Urteil des OLG Köln vom 28.02.1980

OLG Köln (scheidung, geschiedener ehegatte, unterhalt, abweisung der klage, schutz der familie, erwerbstätigkeit, iran, bundesrepublik deutschland, ordre public, materielles recht)

Oberlandesgericht Köln, 21 UF 267/78
Datum:
28.02.1980
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
21. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 UF 267/78
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 301 F 51/78
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten, soweit über dieses Rechtsmittel nicht
bereits durch das am 5. Juli 1979 verkündete Teil-Urteil des
Oberlandesgerichts Köln - 21 UF 267/78 - entschieden worden ist, wird
das am 27. September 1979 verkündete Urteil des Amtsgerichts -
Familiengericht - Köln - 301 F 51/78 teilweise dahin abgeändert, daß die
Klage abgewiesen wird, soweit sie sich auf den Zeitraum ab 10. Mai
1979 erstreckt.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden gegeneinander
aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
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Den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bilden jetzt noch die von der Klägerin
für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe der Parteien - d.i. die Zeit ab 10. Mai
1979 - gegen den Beklagten geltend gemachten Unterhaltsansprüche, während über
ihre Unterhaltsansprüche während der Dauer des Getrenntlebens der Parteien
innerhalb bestehender Ehe - d.i. der Zeitraum bis einschließlich 9. Mai 1979 - durch das
inzwischen rechtskräftige Teilurteil des Senats vom 5. Juli 1979 - 21 UF 267/78 -
entschieden worden ist.
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Die Parteien hatten am 11.9.1974 vor dem Standesamt in Köln-Ost - Heir.-Reg.-Nr.
1108/74 - die Ehe geschlossen. Die Klägerin besaß vor der Heirat die deutsche
Staatsangehörigkeit. Der Beklagte war und ist iranischer Staatsangehöriger. Er gehört
der islamischen Religion mit schiitischer Prägung an. Während die Ehe der Parteien
kinderlos geblieben ist, sind aus früheren Ehen der Klägerin zwei Kinder
hervorgegangen, die jetzt 21-jährige Zeugin I. und die jetzt 12-jährige D., die im
Haushalt der Klägerin lebt.
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Bei Beginn des Rechtsstreits war der Beklagte bei der Firma L.-J.-E AG in M. als
Bandschlosser beschäftigt. Sein monatliches Nettoeinkommen belief sich im
Durchschnitt auf ca. 1.600,-- DM. Nachdem er dieses Arbeitsverhältnis zum 11.12.1978
gekündigt hatte, war er zunächst arbeitslos. Aufgrund seiner Kündigung hatte das
Arbeitsamt Köln eine 4-wöchige Sperrzeit (12.12.1978 bis 8.1.1979) verhängt und erst
ab 9.1.1979 Arbeitslosengeld in Höhe von 244,20 DM wöchentlich an ihn gezahlt. Dem
Widerspruch des Beklagten, der sich darauf gründete, daß die Kündigung nicht
mutwillig, sondern aus gesundheitlichen Gründen erfolgt sei, wurde mit Bescheid vom
28.4.1979 stattgegeben, nachdem ein auf Veranlassung des Arbeitsamtes am 14.3.1979
erstattetes ärztliches Gutachten zu dem Ergebnis gelangt war, daß der Beklagte wegen
zunehmender Nervösität an seinem letzten Arbeitsplatz auf Dauer überfordert gewesen
sei. Für die Zeit vom 27.12.1978 (Datum der Arbeitslosenmeldung) bis zum 8.1.1979
erhielt er nachträglich Arbeitslosengeld in Höhe von 237,60 DM wöchentlich. Zum
1.5.1979 fand er eine probeweise Anstellung bei der Autoreparaturwerkstatt U. in M. mit
einem
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Stundenlohn von 8,--
1.056,53 DM und im Juni 1979 auf 741,12 DM. Unter dem 12.6.1979 kündigte die
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Firma U. ihm das Arbeitsverhältnis zum Monatsende wegen unzureichender beruflicher
Kenntnisse. Seitdem ist der Beklagte erneut arbeitslos. Ab 4.7.1979 gewährte das
Arbeitsamt Köln ihm ein wöchentliches Arbeitslosengeld in Höhe von 220,80 DM,
wovon 57,60 DM an die Klägerin abgezweigt wurden. Inzwischen hat der Beklagte
gemäß
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seinen Angaben einen Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosenhilfe gestellt, deren
genaue Höhe noch nicht bekannt ist.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin für die Zeit ab 1.4.1978 monatlich im
voraus zu entrichtende Unterhaltsrenten in Höhe von 350,-- DM zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat vorab geltend gemacht, daß der Klägerin aufgrund der Ausschlußtatbestände des
§ 1361 Abs. 3 i.V.m. § 1579 Abs. 1,
zustehe, weil sie mit dem Zeugen N. in wilder Ehe zusammenlebe. Daraus folge weiter,
daß ihr auch mangels Bedürftigkeit kein Unterhaltsanspruch gegen ihn zustehe; die von
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ihr im gemeinsamen Haushalt geleisteten Dienste seien allein vom Zeugen N. zu
honorieren. Schließlich sei er - der Beklagte - nicht leistungsfähig.
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Das Amtsgericht hat den Beklagten durch das am 27.9.1978 verkündete, hiermit in
Bezug genommene Urteil unter Klageabweisung im übrigen verurteilt, an die Klägerin
für den Monat Mai 1978 300,-- DM und für die Folgezeit ab Juni 1978 monatliche
Unterhaltsrenten in Höhe von 350,-- DM zu zahlen.
