin mit
1140g angegeben worde, ohne daß in irgendeiner Weise gekennzeichnet worden wäre,
daß hiervon noch ein Abzug von 200 bis 300 g, wie die Beklagtenseite es fordert, zu
machen sei. Es erscheint auch unwahrscheinlich, daß die Kinderkliniker bei der
Feststellung des Geburtsgewichts einen so naheliegenden Abzug nicht berücksichtigt
haben sollten, zumal die Dokumentation des Gewichts eines solchen Kindes wichtigen
Aufschluß über seine Entwicklung gibt. Aus den für jeden Tag des stationären
Aufenthaltes der Klägerin in der Kinderklinik angelegten Verordnungsbögen geht im
übrigen eine kontinuierliche Steigerung des Gewichtes hervor, die insbesondere auch
am Tag der Extubation bzw. am darauffolgenden Tag nicht- wie auf der Basis der
Behauptung der Beklagten zwingend wäre- einschneidend unterbrochen wurde.
Dem Resümee des Gutachtens der Sachverständigen Prof. G. und Prof. S., es sei
"nachvollziehbar", daß für die Geburt keine besonderen Vorkehrungen getrofffen waren
und die Geburt nicht von einem Facharzt, sondern von einer Assistenzärztin und einer
Hebamme geleitet wurde, dieses Vorgehen habe auch 1981 nicht gegen den zu
fordernden Standard an Universitätskliniken verstoßen, kann nicht gefolgt werden.
Konkrete Beispiele, an welchen Universtätskliniken derart geringe Anforderungen an
die Leitung von Risikogeburten gestellt wurden, sind in dem Gutachten nicht genannt.
Demgegenüber machen die von der Klägerin außergerichtlich eingeholten
Stellungnahmen von Prof.em. B. vom 27. Februar 1995 (Bl. 870ff) und Dr. Be. vom 16.
Januar 1995 (Bl. 880ff), das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen
Dr. M. wie auch die auf eine in der 27. Schwangerschaftswoche erfolgte Geburt eines
1000g schweren Kindes im Jahre 1979 bezogene Entscheidung des OLG Düsseldorf
vom 13. Juli 1989 (abgedr. in AHRS Kza. 3010/ 36) deutlich, daß an einer ganzen Reihe
von Universitätskliniken sehr wohl den überaus empfindlichen Sicherheitsrisiken
Frühgeborener Rechnung getragen wurde, indem zur Geburt bereits ab Mitte bis Ende
77
der siebziger Jahre grundsätzlich speziell ausgebildete Pädiater hinzugezogen wurden.
Der Senat hat der von Prof. Sc. geäußerten Auffassung, die in dem Gutachten von Prof.
G. und Prof. S. getroffene Aussage sei angesichts der hohen Reputation von Prof. S.
und seiner Verdienste um die moderne Entwicklung der Perinatologie unverständlich,
nichts hinzuzufügen.
Ob es - wie der Streithelfer zu 1) in seinem Schriftsatz vom 2. Mai 1995 vorgetragen hat-
in der Frauenklinik der Beklagten im Jahre 1981 nicht üblich und auch nicht erforderlich
war, bei drohender Frühgeburt bzw. Spätabort einen Pädiater hinzuziehen, weil die
speziell ausgebildeten Ärzte in der Frauenklinik einschließlich der Assisten über die
Reanimation unreifer Kinder bestens orientiert und in den Primärmaßnahmen der
Reanimation den Pädiatern überlegen gewesen seien, kann dahinstehen. Die
Streithelferin zu 4) war es, wie der Verlauf der Dinge gezeigt hat, jedenfalls nicht,
während dem herbeigerufenen Pädiater die Intubation offenbar auf Anhieb gelang. Aus
der Aussage der Streithelferin zu 4) vor dem Senat wurde deutlich, daß sie über keine
hinreichende Erfahrung verfügt hatte: Vergleichbar kleine Frühgeborene wie die
Klägerin hatte sie zuvor nicht reanimiert. Hiervon hätten sich die vorgesetzten Ärzte der
Streithelferin zu 4) - allen voran der Streithelfer zu 1) - ohne weiteres in Kenntnis setzen
können.
