Urteil des OLG Köln vom 25.11.2005

OLG Köln: vertragsstrafe, unternehmen, zustandekommen des vertrages, deutsche bundespost, einstweilige verfügung, abmahnung, billigkeit, zugang, rechnungsstellung, kauf

Oberlandesgericht Köln, 6 U 54/05
Datum:
25.11.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 54/05
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 11 O 55/04
Normen:
BGB §§ 151, 315, 339
Tenor:
1.)
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.2.2005 verkündete
Teilurteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn - 11
O 55/04 - teilweise abgeändert und im Hauptausspruch insgesamt wie
folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100.000 EUR nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
26.2.2004 zu zahlen.
Im übrigen wird der Klageantrag zu 1) abgewiesen.
2.)
Die weitergehende Berufung der Klägerin sowie die Berufung der
Beklagten werden zurückgewiesen.
3.)
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander
aufgehoben.
Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens
bleibt dem Schlussurteil des Landgerichts vorbehalten.
4.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann jedoch die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5.)
Die Revision wird nicht zugelassen.
B e g r ü n d u n g
1
I
2
Die Beklagte ist im Bereich der Telekommunikation Nachfolgerin des früheren
staatlichen Unternehmens "Deutsche Bundespost". Die Klägerin ist eine ihrer
Wettbewerber im Bereich der Auskunftsdienste. Sie verlangt - soweit im
Berufungsverfahren noch von Interesse - die Zahlung einer Vertragsstrafe.
3
Nach Liberalisierung des Telefonmarktes bieten neben der Beklagten inzwischen auch
andere Anbieter Auskunftsdienstleistungen an. Die Beklagte fakturiert gegenüber den
Endkunden, die so nur eine einzige Rechnung erhalten, auch diese Dienstleistungen
Dritter. Die betreffenden Rechnungsbeträge sind in ihren Rechnungen unter
"Leistungen anderer Anbieter" aufgeführt. Darüber hinaus zieht die Beklagte auch die
fälligen Beträge ein. Grundlage hierfür sind die einschlägigen Bestimmungen des TKG
und der TKV sowie ein Beschluss der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und
Post (im Folgenden: "RegTP") vom 14.03.2000.
4
Früher hatte die Beklagte über die Fakturierung und Einziehung der fälligen Beträge
hinaus für ihre Wettbewerber auch Kundenanfragen sowie Reklamationen bearbeitet
und insbesondere das Mahnverfahren durchgeführt (sogenanntes "Online-Billing"). Seit
Mitte des Jahres 2001 erbringt die Beklagte mit Rücksicht auf den erwähnten Beschluss
der RegTP diese Leistungen nicht mehr und beschränkt sich auf die Rechnungsstellung
und Einziehung ("Offline-Billing"). Die vorliegende Auseinandersetzung beruht auf dem
Vorwurf der Klägerin, die Beklagte habe im Jahre 2003 teilweise doch noch das
erwähnte Online-Billing-Verfahren durchgeführt und dabei sie, die Klägerin, zu Unrecht
von diesem Verfahren ausgeschlossen. Im einzelnen gründen sich diese Vorwürfe auf
folgende Umstände:
5
Nachdem die Beklagte sich geweigert hatte, für die Klägerin Online-Billing-Leistungen
zu erbringen, mahnte die Klägerin die Beklagte mit dem aus der Anlage K 18
ersichtlichen Schreiben vom 22.10.03 ab. Anlass für diese Abmahnung war der
Umstand, dass die Beklagte im Auftrag eines weiteren Anbieters, nämlich der Deutsche
Bahn Auskunft, das Online-Billing weiter betrieben hatte. Beanstandet wurde weiter,
dass die Beklagte die Entgelte für Leistungen der Bahnauskunft unter der Rubrik
"Verbindungen E. U." (also nicht als "Leistungen anderer Anbieter") aufgeführt hatte.
6
Auf diese Abmahnung gab die Beklagte die aus den Seiten 3 und 4 des angefochtenen
Urteils ersichtliche Unterlassungserklärung ab. Die Parteien streiten darüber, ob und mit
Wirkung zu welchem Zeitpunkt diese Erklärung angenommen worden ist.
7
Anschließend ist die Beklagte ihren Unterlassungsverpflichtungen hinsichtlich der
Deutsche Bahn Auskunft nachgekommen, hat die geschuldeten Auskünfte jedoch nicht
erteilt.