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Mit der gegen dieses Urteil gerichteten, frist- und formgerecht eingelegten und
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begründeten Berufung hat der Beklagte sein Klageabweisungsziel weiterverfolgt und
demnach beantragt,
die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Inzwischen hatte der Beklagte bei dem Familiengericht Köln gegen die Klägerin
Ehescheidungsklage erhoben. Die Klägerin, die in jenem Rechtsstreit ebenfalls
anwaltlich
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vertreten war, hatte zunächst erwidert, daß sie keinen eigenen Scheidungsantrag stellen
werde, jedoch mit dem Begehren des Beklagten einverstanden sei. Mit einem weiteren
Schriftsatz kündigte sie die Stellung eines eigenen Scheidungsantrages an. Im Termin
zur mündlichen Verhandlung vom 9.5.1979 hat ausweislich des Sitzungsprotokolls
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nur der Beklagte den Scheidungsantrag gestellt und die Klägerin diesem Antrag
zugestimmt. Bei ihrer persönlichen Anhörung hat sie erklärt, sie habe sich einem
anderen Manne - dem Zeugen N. – zugewendet und wolle dieses Verhältnis fortsetzen.
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Durch das am 9.5.1979 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil - 301 F 18/79 -
hat das Familiengericht die Ehe der Parteien geschieden.
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Dieses Urteil ist rechtskräftig, nachdem beide Parteien ausweislich des
Verhandlungsprotokolls vom 9.5.1979 im unmittelbaren Anschluß an die Verkündung
des Urteils
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auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet haben.
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Durch das am 5.7.1979 verkündete Teilurteil, auf dessen Inhalt hiermit verwiesen wird,
hat der Senat die Berufung zurückgewiesen, soweit das Rechtsmittel sich gegen die
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gemäß dem angefochtenen Urteil erfolgte Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von
Unterhalt an die Klägerin für die Zeit vom 1.5.1978 bis einschließlich 9.5.1979 -
Unterhaltsansprüche der Klägerin während des Getrenntlebens der Parteien innerhalb
bestehender Ehe - richtete.
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Mit dem durch jenes Urteil nicht beschiedenen Teil der Berufung verfolgt der Beklagte
sein jetzt noch auf Abweisung der Klage für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung der
Ehe gerichtetes Ziel weiter.
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Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen und macht insbesondere geltend, für die
Beurteilung nachehelicher Unterhaltsansprüche der Klägerin sei allein das iranische
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Recht maßgeblich. Danach stünden der Klägerin keine Ansprüche gegen ihn zu. Nichts
anderes gelte, falls deutsches Recht anzuwenden sei. Die Klägerin müsse ihren
Lebensbedarf mit den Mitteln einer eigenen Erwerbstätigkeit bestreiten und sei
vornehmlich wegen ihres ehebrecherischen, für die Scheidung der Ehe der Parteien
ausschlaggebenden Verhältnisses zu dem Zeugen N. nicht anspruchsberechtigt.
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Schließlich könne entgegen dem Teilurteil des Senats nicht davon ausgegangen
werden, daß er seine Leistungsunfähigkeit mutwillig herbeigeführt habe und sich
deshalb so behandeln lassen müsse, als sei er noch bei der Firma L.-J.-E. AG
beschäftigt.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen, soweit über
sein Rechtsmittel nicht durch das Teilurteil des Senats entschieden worden ist.
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Die Klägerin beantragt,
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auch insoweit die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat nach Maßgabe des hiermit in Bezug genommenen Beschlusses vom
20.7.1979 - BI. 216 - Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen
wissenschaftlichen Sachverständigengutachtens, mit dessen Erstattung der Direktor des
Instituts für Internationales Privatrecht der Universität M., Prof. Dr. O., oder dessen
Vertreter im Amt beauftragt worden ist.
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gutachtliche Stellungnahme
vom 5.8.1979 nebst Anlage - BI. 220 ff - verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den in der
mündlichen Verhandlung vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst allen Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung hat bezüglich des Teilzeitraums ab rechtskräftiger Scheidung
der Ehe der Parteien (10.5.1979), über den allein noch zu entscheiden ist, auch in
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sachlicher Hinsicht Erfolg; insoweit mußte die Klage unter entsprechender Abänderung
des angefochtenen Urteils abgewiesen werden, weil der Klägerin von da an gegen den
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Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von Unterhalt zusteht.
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Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die nicht unproblematische Frage, ob die
nachehelichen Unterhaltsanspruche der Klägerin nach iranischem oder deutschem
materiellen Recht zu beurteilen sind, jetzt keiner abschließenden Klärung mehr bedarf.
Denn die eingangs der Entscheidungsgründe ausgesprochene Feststellung, wonach
die Klägerin vom Beklagten seitdem keinen UnterhaIt mehr zu beanspruchen hat, wird
hiervon nicht berührt; das Ergebnis ist sowohl nach iranischem wie auch nach
deutschem Recht das gleiche. Hierzu gilt im einzelnen folgendes:
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Gemäß Artikel 17 Abs. 1 EGBGB sind für die Scheidung der Ehe die Gesetze des
Staates maßgeblich, dem der Ehemann zur Zeit der Erhebung der Klage angehört. Das
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maßgebliche Heimatrecht des Ehemannes bestimmt nicht nur die Zulässigkeit der
Eheauflösung und die Scheidungsgründe, sondern auch die Wirkungen der
Ehescheidung
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(Ehescheidungsfolgen) und damit insbesondere die Frage der nachehelichen
Unterhaltsansprüche (herrschende Meinung; vgl. statt aller: Staudinger-Gamillscheg,
BGB, 10./11. Auf I. , Art. 17 EGBGB Rz. 549 mit zahlreichen Nachweisen). Gemäß Art.
