Urteil des OLG Köln vom 18.12.2008

OLG Köln: kündigungsfrist, umstrukturierung, händler, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, eugh, vertriebsnetz, begründung der kündigung, gvo, vertikale vereinbarung, fristlose kündigung

Oberlandesgericht Köln, 19 U 33/08
Datum:
18.12.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 33/08
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 86 O 58/07
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 07.02.2008 verkündete Urteil
der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 86 O 58/07-
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird
nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des auf Grund dieses Urteils zu vollstreckenden Betrages
abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
1
I.
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Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen
Kündigung eines Vertragswerkstattvertrages sowie um die im Wege der
Feststellungsklage geltend gemachte Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des dem
Kläger infolge der Kündigung entstandenen Schadens. Die Entscheidung des
Landgerichts zur Widerklage, wonach der Vertragswerkstattvertrages –jedenfalls- zum
31.01.2008 endete, wird von dem Kläger mit der Berufung nicht mehr angegriffen.
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Der Kläger betreibt ein Autohaus in F. Bis zum 30.09.2004 war er autorisierter
Vertragshändler der Beklagten. Nach Beendigung des Händlervertrages schloss der
Kläger am 05./12.09.2005 mit der Beklagten einen O-Vertragswerkstattvertrag zum
01.10.2005 (Anlage K 1). Nach Abschluss des Vertragswerkstattvertrages tätigte der
Kläger Investitionen in Höhe von 25.909,00 € netto.
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Mit Schreiben vom 11.01.2006 kündigte die Beklagte unter Hinweis auf Artikel XVI Ziffer
1. 2. Absatz b) des Vertrages den Vertragswerkstattvertrag "zum nächst möglichen
Zeitpunkt". Dies sei wegen der notwendigen Umstrukturierung ihres Vertriebsnetzes der
31.01.2007. Wegen des Inhalts des Kündigungsschreibens im Einzelnen wird auf die
Anlage K3 (Bl. 21 f. GA) verwiesen. In Artikel XVI heißt es:
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"Dieser Vertrag kann von jeder Vertragspartei unter Einhaltung einer Frist von
24 Monaten zum Ende eines Kalendermonats per Einschreiben/Rückschein
gekündigt werden. Eine von O ausgesprochene Kündigung muss eine
ausführliche Begründung enthalten, die objektiv und transparent ist, und darf
nicht auf Verhaltensweisen der Vertragswerkstatt gestützt werden, die nach der
Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 nicht eingeschränkt werden dürfen. Die
Verordnung ist als Anlage XI diesem Vertrag angefügt. Darüber hinaus gelten,
insbesondere bezüglich der Kündigung, die Regelungen des nationalen
Rechts.
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Abweichend davon ist es O gestattet, diesen Vertrag mit einer Frist von 12
Monaten zu beenden, unter der Voraussetzung, dass
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a. O auf Grund einer gesetzlichen Bestimmung oder einer individuellen
Vereinbarung gegenüber der Vertragswerkstatt zur Zahlung einer angemessenen
Entschädigung verpflichtet ist oder
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b) sich für O die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu
einem wesentlichen Teil umzustrukturieren."
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Mit Schreiben vom 23.01.2007 widersprach der Kläger der Kündigung. Seit dem 22./
26.03.2007 hat die Beklagte dem Kläger den Zugang zum "O Alliance Net" gesperrt,
soweit es nicht die Abwicklung von Garantieansprüchen von Kunden betrifft. Durch das
Sperren des EDV-Zugangs konnte der Kläger Ersatzteile nur im Wege der Eilorder –per
Fax oder Telefon- bei der Beklagten bestellen, was u.a. einen Verlust von Margen
zwischen 5 % und 15 % zur Folge hatte. Mit Schreiben vom 05.12.2007 bewarb sich der
Kläger um einen Anschluss-Servicevertrag (Bl. 183 GA).
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei bereits aus formellen
Erwägungen unwirksam, weil sie gerade für den Vertragswerkstattbereich dem
vertraglichen Begründungserfordernis nicht genüge. Aber auch aus materiellen Gründen
sei die Kündigung mit Jahresfrist unwirksam, da die Voraussetzungen einer
Strukturkündigung mit Jahresfrist nicht gegeben seien. Die Beklagte sei daher auch
verpflichtet, ihm den durch die seit März 2007 nur noch eingeschränkte Belieferung und
Betreuung seitens der Beklagten entstandenen Schaden zu ersetzen.
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Der Kläger hat mit ihrer Klage begehrt festzustellen, dass die von der Beklagten mit
Schreiben vom 11.01.2006 ausgesprochene Kündigung des zwischen den Parteien
bestehenden O-Servicepartnervertrages vom 05./12.09.2005 unwirksam ist und das
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Vertragsverhältnis über den 31.01.2007 hinaus fortgesetzt wird und die Beklagte
verpflichtet ist, den Servicevertrag fortzuführen, insbesondere den Kläger mit O-
Ersatzteilen gemäß den vertraglichen Bedingungen zu beliefern. Ferner hat der Kläger
begehrt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu
ersetzen, der ihm aus der von der Beklagten mit Schreiben vom 11.01.2006
ausgesprochenen Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden
Servicevertrages vom 05./12.09.2005 entsteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und im Wege der Hilfswiderklage
beantragt festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene O-
Servicepartnervertrag vom 05./12.09.2005 durch die Kündigung der Beklagten vom
11.01.2006 spätestens zum 31.01.2008 beendet ist.
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Sie hat die Ansicht vertreten, auch die O-Vertragswerkstattverträge hätten wirksam mit
einer Frist von einem Jahr zum 31.01.2007 gekündigt werden können. Hierzu hat sie
behauptet, aus einer externen, von ihr in Auftrag gegebenen Studie der
Unternehmensberatungsgesellschaft VT International GmbH habe sich ergeben, dass
eine der wesentlichen Ursachen für den mangelnden Erfolg das deutsche Vertriebsnetz
darstelle, weil es zu viele kleine finanzschwache Händler gebe, die die Fahrzeuge nicht
über moderne Autohäuser vermarkten. Auch und gerade Werkstätten präsentierten sich
mit den bisherigen Standards nicht mehr zeitgemäß. Die beabsichtigte Umstrukturierung
müsse als einheitliche Maßnahme das gesamte, aus Händlern und Servicepartnern
bestehende Vertriebsnetz betreffen. Eine Gleichbehandlung der Werkstattbetriebe mit
den Händlern sei geboten. Auf der Grundlage des bestehenden Servicevertrages sei die
Einführung eines völlig neuen Systems der Selektionskriterien rechtlich unzulässig
gewesen. Hinsichtlich der Notwendigkeit der raschen Umstrukturierung des
Vertriebsnetzes hat die Beklagte im Übrigen auf die Ausführungen im Schriftsatz vom
20.08.2007 im Verfahren 86 O 38/07 (Bl. 66 GA) sowie auf die Ausführungen in anderen
Parallelverfahren (Bl. 164 GA) Bezug genommen. Hinsichtlich der vom Kläger
begehrten Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht hat die Beklagten die Ansicht
vertreten, es fehle sowohl an einer schuldhaften Pflichtverletzung als auch an einem
Schaden des Klägers, den auch ein Mitverschulden treffe.
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Im Übrigen wird wegen des unstreitigen Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien
in erster Instanz gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen auf das
angefochtene Urteil (Bl. 185 ff. GA).
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Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 07.02.2008, auf das wegen aller
Einzelheiten Bezug genommen wird, festgestellt, dass die von der Beklagten mit
Schreiben vom 11.01.2006 ausgesprochene Kündigung des zwischen den Parteien
bestehenden O-Vertragswerkstattvertrages vom 05./12.09.2005 insoweit unwirksam ist,
als die Kündigung des Vertragsverhältnisses zum 31.01.2007 ausgesprochen wurde
und dass die Beklagte verpflichtet ist, den Vertragswerkstattvertrag fortzuführen und
insbesondere den Kläger mit O-Ersatzteilen gemäß den vertraglichen Bedingungen zu
beliefern. Ferner hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem
Kläger den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der von ihr mit Schreiben vom 11.01.2006
ausgesprochenen Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden O-
Vertragswerkstattvertrages vom 05./12.09.2005 für die Zeit vom 01.02.2007 bis
31.01.2008 entstanden ist. Auf die Widerklage hat das Landgericht schließlich
festgestellt, dass der zwischen den Parteien bestehenden O-Vertragswerkstattvertrages
vom 05./12.09.2005 durch die Kündigung der Beklagten vom 11.01.2006 mit Wirkung
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zum 31.01.2008 endet.
Das Landgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom
11.01.2006 zum 31.01.2007 sei zwar in formeller Hinsicht hinreichend ausführlich und
transparent begründet. Es lägen aber nicht die Voraussetzungen für eine Kündigung mit
der verkürzten Kündigungsfrist von einem Jahr gemäß Artikel XVI Ziffer 1. 2. Absatz b)
des Vertragswerkstattvertrages vor. Insoweit hat das Landgericht auf verschiedene
Urteile des Senats, insbesondere das Urteil des Senats vom 07.12.2007 (19 U 60/07)
verwiesen. Das Landgericht hat sich auf die Widerklage ferner der Auffassung des
Senats angeschlossen, dass die von der Beklagten mit Schreiben vom 11.01.2006
ausgesprochene Kündigung von Vertragswerkstattverträgen als regelmäßige
Kündigung mit einer Frist von 24 Monaten gemäß Artikel XVI Ziffer 1 Satz 1 des
Vertrages wirksam ist. Für den Zeitraum vom 01.02.2007 bis 31.01.2008 hat das
Landgericht ferner die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten gegenüber dem
Kläger gemäß §§ 280, 281 BGB festgestellt, weil die Beklagte den Betrieb des Klägers
nicht mehr als ihre vertraglich verbundene Vertragswerkstatt angesehen und ihn auch
nicht mehr entsprechend behandelt habe. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf
berufen, dass sie wegen unklarer Rechtslage kein Verschulden an der von ihr
begangenen Vertragsverletzung treffe. Dass dem Kläger ein Schaden in Form von
Umsatzverlusten etwa auf Grund des Umstandes entgangen sei, dass die Beklagte den
Kläger nicht mehr als Vertragswerkstatt geführt und dementsprechend nicht mehr in
Verzeichnissen aufgenommen hatte, die an die bei ihr gelisteten Kunden versandt
worden seien, sei nach der Lebenserfahrung nahe liegend.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren
erstinstanzlichen Antrag auf Abweisung der Klage weiter verfolgt und hilfsweise die
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht begehrt.
