Urteil des OLG Köln vom 16.09.1993

OLG Köln (spiel, wiedereinsetzung in den vorigen stand, bundesrepublik deutschland, treu und glauben, vernehmung von zeugen, inhalt, amtspflicht, computer, verhältnis zu, verhältnis zwischen)

Oberlandesgericht Köln, 7 U 72/92
Datum:
16.09.1993
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 72/92
Normen:
GG ART 14; GG ART 19; GG ART 34; BGB § 839; BGB § 826; GJS § 1;
GJS § 4; GJS § 9; GJS § 12; GJS § 14; GJS § 20;
Leitsätze:
1. Wird aus dem umfangreichen Programm eines Herstellers von
Computerspielen ein einzelnes Spiel von der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Schriften (BPS) indiziert, so stellt dies regelmäßig
keinen enteignungsgleichen Eingriff in den eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb des Herstellers dar, weil hierdurch der
Betrieb als solcher in seinem ungestörten Funktionieren nicht berührt
wird.
2. Der BPS obliegt die Pflicht, bei der Entscheidung über
Indizierungsanträge die Verfahrensvorschriften einzuhalten und
Indizierungen nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen
auszusprechen, nicht als Amtspflicht gegenüber demjenigen, der mit
dem indizierten Medium nur Handel treibt.
3. Es stellt einen Amtsmißbrauch dar, wenn das zur Entscheidung
berufene Gremium der BPS ein Medium indiziert, ohne daß sich seine
Mitglieder überhaupt einen Eindruck von seinem Inhalt verschafft haben
oder ein gegen die Indizierung im vereinfachten Verfahren stimmendes
Mitglied unter Verstoß gegen die Geschäftsverteilung durch ein
zustimmungswilliges Mitglied ersetzt wird.
4. Zum Umfang der gerichtlichen Überprüfung von
Indizierungsentscheidungen unter Berücksichtigung der sog.
Mutzenbacher-Entscheidung des BVerfG (NJW 1991, 1471).
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin, die Computerspiele herstellt und vertreibt, begehrt aus eigenem sowie
abgetretenem Recht ihrer Vertragspartnerin, der R. M. die den Alleinvertrieb der Spiele
in der Bundesrepublik Deutschland übernommen hat, Ersatz für Verdienstausfall, der
dadurch entstanden sein soll, daß die Bundesprüfstelle für jugendegefährdende
Schriften (künftig: B.) ihr Computerspiel "S." zweimal indiziert, diese Entscheidungen
jedoch nach Erhebung von Anfechtungsklagen jeweils wieder aufgehoben hat. Im
2
einzelnen liegt dem folgender Sachverhalt zugrunde:
Das Computerspiel "S.", das den Seekrieg im Pazifik zwischen Japan und den USA aus
der Perspektive eines amerikanischen Unterseebootes zum Inhalt hat, wurde im Juli
1986 auf den bundesdeutschen Markt gebracht. Mit Schreiben vom 3. Dezember 1986
beantragte der S. für Jugend und Familie des Landes B. bei der B. die Indizierung des
Spiels als kriegsverherrlichend gemäß §§ 1, 15 a des Gesetzes über die Verbreitung
jugendgefährdender Schriften (GjS) im sogenannten vereinfachten Verfahren. Unter
Hinweis auf eine Entscheidung der B. vom 19. Februar 1987 wurde die Indizierung des
Computerspiels am 28. Februar 1987 im Bundesanzeiger bekanntgegeben. Eine von
allen Mitgliedern des zuständigen Prüfgremiums unterschriebene Entscheidung lag zu
diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Hierauf meldete sich unter dem 14. Mai 1987 die
Klägerin bei der B. und wies darauf hin, daß sie zwar Herstellerin, die Firma "U." in K.,
der der Indizierungsantrag zur Stellungnahme übersandt worden war, aber nicht
Anbieter des Computerspiels im Bundesgebiet sei. Ein von ihr gestellter Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde von der B. mit Schreiben vom 12.
Oktober 1987 abgelehnt, woraufhin die Klägerin am 21. Dezember 1987 vor dem
Verwaltungsgericht Köln (17 K 5183/87) Anfechtungsklage gegen die
Indizierungsentscheidung erhob. Nachdem das Gericht auf Unstimmigkeiten in dem von
der B. vorgelegten Verwaltungsvorgang hingewiesen hatte, hob diese am 23.03.1988
die Indizierungsentscheidung wegen eines Verfahrensfehlers auf; mit Beschluß vom 15.