8
Hinsichtlich eines weiteren Anbieters, nämlich dem Auskunftsdienst "xxxxx Frag
G./Deutscher Telefonbuchverlag" (im Folgenden: "Frag G."), rechnete die Beklagte auch
weiterhin fremde Leistungen als eigene ab. Die Klägerin erwirkte daraufhin die aus
Seite 6 des angefochtenen Urteils ersichtliche einstweilige Verfügung des Landgerichts
Düsseldorf. Zu dieser einstweiligen Verfügung hat die Beklagte nach
Abschlussschreiben vom 19.01.2004 (Anlage K 4) unter dem 22.01.2004 eine
Abschlusserklärung abgegeben (Anlage K 5).
9
Die Klägerin macht eine Vertragsstrafe - erstinstanzlich in Höhe von 1,2 Millionen Euro
nebst Zinsen - sowie Auskunftsansprüche geltend. Hinsichtlich der Vertragsstrafe hat
sie dies damit begründet, dass ein Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung durch
die Rechnungsstellung für das Unternehmen "Frag G." feststehe und durch die
Abschlusserklärung der Beklagten zugestanden sei. Die Beklagte habe auch schuldhaft
gehandelt. Sie habe ihre Leistungen für die Bahnauskunft eingestellt und bei dem
Unternehmen "Frag G." ebenso verfahren können. Der Anspruch sei der Höhe nach
angemessen, weil die Beklagte Marktführerin sei. Es lägen 24 Verstöße vor, weil nach
Wirksamwerden der Verpflichtung zum 01.11.2003 24 Werktage vergangen seien und
die Beklagte, wie sich aus ihrem als Anlage K 7 vorgelegten AGB ergebe, werktäglich
sogenannte "Rechnungsläufe" durchgeführt habe, die als eigenständige Verstöße
anzusehen seien. Die einzelnen Verstöße seien mit 50.000,00 EUR anzusetzen,
weswegen sich der Betrag von 1,2 Millionen Euro ergebe.
10
Die Beklagte hat eingewandt, der Vertrag sei nicht, jedenfalls nicht vor dem 04.12. 2003
zustande gekommen, es liege kein Verstoß vor, weil sie gegenüber dem Unternehmen
"Frag G." noch vertraglich gebunden gewesen sei, auch fehle es am Verschulden, weil
die Verantwortlichen ihrer Rechtsabteilung nichts von dem Vertrag mit "Frag G."
gewusst und diesen nach Kenntnisnahme sofort gekündigt hätten. Bei der Bemessung
der Vertragsstrafe sei zudem von nur einem Verstoß auszugehen.
11
Das Landgericht hat durch das angefochtene Teilurteil ausschließlich über die
Vertragsstrafe entschieden und das Verfahren im Übrigen an die für Kartellsachen
zuständige Kammer des LG Köln abgegeben.
12
Die Vertragsstrafe hat es in Höhe von 50.000,00 EUR mit der Begründung zuerkannt,
der Vertrag sei zwar gemäß § 151 BGB schon vor dem 1.11.2003 zustande gekommen,
es liege aber ein Fall der natürlichen Handlungseinheit vor, weswegen nur ein Verstoß
zugrunde zu legen sei. Dieser sei mit 50.000,00 EUR angemessen geahndet.
13
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien - selbstständig - Berufung eingelegt.
Während die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage beantragt, erstrebt die
Klägerin eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von weiteren 150.000 EUR.
14
Die Beklagte wiederholt ihren Vortrag, wonach der Vertrag jedenfalls nicht vor dem
04.12.2003 zustande gekommen ist. Im Übrigen sei die Vertragsstrafe von 50.000,00
EUR jedenfalls überhöht. Sie habe sich bemüht, die Verpflichtungserklärung
einzuhalten, und die Behandlung des Auskunftsdienstes "Frag G." stelle lediglich einen
15
Ausreißer dar, wie er in ihrer großen Organisation nicht vollständig zu vermeiden sei.
Zudem sei in dem Zeitraum zwischen dem 01.11.2003 und dem 13.11.2003 lediglich ein
Gesamtumsatz von gut 15.000,00 EUR erzielt worden, weswegen die Klägerin auch
keinen größeren Schaden als diesen Betrag erlitten haben könne.
