Urteil des OLG Köln vom 24.11.2003
OLG Köln: wiedereinsetzung in den vorigen stand, rücknahme, pflichtverteidiger, schuldfähigkeit, bewährung, aussetzung, zustand, datum, meinung
Oberlandesgericht Köln, 2 Ws 645/03
Datum:
24.11.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 645/03
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Köln vom 16.10.2003 (155 - 67/03) wird
aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die vom Angeklagten am
16.07.2003 erklärte Rücknahme der Berufung unwirksam war.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die darin entstandenen
notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.
G r ü n d e :
1
I.
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Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Kerpen vom 11.03.2003 (42 Ls 21 Js
542/02 30/02) wegen gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in einem besonders
schweren Fall, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Hiergegen hat der Pflichtverteidiger
des Angeklagten Rechtsmittel eingelegt. In der Berufungsverhandlung vom 16.07.2003,
zu der der Pflichtverteidiger versehentlich nicht erschienen ist, hat der Angeklagte nach
Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärt, dass er die Berufung zurücknehme. Ihm
wurden daraufhin die Kosten der Berufung auferlegt. Durch Schriftsatz vom 27.08.2003
hat der Pflichtverteidiger des Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
wegen der Versäumung der Frist zur sofortigen Beschwerde gegen diesen Beschluss
beantragt und dabei ausgeführt, dass die Rücknahme des Rechtsmittels unwirksam
gewesen sei, weil der Angeklagte nicht anwaltlich vertreten war, obwohl ein Fall
notwendiger Verteidigung vorlag. Das Landgericht hat durch den angefochtenen
Beschluss festgestellt, dass das Berufungsverfahren durch die Rechtsmittelrücknahme
vom 16.07.2003 erledigt sei. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte sofortige
Beschwerde des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt das
Rechtsmittel und beantragt, wie erkannt zu entscheiden.
3
II.
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Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet, denn die Berufungsrücknahme durch
den Angeklagten am 16.07.2003 war unwirksam. Nach ganz herrschender Meinung ist
der vom Angeklagten selbst erklärte Rechtsmittelverzicht unwirksam, wenn trotz
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Vorliegens der Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1,
2 StPO kein Verteidiger mitgewirkt hat (BGH NJW 2002, 1436; OLG Köln NStZ-RR
1997, 336, 337; OLG Düsseldorf VRS 84, 297; OLG Düsseldorf, StV 1994, 533; 1998
647; OLG Frankfurt NStZ 1992. 296; 1993, 507; KG StV 1998, 646; Meyer-Goßner,
StPO, 46. Aufl., 2003, § 302 Rdnr. 25; Ruß, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl.,
2003, § 302 Rdnr. 12; a. A. OLG Naumburg NJW 2001, 2190 m. w. N.). Nichts anderes
kann für die Rücknahme eines bereits eingelegten Rechtsmittels gelten.
Danach war die vom Angeklagten am 16.07.2003 erklärte Rücknahme der Berufung
unwirksam. Wie auch das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung festgestellt
hat, lag ein Fall notwendiger Verteidigung vor. Regelmäßig erfordert die Schwere des
Tatvorwurfs die Mitwirkung eines Verteidigers, wenn -wie hier- eine Straferwartung von
einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung besteht (OLG Köln 1.
Strafsenat 25.06.2002 -Ss 266/02-132-; 2. Strafsenat 22.07.2003 -2 Ws 442/03). Bei
dem Angeklagten, der -worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist-
Drogenprobleme hat, deretwegen ihm eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit
zugute gehalten wurde- kann nichts anderes gelten. Gerade deshalb war dem
Angeklagten auch ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Die Rücknahme der
Berufung erfolgte, ohne dass der Angeklagte zuvor die Möglichkeit hatte, sich über das,
was Inhalt der vorangegangenen Erörterung der Sach- und Rechtslage gewesen war,
mit seinem Verteidiger beraten zu können. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür
vor, dass der Angeklagte die Rücknahme der Berufung auf Grund unbedingter, von
jeglichem Rat irgendeines Verteidigers unbeeinflussbarer autonomer Entschließung
abgegeben hätte, nämlich auf der Grundlage eines allein gebildeten verbindlichen
Willens, der dem eines jeden Verteidigers vorrangig wäre (vgl. BGH NJW 2002, 1436,
1437).
6
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.
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