17 Abs. 1 EGBGB wäre danach iranisches Recht anzuwenden, wobei offenbleiben
kann, ob der maßgebliche Anknüpfungszeitpunkt zur Bestimmung des in Betracht
kommenden Heimatrechts des Ehemanns der Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. OLG
Celle, FamRZ 1974, 314; Palandt-Heldrich, BGB, 39. AufI., Art. 17 EGBGB, Anm. 3)
oder der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist (vgl. Staudinger-Garnillscheg
a.a.O., Art. 17 EGBGB Rz. 244; Soergel-Kegel, BGB, 10. AufI., Art. 17 EGBGB Hz. 33).
Denn der Beklagte hat zu beiden Zeitpunkten Jeweils nur die iranische
Staatsangehörigkeit besessen. Bewendet es bei Art. 17 Abs. 1 EGBGB und sind
demnach die nachehelichen Unterhaltsansprüche der Klägerin nach iranischem Recht
zu beurteilen, so führt dies zu folgendem Ergebnis: Aufgrund der von dem Beklagten zu
den Akten überreichten Urkunden, bei denen es sich um eine handschriftliche
Bescheinigung des islamischen Vorbeters in Ardabil/lran (Geburtsort des Beklagten) in
iranischer Sprache und deren deutschsprachige Übersetzung durch einen staatlich
geprüften und beeidigten Dolmetscher und Übersetzer für die iranische Sprache
handelt, steht, was im übrigen jetzt auch unstreitig sein dürfte, zur Überzeugung des
Senats fest, daß der Beklagte der islamischen Religion mit schiitischer Prägung
angehört. Für schiitische Iraner galt das Gesetz über den Schutz der Familie vom
12.2.1975 (23. Bahman 1353), veröffentlicht im Gesetzblatt Nr. 8785 vom 3.3.1975
(Gesetzestext abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und
Kindschaftsrecht, Bd. IV, Stichwort "Iran", 60. Lieferung, abgeschlossen am 31 . 3. 1978,
S. 31 ff). Gemäß Art. 11 Abs . 1 S. 1 hat ein Ehegatte unter bestimmten weiteren
Voraussetzungen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt, wenn die Ehe aus dem
Verschulden des anderen Teil geschieden worden ist. Diese anspruchsbegründende
Voraussetzung liegt nicht vor, weil sich dem Ehescheidungsurteil keine dahingehenden,
zu Lasten des Beklagten getroffenen Feststellungen entnehmen lassen, so daß insoweit
offenbleiben kann, ob das Familienschutzgesetz im Iran noch gilt. Das Familiengericht
hat in den Entscheidungsgründen des Ehescheidungsurteils ausgeführt, daß der
Scheidungsantrag des Beklagten sowohl nach deutschem als auch nach iranischem
Recht begründet sei. Soweit auf deutsches Scheidungsrecht abgestellt worden ist,
kommt ein Verschulden des Beklagten am Scheidungsausspruch schon deshalb nicht
in Betracht, weil nach dem neuen deutschen Recht alleinige Voraussetzung des
Scheidungsausspruches das Scheitern der Ehe (§ 1565 Abs. 1 S. 1 BGB) ist, wobei es
sich um den reinen Zerrüttungsgrundsatz handelt, während die Frage des etwaigen
Verschuldens eines oder beider Ehegatten im Gegensatz zum früher geltenden Recht
nicht mehr relevant ist.
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Gemessen am iranischen Recht rechtfertigt das Scheidungsurteil gleichfalls nicht die
Feststellung eines Verschuldens des Beklagten, denn in den Entscheidungsgründen
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ist neben den wertneutralen Fakten der über einjährigen Dauer der Trennung der
Parteien und ihres beiderseitigen Scheidungsentschlusses nur darauf abgehoben
worden, daß die Klägerin sich einem anderen Manne zugewendet habe. Ist daher auch
nach iranischem Recht davon auszugehen, daß die Scheidung ohne Verschulden des
Beklagten erfolgt ist, so ist gemessen am Familienschutzgesetz vom 12.2.1975 für die
nachehelichen Unterhaltsansprüche der Klägerin allein Art. 12 maßgeblich. Danach
kommt ein Unterhaltsanspruch nur für die Dauer der gesetzlichen Wartezeit in Betracht.
Bevor auf diesen ausländischen Rechtsbegriff näher eingegangen wird, ist vorab
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danach zu fragen, ob das Familienschutzgesetz im Iran noch in Kraft ist. Hierüber hat
die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme keine volle Klarheit erbracht. In der von
ihm eingeholten gutachtlichen Stellungnahme vom 5.8.1979 wird dazu bemerkt, daß die
gegenwärtige Lage im Iran keine sichere Auskunft über die Behandlung des
Unterhaltsrechts ermögliche; es lasse sich bislang lediglich aus iranischen und
deutschen - in jener
Stellungnahme näher zitierten – Pressemitteilungen entnehmen, daß das
Familienschutzgesetz im Rahmen der politischen Umwälzungen im Iran aufgehoben
worden sei.
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Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich so verhält, wird durch die Berichterstattung der
Deutschen Botschaft in Teheran vom 21.5.1979 gegenüber dem Auswärtigen Amt der
Bundesrepublik Deutschland verstärkt, wonach das Familienschutzgesetz aufgrund
einer Verfügung des Ayatollah Khomeini seit Anfang März 1979 nicht mehr angewendet
wird (vgl. den Nachweis bei Bergmann/Ferid, a.a.O. vor dem Länderabschnitt Iran, 65.
