Urteil des OLG Köln vom 21.07.2010
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Oberlandesgericht Köln, 6 W 79/10
Datum:
21.07.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 W 79/10
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 213 O 63/10
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des
Landgerichts Köln - 213 O 63/10 - vom 02.03.2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu
tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e :
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I. Der Antragsteller ist Miturheber, Interpret und Tonträgerhersteller zweier
umfangreicher Musikalben und der Musikwerke des Anfang Februar 2010 in
Deutschland angelaufenen Kinofilms "Zeiten ändern dich". Auf seinen Antrag hat das
Landgericht Köln der beteiligten Internet-Service-Providerin gestattet, ihm unter
Verwendung von Verkehrsdaten Auskunft über den Namen und die Anschrift der Nutzer
zu erteilen, denen zu bestimmten Zeitpunkten näher bezeichnete IP-Adressen
zugewiesen waren; nach seinen Angaben waren seine Musikwerke von dort aus
zwischen dem 11. und 15.02.2010 ohne seine Zustimmung über sogenannte Internet-
Tauschbörsen öffentlich zugänglich gemacht worden. Mit seinem am 28.04.2010 bei
Gericht eingegangenen Rechtsmittel wendet sich der Beschwerdeführer gegen diesen
Beschluss.
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II. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob nach erfolgter Auskunft des
Internetserviceproviders über den Nutzer einer bestimmten dynamischen IP-Adresse
gegen die richterliche Gestattung der Auskunftserteilung die gegebenenfalls im Wege
eines Fortsetzungsfeststellungsantrags (§ 62 FamFG) geltend zu machende
Beschwerde (§ 101 Abs. 9 S. 4, 6 und 7 UrhG, §§ 59 ff. FamFG) des benannten Nutzers
stattfindet. Soweit unter Nr. 5 der angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen
worden ist, dass der Senat mit Beschluss vom 05.05.2009 – 6 W 39/09 (GRUR-RR
2009, 321 – John Bello Story 2) ein eigenes Beschwerderecht des zum Zeitpunkt der
richterlichen Gestattung noch unbekannten Anschlussinhabers verneint hat, war dafür
der Rechtszustand vor dem 01.09.2009 (Inkrafttreten des FamFG) maßgeblich und die
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Gründe des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 02.03.2010 (NJW 2010, 833 –
Vorratsdatenspeicherung [Rn. 251, 254 ff.]) konnten in die Entscheidung des Senats
noch nicht einbezogen werden.
III. Unabhängig von der Frage ihrer Zulässigkeit, über die im vorliegenden Verfahren
nicht vorrangig entschieden werden muss (vgl. BGH, NJW-RR 2006, 1346 [Rn. 4]
m.w.N.; Prütting / Gehrlein / Lohmann, ZPO, 2. Aufl., § 572 Rn. 8), ist die Beschwerde
jedenfalls unbegründet.
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1. Im Ansatz zu Recht geht die Beschwerde allerdings davon aus, dass das
Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) berührt ist, wenn ein Internet-Service-Provider auf
Grund richterlicher Anordnung darüber Auskunft zu geben hat, welchem Nutzer zu
einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte dynamische IP-Adresse zugewiesen war.
Zwar handelt es sich bei der Auskunft über den Namen des hinter einer IP-Adresse
stehenden Anschlussinhabers selbst um keine Auskunft über Verkehrsdaten, sondern
um eine Bestandsdatenabfrage (BGH, GRUR 2010, 633 = WRP 2010, 912 [Rn. 29] –
Sommer unseres Lebens). In seiner Stellungnahme zum Entwurf des neuen § 101 Abs.
9 UrhG ist deshalb der Bundesrat von keinem oder jedenfalls einem wenig intensiven
Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich des Fernmeldegeheimnisses
ausgegangen, der einen Richtervorbehalt nicht notwendig erscheinen lasse (BT-Drucks.
