Urteil des OLG Köln vom 17.07.2002
OLG Köln: werbung, lege artis, entwässerung, auflage, verfügung, irreführung, verwandter, wettbewerbsrecht, kosmetik, arzneimittel
Oberlandesgericht Köln, 6 U 23/02
Datum:
17.07.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 23/02
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 12 O 78/01
Tenor:
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 20. Dezember 2001
verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Bonn - 12 O 78/01 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der
Urteilstenor klarstellend insgesamt wie folgt neu gefasst wird: Die
Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es
bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise
Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten, zu
vollziehen an ihrem Vorstandsmitglied R. H. B., zu unterlassen, im
geschäftlichen Verkehr für eine sogenannten "M. S. Mikromassage-
Hose" wie nachstehend wiedergegeben mit den Aussagen zu werben:
a. "Cellulite ... bei mir nicht!" und/oder b. "Natürliche Entwässerung"
und/oder c. "Straffung des Bindegewebes" und/oder d. "...
Gewebeflüssigkeit wird vermehrt ausgeschieden": Die Kosten des
Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung trägt die
Antragsgegnerin. Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg, nachdem
die Antragstellerin ihren Unterlassungsantrag im Termin zur mündlichen Verhandlung
vom 21. Juni 2002 der konkreten Verletzungsform angepasst und der Senat gemäß §
938 Abs. 1 ZPO durch die jeweilige Aufnahme der Worte "und/oder" in den
Unterlassungstenor deutlicher herausgestellt hat, dass die Antragstellerin die den
Gegenstand des Unterlassungsbegehrens bildenden vier Werbeaussagen in der
konkreten Verletzungsform von vornherein nicht nur kumulativ, sondern jeweils auch
isoliert angegriffen hatte.
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Zu Unrecht zieht die Antragsgegnerin die Prozessführungsbefugnis und auch die
Aktivlegitimation des Antragstellers in Zweifel. Zwischen den Parteien ist unstreitig,
dass der Antragsteller die gewerblichen Interessen seiner Mitglieder wahrnimmt und
hierzu nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung im Sinne des §
13 Abs. 2 Nr. 2 UWG tatsächlich in der Lage ist. Deshalb kommt es insoweit nicht darauf
an, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den seit Jahren
unbeanstandet als klagebefugt angesehenen Antragsteller insoweit auch eine vom
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Gegner zu widerlegende Vermutung für die tatsächliche Zweckverfolgung streitet (siehe
nur BGH WRP 1991, 385 "Bilanzbuchhalter"; BGH GRUR 1991, 684
"Verbandsausstattung I"; BGH WRP 1994, 737 "Verbandausstattung II" und BGH WRP
2000, 1275, 1277 "Fachverband"; vgl. im übrigen hierzu auch Teplitzky,
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Auflage, Kapitel 13 Rdnr. 27 und Pastor/Ahrens/
Jestaedt, Der Wettbewerbsprozess, 4. Auflage, Kapitel 24 Rdnr. 15).
Soweit die Antragsgegnerin wie schon ihre Rechtsvorgängerin in dem Verfahren 14 O
134/96 LG Bonn = 6 U 204/96 OLG Köln wiederum in Abrede stellt, dass dem
Antragsteller eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden angehört, die Waren oder
gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art wie sie - die Antragsgegnerin -
vertreibt, hindert dieses Bestreiten die Annahme der Prozessführungsbefugnis (und
auch der Aktivlegitimation) des Antragstellers nicht. Denn der Antragsteller hat durch die
Vorlage seiner Mitgliederliste (Anlage A 2) und die eidesstattliche Versicherung der
Geschäftsführerin A.L.(Anlage A 3) glaubhaft gemacht, dass das vorgenannte
Tatbestandsmerkmal des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG erfüllt ist. Der Begriff der Waren
verwandter Art im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist nämlich zur Wahrung der
Funktion dieser Vorschrift nach allgemeiner Meinung nicht eng, sondern weit
auszulegen (vgl. nur BGH WRP 1996, 1034 "Preisrätselgewinnauslobung III"; BGH
GRUR 2001, 260, 261 "Vielfachabmahner m.w.N.; Baumbach/Hefermehl,
Wettbewerbsrecht, 22. Auflage 2001, § 13 Rdnr. 14; Köhler/Piper, Wettbewerbsrecht, 2.
Auflage 2001, § 13 Rdnr. 13). Danach ist es erforderlich, aber auch bereits ausreichend,
dass die Waren nach der Verkehrsanschauung so viel Übereinstimmendes haben, dass
der Vertrieb der einen Ware durch den Vertrieb der anderen beeinträchtigt werden kann.
Infolgedessen reicht es im Streitfall aus, wenn sich das Angebot eines betreffenden
Mitglieds des Antragstellers mit demjenigen des angegriffenen Wettbewerbers
überschneidet. Diese Voraussetzungen erfüllen zumindest die sich auf Seite 12 und
Seiten 18 ff. der Mitgliederliste genannten Mitglieder, die den Handel mit Kosmetik,
Naturheilmitteln, Naturkosmetik und Öko-Produkten betreiben. Die sog. "M. S.