Lieferung, abgeschlossen am 31.8.1979). Nicht klären lassen sich aber z.Zt. das genaue
Datum dieser Aufhebungsverfügung, die Frage, ob die Außerkraftsetzung des
Familienschutzgesetzes nach rückwärts hin oder nur mit Wirkung für die Zeit ab dem
Erlaß der Aufhebungsverfügung erfolgt ist und ob seitdem wieder entweder das
Zivilgesetzbuch
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(ZGB) des Iran vom 16.2.1935 oder das ursprüngliche Familienschutzgesetz aus dem
Jahre 1967 gilt. Das alles kann aber auf sich beruhen. Soweit es nämlich die
sogenannte Wartezeit angeht, haben die Familienschutzgesetze keine Neuerung
geschaffen, sondern diesen Rechtsbegriff unverändert beibehalten, wie er im ZGB des
Iran, das für alle Iraner schiitischer Glaubensrichtung gilt (vgl. Bergmann/Ferid a.a.O., S.
5) seine Ausprägung erfahren hat. Gemäß Art. 1150 ZGB ist die Wartezeit die Frist,
binnen derer sich eine Frau nach Auflösung der Ehe nicht wieder verheiraten darf.
Gemäß Art. 1151 2GB beträgt sie im Falle einer vollzogenen Ehe drei
Menstruationsperioden,
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wofür in der iranischen Rechtspraxis im allgemeinen eine Frist von 100 Tagen
angenommen wird. Dies bedeutet, daß eine Ehefrau für die Zeit nach rechtskräftiger
Scheidung, sofern kein Ehevertrag mit abweichenden Vereinbarungen geschlossen
worden ist, nur für die Dauer von 100 Tagen Unterhalt zu beanspruchen hat und zwar in
gleichem Umfange wie während bestehender Ehe (vgl. zu alledem die als Anlage zu
der gutachtlichen Stellungnahme vom 5.8.1979 auszugsweise überreichte Darstellung
aus IPG, Gutachte.i.1. zum internationalen und ausländischen Privatrecht 1967 bis
1968, Nr. 24 (Köln), S. 285, 286 mit Nachweisen in Fußnoten 37 bis 41). Sofern es bei
der Entscheidung des Rechtsstreits auf iranisches Recht ankommen sollte, stünde aber
der Klägerin auch dieser eingeschränkte Unterhaltsanspruch nicht gegen den Beklagten
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zu. Zur Überzeugung des Senats ist es ausgeschlossen, daß das iranische Recht der
geschiedenen Frau einen nachehelichen Unterhaltsanspruch gewährt, wenn er
gemessen am deutschen Recht - nämlich wegen fehlender Bedürftigkeit infolge
bestehender Erwerbspflicht - nicht in Betracht kommen würde. Bereits innerhalb
bestehender Ehe ist
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die Rechtsstellung der Ehefrau nach iranischem Recht deutlich schwächer als nach
deutschem Recht. Während das deutsche Recht von der Gleichberechtigung der
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Ehegatten in allen durch die Ehe geprägten Lebensbereichen ausgeht, nimmt der
Ehemann nach iranischem Recht eine eindeutige VorrangsteIlung gegenüber seiner
Ehefrau ein. Das zeigt sich beispielsweise an Art. 1105 ZGB, wo es heißt, daß die
Stellung als Haushaltsvorstand für den Mann in den Beziehungen unter den Ehegatten
ein Übergewicht
begründet, an Art. 1114 ZGB - Verpflichtung der Ehefrau zum Bezug der ihr vom Manne
bezeichneten Wohnung und an Art. 1117 ZGB, wonach der Ehemann seiner Frau unter
bestimmten Voraussetzungen die Ausübung eines Berufes untersagen kann. In die
gleiche Richtung weist insbesondere auch die unterschiedliche Regelung der
Unterhaltsansprüche während bestehender Ehe. Während die Unterhaltspflicht im
deutschen Recht, abgesehen von den eng umrissenen Ausnahmetatbeständen des §
1361 Abs. 3 i.V.m. § 1579 Abs. 1 Nr. 2 - 4, Abs. 2 BGB nicht an Wohlverhalten des
anderen Teils (Gläubigers) geknüpft ist, bestimmt Art. 1108 ZGB, daß der Frau kein
Unterhaltsanspruch gegen den Mann zusteht, wenn sie die Erfüllung ihrer ehelichen
Pflichten grundlos verweigert. Diese nicht übersehbaren Unterschiede gelten in noch
verstärktem Maße für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung. Liegen die
anspruchsbegründenden Voraussetzungen des deutschen Rechts vor, so ist der andere
Teil grundsätzlich ohne zeitliche Befristung oder sonstige Beschränkungen zur
angemessenen Alimentierung
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seines geschiedenen Ehegatten verpflichtet. Demgegenüber steht der geschiedenen
Frau nach iranischem Recht nur ein derart kurz bemessener - auf 100 Tage
beschränkter·- Unterhaltsanspruch zu, daß er praktisch bedeutungslos ist. Aus alledem
muß gefolgert werden: Jedenfalls für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung liegt der
Ausgestaltung des iranischen Unterhaltsrechts erkennbar die Vorstellung des
Gesetzgebers zugrunde, daß fortan jeder der vormaligen Ehegatten und zwar ohne
Rücksicht auf seine finanzielle Situation und seine Erwerbsfähigkeit für sich selbst
aufzukommen hat, wobei die mittellose Ehefrau bis zur etwaigen Wiederverheiratung
der Versorgung durch ihre Verwandten anheimfällt, und dieses starre Prinzip, wonach