Die Klägerin reduziert ihre Forderung auf nunmehr insgesamt 200.000,00 EUR. Sie
meint weiterhin, es müsse von 24 Einzelverstößen ausgegangen werden. Jedenfalls
lägen aber zumindest deswegen zwei Verstöße vor, weil die Beklagte nicht nur
Rechnungen sondern auch Mahnungen versandt habe. Zudem habe sie auch
vorsätzlich gehandelt. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten habe diese nämlich
einerseits (schon) am 13.11.2003 den Vertrag mit dem Unternehmen "G." gekündigt,
andererseits sei der Kunde L. noch unter dem 28.11.2003 wegen einer Rechnung vom
13.11.2003 gemahnt worden, die auch Auskünfte des Unternehmens "Frag G."
enthalten habe.
16
II
17
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat teilweise auch in der Sache Erfolg. Der
Klägerin steht gem. § 339 BGB eine Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 100.000
EUR zu. Demgegenüber ist die ebenfalls zulässige Berufung der Beklagten
unbegründet.
18
1.
19
Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien ein
durch eine Vertragsstrafe gesicherter Unterlassungsvertrag zustande gekommen ist.
Das ist abweichend von der Auffassung der Kammer allerdings erst mit Zugang der
Eingangsbestätigung der Klägerin vom 04.11.03 (Anlage K 8) bei der Beklagten
geschehen.
20
Der Unterlassungsvertrag ist nicht schon am 29.10.2003 mit Zugang der
Unterlassungserklärung der Beklagten vom selben Tage bei der Klägerin zustande
gekommen. Die Unterlassungserklärung müsste dazu die Annahme eines
vorangegangenen Angebotes der Klägerin darstellen. Das käme in Frage, wenn die
Klägerin ihrer Abmahnung den Entwurf einer Unterlassungserklärung beigefügt hätte,
der inhaltlich mit der späteren Unterlassungserklärung übereinstimmte. Das kann jedoch
nicht zugrunde gelegt werden. Die als Anlage K 15 vorgelegte Abmahnung der Klägerin
vom 22.10.03 erwähnt zwar (Seite 3 unten) eine "beigefügte Verpflichtungserklärung",
diese ist jedoch nicht mit vorgelegt worden. Dasselbe gilt für das im Briefkopf der
Unterlassungserklärung der Beklagten vom 29.10.03 aufgeführte Schreiben der
Klägerin vom 28.10.03, das sich ebenfalls nicht in der Akte befindet. Die
Unterlassungserklärung der Beklagten kann vertragsrechtlich daher nicht als Annahme,
sondern nur als Angebot zum Vertragsschluss angesehen werden.
21
Das Landgericht hat angenommen, der Vertrag sei am Tage des Zugangs der
Unterlassungserklärung bei der Klägerin gemäß § 151 Satz 1 BGB zustande
gekommen. Dem kann nicht gefolgt werden. Auch unter den Voraussetzungen des §
151 BGB ist für den Vertragsschluss eine nach außen hervortretende eindeutige
Betätigung des Annahmewillens erforderlich (vgl. BGHZ 74,352,356). Die Bestimmung
erklärt demgegenüber lediglich den Zugang der Annahmeerklärung für entbehrlich. Ein
damals auch nur konkludent zum Ausdruck gebrachter Wille der Klägerin, die Erklärung
22
der Beklagten anzunehmen, ist ihrem Vortrag indes nicht zu entnehmen.
Zudem hat der BGH in der Entscheidung GRUR 02, 824 ff. - "Teilunterwerfung" seine
bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach die Übersendung einer
Unterlassungserklärung nur dann den Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung
beinhaltet, wenn die Unterwerfungserklärung nicht oder zumindest nicht in einem
wesentlichen Punkt von demjenigen abweicht, was der Anspruchsteller insoweit
verlangt hat (a.a.O., S. 825; vgl. auch Fezer-Büscher, § 8 Rz. 129;
Harte/Henning/Beckedorf, § 8 Rz. 34, jeweils m.w.N.). Dass diese Voraussetzungen
vorliegen, könnte ohne Kenntnis des Wortlauts der mit der Abmahnung geforderten
Unterlassungserklärung nicht festgestellt werden.