16/5048 S. 56; vgl. zu Auskunftsersuchen von Behörden ebenso BVerfG, NJW 2010,
833 [Rn. 261]). Der Gesetzgeber, der das Fernmeldegeheimnis in § 101 Abs. 10 UrhG
ausdrücklich gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG als durch § 101 Abs. 2 und 9 UrhG
eingeschränktes Grundrecht nennt, hat an dem Erfordernis einer richterlichen
Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der vom Antragsteller bereits
ermittelten Daten des konkreten Telekommunikationsaktes, nämlich des Zeitpunktes, zu
dem von der IP-Adresse aus das Herunterladen einer durch ihren Hash-Wert
individualisierten Datei ermöglicht wurde, jedoch bewusst festgehalten; denn bei den
Verbindungsdaten, die der Provider überprüfen müsse, um die konkret benannte IP-
Adresse einem Anschlussinhaber zuordnen zu können, handele es sich um sensible
Verkehrsdaten, die besonders schutzwürdig seien (BT-Drucks. 16/5048 S. 63; BT-
Plenarprot. 16/155 S. 16318 B/C).
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2. Fehl geht die Beschwerde aber, soweit sie annimmt, aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2010 (a.a.O.) ergebe sich, dass der Zugriff auf
die Telekommunikationsdaten des Beschwerdeführers im Streitfall unzulässig gewesen
sei. Rechtsgrundlage der Provider-Auskunft über seine Identität waren nicht die vom
Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten §§ 113a und 113b TKG sowie (teilweise)
§ 100g StPO, sondern – wie im angefochtenen Beschluss zutreffend näher ausgeführt –
§ 101 Abs. 1 bis 4 und 9 UrhG, wonach Internet-Service-Provider und ähnliche
Dienstleister bei offensichtlicher Verletzung eines nach dem UrhG geschützten Rechtes
in gewerblichem Ausmaß zur Auskunft über den Nutzer ihrer Dienstleistung zu geben
haben und dazu nach richterlicher Anordnung auch Verkehrsdaten verwenden dürfen.
Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine derartige Regelung
bestehen nicht (Senat, Beschl. vom 13.04.2010 – 6 W 28/10), wie sich bereits aus den
auf Auskünfte der Diensteanbieter gegenüber Nachrichtendiensten, Straf- und
Ordnungsbehörden bezogenen Gründen des vorgenannten Urteils ergibt, wonach in
einem Rechtsstaat auch das Internet keinen rechtsfreien Raum bilden darf und die
Möglichkeit der individuellen Zuordnung von Internetkontakten bei Rechtsverletzungen
von einigem Gewicht ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers ist (a.a.O., Rn. 260).
Eines dringenden Verdachts schwerer Straftaten bedarf es insoweit nicht; auch
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unabhängig vom konkreten Verdacht einer vorsätzlichen Straftat nach §§ 106 ff. UrhG
genügt es, dass die Auskunft wegen einer offensichtlichen Rechtsverletzungen in
gewerblichem Ausmaß begehrt wird (vgl. zu diesem der Richtlinie 2004/48/EG,
Erwägungsgrund 14, entlehnten Merkmal auch des § 101 Abs. 2 UrhG BT-Drucks.
16/5048 S. 65; BT-Drucks. 16/8783 S. 50; BT-Plenarprot. 16/155 S. 16318 C, 16320 A,
16321 B; Senat, GRUR-RR 2009, 9 – Ganz anders; MMR 2009, 334 – Die schöne
Müllerin; OLG Schleswig, GRUR-RR 2010, 239 f.; OLG Hamburg, NJOZ 2010, 1222
[1223]).
