Urteil des OLG Köln vom 04.05.2001
OLG Köln: anschlussberufung, unterhalt, leistungsfähigkeit, selbstbehalt, belastung, ehescheidung, krankenkasse, fahrtkosten, altersgrenze, vergleich
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 4 UF 185/00
04.05.2001
Oberlandesgericht Köln
4. Zivilsenat
Urteil
4 UF 185/00
Amtsgericht Brühl, 35 F 118/00
Die Berufung des Klägers gegen das am 17. August 2000 verkündete
Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Amtsgerichts - Familiengericht -
Brühl (Akten-zeichen 35 F 118/00) wird zurückgewiesen. Auf die
Anschlussberufung des Beklagten wird das vorgenannte Urteil teilweise
abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Klage wird abgewiesen. Von
den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 3/4 und der
Beklagte 1/4 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem
Kläger auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Von den zulässigen Rechtsmitteln der Parteien hat im Ergebnis nur die unselbständige
Anschlussberufung des Beklagten Erfolg, soweit nicht der Rechtsstreit durch
zwischenzeitliche Zahlungen in der Hauptsache erledigt ist.
1.)
Der Beklagte schuldete seinem Vater dem Grunde nach Unterhalt für die Zeit der
Heimunterbringung vom 1. Dezember 1998 bis 28. Januar 2001 gemäß §§ 1601, 1602
BGB. Heimkosten des Vaters des Beklagten waren jedenfalls in Höhe von monatlich
485,00 DM für die Zeit vom 1. Dezember 1998 bis 31. Dezember 2000 sowie von weiteren
452,89 DM für den Monat Januar 2001, insgesamt also in Höhe von 12.577,89 DM
ungedeckt. Die Hilfegewährung (rückwirkend ab 26. Oktober 1998) durch den Kläger (§ 91
BSHG) und entsprechende Mitteilung gegenüber dem Beklagten erfolgte erstmals unter
dem 17. Dezember 1998. An Zahlungen leistete der Beklagte, der monatliche
Verpflichtungen von 207,21 DM anerkannt hat, vor Klageerhebung 3.522,57 DM sowie
danach 1.067,43 DM und weitere 1.890,00 DM, insgesamt also 6.480,00 DM. Etwaige
Überzahlungen über den anerkannten Betrag hinaus fordert er nach seiner Erklärung zu
Protokoll im Senatstermin vom 13. März 2001 vom Kläger nicht zurück. All das ist zwischen
den Parteien ebenso unstreitig wie die Einkommensverhältnisse des Beklagten.
Streitig ist lediglich, ob das dem Beklagten über dem angemessenen Selbstbehalt von
2.250,00 DM monatlich nach den Kölner Leitlinien (Ziffer 47 beim Elternunterhalt)
verbleibende Einkommen mit dem Amtsgericht lediglich zu 50 % zum Unterhalt
heranzuziehen ist, was die Berufung beanstandet, und ob jeweils unter dem 19. November
1998 vom Beklagten begründete Sparverträge über 78,00 DM monatlich bzw. 200,00 DM
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monatlich als zusätzliche Altersvorsorgemaßnahme unbeachtlich sind, wogegen sich die
Anschlussberufung wendet.
2.)
Zwar spricht mit der Berufung vieles dafür, dass die Empfehlungen des 13. Deutschen
Familiengerichtstages (FamRZ 2000, 273, 274) und des Deutschen Vereins für öffentliche
Fürsorge (FamRZ 2000, 788, 796) zur regelmäßig nur hälftigen Heranziehung des den
Selbstbehalt des Pflichtigen überschießenden Einkommens zum Unterhalt im Streitfalle
nicht beachtlich sind. Diesen Empfehlungen folgende Rechtsprechung - namentlich
höchstrichterliche - oder auch nur eine dahingehende Tendenz der Rechtsprechung ist
nicht feststellbar. Die vom Beklagten angeführte Entscheidung des 10. Senates des
Oberlandesgerichts Köln vom 28. Januar 1999 (10 UF 192/98) ist insoweit nicht
einschlägig. Sie betrifft nämlich einen Fall der Selbstbindung des Sozialhilfeträgers, weil
der Sozialhilfeträger im Einzelfall die Hälfteanrechnung für seinen Anspruch
zugrundegelegt und keinen höheren Beitrag eingefordert hatte.