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Sie macht unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens
geltend, das Landgericht hätte ihren Beweisangeboten nachkommen müssen. Da die
Notwendigkeit einer Umstrukturierung auf plausible Weise mit Gründen der
wirtschaftlichen Existenz gerechtfertigt werden könne, komme es nicht darauf an, dass
Nachteile sicher feststünden. Eine konkretere Darlegung sei auch nicht möglich, da es
sich immer um eine Prognoseentscheidung handele. Würden Gerichte später die
Notwendigkeit der Kündigung in Frage stellen, indem sie tief in die
betriebswirtschaftlichen Überlegungen eintreten, würde das Sonderkündigungsrecht
faktisch leer laufen. Die Beklagte habe in erster Instanz hinreichend und unter
Beweisantritt dargelegt, dass eine Strukturkündigung mit einer Kündigungsfrist von
einem Jahr erforderlich war, um ihr Vertriebsnetz effizienter zu gestalten, und eine
Kündigungsfrist von zwei Jahren wirtschaftlich nachteilige Folgen gehabt hätte. Die EU-
Kommission habe die Handlungsfähigkeit des Lieferanten im Interesse des
Wettbewerbs nicht übermäßig beschneiden wollen und die Notwendigkeit zur
Strukturkündigung bereits dann als gegeben angesehen, wenn das Vertriebsnetz
anpassungs- und leistungsfähiger ausgestaltet werden solle. Dies dürfe nicht durch die
Einhaltung einer zweijährigen Kündigungsfrist gehemmt werden. Die Vernehmung des
für die Entwicklung des Umstrukturierungskonzeptes verantwortlichen Zeugen V in
einem parallelen Verfahren vor dem OLG Frankfurt – 11 U 39/07 (Kart) - habe ergeben,
dass die Beklagte sich für die Umstrukturierung innerhalb einer Frist von einem Jahr auf
plausible Gründe habe stützen können. Das Landgericht habe die Richtigkeit der
unternehmerischen Entscheidungen in Frage gestellt und sei damit rechtsfehlerhaft über
die von dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gestellten
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Anforderungen hinaus gegangen und habe Beweisangebote ignoriert. Soweit der Senat
im Zusammenhang mit den vorangegangenen Entscheidungen vom 07.12.2007 den
Werteffektverlust von 38 Mio. Euro als reine Mutmaßung bezeichnet und angenommen
habe, es sei nicht ersichtlich, dass ein unvollständiges Händlernetz bessere Ergebnisse
erwarten lasse als ein gekündigtes, aber erfahrenes Händlernetz, habe er nach eigenen
Wertungsmaßstäben geurteilt. Entsprechendes gelte für die von dem Senat vertretene
Auffassung, Abwerbungsversuchen könne man durch Unterbreitung eines Angebotes
auf Abschluss neuer Verträge entgegen wirken. Soweit die Beklagte bis Februar 2007
lediglich 55 neue Investoren habe gewinnen können, sei dies eine Tatsache im
unternehmerischen Risikobereich der Beklagten, auf die es bei der Beurteilung der
Rechtmäßigkeit nicht ankomme. Entscheidend sei vielmehr, dass das Verlangen der
Investoren mitursächlich für die Netzstrukturkündigung gewesen sei. Der Zeuge V habe
in dem o.g. Verfahren vor dem OLG Frankfurt auch bestätigt, dass die Ursache des
abgesunkenen Markenanteils in der Struktur des Händlernetzes zu suchen sei. Eine
bedeutsame Änderung in räumlicher Hinsicht habe vorgelegen, denn hierfür sei nicht
allein auf die Abschaffung des Sekundärhändlernetzes abzustellen. Hierdurch allein
seien schon 215 Handelsstandorte weggefallen. Entscheidend sei ebenso, dass
insgesamt 352 Händlerstandorte weggefallen seien. Die Beklagte habe unter
Beweisantritt vorgebracht, dass bei einer Kündigungsfrist von 2 Jahren wegen des
Absatzrückgangs bei den gekündigten Händlern und des späteren Einsatzes neuer
Händler insgesamt 29.000 Fahrzeuge weniger verkauft worden wären, was allein im
zweiten Jahr der Kündigungsfrist einen entgangenen Gewinn von 70 bis 80 Mio. €
ausgemacht hätte. Durch ein Verpuffen der Produktoffensive zur Einführung des R und
des Nachfolgemodells des Y sowie des Sportwagens xxx wäre ihr ein weiterer Gewinn
von 8 bis 9 Mio. € entgangen. Zudem wären die Reibungsverluste aus der zu
überwindenden zweistufigen Struktur des Händlernetzes durch eine Verlängerung der
Kündigungsfrist um ein weiteres Jahr verlängert worden. Dem Oberlandesgericht
Frankfurt sei darin zu folgen, dass es ausreiche, dass mögliche nachteilige Folgen
dargelegt seien, dass vertretbare wirtschaftliche Erwägungen nicht durch andere
Bewertungen ersetzt werden könnten und dass sich die Verkürzung der Kündigungsfrist
schon wegen des Zusammenhangs zwischen Markteinbußen und Schwäche des
Händlernetzes rechtfertige, unabhängig davon, ob sich die Entscheidung nachträglich
als zutreffend erweise.
Hinsichtlich des Feststellungsantrags vertritt die Beklagte wiederholt die Ansicht, sie
habe bei Einstellung der Belieferung des Klägers nicht schuldhaft gehandelt. Auch fehle
es an der bereits die Zulässigkeit der Feststellungsklage betreffende Wahrscheinlichkeit
eines auf die Vertragsverletzung zurückzuführenden Schadens. Soweit man jedoch eine
Pflichtverletzung durch die Beklagte annehme, habe sie sich in einem Rechtsirrtum
befunden, weshalb sie die Pflichtverletzung jedenfalls nicht vertreten müsse. Den
Kläger treffe auch ein Mitverschulden, da er sich –was unstreitig ist- nicht bereits im
März 2007 um einen Anschluss-Servicevertrag beworben habe. In diesem Fall wäre er –
was ebenfalls unstreitig ist- nicht von dem EDV-System der Beklagten abgeschnitten
worden.
21
Die Beklagte beantragt,
22
das Urteil des Landgerichts Köln vom 07.02.2008 – 86 O 58/07 - abzuändern
und die Klage abzuweisen;
23
hilfsweise,
24
den Rechtsstreit an das Landgericht Köln zurückzuverweisen;
25
hilfsweise,
26
die Revision zuzulassen.
27
Der Kläger beantragt,
28
die Berufung zurückzuweisen.
29
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er macht geltend, der Vortrag der
Beklagten basiere auf haltlosen Vermutungen. Die Aussage des Zeugen V in dem
Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt sei inhaltlich unzutreffend und ohnehin –
ebenso wie die dort von ihm vorgelegte Analyse "Shift Germany Business Case" – nicht
wirksam in das vorliegende Verfahren eingeführt worden.
30
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug
wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
31
II.
32
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
33
A.
34
Die gesellschaftsrechtliche Trennung der O Center Europe GmbH von der vormaligen S
O Deutschland AG, nunmehr S Deutschland AG, hat das zur Zeit der Ausgliederung
bereits bestehende Rechtsverhältnis zu dem Kläger nicht beeinflusst, wie der Senat
bereits in parallel gelagerten Fällen ausgeführt hat (vgl. Urteil vom 07.12.2007, 19 U
60/07). Im Passivprozess des übertragenden Rechtsträgers kommt ein ipso-jure-Eintritt
des übernehmenden Rechtsträgers nicht in Betracht, da eine Ausgliederung oder
Spaltung nicht etwa eine Gesamtrechtsnachfolge in das Vermögen eines
untergegangenen Rechtsträgers bewirkt, sondern gemäß § 123 Abs. 3 UmwG eine
Übertragung einer Summe von Vermögensgegenständen (vgl. BGH, Urteil vom
06.12.2000, XII ZR 219/98 – juris). Nach § 133 Abs. 1 S. 1 UmwG haften die an der
Spaltung beteiligten Rechtsträger als Gesamtschuldner. Daher ist die O Center Europe
GmbH lediglich als neue Schuldnerin hinzu gekommen, die Haftung der Beklagten aber
nicht entfallen.
35
B.
36
Die Kündigung der Beklagten vom 11.01.2006 hat das Vertragsverhältnis nicht zum
31.01.2007 beendet. Der Vertragswerkstattvertrag endet vielmehr, von dem Kläger im
Berufungsverfahren nicht mehr angegriffen, mit Wirkung zum 31.01.2008. Die
Voraussetzungen für eine Kündigung gemäß Artikel XVI Ziffer 1. 2. Absatz b) des
Vertragshändlervertrages sind nicht dargetan.
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1)
38
Gegen die Wirksamkeit der vertraglichen Regelung bestehen keine Bedenken, da
wegen der inhaltlichen Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 5 lit. b) ii. der GVO Nr.
1400/2002 eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB
i.V.m. § 89 Abs. 1 und 2 HGB nicht in Betracht kommt.