23
Die Klägerin hat aber durch ihre Eingangsbestätigung vom 04.11.03 (Anlage K 8) das
Vertragsangebot angenommen. Das belegt schon die Formulierung "wir bestätigen
hiermit den Eingang der von Ihnen unterzeichneten Verpflichtungserklärung...". Denn
die Klägerin hat anschließend nicht etwa die Erklärung als inhaltlich unzureichend
beanstandet, sondern "auf der Basis der darin eingegangenen Verpflichtung"
Ansprüche auf Auskunft und Kostenübernahme geltend gemacht. Zudem liegt in dieser
Geltendmachung der sich aus der Verpflichtungserklärung ergebenden Ansprüche eine
eindeutige konkludente Annahmeerklärung, weil die Ansprüche ohne ein
Zustandekommen des Vertrages und damit ohne eine Annahme der
Unterlassungserklärung durch die Klägerin nicht bestünden.
24
Diese Annahmeerklärung ist auch rechtzeitig erfolgt. Es kann offen bleiben, ob
Angebote zum Abschluss eines Unterlassungsvertrages durch den Schuldner
regelmäßig unbefristet erfolgen (vgl. dazu Baumbach/Hefermehl/Bornkamm,
Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 12 Rz.1.115), weil die etwaige Annahmefrist gemäß §
147 Abs. 2 BGB jedenfalls nicht überschritten ist. Die Klägerin hat durch ihren
Bevollmächtigten nach einer Woche auf die Unterwerfungserklärung reagiert.
Angesichts der Komplexität der Ansprüche und der Notwendigkeit der Abstimmung des
Bevollmächtigten mit der Klägerin konnte die Beklagte erwarten, dass die Klägerin eine
Woche zur Überprüfung benötigen würde. Diese Sicht wird durch den Umstand
bestätigt, dass die Beklagte selbst noch etwa drei Wochen nach Abgabe der
Unterlassungserklärung, nämlich unter dem 20.11.2003, angefragt hat, ob die Klägerin
die Verpflichtungserklärung annehme, und sich nicht etwa auf den Standpunkt gestellt
hat, die Annahmefrist sei verstrichen (Anlage K 9).
25
2.
26
Die Unterlassungsvereinbarung der Parteien enthält ein Vertragsstrafeversprechen
nach dem "neuen Hamburger Modell". Danach hat im Falle des Vertragsverstoßes der
Gläubiger das Recht, nach billigem Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB) eine Vertragsstrafe
zu bestimmen. Die Billigkeit dieser Bestimmung ist auf Verlangen des Schuldners
gemäß § 315 Abs. 3 BGB gerichtlich zu überprüfen.
27
Diese im vorliegenden Verfahren durchzuführende Überprüfung führt zur Festsetzung
einer Vertragsstrafe in Höhe von 100.000,00 EUR, weswegen die Berufung der Klägerin
teilweise begründet und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen ist.
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Die Beklagte hat durch die unveränderte Abwicklung des Vertrages mit dem
Unternehmen "Frag G." gegen beide Alternativen der Unterlassungsverpflichtung
29
verstoßen.
Wie aus der Anlage 1 zur Abmahnung der Klägerin vom 04.12.2003 ersichtlich ist, hat
die Beklagte noch unter dem 13.11.2003 Leistungen des Auskunftsdienstes "Frag G."
gegenüber Telefonkunden als eigene Leistungen, nämlich unter der Rubrik
"Verbindungen E. U.", geltend gemacht. Darüber hinaus hat sie unter dem 28.11.2003
die Begleichung der Rechnung des Kunden L., in der auch Leistungen von "Frag G."
abgerechnet waren, angemahnt. Dass die Beklagte - wie sie erstinstanzlich vorgetragen
hat - hierzu gegenüber dem Unternehmen "Frag G." vertraglich verpflichtet gewesen
sein mag, ist unerheblich. Indem sie sich verpflichtete, derartige "Online-Billing" Dienste
nicht mehr zu erbringen, hatte die Beklagte für die Einhaltung dieser Verpflichtung
einzustehen. Wenn ihr dies rechtlich nicht möglich gewesen sein sollte, hätte sie die
Unterlassungserklärung nicht uneingeschränkt abgeben dürfen. Im Übrigen hat die
Beklagte später - wie sich ihrem Vortrag entnehmen lässt offenbar unproblematisch -
das Vertragsverhältnis zu "Frag G." kurzfristig gekündigt und auf Offline-Billing
umgestellt.