3. Das Vorliegen solcher Rechtsverletzungen durch die bis dahin noch unbekannten
Internet-Nutzer hat das Landgericht auf Grund des schlüssigen, keinen Ansatz zu
weiteren Ermittlungen von Amts wegen bietenden Vorbringens des Antragstellers
verfahrensfehlerfrei (§ 101 Abs. 9 S. 4 UrhG i.V.m. § 26 FamFG) festgestellt; die
Beschwerde bringt dagegen nichts Erhebliches vor. Auf welche der vom angefochtenen
Beschluss erfassten 3.105 IP-Adressen im Hinblick auf welchen Verbindungszeitpunkt
und welche übertragene Audio- oder Videodatei sich seine Beschwerde bezieht, legt
der Beschwerdeführer schon nicht dar. Dass sämtliche vom Antragsteller geltend
gemachten (von dem Geschäftsführer A1 Services GmbH als Internetfachmann in
seinem Auftrag ermittelten) Kommunikationsvorgänge sich als offensichtliche
Urheberrechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß darstellten, hat das Landgericht zu
Recht und mit zutreffenden Erwägungen angenommen. Der Senat nimmt darauf Bezug;
nochmals hervorzuheben ist lediglich, dass das gewerbliche Ausmaß der geltend
gemachten Rechtsverletzung unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des
Einzelfalles festzustellen war. Vorausgesetzt werden Handlungen zur Erlangung eines
unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils,
ausgenommen gutgläubige Handlungen von Endverbrauchern (Richtlinie 2004/48/EG,
Erwägungsgrund 14), was aus objektiven Kriterien abgeleitet wird: Bei
Rechtsverletzungen im Internet ist neben der Zahl der von einem Verletzer öffentlich
zugänglich gemachten Dateien (die vor erteilter Auskunft über die Nutzer dynamischer
IP-Adressen kaum feststellbar ist) vor allem die Schwere der einzelnen
Rechtsverletzung zu beachten – etwa wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie
ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, vor oder unmittelbar nach
ihrer Veröffentlichung in Deutschland im Internet angeboten wird (BT-Drucks. 16/8783,
S. 50). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats genügt das Angebot in einer
Internet-Tauschbörse allein nicht, obwohl es ein Handeln um wirtschaftlicher Vorteile
willen indiziert; vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob entweder ein besonders
wertvolles Werk (vgl. Senat, Beschl. v. 3.11.2008 – 6 W 136/08, bei juris) oder eine
hinreichend umfangreiche Datei innerhalb ihrer relevanten Verkaufs- und
Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wurde (Senat, GRUR-RR 2009, 9 [11]
– Ganz anders; ebenso OLG Schleswig, GRUR-RR 2010, 239 [240]; für kurz nach der
Erstveröffentlichung angebotene Dateien im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt/Main,
GRUR-RR 2009, 15 [16]; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2009, 379 [381]; OLG Hamburg,
NJOZ 2010, 1222 [1223]; anders für einmalige Download-Angebote OLG Zweibrücken,
GRUR-RR 2009, 12 [13]; OLG Oldenburg, MMR 2009, 188 [189]). Dabei ist
Vermarktungsbesonderheiten Rechnung zu tragen, so dass je nach Art des Werks eine
Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß auch noch vorliegen kann, wenn seit der
Veröffentlichung des Werks bereits längere Zeit vergangen ist (Senat, MMR 2009, 334
[335] – Die schöne Müllerin), etwa wenn das Werk in Neuauflage erschienen (Senat,
Beschl. vom 04.06.2009 – 6 W 48/09, bei juris) oder in Longplay-Charts plaziert ist
(Senat, Beschl. v. 08.01.2010 – 6 W 153/09; Beschl. v. 13.04.2010 – 6 W 28/10). Das
gewerbliche Ausmaß der Rechtsverletzung muss aber nicht offensichtlich sein und ein
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in Ranglisten zum Ausdruck kommender besonders großer kommerzieller Erfolg wird
nicht vorausgesetzt (Senat, Beschl. v. 04.06.2009 – 6 W 48/09).
Im Streitfall konnte das Landgericht ohne Weiteres davon ausgehen, dass sich der
gerade erst angelaufene Kinofilm und das jüngere, im September 2009 erstmals
veröffentlichte Musikalbum in ihrer aktuellen Verwertungsphase befanden; darüber
hinaus rechtfertigen die Umstände hier auch die Annahme, dass das ältere, im Oktober
2008 erschienene Musikalbum immer noch zum ursprünglichen Verkaufspreis
angeboten wurde und es zudem Anzeichen für eine steigende Nachfrage auf Grund des
aktuellen Films gab, dessen Protagonist der Antragsteller ist.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, § 84 FamFG.
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V. Der Senat hat gemäß § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG die
Rechtsbeschwerde zugelassen, weil eine höchstrichterliche Klärung der in diesem
Beschluss erörterten Fragen noch aussteht, zur Fortbildung des Rechts und zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung aber geboten erscheint.
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Beschwerdewert: 900,00 €
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