Urteil des OLG Köln vom 02.12.1992

OLG Köln (arzt, psychiatrische klinik, zpo, pflegepersonal, höhe, behandlung, ersatz, patient, rente, haushalt)

Oberlandesgericht Köln, 27 U 103/91
Datum:
02.12.1992
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 103/91
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 7 O 378/91
Schlagworte:
Arzt Pflegepersonal psychiatrische Klinik Überwachung
Normen:
BGB §§ 823 I, 844
Leitsätze:
Zur Haftung für eigenmächtige Behandlungsmaßnahmen des
Pflegepersonals bei einem Risikopatienten.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten zu 1), 3) und 4) wird das am 12. März
1991 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 7 O
378/89 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels
teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagten zu 1), 3) und 4) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an
die Klägerin 32.471,93 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. September
1989 zu zahlen.
Die Beklagten zu 1), 3) und 4) werden als Gesamtschuldner ferner
verurteilt, an die Klägerin ab dem 1. Oktober 1990 eine vierteljährlich
vorauszahlbare monatliche Rente in Höhe von 372,00 DM jeweils im
voraus zum 1.1, 1.4, 1.7. und 1.10 eines jeden Jahres bis zum 30. April
1995 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagten zu 1) 3) und 4) als
Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin weitere materielle
Schäden, die ihr in Folge der fehlerhaften Behandlung ihres
verstorbenen Ehemannes im November 1983 in der Rheinischen
Landesklinik in B. entstehen, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht
auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die erstinstanzlichen Kosten werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 3/4, die Beklagten zu 1), 3)
und 4) zu einem Viertel als Gesamtschuldner.
Von den außergerichtlichen Kosten trägt die Klägerin die des Beklagten
zu 2) voll, die der Beklagten zu 1), 3) und 4) zu 1/2 und ihre eigenen zu
3/4, die Beklagten zu 1) 3) und 4) ihre eigenen zu 1/2 und 1/4 der der
Klägerin erwachsenen Kosten als Gesamtschuldner.
Die Gerichtskosten des Berufungsrechtszugs tragen die Klägerin zu 1/2
und die Beklagten zu 1, 3 und 4 als Gesamtschuldner zu 1/2. Im übrigen
tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Klägerin
durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 DM
abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet. Den Parteien wird gestattet, die
Sicherheitsleistungen durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer
deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
T a t b e s t a n d
1
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadens-ersatz, weil jene haftungsrechtlich
für den Tod ihres Ehemannes W. verantwortlich seien. Bei dem im Jahre 1920
geborenen W. war seit etwa 1943 eine psychische Erkrankung bekannt, die in mehr
oder weniger großen Abständen zutage trat. Seine Arbeits und Leistungsfähigkeit war
dadurch - abgesehen von den Zeiträumen der akuten Schübe - aber nicht beeinträchtigt.
Von etwa 1966/67 bis Anfang 1980 blieb er von akuten Schüben verschont. Seither
mußte er sich häufig behandeln lassen. Vom 8. Januar bis 8. Februar 1980 wurde er in
der Rheinischen Landesklinik behandelt, ferner vom 12. September bis 8. Dezember
1980 in der Nervenklinik der Universität B.. Auch in den Jahren 1981 und 1982 kam die
Krankheit nicht zur Ruhe, so daß ambulante und stationäre Behandlungen,
insbesondere über einen längeren Zeitraum vom 10. März bis 3. September 1982
(Universitätsklinik B.) erforderlich wurden. Am 1. September 1982 trat W. in den
vorzeitigen Ruhestand. Vom 7. Oktober bis 2. November 1992 wurde er erneut stationär
in der Universitätsklinik B. behandelt sowie anschließend bis März 1983 in der
Rheinischen Landesklinik B., die in der Trägerschaft des Beklagten zu 1) steht. An
physischen Erkrankungen wurden seit 1981 eine Rechtsherzinsuffizienz,
Herzrhytmusstörungen, Hypertonie, eine Arteriosklerose mit mäßi-ger Zerebralsklerose
sowie ein Glaukom beidseits diagnostiziert. Bei einer Körpergröße von 1,72 cm betrug
sein Gewicht 115 kg. Nach einer ärztlichen Bescheinigung seiner Hausärztin Dr. S. vom
11. Februar 1982 litt er ferner an einer Polyneuropathie. Seine Beweglichkeit war stark
eingeschränkt, sein Gang trippelnd mit kleinen Schritten, Bücken war nicht möglich. Bei
Stürzen, vor allem vom Fahrrad, zog er sich häufig kleinere Verletzungen zu. Dann
mußte ihm beim An- und Auskleiden gehol-fen werden, er konnte sich nicht so weit
bücken, um sich allein die Schuhe zu binden (so die ärztliche Bescheinigung von Frau
Dr. S. vom 2. Ju-ni 1985).