39
2)
40
Der Wirksamkeit der Kündigung vom 11.01.2006 stehen formelle und inhaltliche
Bedenken nicht entgegen, wie der Senat bereits in vorangegangen Entscheidungen
entschieden hat (z.B. Urteil vom 07.12.2007 -9 U 60/07-). Nach Artikel XVI Ziffer 1 Satz 2
des Vertragswerkstattvertrages, der der Regelung in Artikel 3 Abs. 4 der GVO
1400/2002 entspricht, muss die schriftliche Kündigung eine ausführliche Begründung
enthalten, die objektiv und transparent ist. Damit soll nach dem Wortlaut des Artikels 3
Abs. 4 der GVO 1400/2002 verhindert werden, dass eine vertikale Vereinbarung mit
einem Vertriebspartner wegen Verhaltensweisen beendet wird, die nach der GVO nicht
eingeschränkt werden dürfen. Diesen Anforderungen genügt das Kündigungsschreiben
der Beklagten vom 11.01.2006 (Anlage K 3, Bl. 21 f. GA). Die Beklagte hat im Einzelnen
dargelegt, welche Gründe für sie Anlass waren, das bislang bestehende zweistufige
Händlernetz abzuschaffen und welche auf einzelne Regionen abgestimmte
Qualitätsstandards zukünftig gelten sollten, um den Anforderungen an einen modernen
KFZ-Vertrieb, der auch den Servicebereich umfasst, gerecht zu werden. Die Beklagte
hat damit ihre Beweggründe für die fristlose Kündigung des Vertragswerkstattvertrages
auf eine Weise eindeutig und klar beschrieben, dass sich der Kläger ein lückenloses
Bild über die Gründe machen konnte, die die Beklagte zur Kündigung veranlasst hat.
Auch war es dem Kläger möglich zu überprüfen, ob der Kündigung kartellrechtswidrige
Motive zugrunde lagen. Die Mitteilung von Details, die die Beklagte zu ihrer
Entscheidung bewogen haben, ist hierfür nicht erforderlich, denn dem Lieferanten
werden in Bezug auf die förmliche Begründung der Kündigung nach den hier
maßgeblichen Verordnungen keine besonderen Pflichten auferlegt (vgl. EuGH Urteil
vom 07.09.2006, C-125/05, Rn. 48 – juris). Dafür, dass nach der vertraglichen Regelung
eine weitergehende Begründung erforderlich gewesen wäre, bestehen keine
Anhaltspunkte.
41
3)
42
Jedoch ist die Kündigung des Vertragswerkstattvertrages durch die Beklagte zum
31.01.2007 in materiell-rechtlicher Hinsicht unwirksam, weil die Voraussetzungen des
Artikels XVI Ziffer 1 2. Abs. b) des Vertrages nicht vorliegen. Danach kann der
Vertragswerkstattvertrag mit einer Frist von 12 Monaten unter der Voraussetzung
beendet werden, dass sich für die Beklagte die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz
insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren. Das vorgesehene
Kündigungsrecht ist somit von zwei Voraussetzungen abhängig, nämlich zum einen
vom Vorliegen einer Umstrukturierung des gesamten Vertriebsnetzes des Lieferanten
oder eines wesentlichen Teils davon und zum anderen von der Notwendigkeit dieser
Umstrukturierung. Diese Tatbestandsmerkmale hat der EuGH in zwei zu Art. 5 Abs. 3
Ziffer 1 GVO Nr. 1475/95 ergangenen Entscheidungen dahin konkretisiert, dass das
Sonderkündigungsrecht eine bedeutsame Änderung der Vertriebsstrukturen des
Lieferanten sowohl in finanzieller als auch in räumlicher Hinsicht erfordert, die auf
plausible Weise durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt sein muss,
welche sich auf interne oder externe objektive Umstände des Unternehmens des
Lieferanten stützen, die ohne eine schnelle Umstrukturierung des Vertriebsnetzes in
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Anbetracht des Wettbewerbsumfeldes, in dem der Lieferant agiert, die Effizienz der
bestehenden Strukturen des Vertriebsnetzes beeinträchtigen könnten. Dabei kann die
Tatsache, dass der Lieferant auf der Grundlage einer subjektiven geschäftlichen
Beurteilung seines Vertriebsnetzes dessen Umstrukturierung für notwendig erachtet,
allein nicht ausreichen, um die Notwendigkeit einer solchen Umstrukturierung darzutun,
da ansonsten die Händler jeden wirksamen gerichtlichen Schutz in dieser Frage
verlieren würden. Mögliche wirtschaftliche Nachteile, die der Lieferant im Fall einer
Kündigung mit zweijähriger Frist erleiden könnte, sind in dieser Hinsicht erheblich
(EuGH, Urteil vom 30.11.2006, C-376/05, Rn. 36 f.; Urteil vom 07.09.2006, C- 125/05,
Rn. 36-40). Die Beweislast für das Vorliegen des Rechtes zur Kündigung mit einjähriger
Frist trägt der Lieferant (EuGH, Urteil vom 07.09.2006, C-125/05, Rn. 42 – juris). Diese
Grundsätze sind auch für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblich. Der Text
der GVO 1475/95 stimmt hinsichtlich des Kündigungsrechtes des Lieferanten mit
einjähriger Frist im Wesentlichen mit dem Verordnungstext der GVO 1400/2002 bzw. der
vertraglichen Kündigungsregel gemäß Art. XVI Ziffer 1, 2. Abs. b) überein, so dass – wie
der Senat bereits im Rahmen der o.g. Entscheidungen in parallel gelagerten Fällen
ausgeführt hat - keine Bedenken bestehen, die vorgenannten Entscheidungen des
EuGH zur Beurteilung des vorliegenden Falles heranzuziehen (so auch OLG Frankfurt,
Urteil vom 13.05.2008, 11 U 39/07 [Kart]).
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung vermag nicht jeder Nachteil
des Unternehmers eine Verkürzung der Kündigungsfrist zu rechtfertigen. Die
Erheblichkeit eines jeden Nachteils bedeutet, dass er zu berücksichtigen ist, nicht aber,
dass dieser zur Rechtfertigung der Kündigung mit verkürzter Frist bereits genügt. In
Anbetracht des Ausnahmecharakters und der gebotenen engen Auslegung der
Kündigungsregelung mit nur einjähriger Frist (vgl. EuGH Urteil vom 07.09.2006, C-
125/05, Rn. 27 – juris; ebenso OLG Frankfurt, Urteil vom 13.05.2008, 11 U 39/07 [Kart])
sowie im Hinblick auf den mit der Kündigungsregelung gemäß Art. 3 Abs. 5 der GVO
1400/2002 verfolgten Zweck, auch einen Investitionsschutz für die Händler und Inhaber
von Servicebetrieben zu gewährleisten, kann nicht schon jede Maßnahme zur Erzielung
einer nur geringfügigen Verbesserung der Vertriebsstruktur eine Verkürzung der
Kündigungsfrist rechtfertigen, sondern nur eine solche, die gerade auch unter
Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Händler und Inhaber von
Servicebetrieben an der längeren Kündigungsfrist notwendig ist, weil eine
Verbesserung der Vertriebsstruktur von einigem Belang nicht annähernd durch andere
Maßnahmen unter Einhaltung der regulären Kündigungsfrist erreicht werden kann (zum
Erfordernis einer Abwägung der Interessen vgl. Immenga/Mestmäcker/Veelken,
Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Kfz-VO, Rn. 85). Das Tatbestandsmerkmal der
Notwendigkeit bezieht sich daher nicht allein auf eine Umstrukturierung als solche,
sondern gerade auch auf deren Umsetzung binnen Jahresfrist, wobei eine
Rechtfertigung der verkürzten Frist nur in Betracht kommen kann, wenn hierdurch
Vorteile von Gewicht erzielt werden können. Maßgeblich ist dabei eine ex-ante-
Betrachtung, da es um die Frage geht, ob die Notwendigkeit der schnellen
Umstrukturierung bei Ausspruch der Kündigung gegeben war.
44
Die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Kündigung mit nur einjähriger
Kündigungsfrist unterliegt Einschränkungen. Es ist zwar Aufgabe der nationalen
Gerichte, unter Beurteilung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit zu beurteilen,
ob die vorbezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind (EuGH, Urteil vom 30.11.2006, C-
376/05 Rn. 33). Hingegen ist es nicht Sache der nationalen Gerichte, die
wirtschaftlichen und geschäftlichen Überlegungen, aufgrund deren ein Lieferant die
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Entscheidung getroffen hat, sein Vertriebsnetz umzustrukturieren, in Frage zu stellen
(EuGH, Urteil vom 07.09.2006, C-125/05 Rn. 35). Der Überprüfung durch staatliche
Gerichte entzogen ist mithin die Entscheidung des Unternehmers, dass und wie er sein
Vertriebssystem umgestalten möchte. Hierin ist der Unternehmer frei, solange er nicht
die Möglichkeit einer Kündigung mit Verkürzung der regelmäßigen Kündigungsfrist um
ein Jahr in Anspruch nehmen möchte. Will er hingegen mit verkürzter Frist kündigen,
erfährt seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit dadurch Einschränkungen, dass
die Kündigung insoweit auf plausible Weise durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz,
die sich auf objektive Umstände und nicht nur auf die subjektive Beurteilung des
Unternehmers stützen, gerechtfertigt sein muss. Die von der Beklagten herangezogene
ältere Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 17.02.2005, I-6
80/04), in der die Auffassung vertreten worden ist, dass die Überprüfung einer
Strukturkündigung auf eine Willkürkontrolle beschränkt sei, ist durch die genannten
Entscheidungen des EuGH, in denen die Anforderungen an eine Netzstrukturkündigung
konkretisiert und präzisiert worden sind, überholt (vgl. auch Urteil des Senats vom
07.12.2007, 19 U 60/07).
