Urteil des OLG Köln vom 01.10.1998
OLG Köln (kind, wohl des kindes, beschwerde, elterliche sorge, beschwerdeführer, interesse, beschwerderecht, zpo, obhut, bezug)
Oberlandesgericht Köln, 14 WX 13/98
Datum:
01.10.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
14. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 WX 13/98
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 6 T124/98
Schlagworte:
Beschwerderecht Betreuung
Normen:
FGG § 57 I Nr. 9
Leitsätze:
Ein Beschwerderecht nach § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG kann sich aufgrund
einer tatsächlich wahrgenommenen Betreuung des betroffenen Kindes
ergeben, wenn sich das Kind über einen längeren Zeitraum in der Obhut
der Betreuungsperson befindet und eine Beziehungswelt zwischen Kind
und Betreuungsperson gewachsen ist.
Tenor:
Die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 1. und 3. gegen den
Beschluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 22. Juni 1998 -
6 T 124/98 - werden zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens der
weiteren Beschwerde werden je zur Hälfte den Beteiligten zu 1 und 3
auferlegt. Der Antrag der Beteiligten zu 1., ihr Prozeßkostenhilfe für das
Verfahren der weiteren Beschwerde zu bewilligen, wird
zurückgewiesen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Durch den angefochtenen Beschluß, auf den wegen des Sachverhalts und der
Begründung Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Beteiligten zu 1. das
elterliche Sorgerecht hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung, der Gesundheitsfürsorge
sowie der Mitwirkung bei der Auswahl der Pflegefamilie für das betroffene Kind
entzogen und diese Befugnisse auf den Beteiligten zu 2. übertragen.
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Mit ihren hiergegen erhobenen weiteren Beschwerden machen die Beteiligten zu 1. und
3. geltend, das Landgericht habe sich fehlerhaft allein auf formale Gründe - das Fehlen
einer Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII für die Beteiligten zu 3. - gestützt und sich
nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die angefochtene Maßnahme gemäß § 1666
BGB durch das Kindeswohl geboten sei. Die Voraussetzungen des § 1666 BGB seien
nicht gegeben, das Kind werde durch den Verbleib bei den Beteiligten zu 3. nicht
gefährdet, vielmehr seien Gefahren für die Entwicklung des Kindes bei einem - von dem
Beteiligten zu 2. befürworteten - Wechsel in eine andere Pflegefamilie zu besorgen.
Überdies seien die Beteiligten zu 3. entgegen der Annahme des Landgerichts im Besitz
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einer Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII.
II.
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1. Da im vorliegenden Fall die Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung vor dem 1.
Juli 1998 erfolgte, ist nach Art 15, § 1 Abs. 2 des Kindschaftsreformgesetzes im Bezug
auf Rechtsmittel das bis zum 1. Juli 1998 geltende Recht anzuwenden.
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Die von den Beteiligten zu 1. und 3. eingelegten weiteren Beschwerden sind daher
nach den §§ 27 ff. FGG zu behandeln und als solche zulässig.
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Die Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 3. ist allerdings nicht unbedenklich.
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Auf eine Beeinträchtigung eigener Rechte, die nach § 20 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 4 FGG
ein Beschwerderecht eröffnet, können sich die Beteiligten zu 3. nicht stützen. Die
angefochtene Entscheidung greift nicht in ihre eigene Rechtssphäre ein. Dabei bedarf
es keiner Entscheidung, ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn sich das betroffene
Kind noch in Bereitschaftspflege bei den Beteiligten zu 3. befände. Nach Beendigung
der Bereitschaftspflege zum 31.5.1998 besteht jedenfalls derzeit - wie dies auch schon
bei Einlegung der weiteren Beschwerde der Fall war - nur ein tatsächliches Obhuts-
oder Betreuungsverhältnis der Beteiligten zu 3. zu dem Kind, welches den Beteiligten
aber kein Recht im Sinne von § 20 Abs. 1 FGG vermittelt.
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Ein Beschwerderecht kann jedoch aus § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG hergeleitet werden.
Danach steht die Beschwerde gegen eine die Personensorge betreffende Entscheidung
jedem zu, "der ein berechtigtes Interesse hat, diese Angelegenheit wahrzunehmen." Ein
solches Interesse kann sich auch aufgrund einer tatsächlich wahrgenommenen
Betreuung des betroffenen Kindes ergeben, zumal dann, wenn sich das Kind über einen
längeren Zeitraum in der Obhut der Betreuungsperson befindet und eine
Beziehungswelt zwischen Kind und Betreuungsperson gewachsen ist (vgl. dazu
Keidel/Kuntze, FGG 13. Auflage 1992, Rdn. 37 ff zu § 57; OLG Hamm, FamRZ 1987,
1196 f.; vgl. auch OLG Hamm, FamRZ 1994, 391 f.). Von einer in diesem Sinne
gewachsenen Beziehung zwischen den Beteiligten zu 3. und dem Kind muß hier
ausgegangen werden. Allerdings darf mit der Beschwerde - jedenfalls vorrangig - nicht
das eigene Interesse des Beschwerdeführers verfolgt werden, sondern nur das durch
die angefochtene Entscheidung berührte Interesse des Kindes. Insofern könnten hier
Zweifel bestehen, ob nicht eigene Interessen der Beteiligten zu 3. überwiegen, weil
ihnen daran gelegen ist, das Kind auf Dauer zu behalten und möglicherweise sogar zu
adoptieren. Indes machen die Beteiligten zu 3. aber auch geltend, daß das Kind durch
ein Herauslösen aus seinem bisherigen Umfeld seelische Schäden davontragen
könnte. Da dieses Argument nicht von vornherein abwegig erscheint und andererseits
die angefochtene Entscheidung von dem Beteiligten zu 2. mit dem erklärten Ziel erstrebt
worden ist, das Kind in einer anderen Pflegefamilie unterzubringen, geht der Senat von
einem aus den Bedürfnissen des Kindes erwachsenen berechtigten Interesse der
Beteiligten zu 3. aus, sich dem Wohl des Kindes anzunehmen.