2
Dr. S. vom 2. Ju-ni 1985).
Am 1. November 1983 begab sich W. wegen eines akuten psychotischen Schubs erneut
in das Klinikum des Beklagten zu 1). Am Abend des 2. November wurde er von den
Beklagten zu 3) und 4) als dem diensthabenden Pflegepersonal wegen starker Unruhe
mittels eines Bauchgurtes und Fußfesseln im Bett fixiert. Etwa 1 1/2 Stunden später
wurde der Beklagte zu 3) wegen eines Hilferufs darauf aufmerksam, daß in dem Zimmer
des W. ein mit starker Rauchentwicklung verbundenes Feuer ausgebrochen war. Das
Bettzeug des W. war in Brand gesetzt worden. W. erlitt schwere Verbrennungen 2. und
3. Grades an Füßen und Beinen hinauf bis zu den Genitalien. Er wurde zur stationären
Behandlung in das evangelische Krankenhaus B. eingeliefert, wo er am 14. Februar
1984 verstarb.
3
Die Klägerin hat die Beklagten zu 3) und 4) als diensthabendes Pflegepersonal, den
Beklagten zu 2) als diensthabenden Arzt und den Beklagten zu 1) als Klinikträger auf
Ersatz von Haushaltshilfekosten sowie von Aufwendungen im Zusammenhang mit der
ärztlichen Behandlung, dem Krankenhausaufent-halt und der Beerdigung des W. in
Anspruch genom-men. Sie hat die Auffassung vertreten, daß die Brandverletzungen, die
schließlich zum Tod geführt hätten, bei sachgerechter Behandlung und ordnungs-
gemäßer Überwachung des W. hätten vermieden werden können und müssen. Ohne
den Unglücksfall wäre ihr Mann spätestens Anfang Dezember 1983 wieder gesund und
in der Lage gewesen, die von ihm verabredungsgemäß geleisteten Hausarbeiten zu
erbringen. Nun-mehr müsse sie fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Sie hat beantragt,
4
1.
5
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurtei-len, an sie 76.199,93 DM nebst 4 %
Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen;
6
2.
7
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurtei-len, an sie ab dem 1. Oktober 1990 eine
vier-teljährlich vorauszahlbare monatliche Rente in Höhe von 700,00 DM jeweils im
Voraus zum 1.1., 1.4., 1.7., und 1.10. eines jeden Monats bis zum 30.4.1995 zu zahlen;
8
3.
9
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamt-schuldner verpflichtet sind, der Klägerin
weitere materielle Schäden, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung ihres
verstorbenen Ehemannes im November 1983 in der Rheinischen Landesklinik in B.
entstehen, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger
oder sonstige Dritte übergehen.
10
Die Beklagten haben beantragt,
11
Die Klage abzuweisen.
12
Sie haben die geltend gemachten Ansprüche nach Grund und Höhe bestritten.
13
Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme im wesentlichen stattgegeben,
soweit sie sich ge-gen die Beklagten zu 1), 3) und 4) richtet, sie im übrigen abgewiesen.
14
Gegen dieses Urteil haben die Beklagten zu 1), 3) und 4) form- und fristgerecht Berufung
eingelegt. Sie machen geltend, W. habe am Abend des 2. Novem-ber 1983 teilfixiert
werden müssen, weil es nicht möglich gewesen sei, ihn durch Verabreichung von
Medikamenten hinreichend zu beruhigen. Eine lük-kenlose optische und akkustische
Überwachung des Patienten sei nicht möglich, auch nicht erforderlich gewesen. In
Abständen von 10 Minuten durchgeführten Kontrollen seien ausreichend gewesen.