78
Es hätte unter diesen Umständen durch geeignete organisatorische Maßnahmen
verhindert werden müssen, daß die Geburtsleitung alleinverantwortlich in die Hände der
Streithelferin zu 4) geriet. Solche Maßnahmen sind indes nicht getroffen worden. Nach
der glaubhaften Schilderung der Streithelferin zu 4) existierten weder schriftliche noch
mündliche Anweisungen, wie im Falle des vorzeitigen Blasensprunges bei der Mutter
der Klägerin zu verfahren sei. Die Problematik der Patientin war der Streithelferin zu 4)
bis zu ihrer Aufnahme im Kreißsaal unbekannt, da die Mutter der Klägerin entgegen
einer nicht- nach Aussage der Streithelferin zu 4) ständigen Übung- in den
regelmäßigen Kreißsaalvisiten vorgestellt und ihr Fall auch nicht Gegenstand der
üblichen Dienstbesprechungen gewesen war. Mit der völlig unvorbereiteten
Konfrontation mit dem hier gegebenen Problemfall war die Streithelferin zu 4)
vorhersehbar überfordert.
79
Die angebliche Anweisung, bei unvorhergesehenen Komplikationen den Oberarzt vom
Dienst zu rufen, genügte nicht. Abgesehen davon, daß eine solche Anweisung zu
allgemein gehalten gewesen wäre, war sie auch gänzlich ungeeignet, in Fällen der
vorliegenden Art für die notwendige rasche und effiziente Hilfe zu sorgen: Was als
"unvorhergesehene Komplikation" anzusehen war, war der Interpretation des jeweiligen
im Kreißsaal diensttuenden Arztes überlassen,und es bestand auf diese Weise von
vornherein die Gefahr, daß der betreffende Arzt erst einmal selbst versuchte, mit den
auftretenden Schwierigkeiten fertig zu werden, wodurch kostbare Zeit verloren gehen
konnte. Außerdem bestand die Gefahr, die sich hier auch realisiert hat, daß eine
unerfahrene Ärztin die volle Problematik nicht rechtzeitig erkannte.
80
3) In der Summe und mit Blick auf das mit der Geburt extrem kleiner Frühgeburten
verbundene hohe Risiko sind diese Fehler und Versäumnisse als grob fehlerhaft zu
bewerten. Als grob hat der Bundesgerichtshof wiederholt solche Behandlungsfehler
bezeichnet, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Behandlungsgeschehens und
unter Berücksichtigung der konkreten Umstände aus objektiver ärztlicher Sicht nicht
mehr verständlich sind, weil sie eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische
Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßen (Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-
81
Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl. "S. 198 m.w.N.). Die festgestellten
Versäumnisse und Fehler, die hier in einem geburtshilflichen Zentrum zu einer nicht
hinnehmbaren Verzögerung der dringend erforerlichen Reanimation geführt haben,
erscheinen dem Senat aus objektiver ärztlicher Sicht als nicht mehr verständlich und
verantwortbar, weil ein solches Versagen in seiner Gesamtheit schlechterdings nicht
hätte geschehen dürfen.
II)
82
1) Bei der Klägerin liegt, wie das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sc. auch
ohne die Hinzuziehung bildgebender Verfahren überzeugend ergeben hat, ein
Residualschaden nach einer Versorgungsstörung des Gehirns auf einer frühen
Entwicklungsstufe vor. Die bei ihr vorhandene spastisch- tetraparetische
Cerebralparese ist nach den Darlegungen des Sachverständigen ein charakteristisches
Restschadenssyndrom nach extremer Frühgeburt. Auch die aus den Krankenunterlagen
der Klägerin hervorgehende Epilepsie, die kurz nach der Geburt in der Kinderklinik
festgestellt und mit Luminal behandelt wurde und nach einem längeren Intervall
erstmals im Kleinkindalter wieder auftrat, hat der Sachverständige als typisch für einen
Residualschaden gekennzeichnet, so daß kein Zweifel daran bestehen kann, daß die
Klägerin nicht unter einer fortschreitenden neurometabolischen oder degenerativ
fortschreitenden Erkrankung leidet.
83
2) Ob allerdings dieser Residualschaden auf die als Folge der verzögerten Intubation
eingetretene prolongierte Asphyxie zurückzuführen ist oder ob nicht allein schon die
Unreife der Klägerin oder vorgeburtliche schicksalhafte Ursachen die Hirnschädigung
der Klägerin bewirkt haben, hat das Gutachten des Sachverständigen Prof. Sc. nicht
erbracht und läßt sich mit den zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten auch
nicht eindeutig feststellen.
