Urteil des OLG Köln vom 12.04.1994
OLG Köln (kläger, polen, spanien, fahrzeug, wahrscheinlichkeit, versicherer, angabe, verdacht, umstand, vvg)
Oberlandesgericht Köln, 9 U 17/94
Datum:
12.04.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 17/94
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 O 68/92
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 17.3.1993 verkündete Urteil
der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 68/92 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf eine Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 11.000,- DM abwenden, wenn
nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet. Den Parteien wird gestattet, Sicherheit auch in Form einer
selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank,
Genossenschaftsbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu leisten.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer für sein Fahrzeug
Mercedes-Benz 230 E, amtl. Kennzeichen ........., abgeschlossenen Kaskoversi-
cherung.
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Er hat behauptet, dieses Fahrzeug auf einer mit der Zeugin K. und dem Zeugen Ka.
geplanten Reise nach Spanien bei einem Zwischenaufenthalt am 10.7.1991 in
Torun/Polen gegen 18.30 Uhr auf einem dortigen Parkstreifen mit eingeschalteter
Alarmanlage abge- stellt gehabt und nach Erledigung einiger Besorgun- gen dort um
19.00 Uhr nicht mehr vorgefunden zu haben. Den Umweg über Torun/Polen habe man
gemacht, weil die in Polen wohnende Zeugin K., die ihn vor der Reise noch in
Deutschland besucht habe, zuhause einige Sachen für den Aufenthalt in Spanien holen
und auf das Grab ihres Vaters in Torun zuvor noch Blumen legen wollte.
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Der Kläger hat im ersten Rechtszug für das Fahr- zeug Schadensersatz in Höhe des von
ihm bei dem Erwerb des Fahrzeugs gezahlten Kaufpreises von 61.716,41 DM geltend
gemacht, darüber hinaus Ent- schädigung für zahlreiches im Fahrzeug befindliches
Reisegepäck begehrt sowie Ersatz für die Rückfahrt- kosten und für
Übersetzungskosten polnischer Urkun- den verlangt.
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Er hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 85.689,41 DM nebst 14,25 % Zinsen seit dem
27.7.1991 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat den Diebstahl des Fahrzeugs bestritten und behauptet, die näheren Umstände
im Zusammenhang mit der angeblichen Urlaubsfahrt nach Spanien über Polen legten
den Verdacht einer Vortäuschung des Diebstahls mit erheblicher Wahrscheinlichkeit
nahe; dies um so mehr, als der Kläger zunächst auch fal- sche Angaben zu Vorschäden
seines PKW und zur Kilo- meterleistung gemacht habe und daher unglaubwürdig sei.
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Das Landgericht hat nach Vernehmung der Zeugen K. und Ka. durch das angefochtene
Urteil, auf dessen Einzelheiten in vollem Umfange Bezug genommen wird, die Klage
abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: soweit der Kläger Ersatz für das
mitgeführte Rei- segepäck und für weitere Unkosten verlange, seien diese Ansprüche
von der Kaskoversicherung für das Fahrzeug nicht umfaßt. Ein Anspruch auf Entschädi-
gung für das Fahrzeug selbst sei gleichfalls unbe- gründet, weil die
Fahrzeugentwendung nicht bewiesen sei. Das Vorbringen des Klägers zum äußeren
Sach- verhalt sei nicht widerspruchsfrei und weiche im übrigen auch in wesentlichen
Einzelheiten von den Schilderungen der Zeugen ab.
10
Gegen das dem Kläger am 31.3.1993 zugestellte Ur- teil hat er am 28.4.1993 Berufung
eingelegt, die er nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.6.1993
mit einem am 25.6.1993 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
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Der Kläger verfolgt nunmehr lediglich noch seinen Anspruch auf
Fahrzeugentschädigung weiter und wie- derholt zur Entwendung des PKWs sein
erstinstanzli- ches Vorbringen. Er meint, die vom Landgericht her- ausgestellten
Widersprüche in den Schilderungen der Zeugen und seiner eigenen Darstellung von
den Vor- gängen im Zusammenhang mit der Fahrt nach Polen und der geplanten Reise
nach Spanien beträfen ohnehin lediglich Randgeschehnisse, seien aber tatsächlich
auch gar nicht gegeben. Die Zeugenaussagen, die unter Hinzuziehung von
Dolmetschern gemacht worden seien, dürften im Hinblick auf nebensächliche De- tails
und Ungenauigkeiten nicht auf die Goldwaage gelegt werden.