April 1988 wurde das verwaltungsgerichtliche Verfahren wegen Hauptsacheerledigung
eingestellt.
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Unter dem 26. Mai 1988 teilte die B. der Klägerin mit, daß das Indizierungsverfahren
fortgesetzt werde. Am 25. Juli 1988 erfolgte dann die erneute Indizierung im
vereinfachten Verfahren; die Listeneintragung erfolgte am 30.07.1988. Nachdem die
Klägerin hiergegen Anfechtungsklage erhoben (17 K 3518/88 VG Köln) und das
Verwaltungsgericht einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
stattgegeben hatte (17 L 1431/88 VG Köln), hob die B. auch diese
Indizierungsentscheidung auf; das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurde in der
Hauptsache für erledigt erklärt.
4
Die Klägerin hat das von der B. eingeschlagene Verfahren in verschiedener Hinsicht als
fehlerhaft beanstandet. Sie hat zudem die Auffassung vertreten, das Spiel sei
keineswegs kriegsverherrlichend, geschweige denn "offenbar" kriegsverherrlichend, wie
es von § 15 a Abs. 1 GjS vorausgesetzt werde.
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Die Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin im einzelnen entgegengetreten und hat
die beiden Indizierungsentscheidungen als rechtmäßig verteidigt. Wegen weiterer
Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug sowie der von ihnen
dort gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, durch das
die Klage insgesamt abgewiesen worden ist. Das Landgericht hat die
Indizierungsentscheidungen für rechtmäßig erachtet und deshalb Ersatzansprüche der
Klägerin aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG und aus dem Gesichtspunkt des
enteignungsgleichen Eingriffs verneint.
6
Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. April 1992 zugestellte Urteil mit einem am 13. Mai
1992 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung
bis zum 16. September 1992 mit einem innerhalb der Frist eingegangenen Schriftsatz
begründet.
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Die Klägerin macht geltend, die Indizierung des Spiels sei materiell zu Unrecht erfolgt;
außerdem sei zu beanstanden, daß die Mitglieder des Prüfungsgremiums das Spiel
nicht selbst gespielt hätten und sich deshalb kein eigenes Urteil über den Inhalt des
Spiels erlauben könnten. Ihr selbst und ihrem deutschen Vertragspartner stünden
deshalb Entschädigungsansprüche aus dem Rechtsinstitut des enteignungsgleichen
Eingriffs zu, darüber hinaus sei die Beklagte dem deutschen Vertriebsunternehmen
auch gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zum Schadensersatz verpflichtet.
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Die Klägerin wiederholt ihre in erster Instanz gestellten Anträge; die Beklagte bittet um
Zurückweisung der Berufung.
9
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin im einzelnen entgegen.
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Die Akten der verwaltungsgerichtlichen Verfahren 17 K 5183/87, 17 L 1431/88 und 17 K
3518/88 VG Köln waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Der Senat hat
zudem Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen sowie Inaugenscheinnahme
des Spiels und einer Videoaufzeichnung über das Spiel. Wegen der Einzelheiten wird
auf die Sitzungsprotokolle vom 26.11.1992 und 14.06.1993 verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Das unbedenklich zulässige Rechtsmittel der Klägerin ist nicht begründet, weil ihr die
mit der Klage verfolgten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen.
13
I. Die von der Klägerin erhobenen Ersatzansprüche aus eigenem Recht sind nicht
begründet.
14
1. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, daß der Klägerin ein auf § 839 BGB in
Verbindung mit Art. 34 GG gestützter Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht
zustehen kann. Dabei bedarf es keiner Erörterung, ob ein Ersatzanspruch gemäß § 839
BGB gegen die tätig gewordenen Beamten besteht, da ein solcher Anspruch jedenfalls
nicht auf die Beklagte übergeleitet wird. Die in Art. 34 GG vorgesehene Überleitung
findet nach § 7 des Reichsbeamtenhaftungsgesetzes vom 22. Mai 1910
(Bundesgesetzblatt III 2030-9) nämlich dann nicht statt, wenn der Geschädigte
Angehöriger eines ausländischen Staates ist und es an einer Bekanntmachung des
Bundesministers der Justiz im Bundesgesetzblatt fehlt, wonach die Gegenseitigkeit
verbürgt ist. Eine solche Bekanntmachung ist bislang im Verhältnis zwischen den USA
und der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgt.