Auch in Bezug auf den Maßstab ist die Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen
eingeschränkt. Plausibel versteht sich nämlich als "überzeugend" oder "einleuchtend"
und setzt mithin nicht den Nachweis voraus, dass eine bestimmte Entwicklung mit
Sicherheit zu erwarten gewesen wäre (vgl. auch Urteil des Senats vom 07.12.2007 - 19
U 60/07-). Nicht mehr plausibel und auf objektive Umstände gestützt sind indes
Erwartungen und Prognosen des Unternehmers, die nicht objektiv begründbar und
nachvollziehbar sind, sondern auf willkürlichen Schätzungen basieren. Ohne eine
Einbeziehung der objektiven Grundlagen auch der Prognosen des Unternehmers in die
Plausibilitätskontrolle würde letztlich jede gerichtliche Überprüfung ins Leere gehen.
Soweit nach Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt (Urteil vom 13.05.2008, 11 U
39/07 [Kart], Anlage BB 2) darauf abzustellen sein soll, ob der Hersteller im Rahmen der
ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten eine nachvollziehbare Prognose
gestellt und daraus vertretbare Konsequenzen gezogen habe, wobei der Nachweis der
Plausibilität durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz bereits deshalb als erbracht
anzusehen sei, wenn der Hersteller darlegen könne, dass seine Vorgehensweise in
einer konkreten Situation eine vertretbare Maßnahme zur Abwendung andernfalls
möglicher Nachteile gewesen sei, vermag der Senat dem insoweit zu folgen, als
vertretbar nur notwendige Maßnahmen in dem zuvor beschriebenen Sinne sein können.
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a) Nach Maßgabe dieser Auslegungsgrundsätze fehlt es an den Voraussetzungen zur
Kündigung des Vertragswerkstattvertrages mit verkürzter Kündigungsfrist.
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Der Senat neigt in diesem Zusammenhang zu der von der Beklagten vertretenen
Ansicht, dass bei der Prüfung der genannten Kündigungsvoraussetzungen auf ein
einheitliches Vertriebsnetz, bestehend aus Händlern und Werkstattbetrieben,
abzustellen ist (so schon Urteil des Senats vom 07.12.2007, 19 U 60/07). Hierfür spricht
zunächst, dass der Vertragswerkstattvertrag selbst ein einheitliches Netz voraussetzt. In
der Präambel und in Art.1 Ziffer 1 des Vertrages wird nämlich das O-Vertriebsnetz als
aus dem Vertrieb von Neuwagen und Ersatzteilen sowie der Durchführung von
Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten bestehend vorgestellt und die Vertragswerkstatt
ausdrücklich als Mitglied des O-Netzes genannt. Da in der Kündigungsregelung auf
eine notwendige Umstrukturierung des "Vertriebsnetzes" Bezug genommen wird und
dabei keine inhaltlichen Einschränkungen vorgenommen werden, kann sie sich nach
ihrem Wortlaut und der Stellung im Vertrag nur auf ein einheitliches Netz beziehen.
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Zudem beruht die vertraglich vorgesehene Kündigungsmöglichkeit in Art. XVI Ziffer 1. b)
des Vertragswerkstattvertrages auf der gleichlautenden Formulierung in Art.3 Nr.5 b) der
GVO 1400/2002. In dieser wird der Begriff des Vertriebsnetzes ebenfalls einheitlich
verwendet und nicht zwischen Vertragshändlern und Vertragswerkstätten
unterschieden.
aa) Eine Umstrukturierung des gesamten Vertriebsnetzes oder eines wesentlichen Teils
des Vertriebsnetzes ist auch in dem vorliegenden Streitfall nicht hinreichend dargetan.
Der Senat hat in seinen Urteilen vom 07.12.2005 in den Verfahren 19 U 57/07, 19 U
59/07 sowie 19 U 60/07 zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der dort
streitgegenständlichen Vertragshändlerverträge ausgeführt, die Änderung der
bestehenden Vertragskonstruktion durch die vorgesehene Abschaffung des
zweistufigen Händlernetzes, die Schaffung regional unterschiedlicher
Qualitätsstandards (Metro-, Urban- sowie Rural-Regionen) sowie auch die Reduzierung
der Händlerstandorte unter Einsatz finanzkräftigerer Händler stellten zwar objektiv
durchaus eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes dar, jedoch sei nicht dargelegt,
dass diese Umstrukturierungsmaßnahmen das Vertriebsnetz der Beklagten insgesamt
oder zu einem wesentlichen Teil betreffen. Daran ist auf der Grundlage des Vorbringens
der Beklagten auch vorliegend festzuhalten.
49
aaa) Eine in finanzieller Hinsicht bedeutsame Veränderung hat die Beklagte nicht
hinreichend durch ihr Vorbringen zum Werteffekt der Kündigung dargelegt. Soweit die
Beklagte in erster Instanz durch Verweis auf die in den Parallelverfahren eingereichten
Schriftsätze (Bl. 66 und 165 GA) vorgetragen hat, der Werteffekt der Strukturänderung
würde bei einer zweijährigen Kündigungsfrist um ca. 38 Mio. € geschmälert und sich die
Amortisationszeit auf mehr als vier Jahre verdoppeln, ist dies unsubstantiiert. Es ist nicht
ersichtlich, welchen Werteffekt die Umstrukturierungsmaßnahme mit einjähriger Frist
nach der Kalkulation der Beklagten hätte haben sollen, von dem ein Betrag von 38 Mio.
€ bei Umsetzung in zwei Jahren in Abzug zu bringen sein soll. Darüber hinaus ist nicht
dargetan, woraus sich der angebliche Verlust von 38 Mio. € zusammensetzen soll.
Erstinstanzlich vorgetragen worden sind Verluste wegen Minderumsatzes bei der
Produktoffensive von 8 bis 9 Mio. € bzw. 4.000 Fahrzeugen, wegen Mindererlöses
infolge nachlassender Verkaufsleistung der gekündigten Händler von ca. 5 Mio. € bzw.
5.000 Fahrzeugen im zweiten Kündigungsjahr und wegen der Abwerbung von Händlern
in Höhe von 21 Mio. €. Wie es auf der Grundlage dieser Zahlen zu dem behaupteten
Werteffektverlust von 38 Mio. € gekommen sein soll, erschließt sich nicht. Hinzu kommt,
dass absolute Beträge für sich genommen wenig und nicht hinreichende Aussagekraft
besitzen. Es fehlt jeder Bezug zu der Höhe der mit dem Vertrieb verbundenen
Gesamtkosten sowie der erzielten Umsätze und Erlöse.
50
Eine in finanzieller Hinsicht bedeutsame Änderung der Vertriebsstrukturen ist auch in
zweiter Instanz nicht substantiiert und in einer eine Beweiserhebung zugänglichen
Weise vorgetragen worden. Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf eine
Sitzungsniederschrift vom 25.03.2008 in dem vor dem Oberlandesgericht Frankfurt
geführten Verfahren 11 U 39/07 (Kart) vorgetragen hat, der Zeuge V habe bekundet,
dass wegen einer zu erwartenden Abwerbung von Händlern der Neuwagenabsatz um
15% bzw. 15 Mio. € gesunken und allein aus dem Abwerbungseffekt ein Nettoverlust
von 21 Mio. € entstanden wäre, erschließt sich aus dem Vortrag nicht, wie ein
Minderabsatz von 15 Mio. € zu einem Nettoverlust von 21 Mio. € führen soll. Soweit der
Zeuge ausweislich des als Anlage BB 1 vorgelegten Sitzungsprotokolls bekundet hat,
zu einem Minderabsatz von 16 Mio. € - nicht 15 Mio. € wie von der Beklagten
51
vorgetragen - seien noch 5 Mio. € für Ausgleichszahlungen und Akquisitionskosten
hinzu zu rechnen, addiert sich dies zwar auf 21 Mio. €. Nach Addition der von der
Beklagten vorgetragenen und von dem Zeugen ebenfalls erwähnten Werte für den
Minderabsatz der gekündigten Händler im 2. Jahr (5 Mio. €) bzw. wegen Einbußen bei
im Zusammenhang mit der Produktoffensive (4 Mio. €) errechnet sich ein
Werteffektverlust von 38 Mio. € jedoch auch weiterhin nicht. Soweit ausweislich des
erwähnten Sitzungsprotokolls der Zeuge unter Bezugnahme auf diverse Anlagen, die
nicht erkennbar im vorliegenden Rechtsstreit eingeführt worden sind und noch dazu
teilweise fehlerhafte Zahlenwerte enthalten sollen, ausgeführt hat, wegen
Behinderungen bei der Investorengewinnung seien Verluste von 27 Mio. € anzusetzen
gewesen, ist zu dieser Position ebenso wie zu dem Inhalt des von dem Zeugen im
Rahmen seiner Vernehmung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt vorgelegten
Dokumentes mit der Überschrift "Ergänzende Analyse SHIFT Germany Business Case"
von der Beklagten nichts vorgetragen worden. Es bleibt offen, wie sich unter
Berücksichtigung der vorgenannten Positionen der behauptete Werteffektverlust von 38
Mio. € errechnen soll. Die Bedeutsamkeit der Umstrukturierung in finanzieller Hinsicht
ist damit auch in zweiter Instanz hinsichtlich des Zahlenwerks nicht schlüssig dargetan
und eine Beweiserhebung liefe auf eine unzulässige Ausforschung hinaus.
Der von dem Oberlandesgericht Frankfurt vertretenen Auffassung, wonach eine
Bedeutsamkeit in finanzieller Hinsicht auch schon wegen des Umfangs von Abfindungs-
und Ausgleichsansprüchen anzunehmen sei (Urteil vom 13.5.2008, 11 U 39/07 [Kart],
Anlage BB 2), vermag der Senat nicht zu folgen. Die Verpflichtung zur Zahlung eines
Ausgleichs analog § 89 b HGB ist eine Begleiterscheinung der Kündigung, nicht aber
das mit der Kündigung verfolgte Ziel und kann deswegen nicht zur Rechtfertigung der
Kündigung mit verkürzter Frist herangezogen werden.
