Urteil des OLG Köln vom 03.06.2002

OLG Köln: streitverkündung, sitz im ausland, internationales zivilprozessrecht, diebstahl, eigentümer, bedürfnis, belgien, fahrzeug, eigentum, abweisung

Oberlandesgericht Köln, 11 W 20/02
Datum:
03.06.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 W 20/02
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 18 O 458/97
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Streitverkündeten gegen das
Zwischenurteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom
22.02.2002 -18 O 458/97 - wird auf Kosten der Streitverkündeten
zurückgewiesen.
Gründe:
1
I.
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Der Kläger kaufte von dem Beklagten einen PKW, der ihm in Vollzug des Kaufvertrages
übergeben wurde. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger gegen den Beklagten
einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages in Höhe
von 48.200,00 DM geltend. Er behauptet, er habe an dem Fahrzeug kein Eigentum
erworben; das Fahrzeug sei nämlich einem früheren Eigentümer in Belgien gestohlen
worden. Der Beklagte begehrt Abweisung der Klage. Er behauptet, der Diebstahl sei
von einem früheren Eigentümer in betrügerischer Absicht nur vorgetäuscht worden, um
von dem streitverkündeten belgischen Versicherer die bei einem Diebstahl anfallende
Versicherungssumme zu erlangen.
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Die Streitverkündete hat den dem früheren Eigentümer durch den angeblichen
Diebstahl entstandenen vermeintlichen Schaden reguliert. Die deutschen
Polizeibehörden gaben das Fahrzeug, das zunächst sichergestellt worden war, an die
Streitverkündete heraus.
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Der Kläger hat der Streitverkündeten mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf seiner
Seite beizutreten, den Streit verkündet; er ist der Ansicht, er könne bei der
Streitverkündeten Rückgriff nehmen, wenn sich im vorliegenden Rechtsstreit heraus
stellt, dass ein Diebstahl nicht zu beweisen ist.
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Die Streitverkündete ist der Ansicht, die Zulässigkeit einer Streitverkündung sei analog
§ 71 ZPO bereits im Ausgangsprozess zu prüfen, wenn der Streitverkündete seinen Sitz
im Ausland habe. In Belgien, wo ein etwaiger Folgeprozess gegen sie zu führen sei, sei
das Institut der Streitverkündung unbekannt.
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Die Streitverkündete hat beantragt, die Streitverkündung zurückzuweisen. Der Kläger
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hat um Zurückweisung dieses Antrags gebeten. Er hält den Antrag für unzulässig.
Das Landgericht hat den Antrag der Streitverkündeten durch das angefochtene
Zwischenurteil zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der
Streitverkündeten.
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II.
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Die gemäß § 71 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.
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Das Landgericht hat den Antrag der Streitverkündeten auf Zurückweisung der
Streitverkündung zu Recht zurückgewiesen.
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Der Antrag ist jedenfalls unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falls
unzulässig.
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1. Die Zulässigkeit der Streitverkündung ist nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, erst im Folgeprozess zu prüfen (vgl. nur BGHZ
36, 212, 217; 116, 95, 98; ferner: Schilken in: MünchKomm zur ZPO, 2. Aufl., § 72 Rn.
17; Zöller/Vollkommer, 23. Aufl., § 72 Rn. 1; jeweils mit weiteren Nachweisen). Einen
Antrag des nicht beitretenden Streitverkündeten auf Zurückweisung der
Streitverkündung kennt das Gesetz nicht.
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2. Allerdings wird die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen der Streitverkündung
seien bereits im inländischen Hauptprozess zu prüfen, wenn der Folgeprozess im
Ausland stattfinde (Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rn. 2). Vollkommer stützt diese allgemein
gehaltene Aussage auf einen Aufsatz von Hoffmann und Hau (RIW 1997, 89 ff.). Dieser
beschäftigt sich mit den Problemen der abredewidrigen Streitverkündung im
europäischen Zivilrechtsverkehr. Die Verfasser legen hier dar, dass der allgemeinen
Meinung, wonach die Zulässigkeit der Streitverkündung erst im Folgeprozess zu prüfen
ist, für den rein innerstaatlichen Bereich zuzustimmen sei, dass aber Ausnahmen
geboten sein könnten, wenn der Sachverhalt Bezüge zu mehreren Staaten aufweist, die
Regressklage gegen den Streitverkündeten nur im Ausland erhoben werden kann und
ihm aufgrund dieser Sachlage möglicherweise Rechtsnachteile drohen, denen durch
eine Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung im Erstprozess entgegen gewirkt
werden kann (a.a.O., S. 92 ff.). Abschließend gelangen die Verfasser keinesfalls zu der
von Vollkommer dargestellten allgemeinen Aussage; vielmehr gelangen sie zu
folgendem Ergebnis (a.a.O., S. 94): Es sei notwendig, in Abweichung von der gängigen
Praxis in bestimmten Fällen bereits im Ausgangsprozess die Wirksamkeit der
Streitverkündung zu überprüfen; als Ausnahmefall kämen insbesondere Sachverhalte in
Betracht, in denen der Regressprozess nicht im Inland stattfinden könne und in denen
es einem später angerufenen ausländischen Gericht verwehrt sei, diese Überprüfung
nachzuholen. Eine Überprüfung in analoger Anwendung des § 71 ZPO komme in
Betracht, wenn schützenswerte Interessen des Streitverkündeten dies geböten und der
Streitverkündete sonst rechtlos gestellt wäre.