die Verantwortung des wirtschaftlich stärkeren Ehegatten für den schwächeren Teil mit
der Rechtskraft des Scheidungsurteils abrupt endet, wird durch die Verpflichtung des
Ehemannes zur Gewährung von Unterhaltszahlungen für die Dauer von 100 Tagen
kaum nennenswert gelockert. Diese drastisch verkürzte Unterhaltspflicht hängt
wiederum von denselben Voraussetzungen wie der eheliche Unterhaltsanspruch ab
und besteht folglich nicht, wenn die den Unterhalt fordernde Frau gemessen am
iranischen Recht ihre ehelichen Pflichten verletzt, insbesondere die Scheidung
verschuldet hat. Ebensowenig kann ein derartiger Anspruch angenommen werden,
wenn die Ehefrau etwa nicht bedürftig oder der Ehemann nicht hinreichend
leistungsfähig ist. Hierbei handelt es sich um anspruchsbegründende Voraussetzungen,
die, soweit ersichtlich, in allen Rechtsordnungen für die Zubilligung eines
Unterhaltsanspruches von unverzichtbarer Bedeutung sind und dafür, daß nach dem
iranischen Recht diese Voraussetzungen nicht erforderlich
54
sein sollten, hat die hierfür darlegungspflichtige Klägerin nichts vorgetragen und hierfür
ist auch sonst nichts ersichtlich. Da die Klägerin, wie noch im einzelnen darzulegen
55
sein wird, nach dem deutschen Recht keinen nachehelichen Unterhalt von dem
Beklagten verlangen kann, muß ein derartiger Anspruch gemäß den vorstehenden
Ausführungen gemessen am iranischen Recht erst recht verneint werden.
56
Ob die nachehelichen Unterhaltsansprüche der Klägerin nach iranischem Recht zu
beurteilen sind, erscheint überdiesaus mehreren Grw1den fraglich.
57
Die Klägerin hat, wie der Senat bereits in seinem Teilurteil näher ausgeführt hat, ihre
deutsche Staatsangehörigkeit durch die Eheschließung mit dem Beklagten nicht
verloren. Daran anknüpfend bestimmt Art. 17 Abs. 3 EGBGB, daß für das
Scheidungsbegehren der Ehefrau und die Scheidungsfolgen die deutschen Gesetze
auch dann maßgeblich sind, wenn in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung ergeht,
nur sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Nun hat allerdings die Klägerin
ausweislich der Ehescheidungsakten, insbesondere des Protokolls vom 9.5.1979 über
den Termin zur Durchführung der mündlichen Verhandlung und des damit inhaltlich
übereinstimmenden Tatbestandes des Ehescheidungsurteils, denen gemäß den §§
165, 314 ZPO besondere Beweiskraft eignet, entgegen ihrer schriftsätzlichen
Ankündigung keinen förmlichen Scheidungsantrag gestellt, sondern lediglich erklärt,
daß sie der Scheidung, d.h. dem Scheidungsantrage des Beklagten, zustimme. Deshalb
könnte erwogen werden, daß Art. 17 Abs. 3 EGBGB mangels eigener, förmlicher
Antragstellung durch die Klägerin unanwendbar sei, und es demnach bei dem
Grundsatz des Absatz 1 dieser Vorschrift bewenden müsse (vgl. Palandt-Heldrich
a.a.O., Art. 17 EGBGB, Anm. 4 a). Es spricht indessen, ohne daß der Senat diese Frage
abschließend klären müßte, viel dafür, daß jedenfalls die Scheidungsfolgen unabhängig
von der Parteirolle der Klägerin und davon, ob sie einen eigenen Scheidungsantrag
gestellt hat oder nicht, gemäß Art. 17 Abs. 3 EGBGB stets nach deutschem Recht
beurteilt werden müssen, weil es seit dem Inkrafttreten des 1.
Recht auf die Parteirolle im Ehescheidungsverfahren im Gegensatz zum früher
geltenden Recht nicht mehr entscheidend ankommt (vgl. BGH FamRZ 1980, 29 ff, 32).
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Falls es aber gleichwohl bei Art. 17 Abs. 1 EGBGB bewenden sollte, dann läßt sich
nicht verkennen, daß gegen diese Bestimmung im Hinblick auf den
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG entgegen der bisherigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH FamRZ 1954, 16; BGHZ 42, 7, 8; BGHZ 47, 324,
326) von einem Teil der
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Rechtsprechung und des Schrifttums verfassungsmäßige Bedenken erhoben worden
sind, weil diese Vorschrift bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit und die
Parteirolle im Scheidungsverfahren für die Wahl des Status Mann und Frau
unterschiedlich behandelt (vgl. KG, FamRZ 1975, 627; OLG Stuttgart FamRZ 1979, 824;
AG Hamburg
60
FamRZ 1978, 416; Braga, MDR 1952, 266, 268; Lüderitz FamRZ 1970, 169, 175;
Habscheidt, FamRZ 1975, 76, 78; Berkemann, FamRZ 1977, 295, 299). Unabhängig
davon
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müßte ggfls. weiterhin geprüft werden, ob nicht die Ausgestaltung nachehelicher
Unterhaltsansprüche durch das iranische Recht gegen den deutschen ordre public im
Sinne des Art. 30 EGBGB verstößt, was bejahendenfalls allerdings nicht zur
Zuerkennung eines uneingeschränkten Unterhaltsanspruches nach Maßgabe des
deutschen Rechts, sondern nur zu einem mit den Schranken des Art. 30 EGBGB noch
vereinbaren Anspruch führen würde.