52
bbb) Eine in räumlicher Hinsicht bedeutsame Veränderung hat die Beklagte ebenfalls
nicht dargetan.
53
[1] Die Bedeutsamkeit der Veränderung in räumlicher Hinsicht lässt sich nicht schon aus
der Zahl der nach dem Vorbringen der Beklagten von einem Wegfall betroffenen
Standorte herleiten, da danach von 638 Standorten lediglich 352 (55%) entfallen und
286 (darunter 63 von bisher 213 Sekundärhändlern) bleiben sollten. Etwa die Hälfte der
bisherigen Standorte und insbesondere mehr als die Hälfte der Primärhändler, somit ein
wesentlicher Teil des bisherigen Vertriebsnetzes, blieb bestehen.
54
[2] War danach ein nicht unwesentlicher Teil des Vertriebsnetzes von dem Wegfall von
Standorten nicht betroffen, könnte sich die Umstrukturierung zu einem wesentlichen Teil
im Sinne von Art. 3 Abs. 5 b) lit ii. der GVO 1400/2002 zwar aus bedeutsamen
Veränderungen ergeben, von denen die verbleibenden Händler betroffen waren. Dass
sonstige Veränderungen in ihren praktischen Auswirkungen von Belang gewesen
wären, hat die Beklagte indes nicht nachvollziehbar dargetan.
55
Soweit eine Klassifizierung von Standorten entsprechend der Gebietseinteilung "metro-
urban-rural" mit jeweils unterschiedlichen Standards erfolgen soll, mag dies eine
Veränderung in räumlicher Hinsicht darstellen. Eine Bedeutsamkeit der Einführung
dieser Klassifizierung ist jedoch nicht ersichtlich. Es ist schon nicht vorgetragen, worin
sich die drei Kategorien konkret unterscheiden und welche erhöhten Anforderungen an
die Betriebe der höheren Kategorie gestellt werden sollten. Offen geblieben ist ferner,
welche praktischen Auswirkungen die Einführung der drei verschiedenen Standards
56
hat. Hierbei kann nicht darauf abgestellt werden, ob die Neueinführung von Standards
für bestehende Verträge nur im Wege einer Kündigung aller Verträge hätte erreicht
werden können. Entscheidend ist vielmehr, ob für die verbleibenden Händler
Änderungen nicht nur nach der Papierform, sondern auch mit praktischen Auswirkungen
eintreten sollten. Die Beklagte hat indes nicht dargetan, wie viele der Zukunftshändler
im Hinblick auf die Einteilung in drei verschiedene Kategorien Anpassungen an einen
veränderten Standard – ggf. mit welchem Aufwand - vorzunehmen hatten. Wie der Senat
bereits in den Entscheidungen vom 07.12.2007 in den o.g. Parallelverfahren ausgeführt
hat, kann nach aller Erfahrung davon ausgegangen werden, dass die jeweiligen
Autohäuser des alten Vertriebsnetzes durchweg ihren Umgebungen angepasst waren.
Den in der Anlage B 4 vorgelegten Lichtbildern lässt sich der Umfang der erforderlichen
Anpassungsleistungen nicht entnehmen. Die Lichtbilder, darunter teils
Detailaufnahmen, die ohnehin keinen Gesamteindruck vermitteln, lassen nicht
erkennen, ob es sich bei dem jeweils abgebildeten Objekt überhaupt um einen Betrieb
handeln sollte, der erhalten bleiben und ggf. seinen Standard in welchem Umfang
verändern sollte. Die von der Beklagten vorgelegten neuen "Selektionskriterien für
autorisierte Vertragswerkstätten" (Anlage B 2) enthalten zwar eine Präambel, in denen
die Gebietsbezeichnungen "metro, urban, rural" definiert sind. Der nachfolgende Text
enthält indes kaum Abweichungen für Betriebe der verschiedenen Kategorien.
Rückschlüsse darauf, dass und ggf. welche bedeutsamen Änderungen mit der
Einführung der drei Kategorien für die verbleibenden Vertragswerkstätten verbunden
gewesen wären, ergeben sich aus dem vorgelegten Vertrag nicht.
[3] Eine Bedeutsamkeit der Veränderung der Vertriebsstruktur folgt auch nicht
nachvollziehbar aus der Abschaffung der Sekundärebene. Wie der Senat bereits in den
Entscheidungen von 07.12.2007 (vgl. Urteil vom 07.12.2007, 19 U 60/07) ausgeführt hat,
setzt zwar die Abschaffung des Sekundärhändlernetzes die Abschaffung der Option der
Einrichtung eines Sekundärhändlers voraus und somit eine Kündigung aller Verträge
und nicht nur der Verträge, auf deren Grundlage von der Option Gebrauch gemacht
worden war. Der Beklagten ist es nicht zuzumuten, den Versuch zu unternehmen, die
Abschaffung der Sekundärhändleroption in jedem Einzelfall einvernehmlich zu regeln.
Allerdings hatten – wie in den bereits früher von dem Senat entschiedenen Streitfällen
unstreitig gewesen ist (vgl. Urteil vom 07.12.2007, 19 U 60/07) - lediglich 47
Primärhändler von der Option Gebrauch gemacht und es war daher nur ein geringer Teil
der Primärhändler von der Abschaffung der Sekundärebene betroffen.
57
Die von der Beklagten genannten einzelnen räumlichen und qualitativen Aspekte der
Umstrukturierung lassen nach alledem weder für sich genommen noch in ihrer
Gesamtheit erkennen, dass das gesamte Vertriebsnetz oder wenigstens ein
wesentlicher Teil davon umstrukturiert worden ist.
58
Eine hiervon abweichende Beurteilung ergibt sich auch dann nicht, wenn man von
getrennten Vertriebsnetzen, nämlich einerseits einem Händlernetz und andererseits
einem Werkstättennetz ausgeht. Vielmehr gilt dann erst recht, dass die Beklagte eine
Umstrukturierung im hier relevanten Servicebereich nicht schlüssig dargelegt hat, denn
sie hat keine Änderung der Organisation der Werkstättenstruktur, sondern lediglich eine
Änderung qualitativer Standards beschlossen.
59
bb) Die Beklagte hat darüber hinaus nicht dargetan, dass die Änderungen der
Vertriebsstruktur plausibel durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt
gewesen sind, welche sich auf interne oder externe objektive Umstände ihres
60
Unternehmens gestützt haben, die ohne eine schnelle Umstrukturierung des
Vertriebsnetzes in Anbetracht des Wettbewerbsumfeldes die Effizienz der bestehenden
Strukturen des Vertriebsnetzes beeinträchtigen können.
aaa) Wie der Senat bereits zu parallel gelagerten Streitfällen ausgeführt hat (vgl. Urteil
vom 07.12.2007, 19 U 60/07), ist der Einwand des erfahrungsgemäß zu erwartenden
Sinkens des Fahrzeugabsatzes eines gekündigten Händlers im zweiten Jahr kein
plausibler Grund für die Erforderlichkeit einer Kündigung mit nur einjähriger Frist. Der
Senat hält an der bereits in den vorausgegangenen Entscheidungen geäußerten
Auffassung fest, dass die Gruppe der gekündigten Händler, auf die die Beklagte ihre
Erfahrung stützt, mit den hier gekündigten Händlern nicht vergleichbar ist. Bei den von
der Beklagten statistisch erfassten Kündigungen, wie sie in den Parallelverfahren
vorgetragen wurden, handelt es sich um individuelle Kündigungen einzelner
Vertragsbeziehungen, die aus unterschiedlichen Gründen erfolgten. Da individuelle
Gründe im Rahmen der Netzstrukturkündigungen keine Rolle spielen, kann aus
früheren, naheliegend gerade auch mit (finanz-) schwächeren Händlern – also einer
"Negativauswahl" - gewonnenen Erfahrungen nicht ohne weiteres auf ein gleichartiges
Verhalten der jetzt gekündigten Händler geschlossen werden. Angesichts dessen, dass
sich der Ausgleichsanspruch wesentlich nach dem zuletzt erzielten Fahrzeugabsatz
richtet, kann zudem ein vermindertes Engagement der endgültig gekündigten Händlern
nicht unterstellt werden. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Angaben zu dem
Umfang des Minderabsatzes als spekulativ. Darüber hinaus wäre ein Absinken von
Verkaufsleistungen der endgültig gekündigten Händler im zweiten Jahr nur dann von
Nachteil, wenn diese der Gewinnung nutzbringenderer Vertriebspartner im Wege stehen
würden. Wie aber noch auszuführen sein wird, ist eine bedeutsame Behinderung bei der
Investorengewinnung bei Kündigung mit zweijähriger Frist ebenfalls nicht dargetan.
61
Des Weiteren fallen bei Betrachtung der "Ergänzenden Analyse Shift Germany
Business Case", die von dem Zeugen V in dem bei dem Oberlandesgericht Frankfurt
anhängigen Verfahren überreicht und von der Beklagten ohne ergänzenden Vortrag
vorgelegt worden ist, Werte auf, die jedenfalls ohne eine weitere Erläuterung in sich
nicht plausibel erscheinen und auf diese Weise die Angaben zu der
Werteffektminderung wegen der angeblich sinkenden Absatzleistung der gekündigten
Händlern für den Fall einer zweijährigen Kündigungsfrist in Frage stellen, jedenfalls das
Vorbringen der Beklagten nicht stützen. Auf der ersten Seite der Analyse unter der
Rubrik "Durchschnittlicher Absatz pro Händler [Fzg.]" sind für die Jahre 2005 und 2006
bezüglich der Zukunftshändler Werte von 111 bzw. 124 Fahrzeugen angegeben, die im
Folgejahr auf 211 ansteigen sollen, ohne dass vorgetragen oder sonst ersichtlich wäre,
wie es zu einer Steigerung der Verkaufsleistung von über 70% innerhalb eines Jahres
kommen soll. Nachdem darüber hinaus die Daten dieser Aufstellung bezüglich der
gekündigten Händler und der neuen Investoren nicht mit den in der Zusammenfassung
auf der dritten Seite (vorletzter Absatz) genannten Zahlen übereinstimmen, vermittelt die
Studie den Eindruck der Beliebigkeit des zusammengestellten Zahlenmaterials.