Ersatz von Haushaltshilfekosten könne die Klägerin nicht verlangen. W. sei im Haushalt
keine Hilfe gewesen, weil er selbst hilfsbedürftig gewesen sei. Die Beklagten zu 1), 3)
und 4) beantragen,
15
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
16
Die Klägerin beantragt,
17
die Berufung zurückzuweisen.
18
Sie tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
19
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streit-stands wird auf Tatbestand und
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und die im Berufungs-rechtszug
gewechselten Schriftsätze der Parteien verwiesen.
20
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung ei-nes Sachverständigengutachtens
von Prof. Dr. Bo.. Wegen der Beweisanordnung wird auf den Beschluß vom 2. April
1992, wegen des Ergebnisses auf das schriftliche Gutachten vom 1. Juli 1992 und das
Sitzungsprotokoll vom 28. Oktober 1992 Bezug ge-nommen.
21
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
22
Die nach §§ 511, 511 a ZPO statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden (§§ 516, 518, 519 ZPO) und damit zulässig. Sie ist sachlich nur
teilweise gerechtfertigt.
23
Die Beklagten zu 1), 3) und 4) haften der Klägerin wegen des Todes ihres Ehemannes
gemäß §§ 823, 844 Abs. 2, 831, 840 BGB gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz.
Die Be-klagten zu 3) und 4) haben pflichtwidrig gehandelt, in-dem sie entgegen der
ihnen bekannten Weisung der (ärztlichen) Klinikleitung den Patienten W. ohne
vorherige schriftliche Anordnung des diensthabenden Arztes teilfixiert und es darüber
hinaus unterlassen haben den Arzt sofort von dieser Maßnahme zu unterrichten und
dessen weitere Entschließung abzuwarten. Hierdurch haben sie ohne über die
erforderliche Sachkompetenz zu verfügen Behandlungsmaßnahmen im weitesten Sinne
ergriffen, die im Interesse des Heilerfolgs und der Sicherheit des Patienten dem Arzt
vorbehalten sind.
24
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Bo. ist die
Fixierung eines manisch erregten Patienten ohne ausreichende Sedierung eine
unzumutbare Quälerei. Die Fixierung könne nur ein Teil der Behand-lung sein, deren
Beziehung zur Pharmakotherapie und den Möglichkeiten des persönlichen Eingehens
von Pflegepersonal und Arzt auf den Patienten zu sehen sei. Je nach den Umständen
könne eine Fixierung zwar unvermeidlich sein; die Abwägung der Risiken müsse aber
dem Arzt vorbehalten bleiben, der dann auch die weiteren Anordnungen zur
25
persönlichen Sicherheit des Patienten zu treffen habe. Eine eigenmächtige Fixierung
durch das Pflegeper-sonal könne nur zur Abwendung akuter Gefahren für den Patienten
oder andere, die keinen Aufschub dulden, zugelassen werden. Abgesehen davon, daß
im Streitfall ein solcher Ausnahmefall nicht ersichtlich ist, hätten die Beklagten zu 3) und
4) danach auf jeden Fall sofort den diensthabenden Arzt zuziehen müssen. Jedenfalls
das eigenmächtige Aufrechterhalten der Fixierung erweist sich als pflichtwidrig.
Das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten ist entgegen ihrer Meinung nicht deshalb
unerheblich, weil die mit einer im 10 Minuten Abstand durchgeführten Kontrollen
verbundene Teilfixierung ohnehin objektiv die in der konkreten Situation gebotene
sachgerechte Behandlungs-maßnahme war, die auch ärztlich angeordnet worden wäre.
Es mag zwar sein, daß die Teilfixierung des Patienten W. an sich nicht (behandlungs)
fehlerhaft war. Prof. K. hat in seinem für die Staatsanwaltschaft Bonn - 90 Js 68/84 -
erstellten Gutachten die Fixierung aus Gründen des Selbstschutzes für die Patienten
(Gefahr ei-nes Herzkreislaufszusammenbruchs, Herzversagens) und zur Verhinderung
einer Gefährdung anderer Patienten durch Aggressionsausbrüche für geboten erachtet.