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2. Der Klägerin stehen auch keine Entschädigungsansprüche wegen eines
enteignungsgleichen Eingriffs zu.
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a) Vorab ist darauf hinzuweisen, daß der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch
unter Entschädigungsgesichtspunkten erkennbar übersetzt ist. Bei der
Enteignungsentschädigung handelt es sich nicht um Schadensersatz, so daß der
Betroffene nicht verlangen kann, für alle Zukunft so gestellt zu werden, als sei der
Eingriff nicht erfolgt (BGH NJW 1972, 243, 246). Grundsätzlich ist nur eine
Entschädigung für die entzogene Vermögenssubstanz zu gewähren. Bei
vorübergehenden Eingriffen, wie sie vorliegend erfolgt sind, hat die Rechtsprechung
zwar die Zubilligung eines Ertragsverlustes gestattet; in Wahrheit handelt es sich hierbei
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aber nur um eine vereinfachte Berechnung der Folgen einer vorübergehenden
Substanzentziehung. Auch bei dieser Berechnung ist jedenfalls zu berücksichtigen, daß
nur entschädigt wird, was im Augenblick des Zugriffs vorhanden ist und genommen
wird. Hieraus folgt, daß eine hypothetische Weiterentwicklung nicht berücksichtigt
werden darf, insbesondere also nicht eine Zuwachsrate in Form von
Umsatzsteigerungen, wie sie in der Folgezeit in der Branche aufgetreten sind (BGH
a.a.O.). Eine solche Zuwachsrate hat die Klägerin jedoch eingerechnet im Hinblick
darauf, daß die mit dem Alleinvertrieb in Deutschland beauftragte R. GmbH allgemein
bei Computerspielen eine erhebliche Umsatzsteigerung erzielt hat (vgl. Blatt 10 GA).
Diese Zuwachsraten von 25 % für 1987 und 45 % für 1988 müssen deshalb aus der
Aufstellung Blatt 9 GA herausgerechnet werden, wonach sich eine ganz erhebliche
Reduzierung einer möglichen Entschädigungsforderung ergibt. Auf eine in die
Einzelheiten gehende Berechnung kann hier jedoch verzichtet werden, da der Anspruch
bereits dem Grunde nach nicht besteht.
b) Dem geltend gemachten Entschädigungsanspruch steht allerdings nicht entgegen,
daß es sich bei der Klägerin um eine ausländische juristische Person handelt. Zwar
nehmen diese Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG auch dann nicht am Schutz durch die
verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie teil, wenn sie im Inland anerkannt bzw.
zugelassen sind, was der Annahme eines enteignungsgleichen Eingriffs entgegensteht
(BGH NJW 1980, 2459). Von diesem Grundsatz ist nach der vorgenannten
Entscheidung jedoch für die in den USA ansässigen juristischen Personen eine
Ausnahme zuzulassen. Dies folgt aus Art. V Abs. 1 und 3 des deutsch-amerikanischen
Freundschafts-, Handelsund Schiffahrtsvertrages vom 29.10.1954 (Bundesgesetzblatt
1956 II, 488), in denen vereinbart ist, daß das Eigentum von Angehörigen des
Vertragsstaates weitestgehenden Schutz und Sicherheit genießt und nur unter
Voraussetzungen enteignet werden kann, die denen des Art. 14 GG entsprechen und
auch nur gegen Gewährung einer am wirklichen Wert orientierten angemessenen
Entschädigung.
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c) Ein Entschädigungsanspruch steht der Klägerin jedoch deshalb nicht zu, weil es an
einem enteignungsgleichen Eingriff fehlt.
19
Als Rechtsposition, in die von der Beklagten eingegriffen worden ist, kommt zum einen
das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht. Ein
Entschädigungsanspruch nach dem richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des
enteignungsgleichen Eingriffs setzt voraus, daß in eine durch Art. 14 GG
(eigentumsmäßig) geschützte Rechtsposition eingegriffen worden ist (BGHZ 111, 349 =
NJW 1990, 3260, 3261). Ob der Gewerbebetrieb als tatsächliche Zusammenfassung der
zum Vermögen eines Unternehmens gehörenden Sachen und Rechte überhaupt (und
gegebenenfalls inwieweit) von der Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG erfaßt wird,
hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht entschieden (vgl. NJW 1992, 36, 37).