Die genannten Empfehlungen können die Rechtsprechung auch nicht festlegen. Die
Gerichte müssen das Unterhaltsrecht strikt anwenden, also das unterhaltsrelevant
bereinigte Nettoeinkommen nach Abzug des Selbstbehaltes voll bis zur Deckung des
Unterhaltsbedarfs heranziehen. Von Bedeutung sind die Empfehlungen eher unter dem
Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Unterhaltspflichtigen seitens der Sozialämter.
Solange die Sozialhilfeträger aber - wie hier (vgl. Empfehlungen des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Bl. 93 d.A.) - keine entsprechende Selbstbindung
eingegangen sind, die gegebenenfalls nach § 242 BGB analog im Rechtsstreit beachtlich
wäre, gilt uneingeschränkt materielles Unterhaltsrecht.
3.)
Letztlich musste der Senat dies jedoch nicht abschließend beurteilen, weil der Berufung
schon aus Gründen der unterhaltsrelevanten Leistungsfähigkeit des Beklagten der Erfolg
zu versagen, seiner Anschlussberufung demgegenüber stattzugeben war. Entgegen der
vom Amtsgericht vertretenen Auffassung hält der Senat die Verbindlichkeiten des
Beklagten aus den Sparverträgen vom 19. November 1998 nämlich für abzugsfähig. Der
Beklagte ist diese Verbindlichkeiten eingegangen, bevor ihm die Heranziehung zum
Unterhalt seines Vaters durch den Kläger unter dem 17. Dezember 1998 bekannt wurde,
um den Verlust seiner Altersversorgung durch Versorgungsausgleich in Höhe von
monatlich 323,40 DM aus seiner Ehescheidung im Jahre 1980 teilweise auszugleichen.
Grundsätzlich müssen in allen Unterhaltsrechtsverhältnissen bei der Ermittlung des
bereinigten Nettoeinkommens Verbindlichkeiten des Verpflichteten im Rahmen einer
Interessenabwägung berücksichtigt werden (vgl. Kalthoener/Büttner/Niep-mann, Die
Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 5. Aufl., Rdnr. 995 ff.). Hierbei ist anerkannt, dass
sich die Stärke des Unterhaltsrechtsverhältnisses auf die Beachtlichkeit von
Verbindlichkeiten auswirken kann (vgl. BGH FamRZ 86, 254, 257). Gegenüber dem
Anspruch eines minderjährigen Kindes auf den Mindestbedarf etwa sind Schulden nur
nach strengen Maßstäben zu berücksichtigen. Im Elternunterhaltsverhältnis ist
demgegenüber von besonderer Bedeutung, dass der Verpflichtete mit derartigen
Unterhaltsbedürfnissen anders als beim Ehegatten- und Kindesunterhalt nicht rechnen
muss, sondern dass der Unterhaltsbedarf typischerweise - wie hier - mit einer
unvorhergesehenen Pflegebedürftigkeit entsteht. Der Verpflichtete hat daher keinen
Anlass, sich auf die auf ihn zukommende Belastung vorausschauend einzustellen.
Dementsprechend ist dem Unterhaltsverpflichteten in derartigen Fällen die Berufung auf
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jede nach seinen Lebensumständen vernünftige Belastung gestattet worden, etwa auf eine
nicht erforderliche Fahrzeuganschaffung (vgl. OLG Oldenburg FamRZ 91, 1347, 1348; LG
Paderborn FamRZ 96, 1497 und FamRZ 1999, 457) oder auf den Rahmen des
angemessenen Selbstbehaltes übersteigende Wohnkosten (vgl. OLG Karlsruhe NJW 99,
2680, 2682). Hinzu kommt hier der Gesichtspunkt der eigenen angemessenen
Altersvorsorge des Beklagten. Wenn sich mittlerweile zunehmend die Einsicht durchsetzt,
dass die allgemeine Alterssicherung des Arbeitnehmers nicht mehr ausreicht, sondern
zusätzliche private Altersvorsorge getroffen werden sollte, so müssen derartige zusätzliche
Aufwendungen vorweg abzugsfähig sein. Die eigene angemessene Altersvorsorge geht
der Sorge für den Unterhaltsberechtigten nach Auffassung des Senats in derartigen Fällen
vor. Zwar wird sich die Höhe der für eine angemessene Altersvorsorge erforderlichen
Beträge generell schwer abschätzen lassen, weil sich die Lebenserwartung des
Unterhaltspflichtigen infolge des Umfanges und der Qualität der medizinischen Versorgung
in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erheblich steigern kann. Hier geht es aber
nicht einmal um eine zusätzliche Altersvorsorge des Beklagten, sondern lediglich um einen
annähernden Ausgleich derjenigen Einbuße an allgemeiner Versorgungserwartung, die
der Beklagte durch den Versorgungsausgleich infolge seiner Ehescheidung hat hinnehmen
müssen. Nach Lage der Dinge handelt es sich deshalb bei dem Aufwand von insgesamt
278,00 DM monatlich im Vergleich zu der bereits 1980 entstandenen Einbuße um eine
nach den Lebensumständen des Beklagten vernünftige Belastung, die der Senat für
beachtlich hält. Der Umstand, dass die Maßnahme zunächst vermögensbildend wirkt und
nach der Erklärung des Beklagten im Senatstermin erst bei Erreichung der Altersgrenze in
eine monatliche Rentenleistung umgeschichtet werden soll, rechtfertigt angesichts
inzwischen weit verbreiteter Privatrentenversicherungen mit einmaliger Kapitalzahlung
nach Auffassung des Senats keine grundlegend andere Beurteilung.