Prof. Bo. hat die Notwendigkeit der Fixierung ebenfalls nicht in Abre-de gestellt,
wenngleich er sie zurückhaltender beurteilt hat, weil alternative Maßnahmen (stärkere
medikamentöse Sedierung, persönliche Betreuung) möglicherweise ausreichend
gewesen wären.
26
Es war indessen nicht ausreichend, den teilfixierten Patienten ohne lückenlose optische
und akkustische Über-wachung in einem offen zugänglichen Zimmer zu belassen. Prof.
K. hat dagelegt, daß die Frage, ob eine lückenlose optische Überwachung eines
fixierten Patienten geboten sei, von den Umständen des Einzelfalles abhänge. Dabei
sei grundsätzlich davon auszugehen, daß ein teilfi-xierter psychatrischer Patient in einer
geschlossenen oder offenen psychatrischen Station so vielen Risiken ausgesetzt sei,
die sich aus seinem Krankheitsbild, aus der erforderlichen Fixierung selbst und aus der
Zusammensetzung der zu behandelnden Mitpatienten ergäben, daß eine lückenlose
und optische Überwachung angezeigt sei. Bei W. habe vor allem dessen seelische
Beeinträchtigung mit der Gefahr sinnloser und unkontrollierter Handlungen infolge
Einschränkung seiner Kritikfähigkeit bei hoch-gradiger innerer Unruhe für eine
lückenlose Überwachung gesprochen. Außerdem sei bei ihm auch eine
Verletzungskomplikation der Gliedmaßnahmen durch die Fixierung nicht
auszuschließen gewesen, denn er hätte sich in der Bewegungsunruhe durch
Aufschlagen auf harten Teilen der Bettgestelle oder an der Wand mit den
freibeweglichen Körperteilen oder mit dem Kopf verletzen können. Ein weiterer Grund
für eine kontinuierliche Überwachung sei das Risiko der kompensierten kardialen
Insuffizienzen mit einer jederzeit möglichen Dekompensation im Sinne eines
Herzkreislaufzusammenbruchs, der sofortige Hilfe hätte nötig machen können,
gewesen. Ferner sei W. infolge seines psychischen Zustandes erheblich darin
eingeschränkt gewesen, Gefahren, die durch Mitpatienten oder sich ankündigende
eigene körperliche Schwächen hätten drohen können, wahrzunehmen und zielgerichtet
schnell und richtig zu handeln, um pflegerische und ärztliche Hilfe herbeizurufen.
Schließlich habe bei ihm eine durch die Polyneuropathie herabgesetzte Schmerz- und
Tempera-turunempfindlichkeit bestanden. Nach seinen, des Sachverständigen,
Erfahrungen hätten diese Umstände Veran-lassung gegeben, den teilfixierten Patienten
unter dau-ernder Sichtkontrolle zu halten. Daß der Sachverständige gleichwohl zu dem
Ergebnis gelangt ist, bei W. sei eine lückenlose Überwachung nicht geboten gewsen, ist
nach seinen eigenen Darlegungen nicht nachvollziehbar. Es lagen keine gesicherten
Anhaltspunkte dafür, wonach eine Selbstbeschädigung oder eine Gefährdung durch
27
Mitpatienten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge als ausge-schlossen gelten
konnten. Das Pflegepersonal konnte sich nicht darauf verlassen, daß W. bei Gefahr
rechtzeitig um Hilfe rufen würde, wobei zudem noch nicht einmal sicher war, daß dies
auch bemerkt worden wäre. Es waren ferner auch keine Vorkehrungen dagegen
getroffen, daß andere Patienten in das Zimmer des W. eindrangen. Prof. Bo. hat sich
dem denn auch nicht anzuschließen vermocht. Er hat es als eindeutig fehlerhaft
bezeichnet, einen Risikopatienten wie W. fixiert in einem Behandlungsbereich ohne
lückenlose Überwachung zu belassen. Der Patient hätte vielmehr auf die Station "Nacht
und Not", in der eine ständige optische Überwachung (Wachsaal) möglich war,
zurückverlegt werden müssen, es sei denn, eine weitere ärztlicherseits vorgenommen
Sedierung hätte eine Fixie-rung entbehrlich gemacht oder die Anzahl des vorhandenen
Pflegepersonals hätte eine Sitzwache ermöglicht. Es sei auch im Jahr 1983 üblicher
Standard gewesen, teilfixierte Risikopatienten unter ständiger Sichtkontrolle zu halten.