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Alle diese Fragen bedürfen indessen keiner Vertiefung und abschließenden Klärung,
weil es hierauf für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht ankommt. Denn der Klägerin
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steht auch dann für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung gegen den Beklagten kein
Unterhaltsanspruch zu, wenn ihrem Begehren deutsches materielles Recht zugrunde
gelegt wird. Da die Ehe der Parteien nach dem Inkrafttreten (1.7.1977) des 1.
Eherechtsreformgesetzes (1. EheRG) vom 14.6.1976 geschieden worden ist, sind bei
Anwendung deutschen Rechts die aufgrund dieses Gesetzes neu in das Bürgerliche
Gesetzbuch eingeführten Bestimmungen der §§ 1569 ff BGB maßgeblich. Dieses neue
nacheheliche Unterhaltsrecht wird von folgenden Prinzipien geprägt: Gemäß § 1569
BGB steht dem Ehegatten gegen den anderen Teil nach Maßgabe der §§ 1570 ff BGB
dann ein Anspruch zu, wenn er nach der Scheidung aus bestimmten, vom Gesetzgeber
respektierten Gründen nicht selbst für seinen Unterhalt sorgen kann. § 1569 BGB ist
gemäß der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. den Nachweis in der
sogenannten
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Broschüre für Rechtsanwender, 1976, S. 154) keine selbständige Rechtsgrundlage für
einen Unterhaltsanspruch, sondern stellt gewissermaßen als Einleitung vor der
kasuistischen Regelung der §§ 1570 ff BGB klar, daß ausgehend vom Grundsatz der
Eigenverantwortlichkeit jedes Ehegatten für seinen Unterhalt nach rechtskräftiger
Scheidung dann nur ein Unterhaltsanspruch besteht, wenn die Voraussetzungen eines
oder mehrerer der speziellen Tatbestände der §§ 1570 ff BGB erfüllt sind. Nach Ansicht
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des Senats kann deshalb diese Regelung nicht dahin interpretiert und verstanden
werden, daß gemäß der Vorstellung des Gesetzgebers nur ausnahmsweise kein
nachehelicher Unterhaltsanspruch bestehe (so aber KG FamRZ 1978, 692 mit
zustimmender Anmerkung von Bosch in FamRZ 1980, 7, wonach aus § 1569 BGB die
Verpflichtung (Obliegenheit) des geschiedenen Ehegatten zur Selbstunterhaltung nur
herzuleiten
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ist, wenn es sich entweder um eine sogenannte Doppelverdiener-Ehe oder um die
Scheidung eines jungen und kinderlosen Ehepaares oder um Scheidung nach
verhältnismäßig kurzer Ehedauer handelt), sondern es verhält sich genau umgekehrt im
oben dargelegten Sinne, wonach die Obliegenheit zur Selbstunterhaltung den
Grundsatz und die Unterhaltsberechtigung nach Maßgabe der §§ 1570 ff BGB die
Ausnahme verkörpert. (vgl. Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts, 4. Aufl., S. 69;
Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 1977, Rz 237), wenngleich dem
Kammergericht zuzugeben ist, daß in der überwiegenden Anzahl aller Fälle die eine
oder andere, die Anspruchsberechtigung ergebende Ausnahme nach Maßgabe der §§
1570 ff BGB vorliegen wird.
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Das Begehren der Klägerin vermag indessen in keinem der in den §§ 1570 ff BGB
enumerativ aufgeführten Tatbestände seine Stütze zu finden.
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§ 1570 BGB scheidet aus, weil aus der Ehe der Parteien kein Kind hervorgegangen ist,
so daß es am anspruchsbegründenden Merkmal "gemeinsames Kind" im Sinne dieser
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Vorschrift fehlt. Dafür, daß von der Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung wegen ihres
Alters eine – ihren Bedarf deckende und sicherstellende – Erwerbstätigkeit nicht
erwartet werden kann und folglich ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1572 BGB in
Betracht kommt, hat sie nichts vorgetragen. Die Klägerin ist gegenwärtig erst 43 Jahre
alt und hat gemäß ihrem eigenen Vorbringen vor und nach der Scheidung der Parteien
jedenfalls
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stundenweise ständig als Raumpflegerin gearbeitet, so daß nicht erkennbar ist, weshalb
sie aus Altersgründen an der weiteren Verrichtung derartiger oder ähnlicher Arbeiten
gehindert sein sollte. Ebensowenig kommt mangels Darlegung einer der
Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Erkrankung bzw. eines Gebrechens die
Zuerkennung von
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Unterhalt nach Maßgabe des § 1572 BGB in Betracht. Der Tatbestand des § 1575 BGB
ist nicht einschlägig, weil er den hier nicht vorliegenden Fall betrifft, daß ein
geschiedener Ehegatte in Erwartung der Ehe oder während der Ehe eine Schul- oder
Berufsausbildung nicht aufgenommen oder nicht abgeschlossen hatte und aus diesem
Grunde bis zur nachhaltigen Sicherung seines Unterhalts durch Abschluß einer
derartigen Ausbildung vorübergehend bedürftig und anspruchsberechtigt ist. Die
Klägerin hat auch nicht schlüssig dargelegt, daß sie gemäß § 1573 BGB gegenüber
dem Beklagten unterhaltsberechtigt ist. Gemäß Absatz 1 dieser Vorschrift kann ein nach
den §§ 1570 bis 1572 BGB nicht unterhaltsberechtigter Ehegatte Unterhalt verlangen,
solange und soweit er nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu
finden vermag. Insoweit hat die Klägerin in beiden Instanzen lediglich ausgeführt, daß
sie mit Rücksicht auf die ihr obliegende Beaufsichtigung, Versorgung und Betreuung
ihrer noch minderjährigen, aus einer früheren Ehe hervorgegangenen Tochter D. zur
Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit nicht imstande sei. Gemessen am § 1573 BGB
ist dieses Vorbringen aber unbeachtlich, weil diese Bestimmung nur solche Fälle im
Auge hat, wo der geschiedene Ehegatte trotz seiner Erwerbspflicht - diese Verpflichtung
besteht auch für die Klägerin, weil das Kind nicht aus der Ehe der Parteien stammt, wie
§ 1570 BGB voraussetzt - aus
72
Gründen der Lage des Arbeitsmarktes keine angemessene Erwerbstätigkeit. zu finden
vermag. § 1573 Abs. 2 BGB gewährt einen Unterhaltsanspruch in Höhe des Defizits
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soweit die erzielten Einkünfte aus angemessener Erwerbstätigkeit zum vollen Unterhalt
nicht ausreichen. Auch auf diese Bestimmung vermag die Klägerin sich nicht mit Erfolg
zu berufen, weil sie nicht dargelegt hat, daß sie mit den Mitteln einer vollberuflichen
Tätigkeit als Raumpflegerin oder in ähnlicher Stellung, die angesichts der sozialen
Stellung der Parteien und der bislang von ihr ausgeübten Tätigkeit im Sinne des § 1574
BGB angemessen ist und zu deren Ausübung sie deshalb verpflichtet ist, keine volle
Sicherstellung ihres Lebensbedarfes erlangen kann.