Mikromassage-Hose" (im Folgenden auch "Hose", "Mikromassage-Hose" oder auch
"Anti-Cellulite-Hose" genannt) ist nämlich im weiteren und hier ausreichenden Sinne
jedenfalls dem Bereich der Kosmetik zuzurechnen, weil sie kosmetische Wirkungen
haben, insbesondere zu einer Straffung des Bindegewebes, zu einer verbesserten
Durchblutung und einer dadurch bewirkten frischeren Hautfarbe führen soll.
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In der Sache selbst sind sämtliche angegriffenen Werbeaussagen der Antragsgegnerin
bereits deshalb unzulässig und folglich zu untersagen, weil sie zu einer Irreführung des
angesprochenen Verkehrs im Sinne des § 3 Satz 2 Ziffer 1 des Heilmittelwerbegesetzes
(HWG) führen. Der erforderliche Verfügungsanspruch ergibt sich deshalb zumindest aus
§ 1 UWG in Verbindung mit §§ 1 Abs. 1 Ziffer 2, 3 Satz 2 Ziffer 1 HWG.
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Nach § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG ist es untersagt, unter anderem Arzneimitteln oder anderen
Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beizulegen, die diese nicht
haben. Im Streitfall kann offen bleiben, ob die von der Antragsgegnerin beworbene Hose
rechtlich ein Arzneimittel darstellt und damit gemäß § 1 Abs. 1 Ziffer 1 HWG von dem
Heilmittelwerbegesetz erfasst wird. Hierfür spricht immerhin, dass die Antragsgegnerin
aus der maßgeblichen Sicht des angesprochenen Verkehrs unter anderem eine
natürliche Entwässerung und eine Straffung des Bindegewebes verspricht, und
Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, die Beschaffenheit des Körpers zu
beeinflussen, gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG Arzneimittel sind. Es kann indes
dahinstehen, ob die werblichen Ankündigungen der Antragsgegnerin tatsächlich so
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weitgehend verstanden werden. Denn auch wenn diese Frage zu verneinen sein sollte,
würde es sich bei der von der Antragsgegnerin beworbenen Hose um einen
"Gegenstand" im Sinne des § 1 Abs. 1 Ziffer 1 HWG handeln und sich die
Werbeaussagen als gesundheitsbezogen darstellen. Damit unterfällt die Anti-Cellulite-
Hose der Antragsgegnerin aber auf jeden Fall dem Anwendungsbereich des
Heilmittelwerbegesetzes. Dann aber sind sämtliche angegriffenen Werbeaussagen
bereits deswegen zu untersagen, weil sie eine Irreführung des Verkehrs im Sinne des §
3 Satz 2 Nr. 1 HWG beinhalten. Denn die Antragsgegnerin legt ihrer Mikromassage-
Hose in der Werbung eine therapeutische Wirkung bei, die diese tatsächlich nicht hat.
Dabei kommt es im Ergebnis noch nicht einmal entscheidend darauf an, dass es nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und auch des Senats (vgl. unter anderem
BGH NJW-RR 1991, 1391 "Rheumalind II"; BGH WRP 1971, 26 "Tampax" und Senat,
Urteile vom 20.08.1999 und 20.12.1996 in den Verfahren auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung 6 U 74/99 und 6 U 204/96) zwar grundsätzlich dem Antragsteller obliegt, die
Unrichtigkeit der Werbung darzulegen und glaubhaft zu machen, dass aber umgekehrt
der Werbende dann darlegungs- und glaubhaftmachungsbelastet ist, wenn er mit einer
fachlich umstrittenen Meinung wirbt, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Denn kein
Fachwissenschaftler vertritt die Auffassung, das Tragen einer Mikromassage-Hose
könne bei Frauen das Entstehen von Cellulite verhindern oder eine vorhandene
Cellulite wieder vollständig beseitigen. Selbst die Antragsgegnerin behauptet dies nicht.
Auch die von ihr zu den Akten gereichte, nach ihrem Vortrag von Prof. L.C.
wissenschaftlich überwachte, zum Teil im diametralen Verhältnis zu den gutachterlichen
Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N. von der Freien Universität B. aus
Januar 1992 und Juli 1998 (Anlagen A 8 und A 9 zur Antragsschrift) stehende Studie der
Frau Dr. L. T. besagt allenfalls, dass das Tragen der Hose über einen bestimmten
Zeitraum und bei Annahme bestimmter Voraussetzungen vorhandene Cellulite um bis
zu 19% verringern könne. Demgegenüber suggeriert die Werbung der Antragsgegnerin,
das Tragen einer Mikromassage-Hose könne den Eintritt von Cellulite verhindern. Das
folgt daraus, dass es in ihr an prominenter Stelle und optisch hervorgehoben neben der
Abbildung einer recht jungen und schlanken Frau heißt:
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"Cellulite
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... bei mir nicht!"