Das Fehlverhalten der Beklagten zu 3) und 4) war ferner auch im Sinne der Adäquanz
ursächlich dafür, daß W. Brandverletzungen und eine Rauchvergiftung erlitt, denn es lag
nicht gänzlich außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, daß sich der Patient in den nicht
überwachten Zeiträumen selbst Schaden zufügte oder von anderen Mitpatienten verletzt
werden konnte. Die Brandverletzungen haben wiederum zum Tode des Patienten
geführt. Das hat das Landgericht unter zutreffender Würdigung des Gutachtens des
Sachverständigen Prof. R. dargelegt. Dem schließt sich der Senat an (§ 543 Abs. 1
ZPO).
28
Die Beklagten zu 3) und 4) versuchen ferner vergeblich ihre Haftung mit dem Argument
abzuwenden, daß sich der Kausalverlauf nicht anders dargestellt hätte, wenn sie
seinerzeit den diensthabenden Arzt hinzugezogen hätten. Richtig ist freilich, daß in
diesem Fall die Folgen der fehlerhaften Maßnahme von dem Arzt (und gemäß § 831
auch von dem Beklagten zu 1)) zu verantworten gewesen wären und nicht vom
Pflegepersonal, das die ärztlichen Anordnungen auszuführen hat. Der Senat kann
indessen nicht davon ausgehen, daß Dr. Sa. fehlerhafte Maßnahmen getroffen hätte, so
daß offen bleiben kann, ob das Vorbringen der Beklagten überhaupt geeignet ist, sie zu
entlasten. Im Senatstermin vom 2. April 1992 hat Dr. Sa. nämlich erklärt, er könne nicht
sagen, welche Maßnahmen er angeordnet hätte, wenn er gerufen worden wäre. Er hätte
zunächst sämtliche Umstände geprüft, insbesondere auch die Medikation. Wenn es
gefährlich sei, werde der Patient generell separiert. Es sei auch eine Wachstation
vorhanden gewesen ("Nacht und Not").
29
Der nach allem dem Grunde nach in vollem Umfang gerechtfertigte
Schadensersatzanspruch ist der Höhe nach nur teilweise begründet. Insofern ist das
angefochtene Urteil teilweise zu ändern:
30
Das Landgericht hat die Beklagten freilich zutreffend verurteilt, die nachgewiesenen und
notwendigen Aufwendungen für die Heilbehandlung des später Verstorbenen (2.024,00
DM), die Kosten der Krankenbesuche der näch-sten Angehörigen (5.764,10 DM) sowie
die Beerdigungskosten einschließlich Trauerkleidung (9.943,83 DM) zu ersetzen. Da
die Beklagten insoweit keine substantiierten Einwendungen geltend machen, kann der
Senat auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verweisen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Nach Abzug des Zuschusses der Rentenversicherung (3.000,-- DM) und Erstattungen
der Krankenkasse (5.200,-- DM) errechnet sich insoweit ein Gesamtschaden von
9.531,93 DM.
31
Im übrigen vermag der Senat dem Landgericht aber nur zum Teil zu folgen.
32
§ 844 Abs. 2 BGB gewährt dem unterhaltsberechtigten Ehe-gatten gegen den Schädiger
einen Ersatzanspruch, soweit ihm infolge der Tötung des Unterhaltsverpflichteten das
Recht auf Unterhalt entzogen wird. Als Unterhalt kommt dabei grundsätzlich auch die
Arbeitsleistung in Betracht, die ein Ehegatte zu Gunsten des anderen
verabredungsgemäß erbringt (§§ 1356, 1360 BGB). Fällt die Arbeitsleistung aus und
muß sich der Berechtigte deshalb anderweitiger Hilfe bedienen, kann er Ersatz der
insoweit angemessenen Aufwendungen verlangen, wobei eine abstrakte Ermittlung der
Kosten zulässig ist. Im Einzelfall können die Aufwendungen für eine stundenweise zu
entlohnende Hilfskraft zum Ausgleich der ausgefallenden Haushaltsführung verlangt
werden (vgl. etwa BGH FamRZ 1973, 535), was die Klägerin im Streitfall auch begehrt.