4.)
Danach ergibt sich - im übrigen den Berechnungen des Amtsgerichts folgend und die
unstreitigen Versicherungsbeiträge von weiteren insgesamt 52,33 DM monatlich
berücksichtigend (Seite 4 der Klageschrift) - nachstehende Verpflichtung des Beklagten:
Dezember 98
Netto Beklagter 3.950,49 DM
zuzüglich Wohnvorteil 515,00 DM
Gesamteinkommen (unstreitig) 4.465,49 DM
abzüglich Fahrtkosten (unstreitig) 220,00 DM
abzüglich Kreditkosten (wie Amtsgericht) 1.060,22 DM
abzüglich VBBA/Beamtenbund (unstreitig) 10,00 DM
abzüglich Krankenkasse (unstreitig) 385,23 DM
abzüglich Unfallversicherung (unstreitig) 6,00 DM
abzüglich Risikolebensversicherung (unstreitig) 22,50 DM
abzüglich Lebensversicherung (unstreitig) 13,00 DM
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abzüglich hälftige Hausratsversicherung
(unstreitig) 10,83 DM
abzüglich vermögenswirksames Sparen
(1. Rate Januar 1999) 0,00 DM
abzüglich Sparvertrag 200,00 DM
Zwischensumme 2.537,71 DM
abzüglich Selbstbehalt 2.250,00 DM
Resteinkommen/Leistungsfähigkeit 287,71 DM
Januar 1999 bis Januar 2001
obiges Resteinkommen 287,71 DM
abzüglich vermögenswirksames Sparen 78,00 DM
Resteinkommen/Leistungsfähigkeit 209,71 DM
Für die Monate Januar 1999 bis Januar 2001 ergibt sich ein Anspruch des Klägers von (25
Monate x 209,71 DM =) 5.242,75 DM, einschließlich geschuldeter weiterer 287,71 DM aus
dem Monat Dezember 1998 also ein Gesamtanspruch des Klägers von 5.530,46 DM. Da
der Beklagte unstreitig 6.480,00 DM gezahlt hat, die Überzahlung möglicherweise in
Erkenntnis zwischenzeitlicher Gehaltssteigerungen und damit einhergehender Erhöhung
seiner Leistungsfähigkeit ab 1998 vom Kläger nicht zurückverlangt, war die Klage unter
Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
5.)
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 91 a, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Bei der erstinstanzlichen Kostenquote hat der Senat berücksichtigt, dass das Anerkenntnis
des Beklagten kein sofortiges im Sinne von § 93 ZPO war; denn der Kläger hatte ohne das
erledigende Ereignis der Zahlung und des Wegfalles des Anspruches infolge des
Umzuges des Vaters des Beklagten Ende Januar 2001 ein Titulierungsinteresse im
dargestellten Umfange. Der Beklagte hat trotz vorheriger Aufforderung zur kostengünstigen
Titulierung seines anerkannten Betrages also auch insoweit Klageveranlassung gegeben
(vgl. Zöller/Herget, ZPO, 22. Aufl., § 93 Rdnr. 6 Stichwort: Unterhaltssachen m.w.N.).
Für die zweitinstanzliche Kostenentscheidung hat der Senat das Maß des Unterliegens des
Beklagten als geringfügig eingeschätzt.
Streitwert für das Berufungsverfahren:
bis 12. März 2001 DM 8.055,91
und danach DM 7.730,43
(davon Anschlussberufung 1.632,54 DM, nämlich 26 Monate x 62,79 DM).