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3. Der Senat hält die Ausführungen von Hoffmann und Hau durchaus für
bedenkenswert. Einer abschließenden Entscheidung darüber, ob die Zulässigkeit einer
Streitverkündung unter den von ihnen beschriebenen Voraussetzungen im
Erstverfahren geprüft werden kann, bedarf es aber nicht. Voraussetzung für eine solche,
über die Vorschriften der Zivilprozessordnung hinaus gehende Erweiterung der Rechte
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des Streitverkündeten ist jedenfalls auch nach Auffassung der genannten Autoren, dass
dies durch ein berechtigtes Bedürfnis des Streitverkündeten gerechtfertigt ist. Soweit die
allgemein gehaltene Formulierung von Vollkommer diesen Aspekt außer Acht lässt,
kann sie sich weder auf den in Bezug genommenen Aufsatz noch auf sonstige
nachvollziehbare Gründe stützen.
4. Im vorliegenden Fall hat die Streitverkündete keine berechtigten Gründe dargelegt,
die eine erweiternde Anwendung des Gesetzes rechtfertigen könnten.
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a) Die Streitverkündete macht geltend: Wenn Deutschland schon das Recht in Anspruch
nehme, im Wege der Streitverkündung Dritte vor deutsche Gerichte zu zitieren, auch
wenn keiner der in §§ 12 ff. ZPO aufgeführten Zuständigkeitsanknüpfungspunkte in
Bezug auf den Streitverkündeten vorlägen, und damit über das Damoklesschwert der
Streitverkündungswirkung Druck ausübe, sei die Zulässigkeit der Streitverkündung zu
überprüfen.
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Der erste Teil dieses Satzes zitiert Geimer (Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl.,
Rn. 2821). Dieser leitet aus der Möglichkeit, den Streitverkündeten in Deutschland vor
Gericht zu zitieren aber keineswegs die Folge ab, die Zulässigkeit der Streitverkündung
müsse im Erstverfahren überprüft werden; vielmehr meint er, aus diesem Grund könne
fremden Staaten nicht das Recht abgesprochen werden, Garantieurteile zu erlassen
(Geimer, a.a.O. mit Bezug auf BGH, NJW 1970, 387 m. Anm. Geimer). Das von der
Streitverkündeten beanstandete "Zitierrecht" ergibt sich im Übrigen ohne Weiteres
daraus, dass im Anwendungsbereich des EuGVÜ (jetzt der EuGVVO) in der
Bundesrepublik jede Person, die ihren Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat hat,
nach den Vorschriften über die Streitverkündung (§§ 72 - 74, 68 ZPO) vor Gericht
geladen werden kann (Art. V Abs. 1 Satz 2 des Protokolls vom 27.09.1968, abgedruckt
bei Zöller/Geimer, 22. Aufl., S. 2678 f.; jetzt Art. 65 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a EuGVVO,
abgedruckt bei Zöller/Geimer, 23. Aufl., S. 2601 ff., 2649). Die Wirkungen, welche die
nach den genannten Vorschriften in Deutschland ergangenen Entscheidungen
gegenüber Dritten haben, werden in den Vertragsstaaten - zu denen auch Belgien
gehört - anerkannt (Art. V Abs. 2 Satz 2 des Protokolls vom 27.09.1968; jetzt Art. 65 Abs.
2 Satz 2 Buchstabe a EuGVVO; vgl. insgesamt Zöller/Vollkommer, 22. und 23. Aufl.,
jeweils § 68 Rn. 2 und § 72 Rn. 2).
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Was die Streitverkündete beanstandet, ergibt sich also aus den europäischen
Vereinbarungen bzw. jetzt aus der diese übernehmenden Verordnung des Rates vom
22.12.2000. Dass durch diese - entgegen der Ansicht der Streitverkündeten - nicht der
Justizgewährungsanspruch einer Partei im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK beeinträchtigt
wird, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Ein besonderes Bedürfnis nach einer
erweiternden Anwendung des § 71 ZPO ist mit der behandelten Beanstandung mithin
nicht dargelegt.