30
Die Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt. Die behauptete Unkenntnis der
Mitarbeiterin ihrer Rechtsabteilung von der Existenz der Vertragsbeziehung zu dem
Unternehmen "Frag G." ist auch angesichts des Umstandes, dass es sich um einen
nicht in der Zentrale der Beklagten, sondern im Bezirk Norddeutschland gepflegten
Vertrag handelt, unerheblich. Nachdem die Beklagte die Verpflichtung eingegangen
war, oblag es ihr sicherzustellen, dass diese bundesweit eingehalten wurde.
31
Der Höhe nach entspricht die Festsetzung einer Vertragsstrafe von 100.000 EUR der
Billigkeit im Sinne des § 315 BGB.
32
Nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut (Ziffer 1 am Ende) gilt die vertragliche
Vereinbarung "für alle ab dem 01.11.2003 gewählten Verbindungen". Die Beklagte war
daher, wenn der Vertrag auch erst mit Zugang der Eingangsbestätigung der Klägerin
vom 4.11.2003 bei ihr zustande gekommen ist, rückwirkend bereits vom 1.11.2003 an -
spätestens aber seit dem 4.11. - zu seiner Einhaltung verpflichtet. Die Beklagte hat
indes nach dem 31.10.2003 nicht nur gegenüber dem Kunden L., sondern gegenüber
sämtlichen Telefonkunden, die Dienstleistungen des Unternehmens "Frag G." in
Anspruch genommen hatten, diese in Rechnung gestellt und erforderlichenfalls
Mahnungen ausgesprochen und so gegen die Unterlassungspflichten verstoßen. Erst
am 13.11.2003 ist in der Rechtsabteilung ihrer Zentrale das Vertragsverhältnis zu "Frag
G." wahrgenommen und die Notwendigkeit der Beendigung des Offline-Billing mit
diesem Unternehmen erkannt worden.
33
Bei der vertragswidrigen Rechnungsstellung und Mahnung der Kunden durch die
Beklagte handelt es sich im Ausgangspunkt um eine in die Tausende gehende Vielzahl
von Verstößen. Dies kann entgegen der Auffassung der Klägerin aber nicht zu einer
entsprechenden Vervielfachung der verwirkten Vertragsstrafe führen. Nach der
Rechtsprechung des BGH (GRUR 01, 758 ff - "Trainingsvertrag") ist vielmehr bei
gleichartigen Verstößen zunächst zu prüfen, ob eine natürliche Handlungseinheit im
Rechtssinne vorliegt. Ist das nicht der Fall, so ist unter Auslegung des Vertrages zu
untersuchen, ob es sich um gleichartige fahrlässige Verletzungshandlungen handelt, die
unter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen worden ist. In diesen Fällen
liegt die Annahme nahe, dass die Parteien, auch wenn sie - wie im Streitfall - die
Formulierung "für jeden Einzelfall" gewählt haben, nur die Verwirkung einer einzigen
34
Vertragsstrafe vereinbaren wollten.
Zu Recht hat die Kammer auf der Grundlage dieser Rechtsprechung bereits die
Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit bejaht. Eine solche ist bei einem
engen Zusammenhang der Einzelakte und einer auch für Dritte erkennbaren
Zugehörigkeit zu einer Einheit anzunehmen (vgl. BGH GRUR 61, 307 - "Krankenwagen
II"; Baumbach/Hefermehl/Bornkamm a.a.O., Rz 1.147). Die Beklagte hatte das
Vertragsverhältnis mit dem Unternehmen "Frag G." pflichtwidrig übersehen. Aufgrund
dieses - einen - Fehlverhaltens ist es zwar zu einer Vielzahl von Rechnungsstellungen
und Mahnungen gekommen, die jeweils für sich genommen zur Begründung eines
Vertragsverstoßes ausreichen würden, diese beruhen aber nicht auf einzelnen
gesonderten Verletzungshandlungen, sondern auch für Dritte erkennbar allein darauf,
dass die Parteien ein Massengeschäft betreiben und das Vertragsverhältnis mit "Frag
G." der Unterlassungsvereinbarung noch nicht angepasst war. Das gilt auch angesichts
des Umstandes, dass an den Werktagen jeweils Rechnungsläufe stattgefunden haben,
die nicht vollautomatisch, sondern von Menschenhand gesteuert worden oder
zumindest kontrolliert abgelaufen sein sollen. Denn auch diese Rechnungsläufe
gewährleisteten nicht, dass das Vertragsverhältnis zu dem Unternehmen "Frag G." in
seiner Bedeutung für die Vertragsvereinbarung erkannt wurde. Eine jeweils einzeln
vorwerfbare Verletzungshandlung mit eigenem Unwertgehalt liegt danach weder in den
einzelnen Rechnungen und Mahnungen, noch entgegen der Auffassung der Klägerin in
der werktäglichen Fortsetzung der Praxis nach Absolvierung der Rechnungsläufe.