74
Schließlich rechtfertigt auch § 1576 S. 1 BGB nicht die Zubilligung eines nachehelichen
Unterhaltsanspruches.Nach dieser Vorschrift kann ein geschiedener Ehegatte von dem
anderen Teil Unterhalt verlangen, soweit und solange von ihm aus sonstigen
schwerwiegenden Gründen eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann und die
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Versagung von Unterhalt unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob
unbillig wäre. Bei dieser sogenannten positiven Billigkeitsklausel handelt es sich
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nicht etwa um einen Ersatz für die vom Gesetzgeber abgelehnte unterhaltsrechtliche
Generalklausel, sondern um eine Ausnahmevorschrift, wie sich aus ihrer
systematischen Stellung und aus den Worten "schwerwiegende Gründe" und "grob
unbillig" ergibt, die entsprechend eng ausgelegt werden muß; es muß eine Härte
vorliegen, die die Versagung des Unterhaltsanspruches unerträglich macht oder
jedenfalls als mit der Gerechtigkeitserwartung unvereinbar erscheinen läßt (vgl. Richter
77
im Münchener
Kommentar zum BGB, Bd. V, 1977, § 1576 Rz 1; Ambrock, Ehe und Ehescheidung,
1977, § 1576 Anm. 1).
78
Der einzige Umstand, der nach Lage des Falles den Zugang zu dieser Vorschrift
eröffnen könnte, ist darin zu finden, daß aus einer früheren Ehe der Klägerin die noch
minderjährige Tochter D. hervorgegangen ist, nach der Eheschließung der Parteien mit
Billigkeit des Beklagten mit diesen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat und
damals wie auch heute noch der Versorgung, Beaufsichtigung und Betreuung durch die
Klägerin bedarf. In einem solchen Falle kann auch die weitere Betreuung des nicht
gemeinschaftlichen Kindes in der Zeit nach der Scheidung ehebedingt erforderlich sein,
vornehmlich dann, wenn und soweit die Erwerbsmöglichkeiten des betreffenden
Ehegatten-Elternteils infolge ehebedingter Aufgabe oder Verkürzung der
Erwerbstätigkeit beeinträchtigt worden sind (vgl. Richter a.a.O., § 1576 Rz 4; Rolland, 1.
EheRG, 1977, § 1576 Rz 10; Köhler a.a.O., S. 76; Schwab a.a.O., Rz 292; Diederichsen
NJW 1977,
79
357). Geht man zugunsten der Klägerin davon aus, daß die mit Zustimmung des
Beklagten erfolgte Aufnahme ihrer Tochter D. in den vormaligen ehelichen Haushalt der
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Parteien ein sonstiger schwerwiegender Grund im Sinne des § 1576 S. 1 BGB ist, dann
rechtfertigt das gleichwohl aber nicht die Zuerkennung eines Unterhaltsanspruches
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nach Maßgabe dieser Vorschrift. Weitere Voraussetzung ist nämlich, daß die Versagung
von Unterhalt unter Berücksichtigung der Belange beider Parteien grob unbillig wäre.