84
Aufgrund der Apgarwerte der Klägerin ist, so hat der Sachverständige in seinem
schriftlichen Gutachten ausgeführt, als sicher davon auszugehen, daß die Klägerin in
der Zeit unmittelbar vor der Geburt eine hinsichtlich Ausmaß und Dauer nicht exakt
definierbare, aber insgesamt schwere Versorgungsstörung durchgemacht hat. Hieraus
lasse sich aber nicht - wie es der Sachverständige Prof. von H. erstinstanzlich in seinem
schriftlichen Gutachten vom 14. Januar 1988 getan hat- folgern, daß der frühkindliche
Hirnschaden "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" kurz vor der Geburt, in
der Zeit von 6.33 bis 8.14 Uhr , eingetreten sei. Diese These sei schon nach dem zum
Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. von H. gültigen Erkenntnisstand nicht mehr
vertretbar gewesen, worauf auch der Privatgutachter der Klägerin, Prof. em. B. , mit
gleicher Entschiedenheit wie Prof. Sc. hingewiesen hat. Hypoxie und Acidose setzen
kurz vor oder während der Geburt speziell bei einem unreifen Kind, so hat Prof. Sc. dazu
näher ausgeführt, einen verhängnisvollen Kreislauf in Gang, der unter Umständen bis
weit in die postnatale Phase hinein wirksam sein könne. Während hierdurch bedingte
vorgeburtliche Versorgungsstörungen des kindlichen Gehirns noch dadurch
aufgefangen werden könnten, daß das Kind über die Placenta versorgt werde, könne
die nach der Geburt im weiteren ausgelöste pathologische Umstellung von
Kreislauffunktionen der Lunge und des Gehirns Stunden oder auch Tage nach der
Geburt einen irreversiblen Hirnschaden zur Folge haben. Im Bereich der auf einer so
frühen Entwicklungsstufe wie bei der Klägerin noch bestehenden sog. germinalen
Matrix (Fetalgewebe, aus der sich das Gehirn durch Zellteilung und Auswanderung
entwickelt hat) komme es besonders leicht als Folge von Mangeldurchblutungen oder
85
Einblutungen zum Gewebsuntergang. Diese Folgen könnten allerdings zumindest zu
einem Teil verhindert werden, wenn nach der Geburt eine Unterstützung der Atem- und
Kreislauffunktionen erfolge, die dem Sauerstoffmangel und der ebenso bedeutsamen
Mangeldurchblutung entgegenwirkten. Die Wahrscheinlichkeit, mit der auf diese Weise
der Eintritt eines frühkindlichen Hirnschadens bei Frühgeborenen verhindert werden
kann, läßt sich den ohne weiteres nachvollziehbaren Darlegungen Prof. Sc.s zufolge
allerdings nicht beurteilen.
3) Die Klägerin trifft indes nicht die Beweislast dafür, daß der bei ihr eingetretene
irreversible Hirnschaden auf die infolge der verzögerten Reanimation verlängerte
Asphyxie zurückzuführen ist.
86
Von dem Grundsatz, daß der Patient beweispflichtig für den ursächlichen
Zusammenhang zwischen dem ärztlichen Behandlungsfehler und seiner
Gesundheitsschädigung ist, ist aus Billigkeitsgründen dann eine Ausnahme zu machen,
wenn dem betreffenden Arzt ein grober Behandlungsfehler zur Last fällt und dieser
grobe Pflichtverstoß geeignet gewesen ist, den konkreten Gesundheitsschaden
herbeizuführen. In diesem Fall treten Beweiserleichterungen bis hin zur
Beweislastumkehr zugunsten des Patienten ein (ständige Rechtsprechung des BGH,
vgl. aus jüngerer Zeit BGH NJW 1995, 778 und 1611). Ihre Rechtfertigung finden diese
Beweiserleichterungen darin, daß durch das fehlerhafte Vorgehen des Arztes das
Spektrum der möglichen Schadensursachen erweitert und so eine Situation
herbeigeführt worden ist, bei der sich nicht klar unterscheiden läßt, ob das ärztliche
Versagen oder eine in der Person des Patienten bzw. seiner körperlichen Anlage
begründete Ursache für den eingetretenen Schaden verantwortlich ist.