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Der Kläger beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an
ihn 61.716,41 DM sowie hinsichtlich eines Teil- betrages von 13.000,- DM 15,84 %
Zinsen ab 10.4.1992, im übrigen 14,75 % Zinsen seit dem 27.7.1991 zu zahlen;
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ferner zu gestatten, Sicherheiten auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank,
Genossen- schaftsbank oder öffentlichen Sparkasse lei- sten zu dürfen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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ferner zu gestatten, Sicherheit auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deut-
schen Großbank oder öffentlichen Sparkasse leisten zu können.
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Auch sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbrin- gen und hält das angefochtene Urteil
in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht für zutreffend. Ergän- zend trägt sie vor, daß sie
auch wegen der bereits im ersten Rechtszug erwähnten Falschangaben des Klägers zu
Vorschäden des Fahrzeugs und dessen Ki- lometerleistung unter dem Gesichtspunkt
der Oblie- genheitsverletzung leistungsfrei sei.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die Ermittlungsakte 71 Js 199/92 StA Köln war Ge- genstand der mündlichen
Verhandlung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat in der Sache selbst keinen Erfolg.
23
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen.
24
I.
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Auch der Senat hält den Eintritt des vom Kläger be- haupteten Versicherungsfalles, d.h.
die Entwendung seines Fahrzeugs am 10.7.1991 in Torun/Polen nicht für bewiesen.
Das Landgericht hat bereits in seinem Urteil (dort S. 6/7) auf die nach höchstrichter-
licher Rechtsprechung in Diebstahlsfällen der vor- liegenden Art maßgeblichen
Beweisgrundsätze hinge- wiesen, wonach einem Versicherungsnehmer Beweiser-
leichterungen beim Nachweis des Versicherungsfalles dann nicht zugute kommen, er
vielmehr den sogenann- ten Vollbeweis erbringen muß, wenn Tatsachen vor- liegen, die
eine Vortäuschung des Versicherungsfal- les mit erheblicher Wahrscheinlichkeit
nahelegen. Letzteres ist vorliegend der Fall. Ob alle vom Landgericht erwähnten
Ungereimtheiten, Auffällig- keiten und Widersprüche in den Angaben des Klägers und
der Zeugen den Verdacht einer Vortäuschung der Fahrzeugentwendung mit erheblicher
Wahrscheinlich- keit nahezulegen geeignet sind, kann allerdings zu Recht bezweifelt
werden. Insoweit wird man in der Tat zu berücksichtigen haben, daß sowohl der Kläger
und der Zeuge Ka. als türkische Staatsangehörige als auch die Zeugin K. als polnische
Staatsangehö- rige der deutschen Sprache nicht in dem Maße mäch- tig sind, daß
Mißverständnisse und Übertragungsfeh- ler durch die beiden Dolmetscher für Türkisch
und Polnisch ausgeschlossen werden könnten. Es bleiben aber auch ohne diese
möglicherweise auf Sprach- schwierigkeiten beruhenden widersprüchlichen und
ungereimten Angaben der Zeugen und des Klägers zu den Einzelheiten des
Aufenthaltes in Polen schwer- wiegende Verdachtsmomente bestehen, die eine Vor-
täuschung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nahe- legen.