33
Den danach berechtigten Bedarf der Klägerin hat das Landgericht aber wesentlich zu
hoch eingeschätzt. Es mag sein, daß W. der Klägerin zu Lebzeiten nach besten Kräften
bei der Haushaltsführung, Einkäufen und der Gartenarbeit geholfen hat. Es darf aber
nicht verkannt werden, daß infolge seines Todes auch die im Haushalt anfallenden
Arbeiten weniger geworden sind, denn ein Einpersonenhaushalt bedarf offensichtlich
nur geringerer Versorgung als ein Zweipersonenhaushalt. Darüber hinaus unterlag W.
erheblichen physischen Beeinträchtigun-gen (Rechtsherzinsuffizienz,
Herzrhytmusstörungen, Hy-potonie, Arteriosklerose, Glaukom, schwere Adipositas,
Polyneuropathie), die seine Arbeitsfähigkeit verminderten. Ferner muß beachtet werden,
daß seit Anfang 1980 die psychotische Erkrankung mehrfach und nachhaltig aufgetreten
war, was zu teilweise monatelangem Ausfall seiner Arbeitskraft führte. Es kann
prognostisch nicht davon ausgegangen werden, daß W. etwa ab Dezember 1983
gänzlich beschwerdefrei gelebt hätte. Der Senat schätzt (§ 287 ZPO) deshalb unter
Berücksichtigung aller Umstände, daß der Ausfall der Arbeitskraft des W. im Haushalt
der Klägerin durch Hilfstätigkeit einer Putzfrau (vier Stunden wöchentlich) und weitere
stun-denweise Beschäftigung einer ungelernten Hilfskraft für Gartenarbeiten und
ähnliches (acht Stunden monatlich) angemessen kompensiert werden konnte und kann.
Bei einem im Mittel zu zahlenden Stundenlohn von 10,00 DM bis 1989 und 15,00 DM
seither ergeben sich Erstansprüche von 248,00 DM (4,2 Wochen x 4 Stunden x 10,00
DM + 8 Stunden x 10,00 DM) bzw. 372,00 DM monatlich (4,2 x 4 x 15 + 8 x 15). Danach
sind von Dezember 1983 bis Oktober 1990 an Haushaltshilfekosten insgesamt 22.740,--
DM angefal-len (61 Monate x 248,00 DM + 21 Monate x 372,00 DM), die gemäß § 291
BGB mit 4 % zu verzinsen sind. Ab 1. Ok-tober 1990 ist eine Rente von monatlich
372,00 DM zu zahlen.
34
Der Feststellungsantrag ist aus den vom Landgericht dargelegten Gründen
gerechtfertigt.
35
Die Einstandspflicht des Beklagten zu 1) folgt aus § 831 BGB. Auf den an sich nach §
831 Abs. 1 Satz 2 BGB möglichen Entlastungsbeweis hat er sich im Berufungsrechtszug
nicht berufen. Im übrigen ist auch erstinstanzlich nicht dargetan worden, daß der
Beklagte zu 1) bei Auswahl und Überwachung der Beklagten zu 3) und 4) die
erforderliche Sorgfalt hat walten lassen.
36
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10 711 ZPO.
37
Wert der Beschwer: für die Klägerin und die die Beklag-ten zu 1, 3 und 4 über 60.000,00
DM.
38
Streitwert der Berufungsinstanz: 113.731,93 DM (davon 49.000,00 DM gemäß § 17 Abs.
2 GKG, 42.000,00 DM gemäß § 17 Abs. 4 GKG, 5.000,00 DM für den
Feststellungsantrag sowie 17.731,93 DM für den übrigen materiellen Schaden).
39