87
Diese Konstellation liegt hier vor: Infolge der als grob behandlungsfehlerhaft zu
bewertenden Verzögerungen bei der Reanimation der Klägerin ist es zu einer
prolongierten Asphyxie gekommen, die aus den oben dargestellten Gründen als
mögliche Ursache für den Hirnschaden der Klägerin ebenso in Betracht zu ziehen ist
wie die bereits unmittelbar vor der Geburt einsetzenden Versorgungsstörungen und
deren sich nach der Geburt fortsetzende pathologische Mechanismen. Wie sich aus
dem Gutachten von Prof. Dr. Sc. entnehmen läßt, ist es durchaus auch nicht völlig
unwahrscheinlich, daß durch eine sofortige, das heißt innerhalb weniger Minuten nach
der Geburt einsetzende, Unterstützung der Atem- und Kreislauffunktionen die
pathophysiologischen Umstellungen, die bei dem Gehirn eines extrem Frühgeborenen
die typischen intra- oder paraventrikulären Blutungen verursachen, abgefangen und ein
irreversibler Hirnschaden damit vermieden hätte werden können. Der Sachverständige
konnte dazu auf Erhebungen in Finnland, Süd- Bayern und Hamburg verweisen, aus
denen klar hervorgeht, daß etwa 50 bis 60 % der unter 1.500 g und unter 32 Wochen
Gestationsalter geborenen überlebenden Kinder(bei einer ca. 30%igen Letalitätsrate)
weitgehend oder vollständig in Gesundheit überleben, daß etwa 15 % dieser
überlebenden Kinder eine schwere Cerebralparese und insgesamt 40% der
überlebenden Kinder schwere und leichtere Entwicklungsstörungen aufweisen.
88
4) Ob die der Klägerin zugute kommenden Beweiserleichterungen so weit zu gehen
haben, daß die Beklagte die Beweislast für den gesamten Kausalverlauf zu tragen hat,
ist dem Senat, als er den Parteien seinen Vergleichsvorschlag unterbreitete, nicht
zwingend erschienen. Der Senat hat gemeint, daß der Umstand, daß die zur
Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern entwickelten Grundsätze letztlich auf
Billigkeitserwägungen zurückzuführen sind, dazu berechtige, den Verursachungsbeitrag
89
der in den Verantwortungsbereich der Beklagten fallenden Schädigung gemäß § 287
ZPO zu schätzen. In den mit dem Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung
ausgeloteten Chancen der Klägerin, bei sachgerechter Reanimation in Gesundheit zu
überleben, hat der Senat geeignete Hilfen zur Schätzung gesehen. Er hat dabei
insbesondere auch berücksichtigt, daß die beinbetonte Tetraparese der Klägerin wie
auch die- im Berufungsverfahren nicht mehr im Streit befindliche- Retinopathie für
Frühgeborene charakteristisch ist und daß die anhaltend schlechten Apgarwerte auf
eine Lebensschwäche des Kindes hinwiesen. Andererseits gesellen sich nach den
Feststellungen von Pof. Sc. zu der Tetraparese weitere schwere körperliche
Schädigungen, darüber hinaus eine bei Frühgeborenen im Regelfall nicht vorhandene
schwere geistige Störung sowie eine Epilepsie, mithin Merkmale, die geeignet sein
könnten, auf eine Ursächlichkeit der wegen unzureichender Behandlung verlängerten
Asphyxie schließen zu lassen. Dies alles würde, so hat der Senat gemeint, eine
Abwägung dergestalt rechtfertigen, daß der Beklagten ein Verursachungsanteil an dem
Hirnschaden zu 75% zuzuordnen sei.
Der Senat sieht sich jedoch durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - vgl.
zuletzt das in Sachen VI ZR 10/96 am 1.10.1996 verkündete Urteil des VI. Zivilsenats -
daran gehindert, seine obigen Erwägungen in die streitige Entscheidung einzubringen.
Der Bundesgerichtshof hat in diesem Urteil im Anschluß an seine bisherige
Rechtsprechung zu Beweiserleichterungen bei groben Behandlungsfehlern deutlich
gemacht, daß es für eine vollständige Beweislastumkehr zugunsten des Patienten
genügt, wenn eine Mitursächlichkeit des Behandlungsfehlers in Betracht kommt,
solange nicht feststeht, daß dieser nur zu einem abgrenzbaren Schaden geführt hat.
Zum Ausschluß der Beweislastumkehr kommt es demgemäß nicht schon dann, wenn
die Alleinverursachung durch den Behandlungsfehler äußerst unwahrscheinlich ist,
sondern erst, wenn jeglicher Ursachenbeitrag äußerst unwahrscheinlich ist. Der BGH
hat dabei darauf abgehoben, daß sich- unter Anwendung von §§ 254, 287 BGB- die
Frage einer quantitativen Zerlegung des Gesamtschadens nur dann stellen kann, wenn
feststeht, daß das geschädigte Kind auch bei einwandfreier Geburtshilfe mit qualitativ
näher bestimmbaren Schäden geboren worden wäre.