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So spricht die Tatsache, daß die Zeugin K. den Kläger vor der Abreise in den Urlaub
nach Spanien noch zuhause in W. besucht hatte und dieserhalb aus Polen mit dem
Autobus angereist war, entschieden gegen den Vortrag des Klägers, man habe schon
vor diesem Besuch, nämlich (so die Zeugin K.) im Mai oder Juni die Urlaubsreise nach
Spanien geplant gehabt. Es leuchtet schlechterdings nicht ein, daß die Zeugin, wohl
wissend, daß sie bei sich zuhause in Polen noch ihre Sommersachen holen und auch
noch für eine Betreuung ihres kleinen Sohnes sorgen mußte, sich den Strapazen einer
Autobusfahrt von Polen nach W. unterzieht, nur um für eine Woche den Kläger zu
besuchen und dann mit ihm und dem Zeugen Ka. nach Polen zurückzufahren. Eine
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plausible Er- klärung hierfür hat weder die Zeugin noch der Klä- ger gegeben. Hier liegt
vielmehr der Verdacht nahe, daß die Spanienreise nur deshalb ins Spiel gebracht
worden ist, um das Vorhandensein des umfangrei- chen Reisegepäcks und relativ hoher
Bargeldbeträge (10.000,- DM des Klägers und 5.000,- DM des Zeugen Ka.) plausibel
erscheinen zu lassen, um auch inso- weit Entschädigungsansprüche durchsetzen zu
können. Gegen eine geplante Spanienreise zu Dritt spricht sodann auch, daß der Zeuge
Ka. nach seinen Bekun- dungen vor dem Landgericht bis zu dem Gerichtster- min nicht
einmal den Namen der mitreisenden Zeugin K. gekannt hat, er über deren Teilnahme an
der Spa- nienreise mit dem Kläger auch gar nicht gesprochen hat und ihm auch nicht
bekannt war, daß ein Zelt, Matratzen, ein Campingtisch und für jeden ein Cam-
pingstuhl mitgeführt wurde, wie die Zeugin K. aus- gesagt hat. Daß man trotz einer
angeblichen Vorpla- nung der Reise nicht über die Teilnahme einer drit- ten Person
spricht und nicht einmal den Namen des dritten Reiseteilnehmers kennt und auch nichts
über die Mitnahme eines Zeltes und weiterer Gegenstände für einen Aufenthalt auf
einem Campingplatz weiß, erscheint derart ungewöhnlich und lebensfern, daß nur noch
der Schluß übrig bleibt, daß eine Spanien- reise in der Tat gar nicht geplant war,
vielmehr lediglich aus den genannten Gründen vorgeschützt wurde. An dieser Annahme
vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß die Zeugin K. bei ihrer Ver- nehmung
vor dem Landgericht ein unter dem 2.6.1991 ausgestelltes Visum für Spanien vorlegen
konnte. Dieses Visum mag für eine ganz andere Unternehmung gedacht gewesen sein,
als die vom Kläger behauptete Spanienreise.
Eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Versicherungsfalles liegt
sodann auch deshalb nahe, weil es gänzlich unwahrscheinlich erscheint, daß der
Kläger und der Zeuge Ka., die beide in der gleichen Fabrik arbeiten (der Kläger verdient
ca. 3.500,- DM netto) Geldbeträge von 10.000,- DM und 5.000,00 DM mit sich führen und
dieses Geld bei ihren Einkäufen in Torun auch noch im Fahrzeug zurücklassen. Die
hierzu vom Kläger im Verhand- lungstermin gegebene Erläuterung, man habe das Geld
gerade in dem mit einer Alarmanlage ausgestatteten Fahrzeug für besonders sicher
aufbewahrt gehalten, überzeugt in keiner Weise. Auch dem Kläger dürfte aufgrund der
zahlreichen Meldungen in Presse und Fernsehen bekannt sein, daß gerade in Polen
profes- sionell arbeitende Autoschieberbanden ihr Unwesen treiben und das Risiko der
Fahrzeugentwendung dort daher besonders hoch ist, erst recht bei Fahrzeugen der
oberen Mittelklasse wie einem Mercedes Benz 230 E.
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Liegt mithin aus den vorgenannten Gründen eine Vortäuschung des Fahrzeugdiebstahls
mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nahe, können dem Kläger die vom Landgericht
genannten Beweiserleichterungen derge- stalt, daß er lediglich ein äußeres Bild dartun
und beweisen müßte, dem mit hinreichender Wahrschein- lichkeit eine
Fahrzeugentwendung entnommen werden kann, nicht zugebilligt werden.
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Dies ist ferner auch deshalb nicht möglich, weil der Kläger sich aufgrund zunächst
falscher Angaben zu Vorschäden seines Fahrzeugs und zur Kilometer- leistung als
unredlich erwiesen hat.
