Urteil des OLG Köln vom 19.12.1997
OLG Köln (zeuge, amtliches kennzeichen, versicherer, fahrzeug, versicherungsnehmer, 1995, kenntnis, beweisaufnahme, umstand, aufklärungspflicht)
Oberlandesgericht Köln, 9 U 213/96
Datum:
19.12.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 213/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 91/96
Schlagworte:
Versicherung Vollkasko Schadensanzeige falsche Angaben Vorsatz
Wissensvertreter Versicherungsvertreter
Normen:
AKB §§ 12 Abs. 1 Nr. 2, 7 Nr. 1 Abs. 2, 5 Abs. 4, VVG § 6
Leitsätze:
Grundsätzlich führen vorsätzliche falsche Angaben des
Versicherungsnehmers in der Schadensanzeige zur Leistungsfreiheit
der Versicherung. An diesem Vorsatz kann es allerdings dann fehlen,
wenn das Schadensformular von einem Versicherungsvertreter
selbständig aufgrund vermittelter eigener Kenntnis ausgefüllt und vom
Versicherungsnehmer lediglich ungelesen unterschrieben wird.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 10. Oktober 1996 verkündete
Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 91/96 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die
Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten ist in der Sache nicht
begründet.
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Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin kann von der
Beklagten wegen des Schadenereignisses vom 24.10.1995 aus der für das Fahrzeug
R., amtliches Kennzeichen: K., abgeschlossenen Vollkaskoversicherung gemäß § 12
Abs. 1 Nr. II e) AKB Zahlung des der Höhe nach unstreitigen Entschädigungsbetrages
von 10.050,00 DM (12.700,00 DM Wiederbeschaffungswert abzüglich 650,00 DM
Selbstbeteiligung sowie 2.000,00 DM Restwert) verlangen.
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Die mit der Berufung gegen das angefochtene Urteil vorgetragenen Einwände greifen
nicht durch. Nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme
kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, die Klägerin habe in der
Schadenanzeige vorsätzlich falsche Angaben zu Vorschäden des Fahrzeugs gemacht.
Entgegen der von ihr geäußerten Rechtsauffassung ist die Beklagte deshalb nicht
wegen schuldhafter Verletzung der dem Versicherungsnehmer nach § 7 Nr. I Abs. 2
Satz 3 AKB obliegenden Aufklärungspflicht gemäß § 7 Nr. V Abs. 4 AKB in Verbindung
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mit § 6 Abs. 3 VVG von ihrer Leistungspflicht freigeworden.
Nach § 7 Nr. I Abs. 2 Satz 3 AKB ist der Versicherungsnehmer allerdings verpflichtet,
alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann. Dazu gehört auch
die Pflicht, den Versicherer wahrheitsgemäß und vollständig über solche Umstände zu
unterrichten, die für die Höhe des Schadens von Bedeutung sind. Die Auskünfte des
Versicherungsnehmers müssen es dem Versicherer ermöglichen, sachgemäße
Feststellungen über das Schadensausmaß zu treffen, um den Schaden regulieren zu
können. Grundsätzlich sind alle sachdienlichen Fragen des Versicherers zu
beantworten, wobei gestellte Fragen im Zweifel als sachdienlich anzusehen sind
(Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 16. Auflage, § 7 AKB Rdnr. 44 und 47).
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Diese Obliegenheit hat die Klägerin verletzt, weil sie die Frage nach Vorschäden
objektiv wahrheitswidrig verneint hat. Denn zwischen den Parteien ist unstreitig, daß
das bei der Beklagten vollkaskoversicherte Fahrzeug ein gutes halbes Jahr vor dem
Schadenereignis vom 24.10.1995 einen Schaden an der linken Frontseite erlitten hatte,
dessen Reparatur einen Kostenaufwand von mehr als 9.000,00 DM erforderlich
gemacht hatte. Daß nicht die Klägerin selbst, sondern ihr Ehemann, der Zeuge R., die
Schadenanzeige vom 25.10.1995 unterschrieben hat, befreit sie nicht von dem Vorwurf
der objektiven Obliegenheitsverletzung. Denn nach ihrem eigenen Vortrag hatte sie
ihren Mann mit der Schadenabwicklung beauftragt und ihn zur Zeichnung des
Schadenanzeigeformulars bevollmächtigt. Dann aber ist der Zeuge R.
Wissenserklärungsvertreter. Die Erklärungen eines Wissenserklärungsvertreters werden
dem Versicherungsnehmer aber wie eigene zugerechnet (vgl. hierzu BGH r+s 1993, 281
= VersR 1993, 960). Da der Zeuge R. - und im übrigen auch die Klägerin - unstreitig von
dem Vorschaden wußte, steht damit zugleich die objektive Obliegenheitsverletzung der
Klägerin fest.
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Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Klägerin in ihrer Berufungserwiderung,
dort Seite 5 (Blatt 99 d.A.) behauptet hat, die Beklagte habe von dem Vorschaden
gewußt, weil man sie seinerzeit von dem Unfall unterrichtet und die Inanspruchnahme
der Vollkaskoversicherung für den Fall angekündigt habe, daß eine Regulierung durch
den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners nicht erfolge. Zwar ist es richtig, daß in
bestimmten Fällen objektiv falsche Angaben des Versicherungsnehmers nicht als
Aufklärungspflichtverletzung gewertet werden können (vgl. hierzu: OLG Hamm r+s 1993,
442). Denn mit Rücksicht darauf, daß es Sinn der Aufklärungspflicht ist, den Versicherer
in die Lage zu versetzen, sachgerechte Entscheidungen über die Behandlung des
Versicherungsfalles treffen zu können, bedarf er keiner Aufklärung, wenn er von dem
anzugebenden Umstand anderweitig Kenntnis erlangt hat.