62
Diese Unstimmigkeiten, der nicht nachvollziehbare Vortrag zu den Positionen, die sich
zu der behaupteten Werteffektminderung von 38 Mio. € addieren sollen, sowie der
Umstand, dass die Beklagte die Diskrepanzen ihres Vortrags zu dem ihr entgehenden
Gewinn in den in der Vergangenheit beim Senat anhängigen Verfahren – beziffert
wurde der entgehende Gewinn mit 70 bis 80 Mio. € bzw. mit 60 bis 70 Mio. € (vgl. Urteil
vom 07.12.2007, 19 U 60/07)- nicht erläutert, sondern als unbeachtlich darstellt (vgl.
Schriftsatz vom 03.06.2008, Bl. 255 GA), deuten in ihrer Gesamtheit darauf hin, dass die
63
Beklagte Zahlen ins Blaue hinein vorträgt, denen es an einem realistischen und
verifizierbaren objektiven Hintergrund fehlt. Daher fehlt es an der Plausibilität der für die
Kündigung mit verkürzter Frist angegebenen Gründe.
Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt u.a. darauf abgestellt hat, dass nachteilige
Folgen wegen nachlassender Absatztätigkeit gekündigter Händler im Hinblick auf die
Vielzahl der gekündigten Händler nicht ausschließbar seien (Urteil vom 13.5.2008, 11 U
39/07 [Kart], S. 18), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es ist Sache der darlegungs-
und beweisbelasteten Beklagten, plausible Gründe zur Rechtfertigung einer Kündigung
mit verkürzter Frist vorzutragen, also die Erwartung einer nachlassenden
Verkaufsleistung der gekündigten Händler einleuchtend zu begründen, nicht aber
Aufgabe des Klägers, solches Vorbringen zu widerlegen.
64
bbb) Die Beklagte hat auch nicht dargetan, dass relevante Nachteile im Hinblick auf
eine Behinderung bei der Investorengewinnung für den Fall einer Kündigung mit einer
Frist von zwei Jahren zu erwarten gewesen wären. Das Vorbringen der Beklagten,
wonach Investoren nicht bereit seien, zwei Jahre zu warten, bis sie tätig werden können,
da ein Investor seine auf der Basis der vorgefundenen oder erwarteten
Marktverhältnisse getroffene Entscheidung sofort umsetzen wolle, und dass bei längerer
Frist zu befürchten gewesen sei, dass ein Investor seine Investitionsentscheidung eher
für eine Konkurrenzmarke treffen würde, erscheint nicht nachvollziehbar. Es erschließt
sich nicht, warum ein potentieller Investor, der eine langjährige vertragliche Bindung
erwägt, von der Aussicht, entweder während des ersten Jahres mit einem
"Hinterhofbetrieb" konkurrieren oder die Investition ein Jahr zurückzustellen zu müssen,
von einer Investition Abstand nehmen oder gar allein wegen der Kündigungsfrist eine
Entscheidung zugunsten einer Konkurrenzmarke fällen sollte. Darüber hinaus bestünde
– die Annahme, dass bei einer Wartezeit von zwei Jahren keine Investoren zu gewinnen
sind, als zutreffend unterstellt - keine Notwendigkeit, Investoren verfrüht anzusprechen
(so auch OLG Frankfurt, Urteil vom 13.05.2008, 11 U 39/07 [Kart], Anlage BB 2, S. 18).
65
Nicht hinreichend substantiiert ist insbesondere auch das durch Verweis auf
Parallelverfahren in Bezug genommene Vorbringen der Beklagten, sie habe im Vorfeld
der Kündigungen Kontakt zu 190 potentiellen Investoren aufgenommen und die
Mehrzahl sei nur bereit gewesen, sich für O zu engagieren, wenn die Wartezeit nicht
noch ein weiteres Jahr bis 2008 hinausgeschoben würde. Es ist schon nicht
vorgetragen, wann wer wem gegenüber in welchem Zusammenhang was gesagt haben
soll, insbesondere nicht, dass explizit gesagt worden wäre, dass die Bereitschaft zur
Investition ausschließlich von der Kündigungsfrist abhänge. Eine Beweisaufnahme liefe
auf der Grundlage dieses Vortrages auf eine Ausforschung hinaus. Auch ist nicht
schlüssig dargetan, dass die Investitionsbereitschaft tatsächlich ausschließlich von der
Kündigungsfrist abhing. Wäre das Engagement für O bei den 190 Investoren
ausschließlich von der Länge der Kündigungsfrist abhängig gewesen, wäre zu erwarten
gewesen, dass es der Beklagten nach dem Ausspruch der Kündigung mit nur
einjähriger Frist gelungen wäre, innerhalb eines Jahres rund 190 neue Investoren zu
gewinnen. Tatsächlich ist es der Beklagten bis Februar 2007 jedoch nur gelungen, 55
neue Investoren zu gewinnen. Darüber hinaus ist auch nicht nachvollziehbar, dass und
warum die Beklagte den neuen Investoren gegenüber überhaupt von alternativen
Kündigungsfristen gesprochen haben sollte, nachdem nichts dazu vorgetragen ist, dass
eine Umsetzung des Konzeptes mit einer zweijährigen Kündigungsfrist auch nur
ernsthaft erwogen worden wäre.
66
Wirtschaftlich nachteilige Folgen einer Kündigungsfrist von zwei Jahren in Bezug auf
die Investorengewinnung sind auch nicht durch Vorlage der bereits erwähnten
"Ergänzenden Analyse Shift Germany Business Case" hinreichend dargetan, zu deren
Inhalt ohnehin nichts konkret vorgetragen ist. Auf Seite 1 der Analyse ist unter der
Rubrik "Anzahl Standorte" dargestellt, dass die Zahl zu erwartender neuer Investoren für
das Jahr 2007 107, für das Jahr 2008 203 und im Jahr 2009 249 betragen solle. Es
erschließt sich indes nicht, was einen Investor daran hindern sollte, noch im Jahre 2008
anstatt erst im Jahr 2009 zu investieren, wenn der Konkurrenzbetrieb bereits Ende
Januar 2008 entfällt, und warum diese Zeitverzögerung in Zusammenhang mit der
Länge der Kündigungsfrist stehen sollte. Vor allem aber sind auf Seite 3 hiervon
abweichende Zahlen festgehalten, nämlich für 2007 50, für 2008 131, für 2009 258 und
für 2010 292 neue Investoren. Diese Diskrepanzen innerhalb einer Analyse stützen die
Annahme, dass es an einer fundierten Grundlage für die genannten Zahlen und die
vorgenommenen Wertberechnungen fehlt. Wirtschaftliche Nachteile von Belang für die
Investorengewinnung bei einer zweijährigen Kündigungsfrist ergeben sich daher aus
dem Vorbringen nicht.
67
ccc) Der von der Beklagten vorgetragene Aspekt der Abwanderung bzw. Abwerbung
von Händlern stützt die Annahme der Erforderlichkeit einer Umstrukturierung binnen
Jahresfrist ebenfalls nicht. Dabei kann zwar als zutreffend unterstellt werden, dass es
Bestrebungen der Konkurrenz gibt, Händler abzuwerben. Es erschließt sich jedoch
nicht, warum eine Abwerbemöglichkeit, die gerade erst durch die Kündigung eröffnet
wird, nennenswert erweitert würde, wenn die Kündigungsfrist nicht nur ein Jahr, sondern
zwei Jahre beträgt. Auch bei einer Frist von einem Jahr hat ein Händler hinreichend
Zeit, Alternativen zu dem von der Beklagten angebotenen neuen Vertrag, von dem sie
selbst nicht behauptet, dass dieser für die Händler günstiger sei als der alte, zu prüfen.
Zudem würde sich, wie der Senat bereits in den parallel gelagerten Fällen ausgeführt
hat, eine Bindung des Zukunftshändlers auch durch das Angebot, kurzfristig einen
neuen Vertrag abzuschließen, erreichen lassen (vgl. Urteil vom 07.12.2007, 19 U
60/07). Mit dieser Überlegung hat der Senat nicht, wie die Beklagte geltend macht, seine
eigene unternehmerische Einschätzung zum Maßstab gemacht, sondern lediglich der
gebotenen engen Auslegung der Regelung gemäß Art. 3 Abs. 5 lit. b) ii der GVO Nr.
1400/2002 Rechnung getragen. Im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit einer
Verkürzung der Kündigungsfrist im Hinblick auf die von der Beklagten vorgetragene
Abwerbungsproblematik ist nämlich auch von Bedeutung, ob sich die mit einer
zweijährigen Kündigungsfrist möglicherweise verbundenen Schwierigkeiten
anderweitig unschwer vermeiden lassen. Warum die angesprochene alternative
Vorgehensweise für die Beklagte nicht in Betracht gekommen wäre, hat sie nicht
vorgetragen.
68
ddd) Die von der Beklagten angeführte sog. "Produktoffensive" vermag die Annahme
der Erforderlichkeit einer Kündigung mit verkürzter Frist ebenfalls nicht zu begründen.