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Hinsichtlich des Kilometerstandes hatte der Kläger ursprünglich in der
Schadensanzeige überhaupt keine Angaben gemacht, wie dem Schreiben der
Beklagten vom 25.7.1991 (Bl. 39 d.A.) zu entnehmen ist. Die dann auf Nachfrage der
Beklagten erfolgte Angabe mit 36.000 km (Bl. 13 d.A.) war unstreitig um ca. 6.000 km zu
niedrig. In der seitens der Beklagten übersandten "Checkliste" wurde die Angabe unter
dem 23.9.1991 auf "ca. 42.000 km" berichtigt. Dies geschah ersichtlich deshalb, weil in
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der Checkli- ste auch nach Inspektionen, Wartungsarbeiten und Reparaturen gefragt
worden war und dazu mitgeteilt werden mußte, daß am 24.1.1991 bei einem schon zu
jener Zeit bestehenden Kilometerstand von 33.769 km ein Pflegedienst ausgeführt
worden war. Eine den Kläger eventuell entlastende, völlig freiwillige Berichtigung der
ursprünglich falschen Angabe kann daher nicht angenommen werden (vgl. für das
Oblie- genheitenrecht auch Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., Anm. 9 C a zu § 6 = S. 119
unten). Der Umstand, daß der Kläger in der Schadensanzeige die Frage nach der
Kilometerleistung des Fahrzeugs völlig offen- glassen hatte, belegt im übrigen auch,
daß er sich insoweit mit zutreffenden Angaben bewußt zurückhal- ten wollte. Im übrigen
besteht gemäß § 6 Abs. 3 VVG eine Vermutung für vorsätzliches Handeln, die der
Kläger nicht entkräftet hat. Auch in Bezug auf den zweiten Vorschaden vom 26.4.1991
liegt eine Falschangabe vor. Im Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom
6.8.1991 war nur ein Vorschaden vom 26.7.1990 erwähnt worden (Bl. 14 d.A.). Auch
hier ist die Wahrheit erst spä- ter in der Checkliste vom 23.9.1991 ans Tageslicht
gekommen. Auch hier ist die Entschuldigung mit ei- nem angeblichen "Versehen" nicht
überzeugend. Ange- sichts der überaus genauen und detallierten Infor- mationen, die
der Kläger seinem damaligen Bevoll- mächtigten für die Beantwortung des Schreibens
der Beklagten vom 25.7.1991 im Hinblick auf den Vor- schaden vom 26.7.1990 gegeben
hatte und die im ge- nannten Schreiben vom 6.8.1991 auch enthalten sind, ist auch hier
belegt, daß der Kläger den zweiten Vorschaden bewußt zurückgehalten hat. Denn wer
sich in einem derartigen Maße bemüht, die Frage nach Vorschäden ausführlich zu
beantworten, wird kaum einen zweiten Vorschaden "versehentlich" vergessen, erst recht
nicht, wenn dieser zeitlich näher liegt als der angegebene Vorschaden.
Nach alledem hätte der Kläger für den behaupteten Fahrzeugdiebstahl vollen Beweis
erbringen müssen, was jedoch nicht der Fall ist. Unmittelbare Tatzeu- gen oder etwa
Geständnisse der Diebe hat er nicht beigebracht.
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II.
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Die Beklagte ist schließlich aber auch deshalb leistungsfrei, weil der Kläger aufgrund
der er- wähnten Falschangaben zur Kilometerleistung und zu Vorschäden des
Fahrzeugs die nach § 7 I Abs. 2 S. 3 AKB bestehende Aufklärungsobliegenheit verletzt
hat (§§ 7 V Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG).