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Die Berufung der Klägerin hat gleichwohl teilweise Erfolg, weil nicht nur eine, sondern
zwei Handlungseinheiten vorliegen und deswegen der von dem Landgericht bestimmte
Betrag von 50.000 EUR der Billigkeit nicht entspricht.
36
Diese Sicht rechtfertigt sich allerdings nicht aus dem von der Klägerin angeführten
Umstand, dass die Beklagte gegen beide Alternativen der Unterlassungsvereinbarung
verstoßen hat. Der Beklagten ist für den Zeitraum bis zu dessen "Entdeckung" nur der
Vorwurf zu machen, dass sie den Vertrag mit dem Unternehmen "Frag G." im Rahmen
der Umsetzung ihrer übernommenen Unterlassungsverpflichtung nicht berücksichtigt,
sondern insoweit die alte Praxis fortgesetzt hat. Der Umstand, dass diese Praxis gegen
zwei getrennte rechtliche Verpflichtungen verstieß, stellt rechtlich nicht zwei, sondern
nur eine Handlung dar, weswegen der Bemessung der Vertragstrafe insoweit eine
natürliche Handlungseinheit bis zum 13.11. 2003 zugrunde zu legen ist und es
infolgedessen nicht entscheidend darauf ankommt, ob - wie oben angesprochen - die
Beklagte mit dem 1.11. oder erst dem 4.11.2003 zur Unterlassung verpflichtet war.
37
Es liegt aber eine Zäsur in der Verhaltensweise der Beklagten nach Aufdeckung der
Vertragsbeziehungen zu "Frag G." durch die Rechtsabteilung ihrer Zentrale. Dabei
macht die Klägerin keine gesonderten Rechte mit der deswegen auch nicht zu
überprüfenden Begründung geltend, die Beklagte habe nicht alles zumutbare und
erforderliche getan, um die Versendung aktuell in Arbeit befindlicher
Rechnungsstellungen zu verhindern. Sie beanstandet aber zu Recht, dass säumige
Kunden weiterhin gemahnt worden sind. Diese Verfahrensweise beruht auf einem
neuen Handlungsentschluss der Beklagten, der mit den bis dahin in fahrlässiger
Unkenntnis von dem Inhalt der Vertragsbeziehungen erfolgten Rechnungsstellungen
und Mahnungen nicht in einer rechtlichen Handlungseinheit steht. Ebenso ergibt die
Auslegung des Vertrages nicht, dass die Parteien für die gegebene Fallkonstellation nur
eine einzige Vertragsstrafe als verwirkt vereinbaren wollten.
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Die Beklagte hat nach der Entdeckung der Relevanz des Unterlassungsvertrages auch
für ihre Vertragsbeziehungen zu dem Unternehmen "Frag G." bewusst in Kauf
genommen, dass Kunden, die durch dieses Unternehmen erbrachte Auskünfte nicht
bezahlt hatten, weiterhin durch die - teilweise oder vollständig - automatisierten Abläufe
gemahnt werden würden, wie dies im Fall des Kunden L. durch die Klägerin
nachgewiesen ist. Dass sie etwa keinen Einfluss auf diese Abläufe gehabt oder es
einen unzumutbaren Aufwand bedeutet hätte, die "Frag G." betreffenden Mahnungen
auszufiltern, trägt die Beklagte selbst nicht vor und liegt auch nicht nahe. Dieses
vorwerfbare Verhalten stellt sich nicht als Teilakt des seit Vertragsbeginn fahrlässig
erfolgten Vertragsverstoßes dar, weil es auf einem neuen Entschluss der Beklagten
beruht, durch das Verstöße gegen die Vertragsvereinbarung sogar bewusst in Kauf
genommen worden sind. Die Beklagte handelte seit der Erkenntnis, dass auch ihr
Vertragsverhältnis zu "Frag G." von der Vereinbarung betroffen war, bedingt vorsätzlich.