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Auch der verständige und aufmerksame Leser einer solchen Werbung muss diese
Werbeaussage zwangsläufig dahin verstehen, das Tragen der dort beworbenen Hose
könne dazu führen, dass die Cellulite mit ihren Symptomen der sog. "Orangenhaut" erst
gar nicht eintritt, jedenfalls aber beseitigt wird.
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Nichts anderen gilt im Ergebnis, soweit die Antragsgegnerin in ihrer Werbung
behauptet, ihre Mikromassage-Hose führe zu einer natürlichen Entwässerung und zu
einem vermehrten Ausscheiden von Gewebeflüssigkeit. Während der Sachverständige
Prof. Dr. N. in seinem Gutachten im Einzelnen ausgeführt hat, dass und warum die für
die Symptome der Cellulite ursächliche Binnenstruktur der weiblichen Haut durch
Massage nicht verändert werden kann, und dass es deshalb unmöglich ist, durch die
Förderung der Durchblutung die geschlechtstypische Binnenstruktur der weiblichen
Haut zu ändern oder aber die Alterung von Bindegewebe und Fettgewebe zu
normalisieren, besagt die Studie der Frau Dr. Tiberi nichts über eine natürliche
Entwässerung. Sie enthält auch keine Aussage dahin, dass das Tragen der
Mikromassage-Hose zu einem vermehrten Ausscheiden von Gewebeflüssigkeit führt..
Es erscheint auch nicht aus sich heraus plausibel, warum mit dem Tragen einer Hose
eine natürliche Entwässerung oder ein vermehrtes Ausscheiden von Gewebeflüssigkeit
verbunden sein könnte. In Anbetracht der Tatsache, dass der Antragsteller exakt diesen
Punkt bereits in der Antragsschrift angesprochen und ihn zutreffend dargestellt hat, wäre
es folglich Sache der Antragsgegnerin gewesen, sich hierzu zu äußern und in der
Sache vorzutragen. Sie hat hierzu indes geschwiegen und statt dessen auf die Studie
der Frau Dr. T. verwiesen, die aber ihrerseits keine Aussagen zu einer natürlichen
Entwässerung oder zu einem vermehrten Ausscheiden von Gewebeflüssigkeit trifft.
Deshalb kann im übrigen dahinstehen, ob aus den in der Berufungserwiderung im
Einzelnen aufgeführten Gründen davon ausgegangen werden müsste, die Studie sei
aus den dort genannten Gründen ohnehin nicht lege artis erstellt worden.
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Soweit schließlich in der Werbung der Antragsgegnerin davon die Rede ist, die
Mikromassage-Hose führe zu einer Straffung des Bindegewebes, ist diese Werbung in
ihrer konkreten Form nach dem eigenen Sachvortrag der Antragsgegnerin ebenfalls
irreführend. Denn sie selbst nimmt ausweislich ihrer Werbung nicht für sich in Anspruch,
dass - was diese wegen der optischen Hervorhebung der Worte "Straffung des
Bindegewebes" aber suggeriert - das Tragen der Mikromassage-Hose die für die
Cellulite ursächliche Binnenstruktur der weiblichen Haut verändern könne, versucht im
Fließtext vielmehr lediglich klarzustellen, dass das Bindegewebe straffer und
jugendlicher "wirke", was de facto nichts anderes bedeutet, als dass eine Straffung des
Bindegewebes gerade nicht eintritt. Überdies verschweigt die Werbung der
Antragsgegnerin, dass diese optische Wirkung nach dem Inhalt der Studie der Frau Dr.
T. allenfalls dann eintreten kann, wenn die Hose täglich über die Dauer von mindestens
acht Stunden getragen wird.
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Wird der angesprochene Verkehr deshalb in seinen Erwartungen enttäuscht, und kann
an der wettbewerbsrechtlichen Relevanz dieser Irreführung schon wegen des
gesundheitsbezogenen Charakters der Werbeaussagen kein Zweifel bestehen, vermag
der Senat nicht zu erkennen, warum das Verbot der angegriffenen, nach dem
Vorgesagten irreführenden Werbung in der Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 28
EG-Vertrag verstoßen könnte. Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach
Art. 234 EG an den Europäischen Gerichtshof kommt deshalb ungeachtet der Tatsache,
dass in jedem Fall der Eilcharakter des einstweiligen Verfügungsverfahrens einer
solchen Vorlage entgegensteht, nicht in Betracht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Dass der Antragsteller nunmehr
die konkrete Verletzungsform ausdrücklich in seinen Antrag einbezogen hat, bedeutet
keine teilweise Rücknahme des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Denn
aus dem Verfügungsvorbringen des Antragstellers ergibt sich, dass er jede der vier
angegriffenen Werbeaussagen stets nur in der konkreten Verletzungsform verboten
wissen wollte.
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Das Urteil ist gemäß § 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO in seiner hier gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO
anzuwendenden alten Fassung mit seiner Verkündung rechtskräftig.
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