Es versteht sich von selbst, dass sich ein Hersteller gerade auch bei der Einführung
neuer Fahrzeugmodelle ein möglichst leistungsfähiges Vertriebsnetz wünscht. Wie
bereits ausgeführt, hat die Beklagte indes weder dargetan, dass eine Umstrukturierung
des gesamten Vertriebsnetzes bzw. eines wesentlichen Teils davon erfolgte, noch, dass
eine schnelle Umstrukturierung erforderlich gewesen wäre. Es ist auch nicht erkennbar,
inwieweit durch die geplanten Veränderungen gerade auch kurzfristig im Hinblick auf
die Einführung neuer Modelle Vorteile hätten erzielt werden können. Soweit die
Beklagte gegen die Ausführungen des Senats in den Entscheidungen vom 07.12.2008,
wonach nicht ersichtlich sei, dass ein potentiell unvollständiges und erst im Aufbau
69
begriffenes Händlernetz bei einer Produktoffensive bessere wirtschaftliche Ergebnisse
erwarten lasse, als ein gekündigtes, aber erfahrenes Händlernetz, geltend macht,
hiermit seien die unternehmerischen Entscheidungen in unzulässiger Weise in Frage
gestellt worden, führt dieser Einwand nicht weiter. Tragfähige, die Verkürzung der
Kündigungsfrist rechtfertigende Gründe für die Entscheidung, ein Händlernetz
unmittelbar vor einer geplanten Produktoffensive auszudünnen, erschließen sich nach
wie vor nicht.
Hinzu kommt, dass die Angaben zu dem zu befürchtenden Minderabsatz insgesamt
nicht nachvollziehbar sind. Es ist nicht dargetan, wie aus dem erwarteten Minderabsatz
der gekündigten Händler (ca. 5.000 Neufahrzeuge im zweiten Kündigungsjahr) und dem
zu befürchtenden Minderabsatz im Zusammenhang mit der Produktoffensive (4.000
Fahrzeuge) auch unter Berücksichtigung eines Minderabsatzes wegen des
Abwerbungsproblems, zu dem keine Fahrzeugzahlen angegeben sind, ein
Minderabsatz von insgesamt 29.000 Fahrzeugen entstehen soll, zumal eine schlichte
Addition solcher Zahlen unzutreffend ist, da es sich hierbei um Schnittmengen handelt.
Eine solide Grundlage für die Werteffektberechnung ist daher nicht erkennbar. Die
Erforderlichkeit der Umsetzung binnen Jahresfrist ist somit auch hinsichtlich der
"Produktoffensive" nicht plausibel dargetan.
70
eee) Das Vorliegen von plausiblen Gründen der wirtschaftlichen Existenz, die eine
Kündigung mit verkürzter Frist rechtfertigen, ergibt sich auch nicht aufgrund sonstiger
Umstände. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, der geplanten Strukturänderung habe
eine – hier nicht vorgelegte - Studie eines externen Beraters zugrunde gelegen, die zu
dem Ergebnis gekommen sei, dass das Händlernetz für den Absatzrückgang ursächlich
und eine schnelle Umstrukturierung erforderlich sei, vermag dies für sich genommen die
Kündigung mit verkürzter Frist nicht plausibel zu begründen bzw. die Darlegung
plausibler objektivierbarer Gründe, die eine schnelle Umstrukturierung rechtfertigen,
nicht zu ersetzen. Es ist Sache des Unternehmers, solche Studien einer eigenen
kritischen Überprüfung zu unterziehen, wenn er die Inanspruchnahme des
Sonderkündigungsrechtes erwägt. Eine andere Sichtweise hätte zur Folge, dass
Netzstrukturkündigungen immer schon dann unangreifbar würden, wenn der Lieferant
hierzu ein Gutachten eines Dritten – gleich welcher Qualität – eingeholt hat.
71
Zuletzt kann auch nicht etwa der Erfolg der Veränderung des Vertriebssystems als Indiz
für das Vorliegen plausibler Gründe im vorgenannten Sinne angeführt werden. Wie der
Prozessbevollmächtigte jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom
07.11.2008 klargestellt hat, haben die vorgenommenen Änderungen nicht den erhofften
Erfolg gebracht.
72
Nach alledem hat die Beklagte weder eine Umstrukturierung eines wesentlichen Teils
des Vertriebsnetzes noch die Notwendigkeit einer schnellen Umsetzung der
Veränderungen hinreichend darzulegen vermocht. Zu etwaigen wirtschaftlichen
Auswirkungen einer um ein Jahr verlängerten Kündigungsfrist für den Servicebereich ist
nichts vorgetragen worden und insoweit erst recht die Notwendigkeit einer schnellen
Umstrukturierung nicht plausibel dargetan. Der Vertragswerkstattvertrag zwischen den
Parteien ist nach alledem erst mit Wirkung zum 31.01.2008 beendet worden.
73
C. Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte schließlich gegen die im angefochtenen Urteil
festgestellte Schadensersatzverpflichtung.
74
Der Antrag des Klägers festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den
Schaden zu ersetzen, der ihm durch die vorzeitige Vertragsbeendigung für die Zeit vom
01.02.2007 bis zum 31.01.2008 wegen der von der Beklagten zum 31.01.2007
ausgesprochenen Kündigung entstanden ist, ist ebenfalls zulässig und begründet.
75
1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht das für
eine Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO
bejaht.
76
a) Der Kläger hat nach wie vor ein rechtliches Interesse an der Feststellung der
Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz. Zur Zeit des Schlusses
der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 26.11.2007 war die
Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, so dass der Kläger in erster Instanz
nicht in der Lage war, einen ihm wegen der Kündigung in der Zeit bis zum 31.01.2008
entstandenen Schaden zu beziffern. Sein Interesse an der Feststellung ist nicht
deswegen entfallen, weil er nunmehr, neun Monate nach Ablauf auch der ordentlichen
Kündigungsfrist, eine Bezifferung vornehmen könnte. Jedenfalls im Berufungsverfahren
ist der Partei der mit einem Instanzverlust verbundene Übergang zur Leistungsklage
nicht zuzumuten (BGH, Urteil vom 15.11.1977, VI ZR 101/76 – juris).
77
b) Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass bei reinen Vermögensschäden, die hier
Gegenstand der Klage sind, bereits die Zulässigkeit der Feststellungsklage von der
Wahrscheinlichkeit eines auf die Vertragsverletzung zurückzuführenden
Schadenseintritts abhängt (BGH NJW 2006, 830 ff. m.w.Nachw.). Diese Voraussetzung
ist im Streitfall gegeben. Dabei kann dahin stehen, ob die Beklagte, wie sie abweichend
von ihrem erstinstanzlichen Vortrag nunmehr in der Berufungsbegründung vom
03.06.2008 –dort Seite 30, Bl. 258 GA- vorträgt, die Belieferung des Klägers mit
Ersatzteilen eingestellt hat. Denn die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ergibt
sich jedenfalls daraus, dass dem Kläger unstreitig seit dem 22./26.03.2007 (Bl. 6 bzw.
127 GA) der Zugang zu dem O Alliance Net durch die Beklagte verwehrt worden ist.
Dies hatte zur Folge, dass der Kläger notwendige Ersatzteile nur noch im Wege der
Eilorder von der Beklagten beziehen konnte, was mit Margenverlusten in der
Größenordnung von 5% bis 15% verbunden war. Ferner konnte der Kläger aufgrund der
Sperrung im EDV-System der Beklagten nicht am Mengenbonusprogramm und an
Sonderaktionen der Beklagten teilnehmen. Zu Recht hat das Landgericht ferner darauf
abgestellt, dass der Kläger nicht mehr als Vertragswerkstatt geführt und in
entsprechenden Verzeichnissen gelistet war, die die Beklagte an die bei ihr geführten
Kunden versandt hatte. Aufgrund dieser Gesamtumstände ist von der
Wahrscheinlichkeit auszugehen, dass der Kläger durch die Sperrung des EDV-Systems
einen Vermögensschaden erlitten hat.
78
2. Der Feststellungsantrag ist gemäß §§ 280 Abs. 1, 281, 249, 252 BGB in der seit dem
01.01.2002 geltenden Fassung auch begründet.
79
a) Die Beklagte hat die ihr gegenüber dem Kläger aus dem Vertragswerkstattvertrag
obliegenden Pflicht zur Bereitstellung der EDV-Anbindung an ihr O Alliance Net verletzt,
indem sie den Zugang für den Kläger während des Fortbestands des Vertrages seit dem
22./26.03.2007 gesperrt hat, obwohl sie zur Aufrechterhaltung des Zugangs bis zum
Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.01.2008 verpflichtet war.
80
b) Die Beklagte hat die Verweigerung der Bereitstellung der EDV-Anbindung im Sinne
81
von § 276 BGB zu vertreten. Es ist ihr nicht gelungen, sich gemäß § 280 Abs. 1 S. 2
BGB zu entlasten. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, sie habe sich in einem
unverschuldeten Rechtsirrtum befunden, da zur Zeit des Ausspruchs der Kündigung
noch kein deutsches Gericht über die allgemeinen Voraussetzungen der Notwendigkeit
einer Strukturkündigung entschieden und auch nach den Entscheidungen des EuGH
vom 07.09. sowie 30.11.2006 für sie – die Beklagte - kein Anlass bestanden habe, von
ihrem Standpunkt abzuweichen.
aa) Es ist zwar allgemein anerkannt, dass ein unverschuldeter Rechtsirrtum den
Schuldner von den Folgen der §§ 280 bzw. 286 BGB freistellen kann. An die
Sorgfaltspflichten des Schuldners sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Es
genügt nicht, dass der Schuldner die Rechtslage sorgfältig geprüft und sich nach
sachgemäßer Beratung eine eigene Rechtsauffassung gebildet hat. Unverschuldet ist
der Irrtum nur dann, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und
Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (BGH,
Urteil vom 27.09.1989, IV a ZR 156/88 – juris; OLG Hamm, Urteil vom 30.01.2006, 22 U
146/05 – juris; OLG Köln, NJW-RR 1998, 1017, 1018). Dies kann der Fall sein, wenn die
Leistungspflicht von der Beantwortung äußerst schwieriger und umstrittener
Rechtsfragen abhängt, die in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet werden,
und die Erfüllung der Leistungspflicht angesichts der Unklarheit unzumutbar ist.