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2. In der Sache bleiben die Beschwerden jedoch ohne Erfolg. Wie bereits im Schreiben
des Berichterstatters vom 29.7.1998 ausgeführt, obliegt dem Senat im Rahmen der
weiteren Beschwerde nur eine Überprüfung des angefochtenen Beschlusses auf
Gesetzesverletzungen, §§ 27 Abs. 1 FGG, 550, 551, 561 ZPO. Eine Verletzung des
Gesetzes durch die angefochtene Entscheidung ist jedoch nicht festzustellen.
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Die Übertragung von Teilbefugnissen der elterlichen Sorge auf den Beteiligten zu 2. hat
das Landgericht auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Hermanns
aus Gründen des Kindeswohls gemäß § 1666 Abs. 1 BGB für geboten erachtet. Das
läßt eine unzutreffende Rechtsanwendung nicht erkennen. Soweit das Landgericht
davon ausgegangen ist, daß die Beteiligten zu 3. nicht über eine Pflegeerlaubnis nach §
44 SGB VIII verfügten, hat auch der Senat für das Verfahren der weiteren Beschwerde
hiervon auszugehen, §§ 27 FGG, 561 ZPO. Insoweit können die Beschwerdeführer
nicht mit der Erwägung durchdringen, das Landgericht habe sich bei seiner
Entscheidung auf rein formale Gründe gestützt. Die fehlende Fähigkeit der Beteiligten
zu 1., die elterliche Sorge in den betroffenen Teilbereichen selbst auszuüben, machte
eine Entziehung dieses Teils der Personensorge erforderlich, weil die Beteiligte zu 1.
nicht gewillt war, der Überführung des Kindes in eine andere Pflegefamilie
zuzustimmen. Eine solche Maßnahme war aber notwendig, wenn, wovon das
Landgericht ausgegangen ist, die Beteiligten zu 3. nicht über die erforderliche
Pflegeerlaubnis verfügten. Soweit die Beteiligten zu 3. unter Hinweis auf § 44 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 SGB VIII meinen, eine Pflegeerlaubnis sei entgegen den Ausführungen des
Landgerichts nicht erforderlich gewesen, trifft dies nicht zu. Nach der genannten
Vorschrift ist eine Pflegeerlaubnis bei der Betreuung eines Kindes bis zur Dauer von
acht Wochen entbehrlich. Hier geht es jedoch um eine längerfristige Betreuung.
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Die Beschwerdeführer machen weiterhin geltend, daß schon am 17.6.1998 eine
vorläufige Pflegeerlaubnis vorgelegen habe. Dies war aber - wie auch die
Beschwerdeführer nicht verkennen - dem Landgericht bei seiner Entscheidung nicht
bekannt. Insoweit kann auch nicht von einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung
durch das Landgericht (§ 12 FGG) ausgegangen werden. Denn ohne einen - unstreitig
nicht erfolgten - Hinweis der Beteiligten, daß eine Pflegeerlaubnis bereits erteilt sei,
hatte das Landgericht keinen Anlaß, in dieser Hinsicht Nachforschungen anzustellen.
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Die vorgetragene Erteilung einer vorläufigen Pflegeerlaubnis und die nach Darstellung
der Beschwerdeführer inzwischen erfolgte endgültige Pflegeerlaubnis kann der Senat
im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht berücksichtigen. Insoweit handelt es sich
um neue Tatsachen, die nicht in das Rechtsbeschwerdeverfahren eingeführt werden
können (Keidel/Kuntze, a.a.O., Rdn 43 zu § 27). Es kommt deshalb im vorliegenden
Verfahren auch nicht darauf an, ob die Erteilung der Pflegeerlaubnis von dem
Beteiligten zu 2. erfolgreich verwaltungsgerichtlich angefochten wird.
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3. Soweit die Beschwerdeführer nach den vorstehenden Ausführungen mit dem
Vorbringen neuer Tatsachen ausgeschlossen sind, werden sie nicht rechtlos gestellt. Es
bleibt vielmehr die Möglichkeit, auf eine Änderung der angefochtenen Entscheidung
nach § 1696 BGB hinzuwirken.
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4. Das Prozeßkostenhilfegesuch der Beteiligten zu 1. war zurückzuweisen, da die
Beschwerde nach den vorstehenden Ausführungen keine Aussicht auf Erfolg bot.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG.
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Beschwerdewert: 5.000,-- DM
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