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Auf ein fehlendes Aufklärungsbedürfnis im Hinblick auf den Vorschaden vermag sich
die Klägerin im Streitfall gleichwohl nicht zu berufen. Denn die bloße Möglichkeit für den
Versicherer, sich selbst über die fraglichen Fakten zu informieren, führt keinesfalls zum
Wegfall des Aufklärungsbedürfnisses. Notwendig ist vielmehr die sichere Kenntnis des
Versicherers von den entscheidungsrelevanten Tatsachen. Hierzu fehlt es aber an
jedwedem substantiierten Sachvortrag der Klägerin. Ihr Vortrag in der
Berufungserwiderung, wann, wo und bei welcher Gelegenheit welcher Mitarbeiter der
Beklagten über den Vorschaden informiert worden sei, könne sie nicht mehr
konkretisieren, belegt geradezu, daß von einer sicheren Kenntnis der Beklagten im
vorbezeichneten Sinne nicht ausgegangen werden kann.
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Die hiernach der Klägerin zuzurechnende, objektiv unzutreffende, ihrer
Aufklärungspflicht nicht genügende Angabe in der Schadenanzeige, das Fahrzeug
habe keinen Vorschaden erlitten, führt gleichwohl nicht zur Leistungsfreiheit der
Beklagten, weil von einem vorsätzlichen Verhalten der Klägerin nicht ausgegangen
werden kann. Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG hat die Klägerin im Streitfall
entkräftet.
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Dies folgt entgegen den Ausführungen des Landgerichts allerdings nicht schon aus dem
unstreitigen Sachvortrag der Parteien. Insbesondere durfte das Landgericht den Vortrag
der Klägerin, der Zeuge J. habe dem Ehemann der Klägerin die ausgefüllte
Schadenanzeige zur Unterschrift vorgelegt, dieser habe die Schadenanzeige dann
ungelesen unterschrieben, nicht als unstreitig behandeln. Denn die Beklagte hatte
diesen Vortrag bereits in der Klageerwiderung vom 04.06.1996, dort Seiten 2 und 3
(Blatt 21/22 d.A.) ausdrücklich bestritten. Im Ergebnis ist die landgerichtliche
Entscheidung gleichwohl richtig, weil aufgrund der vor dem Senat durchgeführten
Beweisaufnahme zum einen feststeht, daß der Zeuge J. die Frage nach Vorschäden
durch Ankreuzen des "Nein-Kästchens" beantwortet hat, weil er von einem Vorschaden
nichts wußte. Zum anderen steht fest, daß der Zeuge R. die Schadenanzeige tatsächlich
ungelesen unterschreiben hat.
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Zunächst zieht der Senat die Bekundungen des Zeugen J. nicht in Zweifel, daß er seine
Tätigkeit in der Firma der Klägerin erst im August 1995 aufgenommen und nichts davon
gewußt hat, daß das ihm zugeteilte, in einem optisch einwandfreien Zustand befindliche
Fahrzeug wenige Monate zuvor einen - dann reparierten - Unfallschaden erlitten hatte.
Gleiches gilt für seine Bekundung, er habe das schriftliche Schadenformular bis auf die
Unterschrift ausgefüllt und dabei guten Gewissens die Frage nach Vorschäden mit
"Nein" beantwortet. Ist damit bewiesen, daß weder die Klägerin noch der Zeuge R. das
Formular ausgefüllt hat, folgt der Senat dem Zeugen R., wenn er sagt, er sei damals im
Außendienst gewesen und habe wenig Zeit gehabt, deshalb habe er die
Schadenanzeige im Vertrauen darauf, daß der Zeuge J. diese vollständig und richtig
ausgefüllt habe, ungelesen unterschrieben, bei Unterzeichnung des Formulars sei ihm
nicht gegenwärtig gewesen, daß eines der drei farbgleichen Betriebsfahrzeuge des
Typs R. einige Monate zuvor einen Unfallschaden erlitten hatte. Der Zeuge hat dies in
seiner Vernehmung vor dem Senat plastisch und überzeugend geschildert.
Insbesondere aufgrund des von ihm im Termin zur Beweisaufnahme vom 18.11.1997
gewonnenen persönlichen, als positiv zu bezeichnenden Eindrucks nimmt der Senat
ihm seine Schilderung des Geschehens ab. Für ihn spricht auch der Umstand, daß er -
wie auch der Zeuge J. - offen und ehrlich eingeräumt hat, er könne sich nicht mehr
sicher daran erinnern, ob er die Schadenanzeige im Beisein des Zeugen J.
unterschrieben habe oder nicht. Dies belegt, daß sich die Zeugen nicht abgesprochen,
sondern bemüht haben, das tatsächliche Geschehen wahrheitsgemäß zu berichten.
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Kann demnach von einem vorsätzlichen, der Klägerin zuzurechnenden Verhalten des
Zeugen R. nicht ausgegangen werden, kann im übrigen dahinstehen, ob den Zeugen R.
der Vorwurf fahrlässigen oder grob fahrlässigen Verhaltens trifft. Denn selbst bei
Annahme grober Fahrlässigkeit wäre die Beklagte - wie das Landgericht zutreffend
ausgeführt hat - nicht leistungsfrei, weil die Obliegenheitsverletzung Einfluß weder auf
die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der
dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat.
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Die Berufung der Beklagten war folglich mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO
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zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§
708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren
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und Wert der Beschwer der Beklagten: 10.050,00 DM.
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