Demnach wird die Unterhaltspflicht nicht schon dadurch ausgelöst, daß von dem
Ehegatten mit Rücksicht auf die altersbedingte Pflegebedürftigkeit des Kindes keine
oder jedenfalls keine volle Erwerbstätigkeit erwartet werden kann, was in der Regel der
Fall sein wird, sondern es müssen besondere, das zusätzlich erforderliche
Anspruchsmerkmal der groben Unbilligkeit ausfüllende Umstände hinzukommen. Denn
eine über die Beendigung der Ehe hinauswirkende Verantwortlichkeit des Beklagten für
die Klägerin läßt sich nicht allein damit rechtfertigen, daß er der Aufnahme ihres Kindes
in den gemeinsamen ehelichen Haushalt zugestimmt hatte, wie bereits folgende
Überlegung zeigt: Wäre die Ehe nicht geschlossen worden, so hätte die Klägerin ihr
Kind ebenfalls pflegen, beaufsichtigen und betreuen müssen, ohne daß sich daraus
eine unterhaltsrechtliche Absicherung zu ihren Gunsten ergeben hätte (vgl. Holland,
a.a.O., § 1576 Rz 10). Nach Lage des Falles ist es sogar nicht unbillig, der Klägerin
einen nachehelichen Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zu versagen. Hierzu
nötigen folgende Erwägungen: Anhaltspunkte, die den Schluß darauf zulassen könnten,
daß der Beklagte die Klägerin nach der Heirat der Parteien dazu bewogen hätte, eine
bis dahin von ihr ausgeübte Erwerbstätigkeit aufzugeben oder einzuschränken und sich
fortan nur um die Versorgung des gemeinsamen Haushalts und ihres Kindes zu
kümmern, sind nicht ersichtlich. Ebensowenig kann davon ausgegangen werden, daß
der Beklagte eine besonders enge, einem echten Vater-Kind-Verhältnis entsprechende
Beziehung zu D. gewonnen und auf diese Weise kausale Mitverantwortung für die
weitere Pflegebedürftigkeit dieses Kindes und daraus möglicherweise herzuleitende
Erwerbseinbußen der Klägerin übernommen hat, die seine, die Scheidung
überdauernde, nacheheliche Unterhaltspflicht auszulösen vermöchte. Anläßlich seiner
Anhörung in der letzten mündlichen Verhandlung hat er vor dem Senat glaubhaft erklärt,
er sei von D. nicht als "Vater" oder "Papa", sondern mit seinem Vornamen angeredet
82
worden, was nicht als Ausdruck einer derartigen Beziehung gewertet werden kann. Im
Rahmen der bezüglich des anspruchsbegründenden Merkmals der groben Unbilligkeit
erforderlichen Abwägung der Interessen beider Parteien darf ferner nicht
unberücksichtigt bleiben, daß die Ehe bis
zur Rechtskraft der Scheidung nur rd. 4 1/2 Jahre und damit nur verhältnismäßig kurze
Zeit bestanden hat, wobei hinzu kommt, daß die Parteien bereits seit Januar 1978
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dauernd voneinander getrennt lebten. Von besonderer Bedeutung für die Verneinung
des anspruchsbegründenden Merkmals der groben Unbilligkeit ist weiter die Tatsache,
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daß die Klägerin gemäß ihrem eigenen Eingeständnis während der Ehe
ehebrecherische Beziehungen zu einem anderen Manne - dem Zeugen N. - angeknüpft
und anläßlich der mündlichen Verhandlung im Scheidungsverfahren erklärt hat, daß sie
diese Beziehungen weiterhin aufrechtzuerhalten wünsche. Da angesichts des
Vorbringens der Parteien im Ehescheidungsverfahren und insbesondere auch der
Entscheidungsgründe
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des Scheidungsurteils davon ausgegangen werden muß, daß die Klägerin mit diesem
ihren Verhalten eine wesentliche Ursache für das Scheitern der Ehe gesetzt hat, kann
angesichts dessen, sowie der verhältnismäßig kurzen Dauer der Ehe der Parteien und
der Tatsache, daß eine besondere, einem Vater-Kind-Verhältnis entsprechende
Bindung des Beklagten zur Tochter der Klägerin nicht bestanden hat, der Klägerin die
volle Eigenverantwortlichkeit für die Deckung ihres nachehelichen Unterhalts nicht
abgenommen werden. Zur Überzeugung des Senats wäre es mit den Grundsätzen der
Billigkeit gerade nicht vereinbar, dem Beklagten ungeachtet aller dieser Umstände die
Verpflichtung zur ganzen oder auch nur teilweisen Sicherstellung ihrer nachehelichen
Unterhaltsansprüche aufzubürden. Hinzu kommt schließlich folgendes: Jedenfalls für
die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung - Mai 1979 - geht es nicht an, die
Leistungsfähigkeit
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des Beklagten weiterhin nach den Einkünften zu bemessen, die er bei der Firma L.-J.-E.
AG erzielt hatte. Der Beklagte hat nach seinem Ausscheiden aus diesem Betrieb eine
andere Anstellung gefunden, die er inzwischen und zwar unverschuldet verloren hat.
Sofern ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gemäß § 1576 in Betracht käme, müßte ihm
bei im Rahmen dieser Vorschrift gebotener Berücksichtigung seiner schutzwürdigen
Belange wenigstens der eigene, angemessene Unterhalt verbleiben, der mit rd. 1.100,--
DM monatlich anzusetzen wäre. Einkünfte in einer diesen angemessenen Selbstbehalt
übersteigenden Größenordnung hat er indessen in der Zeit seit Rechtskraft der
Scheidung bis zum heutigen Tage nicht mehr erzielt, vielmehr hat sein finanzielles
Leistungsvermögen sich seitdem stetig verschlechtert, zumal er seit Ende Januar 1980
gemäß seinen Angaben kein Arbeitslosengeld mehr erhält und die Gewährung der von
ihm beantragten Arbeitslosenhilfe zur Zeit noch ungewiß ist, so daß die Zuerkennung
eines Unterhaltsanspruches nach § 1576 BGB abgesehen von allen anderen
Voraussetzungen auch an seiner fehlenden Leistungsfähigkeit scheitern müßte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Vollstreckungsschutzanordnungen gem. § 711 ZPO kamen nicht in Betracht, weil die
Voraussetzungen, unter denen das Rechtsmittel der Revision gegen dieses Urteil
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stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen, § 713 ZPO.