Keinesfalls aber kann es dem Schuldner gestattet sein, das Risiko einer zweifelhaften
Sach- und Rechtslage dem Gläubiger zuzuschieben (BGH, Urteil vom 27.09.1989, IV a
ZR 156/88 – juris). Bei einer zweifelhaften Rechtslage handelt bereits fahrlässig, wer
sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, in dem er eine
von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit
des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss (BGH Urteil vom 25.10.2006, VIII ZR
102/06 – juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.03.2001, 7 U 97/00 – juris). Erst recht
kann das normale Risiko einer nicht ganz klaren Sachlage dem Schuldner nicht
abgenommen werden (BGH, Urteil vom 27.09.1989, IV a ZR 156/88 – juris).
82
Aus der von der Beklagten auszugsweise zitierten Entscheidung des
Oberlandesgerichts Frankfurt (Schriftsatz vom 09.10.2007, S. 47/48) ergibt sich nichts
anderes. Auch darin heißt es, dass ein Verschulden zu verneinen sei, wenn die
Rechtslage unklar und die sofortige Leistung nicht zuzumuten sei. Soweit sich die
Beklagte darüber hinaus auf Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts beruft, in
denen ausgeführt wird, dass es dem Schuldner gestattet sein könne, bei schwieriger
und zweifelhafter Rechtslage unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung auf die ihm günstigere Rechtslage zu vertrauen (vgl. BAG, Urteil vom
11.06.1997, 10 AZR 613/96 – juris; Urteil vom 13.06.2002, 2 AZR 391/01 - juris), treffen
diese den vorliegenden Fall nicht. In dem von dem Bundesarbeitsgericht am 11.06.1997
entschiedenen Fall ist ein Verschulden verneint worden im Hinblick darauf, dass
bezüglich des maßgeblichen Fragenkomplexes wegen eines weitgehenden
tatrichterlichen Beurteilungsspielraums tatsächlich gleich gelagerte Fälle zu ungleichen
revisionsgerichtlichen Entscheidungen führen können. Dass der Entscheidung vom
13.06.2002 andere Erwägungen zugrunde liegen würden, ist nicht erkennbar.
Entscheidungen, auf die sich die Beklagte zur Begründung ihrer Ansicht hätte stützen
können, lagen hingegen hier nicht vor. Die Frage, ob die oben dargestellten Grundsätze
im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch außerhalb des
Arbeitsrechts Einschränkungen erfahren, bedarf daher keiner abschließenden
Erörterung.
83
bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Beklagte ihren Rechtsirrtum zu vertreten.
Soweit es um die Verletzung vertraglicher Pflichten wegen der Sperrung des EDV-
Zugangs geht, ist nicht, wie die Beklagte meint, auf ihren Kenntnisstand bei Ausspruch
der unwirksamen Kündigung abzustellen, sondern auf den Kenntnisstand zur Zeit der
Begehung der Pflichtverletzung, mithin auf die Zeit nach dem 31.01.2007. Selbst wenn
man annähme, die Beklagte habe zur Zeit des Ausspruchs der Kündigung im Hinblick
auf die Stellungnahme der EU-Kommission vom 07.07.2005 zu dem Verfahren C-
127/05, in der in erster Linie auf einen Kausalzusammenhang zwischen Reorganisation
und Kündigung abgestellt wird, oder wegen des Fehlens höchstrichterlicher
Entscheidungen zu diesem Fragenkreis darauf vertrauen dürfen, dass ihre
Strukturkündigung wirksam sei, weil es ausreiche, dass sie aufgrund ihrer freien
unternehmerischen Einschätzung eine Strukturkündigung für erforderlich gehalten habe,
hat die Beklagte jedenfalls nach den Entscheidungen des EuGH vom 07.09.2006 (C-
125/05) sowie 30.11.2006 (C-376/05) ein berechtigtes Vertrauen in die Wirksamkeit
ihrer Kündigung verloren. Seit der Entscheidung vom 07.09.2006 musste der Beklagten
bewusst sein, dass ihre Rechtsauffassung, die Berechtigung zu einer Strukturkündigung
mit verkürzter Frist hänge allein von dem freien unternehmerischen Ermessen ab, nicht
zutraf, und dass ihre Kündigung nur Bestand haben konnte, wenn es ihr, die als die
darlegungs- und beweisbelastete Partei das übliche Risiko einer unklaren Sachlage
traf, gelingen würde, plausibel auf objektive Umstände gestützte Gründe zur
Rechtfertigung der Kündigung mit verkürzter Frist darzutun und ggf. zu beweisen. Aus
dem Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 26.07.2005 (KZR 14/04), der den
Fall einer zum 30.09.2003 ausgesprochenen Strukturkündigung betraf und in dem die
Tendenz zur Bejahung der Wirksamkeit der Strukturkündigung ablesbar war, konnte die
Beklagte entgegen der von ihr vertretenen Auffassung nichts für sich herleiten. Dort ging
es nämlich um den Fall einer durch eine Veränderung der Gesetzeslage veranlassten
Strukturkündigung, so dass die Veränderung von Rahmenbedingungen offensichtlich
und schon von daher die Ausgangslage in einem wesentlichen Punkt nicht mit der hier
vorliegenden vergleichbar war.
84
Die Beklagte, die auch für ein Verschulden ihrer Rechtsberater einzustehen hat (BGH,
Urteil vom 25.10.2006, VIII ZR 102/06 – juris), musste seit dem 07.09.2006 und mithin
lange Zeit vor Umsetzung der Kündigung ernsthaft in Betracht ziehen, dass die von ihr
ausgesprochene Strukturkündigung unwirksam war. Gleichwohl hat sie auf den
erkennbar ungesicherten Rechtsstandpunkt beharrt und daher das Risiko zu tragen,
dass sich dieser Rechtsstandpunkt letztlich als unzutreffend erweist. Soweit das
Oberlandesgericht Frankfurt in dem Verfahren 11 U 39/07 (Kart) der von der Beklagten
vertretenen Auffassung gefolgt ist, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Das
Risiko eines Irrtums über die Rechtslage trägt auch im Fall einer Billigung eines
Verhaltens durch ein Kollegialgericht der Verpflichtete selbst, dies insbesondere, wenn
der Verpflichtete – wie hier - das Risiko eines Rechtsirrtums bewusst eingegangen ist
(BGH, Urteil vom 01.12.1981, VI ZR 200/80 – juris). Abgesehen davon, dass nicht
bekannt ist, welches Parteivorbringen der Entscheidung des Oberlandesgerichts
Frankfurt zugrunde gelegen hatte, kommt hinzu, dass die erst im Mai 2008 ergangene
Entscheidung ohnehin keinen Einfluss auf die Entscheidung der Beklagten zur
Umsetzung der Kündigung gehabt haben und nicht ursächlich für den damaligen
Rechtsirrtum geworden sein konnte.
85
Es war für die Beklagte nicht unzumutbar, angesichts der Unsicherheit über die
Wirksamkeit der Kündigung von deren Umsetzung abzusehen. Es ist, wie bereits
ausgeführt, schon nicht hinreichend dargetan, dass die Verkürzung der Kündigungsfrist
86
zur Umsetzung einer bedeutsamen Strukturänderung überhaupt erforderlich war. Erst
recht ist nicht ersichtlich, dass die Aufrechterhaltung des EDV-Zugangs für die Beklagte
objektiv mit einem unzumutbaren Aufwand oder sonstigen unzumutbaren Nachteilen
verbunden gewesen wäre.
Nach alledem hat die Beklagte den Pflichtverstoß aus dem Vertragswerkstattvertrag zu
vertreten.
87
c) Dem Kläger kann entgegen der Berufung im Rahmen eines Mitverschuldens gemäß §
254 BGB nicht angelastet werden, dass er eine Bewerbung um einen Anschluss-
Servicevertrag nicht vor März 2007 bei der Beklagten eingereicht hat. Hierzu bestand
aus Sicht des Klägers bereits deshalb keine Veranlassung, weil er zu Recht davon
ausgehen konnte, dass der Servicevertrag erst mit Wirkung zum 31.01.2008 beendet sei
und sich die Beklagte deshalb auch vertragstreu verhalten und den Zugang zu ihrem
EDV-System aufrechterhalten werde. Nachdem die Beklagte dann Ende März 2007 den
Zugang zu ihrem EDV-System sperrte und der Kläger die finanziellen Nachteile dieser
Maßnahme erfuhr, entschloss er sich mit Schreiben vom 05.12.2007 (Bl. 183 GA), einen
Anschluss-Servicevertrag zu beantragen. Diese "Bedenkzeit" muss dem Kläger mit
Rücksicht darauf zugebilligt werden, dass die Beklagte die Erfüllung neuer und weit
reichender Selektionskriterien an den Abschluss eines neuen
Vertragswerkstattvertrages geknüpft hat. Diese Selektionskriterien für einen neuen O-
Vertragswerkstattvertrag hätten Investitionen für den Kläger in einer Größenordnung von
61.000,00 € zur Folge gehabt (Bl. 18 ff. GA), an denen sich die Beklagte letztlich nicht
beteiligen wollte. Unter diesen Umständen handelte der Kläger nicht schuldhaft, als er
die "Bedenkzeit" von gut 7 Monaten für die gewichtige Entscheidung in Anspruch nahm,
sich um einen Anschlussvertrag zu bewerben.
88
Der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz, für den angesichts der
Kündigungserklärung gemäß §§ 280 Abs. 3, 281 Abs. 1 und 2 BGB die Setzung einer
Frist zur Leistung entbehrlich war, ist daher begründet.
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Die Berufung der Beklagten ist nach alledem zurückzuweisen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Die Revision ist im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom
13.05.2008 –11 U 39/07 (Kart)- gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen.
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Streitwert für das Berufungsverfahren:
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