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Der Umstand, daß sich die Beklagte erstmals im zweiten Rechtszug hierauf beruft, steht
dem nicht entgegen. Allerdings ist dieser Umstand entgegen der Auffassung der
Beklagten nicht schon deshalb unerheblich, weil Leistungsfreiheit von selbst ein- trete
und man sich nicht darauf zu berufen brauche. Diese Ansicht entspricht nicht der
zutreffenden herrschenden Meinung, wie sie insbesondere auch von der
höchstrichterlichen Rechtsprechung vertreten wird (vgl. BGH VersR 1974, 689; 1990,
384; a.A. Prölss/Martin, Anm. 9 A c zu § 6 = S. 113 unten). Auf der anderen Seite liegt
hier aber auch kein Fall vor, der den erstmals im zweiten Rechtszug erhobenen
Einwand der Leistungsfreiheit wegen Ob- liegenheitsverletzung als rechtsmißbräuchlich
oder treuwidrig erscheinen ließe. Soweit das Oberlan- desgericht Düsseldorf der
Tatsache der verspäteten Berufung auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheits-
verletzung entnimmt, daß der Versicherer selbst die Obliegenheitsverletzung nicht als
so gravie- rend angesehen hat, daß sie die Leistungsfreiheit rechtfertigt (VersR 1993,
425), vermag der Senat dem nicht uneingeschränkt zu folgen (a.A. auch OLG Schleswig
VersR 1994, 169). Der Einwand der Lei- stungsfreiheit kann auch durchaus bisher
schlicht übersehen worden sein. Andererseits gibt es aller- dings Fallkonstellationen, in
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denen ein erstmals im Berufungsrechtszug erhobener Einwand der Leistungs- freiheit
wegen Obliegenheitsverletzung rechtsmiß- bräuchlich sein kann. Das setzt aber auf
Seiten des Versicherungsnehmers einen vom Versicherer ver- anlaßten
Vertrauenstatbestand voraus, der den Ver- sicherungsnehmer zu Recht zu der Annahme
gelangen lassen konnte, der Versicherer werde sich nicht auf Leistungsfreiheit berufen.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Verhalten des Versiche- rungsnehmers,
das den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung erfüllt, klar auf der Hand
liegt, vom Versicherer aber weder im Rahmen der Leistungsprüfung noch zunächst im
Prozeß mit ir- gendeinem Wort erwähnt und zum Anlaß genommen wird, die
Eintrittspflicht aus diesem Grunde in irgendei- ner Form in Frage zu stellen. Vorliegend
hatte die Beklagte aber schon im ersten Rechtszug auf die zunächst falschen Angaben
des Klägers zu Vorschäden des Fahrzeugs und zum Kilometerstand hingewiesen (S.
2/3 der Klageerwiderung) und lediglich noch nicht die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit
wegen Obliegenheitsverletzung ausdrücklich angesprochen.
Die Obliegenheitsverletzungen waren auch "relevant" im Sinne der
Relevanzrechtsprechung des BGH (vgl. dazu Prölss/Martin, a.a.O., S. 120/121). Eine um
6.000 km zu geringe Gesamtfahrleistung ist bei einem erst 1 1/2 Jahre alten Fahrzeug
für die Wert- schätzung von erheblicher Bedeutung und generell geeignet, die
Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Das gilt auch dann, wenn später
nach Erwerb eines Ersatzfahrzeugs auf Neuwertbasis gemäß § 13 Abs. 2 und 10 AKB
Entschädigung geleistet wird. Dies steht zunächst bei der Abgabe der falschen
Angaben keinesfalls fest, hängt vielmehr von noch ungewissen rechtlichen und
tatsächlichen Voraussetzungen ab. Die in der Schadensanzeige zunächst ganz
unterbliebene Angabe zum Kilometer- stand zeigt, wie oben schon erwähnt, auch, daß
der Kläger gezielt vorgegangen ist und ihn ein erheb- liches Verschulden trifft, das
zudem gleichfalls vermutet wird. Die erforderliche Belehrung über die Leistungsfreiheit
auch bei folgenlos gebliebenen Obliegenheitsverletzungen war im Schreiben der Be-
klagten vom 25.7.1991 ordnungsgemäß erteilt worden (Bl. 40 d.A.).
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Die Interessengefährdung liegt bei der Angabe zu Vorschäden insofern sogar noch
mehr auf der Hand, als Vorschäden nicht nur für die Wertschätzung von Bedeutung sind,
sondern den Versicherer auch im Rahmen der Prüfung einer eventuellen Vortäuschung
des Versicherungsfalles zu entsprechenden Ermitt- lungen veranlassen können, da
nicht selten gerade Vorschäden das Motiv für vorgetäuschte Entwendungen sind.
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Die Beklagte ist daher auch wegen Obliegenheitsver- letzungen leistungsfrei.
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III.
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Da somit eine Leistungspflicht der Beklagten nicht besteht und die Klage durch das
Landgericht zu Recht abgewiesen worden ist, war die Berufung mit der Kostenfolge aus
§ 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbar- keit beruht auf den §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für den Kläger: 61.716,41
DM.
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