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b) Die Streitverkündete macht ferner geltend, für das Gericht eines möglichen
Folgeprozesses im belgischen Sprachraum gebe es keinerlei Informationen zum Institut
der Streitverkündung, niemand wisse so recht, wie man den Begriff in die französische
Sprache übersetzen solle, auch werfe das Institut der Streitverkündung eine Vielzahl
strittiger Fragen auf, die nicht einheitlich beantwortet würden.
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Auch mit diesen Argumenten wird kein besonderes Bedürfnis für eine erweiternde
Anwendung des § 71 ZPO im Streitfall aufgezeigt. Die französischsprachigen
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Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, die Wirkung von in Deutschland nach den §§ 72
- 74, 68 ZPO getroffenen Entscheidungen gegenüber Dritten anzuerkennen. Dann
müssen auch Möglichkeiten für die dortigen Gerichte bestehen, dem Rechnung zu
tragen. Bei fortschreitender europäischer Vernetzung und im Zeitalter des Internets ist
die Informationsbeschaffung auch kein unüberwindliches Hindernis, mögen insoweit
auch gewisse Schwierigkeiten bestehen.
c) Ein besonderes Bedürfnis für die Zulassung des von der Streitverkündeten gestellten
Antrags ist auch ansonsten nicht zu erkennen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, welche
besonderen Schwierigkeiten für das belgische Gericht eines möglichen Folgeprozesses
bestehen sollten, die Wirkungen der Streitverkündung im Streitfall einzuschätzen. Im
vorliegenden Rechtsstreit ist schlicht und einfach festzustellen, ob der dem Kläger
verkaufte PKW in Belgien gestohlen worden war oder ob der frühere belgische
Eigentümer den Diebstahl nur vorgespiegelt hat, um die Streitverkündete um die
Versicherungssumme zu betrügen. Ist Ersteres der Fall, hat der Kläger nach deutschem
Recht kein Eigentum erworben (§ 935 Abs. 1 BGB); seine Klage wird - jedenfalls dem
Grunde nach - Erfolg haben; ein Anspruch gegen die Streitverkündete auf Herausgabe
des PKW kommt nicht in Betracht. War das Fahrzeug nicht gestohlen, ist der Kläger
nach deutschem Recht dessen Eigentümer (§ 932 Abs. 1 BGB) und die Klage
unbegründet; es kommt dann ein Herausgabeanspruch (oder ein daran anknüpfender
Ersatzanspruch) gegen die Streitverkündete als Besitzer des PKW in Betracht. An
diesen sich alternativ bei einer Abweisung der Klage gegen die Streitverkündete
ergebenden möglichen Anspruch knüpft die Streitverkündung offensichtlich an (zu
Ansprüchen aus Alternativverhältnissen vgl. Zöller/ Vollkommer, a.a.O., § 72 Rn. 8). Der
Kläger will erreichen, dass die mögliche Feststellung der Gerichte im vorliegenden
Rechtsstreit, es sei kein Diebstahl festzustellen, im Nachfolgeprozess gegen die
Streitverkündete bindend feststeht (§§ 68, 74 Abs. 3 ZPO). Das belgische Gericht des
Nachfolgeprozesses wird lediglich zu beurteilen haben, ob dem letztlich im
vorliegenden Rechtsstreit ergehenden Erkenntnis diese Interventionswirkung zukommt
oder nicht. Eine derart einfachst strukturierte Prozesslage ist aber weit entfernt von den
Fallgestaltungen, für die Hoffmann und Hau eine erweiternde Anwendung des § 71 ZPO
bejahen und für die sie auch nach Ansicht des Senats allenfalls bejaht werden kann.
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5. Die sofortige Beschwerde ist mithin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
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Es besteht kein Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen ( § 574 ZPO). Die Sache hat
keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich. Der Senat entscheidet die Frage, ob die Zulässigkeit der
Streitverkündung in bestimmten Fällen bereits im Ausgangsverfahren zu prüfen ist, nicht
abschließend, hält vielmehr die Notwendigkeit einer solchen Prüfung in geeigneten
Fällen durchaus für möglich. Die auf den Streitfall bezogene Feststellung, dass es für
die Zulassung eines außerordentlichen, vom Gesetz an sich verwehrten prozessualen
Antrags der Darlegung nachvollziehbarer, ein Rechtsschutzinteresse begründender
Umstände bedarf und dass solche angesichts der konkreten Umständen des
vorliegenden Falls nicht vorliegen, erfordert keine Nachprüfung des
Rechtsbeschwerdegerichts.
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Beschwerdewert: 5.000,00 EUR
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