90
Dies ist vorliegend indes nicht der Fall: Die Klägerin hätte, wie der Sachverständige
Prof. Sc. deutlich gemacht hat, bei einer sofortigen effizienten Reanimation auch
gänzlich ohne ihre jetzigen Schädigungen überleben können. Wenn dies in Anbetracht
unter anderem des bereits referierten statistischen Materials auch nicht als überwiegend
wahrscheinlich angesehen werden kann, so erscheint diese Möglichkeit jedenfalls aber
auch nicht als gänzlich unwahrscheinlich, so daß eine Beweislastumkehr zugunsten der
Klägerin für die Kausalität in vollem Umfang zum Zuge kommt.
91
III.)
92
Für die infolge des Hirnschadens entstandenen und in der Zukunft noch entstehenden
materiellen schäden der Klägerin hat die Beklagte ohne Entlastungsmöglichkeit bereits
auf vertraglicher Grundlage einzustehen. Für die Versäumnisse des Streithelfers zu 1)
bzw. seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Amt haftet die Beklagte insoweit
nach den Zurechnungsnormen der §§ 31, 89 BGB, für die der Streithelferin zu 4) nach §
278 BGB. Zum Schadensersatz wegen der immateriellen Schäden der Klägerin ist die
Beklagte nach § 847 BGB in Verbindung mit §§ 31, 89 BGB bzw. 831 BGB verpflichtet.
Einen wirksamen Entlastungsbeweis kann sie im Hinblick auf die Streithelferin zu 4)
schon deshalb nicht führen, weil die schadenbringende Tätigkeit auch auf einen
93
Organisationsmangel zurückzuführen war.
Die deliktischen Ansprüche der Klägerin- die sich neben der vertraglichen
Anspruchsgrundlage auch auf die materiellen Schäden der Klägerin beziehen- sind
nicht verjährt. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 12. Juni 1987 war die
Verjährungsfrist von drei Jahren, § 852 BGB, noch nicht abgelaufen. Dies wäre nur dann
der Fall gewesen, wenn die Eltern der Klägerin als deren gesetzliche Vertreter, auf
deren Kenntnisstand abzustellen ist, bereits im Juni 1984 von dem Schaden und der
Person des Schädigers positive Kenntnis gehabt hätten. Davon kann schon nach dem
Vorbringen der Beklagtenseite nicht ausgegangen werden. Die Beklagte und ihre
Streithelfer vermögen lediglich auf ein Anwaltsschreiben vom 26. August 1985 zu
verweisen, in welchem verschiedene Vorwürfe gegen die Geburtshelfer bzw. die
Klinikleitung erhoben worden sind. Diese Beanstandungen rechtfertigen jedoch nicht
den Schluß, daß die Eltern der Klägerin bereits ein Jahr zuvor Kenntnis von dem
Schaden und etwaigen Behandlungsfehlern erlangt hätten. Abgesehen davon, daß die
Klägerin unwiderlegt vorgetragen hat, daß erstmals Zeitungsberichte im Jahre 1985 bei
ihren Eltern den Verdacht hatten aufkommen lassen, die Schädigung der Klägerin
könne auf Behandlungsfehler zurückzuführen sein, ist auch nicht ersichtlich, woher die
Eltern der Klägerin 1984 bereits nähere Anhaltspunkte für Zusammenhänge zwischen
der Schädigung ihrer Tochter und einem fehlerhaften Vorgehen bei der Geburt gehabt
haben sollten. Die für den Fristbeginn gemäß § 852 BGB erforderliche Kenntnis davon,
daß sich bei der Klägerin ein Behandlungsrisiko verwirklicht haben konnte, kann bei
ihren Eltern mangels anderweitiger konkreter Anhaltspunkte erst vorausgesetzt werden,
nachdem ihrem Anwalt die Krankenunterlagen zugänglich gemacht worden waren. Dies
geschah erst im Oktober 1985, so daß die Klage die Verjährungsfrist wirksam
unterbrochen hat.
94
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 26. November 1996 gibt zu einer
anderweitigen Beurteilung keinen Anlaß.
95
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101 , 7o8 Nr. 10, 711 ZPO.
96
Wert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Beklagten: 558.800,- DM
97
(100.800,- DM + 108.000,- DM +300.000,-
98
- insoweit in Abänderung des Beschlusses des Senats vom 19. Juli 1993- + 50.000,-
DM)
99