Das steht aber der Wertung als natürliche Handlungseinheit nicht entgegen. Die
Beklagte hat nicht mehrfach durch jeweils neuen Tatentschluss gegen das Verbot
verstoßen, sondern sich einmal entschlossen, ihr Mahnverhalten hinsichtlich der
säumigen Kunden des Unternehmens beizubehalten und dabei die Verletzung der
vertraglichen Verpflichtung in Kauf genommen. Die von der Klägerin im Schriftsatz vom
11.11.2005 für ihren gegenteiligen Standpunkt angeführten Fundstellen, die den Fall
des lediglich bedingten Vorsatzes ohnehin nicht anführen, betreffen, wie jeweils
ausdrücklich erwähnt ist, das Institut der natürlichen Handlungseinheit nicht, sondern
die Frage, ob bei rechtlich selbständigen Handlungen eine Zusammenfassung in
Betracht kommt.
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Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände entspricht eine Vertragsstrafe
von insgesamt 100.000 EUR für beide Verstöße im Sinne des § 315 BGB billigem
Ermessen.
40
Der Senat teilt die Auffassung der Kammer, wonach für die auf Fahrlässigkeit
beruhende Rechnungsstellung und Mahnung in der Zeit vom 1.11.2003 bis zum 13.11.
2003 ein Betrag von 50.000 EUR der Billigkeit entspricht. Die hiergegen vorgebrachten
Einwände der Beklagten greifen nicht durch. Dass die Beklagte sich abgesehen von
dem hier streitigen Vertragsverhältnis zu "Frag G." an ihre Verpflichtung gehalten hat,
obwohl sie Anlass zu der Annahme sah, der Vertrag sei noch nicht angenommen,
entsprach ihren Obliegenheiten. Dass sie mit den Anrufen für "Frag G." einen
Gesamtumsatz von nur gut 15.000,00 EUR gemacht hat, ist in dem Urteil des
Landgerichts bereits angemessen berücksichtigt worden und kann nicht etwa dazu
führen, den Vertragsstrafebetrag auf diese Summe zu reduzieren. Die Beklagte war
auch entgegen ihrer Darstellung gerade nicht besonders sorgfältig darauf bedacht, die
eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Das zeigt der Umstand, dass ihr ihre
Vertragsbeziehungen zu dem Unternehmen "Frag G." entgangen sind.
41
Unter zusätzlicher Berücksichtigung des zweiten Verstoßes entspricht es der Billigkeit,
beide Handlungen gleich zu gewichten und die Vertragsstrafe dementsprechend auf
insgesamt 100.000 EUR festzusetzen. Nach der "Entdeckung" des
Vertragsverhältnisses zu dem Unternehmen "Frag G." ist nicht etwa nur der
Telefonkunde L. abgemahnt worden. Vielmehr ist mit der Klägerin, deren
diesbezüglicher Hochrechnung in ihrer Berufungsbegründung die Beklagte nicht
widersprochen hat, davon auszugehen, dass mindestens 533 erfolglose Mahnungen
ausgesprochen worden sind. Auch wenn diese Zahl deutlich niedriger liegt als die Zahl
42
der bis zum 13.11.2003 absprachewidrig versandten Rechnungen, handelt es sich nicht
um einzelne "Ausreißer". Zudem ist zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass
sie in dem zweiten Handlungsabschnitt der Vorwurf des (bedingt) vorsätzlichen
Handelns trifft.
Dass die Fortsetzung der Mahntätigkeit dem Unternehmen "Frag G." für den begrenzten
Zeitraum von 15 Werktagen einen gewissen Wettbewerbsvorteil verschafft haben mag,
ist in der Gewichtung beider Verstöße mit je 50.000 EUR ebenso berücksichtigt wie der
von der Klägerin im Schriftsatz vom 11.11.2005 noch angeführte Umstand, dass die
Beklagte nur für einen kürzeren Zeitraum die Leistungen des Unternehmens "Frag G."
als eigene Leistungen abgerechnet hat.
43
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs.1, 97 Abs.1 ZPO.
44
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
45
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die der
Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Die
Anwendung dieser Rechtsfragen auf den vorliegenden Einzelfall hat nicht im Sinne des
§ 543 Abs.2 Ziff.1 ZPO grundsätzliche Bedeutung. Ebenso ist aus diesem Grunde eine
Entscheidung des Bundesgerichtshofes weder zur Fortbildung des Rechts noch zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs.2 Ziff.2 ZPO).
46
Streitwert für das Berufungsverfahren: 200.000 EUR.
47