Aber auch dann, wenn ein Grundrechtsschutz zu Gunsten der Klägerin unterstellt wird,
liegt ein enteignender Eingriff nur dann vor, wenn in die Substanz des Betriebes
eingegriffen wird (BGH a.a.O. 3262). Ein Substanzeingriff ist aber nur gegeben, wenn
auf den Betrieb als wirtschaftlichen Organismus dergestalt eingewirkt wird, daß sein
ordnungsgemäßes Funktionieren unterbunden oder beeinträchtigt wird, das heißt, wenn
der Eigentümer gehindert wird, von dem Betrieb als der von ihm aufgebauten und
aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den
bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen (BGH a.a.O.). Eine solche
Beeinträchtigung der Klägerin durch die angegriffenen Indizierungsentscheidungen ist
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nicht dargetan. Die Indizierung betrifft nur ein einzelnes Computerspiel aus dem
umfangreichen Vertriebsprogramm der Klägerin. Sie wirkt sich zudem nur auf dem
deutschen Markt aus und verschließt auch ihn nicht vollständig, da der Verkauf des
Spiels an Erwachsene jederzeit uneingeschränkt zulässig war. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, kann aber von einem
Eingriff in den Gewerbebetrieb nicht gesprochen werden, wenn nur ein einzelner
Warenposten infolge einer behördlichen Maßnahme nicht wie beabsichtigt verwertet
werden kann, der Betrieb als solcher in seinem ungestörten Funktionieren dadurch aber
nicht berührt wird (z.B. BGH NJW 1967, 1857 und 1976, 475, 478 a.E.; Ossenbühl,
Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., S. 137). Die Möglichkeit, ein Produkt gewinnbringend zu
veräußern, gehört zu den bloßen Umsatzund Gewinnchancen und
Verdienstmöglichkeiten, die nicht zum eigentumsrechtlich geschützten Bestand des
einzelnen Unternehmens gehören VerfG a.a.O. 37 und NJW 1992, 1878, 1879;
Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rdnr. 89 m.w.N.).
Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 8. April 1991 (Blatt 233 GA) die Auffassung
vertreten hat, eine Ersatzpflicht ergebe sich auch aus einer Parallele zu den
Rechtsprechungsgrundsätzen über die Schadensersatzpflicht wegen unberechtigter
Schutzrechtsverwarnung, kann ihr nicht gefolgt werden. Dieser Gedanke ist in der
Entscheidung BGH NJW 1990, 3260, 3262 ausdrücklich verworfen worden.
21
Ein Entschädigungsanspruch wegen eines Eingriffs in das Urheberrecht, wie er in erster
Instanz erörtert worden ist, scheidet bereits deshalb aus, weil nach dem jetzigen
Sachstand die Klägerin das Urheberrecht nicht besitzt. Bereits in der
Berufungsbegründung werden Entschädigungsansprüche aus diesem rechtlichen
Gesichtspunkt nicht mehr hergeleitet. In der mündlichen Verhandlung vom 26.
November 1992 hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auf Befragen des Senats
ausdrücklich erklärt, der Klägerin stehe das Urheberrecht an dem Computerspiel nicht
zu, sie habe vom Inhaber des Urheberrechts nur das Recht zum Vertrieb des Spiels
erworben. Hierbei handelt es sich nicht um eine eigentumsmäßig geschützte
Rechtsposition.
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II. Soweit die Klage auf abgetretene Ansprüche der R. GmbH gestützt wird, ist sie
ebenfalls nicht begründet.
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1. Ein Entschädigungsanspruch wegen eines enteignungsgleichen Eingriffs scheidet
aus den gleichen Gründen aus, die vorstehend unter I. 2. dargelegt worden sind, da
dieses Unternehmen bezüglich des fraglichen Spiels keine weitergehenden
Rechtspositionen innehat als die Klägerin.
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2. Der R. GmbH stehen auch keine Schadensersatzansprüche wegen
Amtspflichtverletzung gegen die Beklagte zu.
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a) Die B. trifft die Amtspflicht, bei der Entscheidung über Indizierungsanträge die
Verfahrensvorschriften einzuhalten und Indizierungen nur in den durch das Gesetz
vorgesehenen Fällen auszusprechen. Diese allgemeine "Pflicht zur rechtmäßigen
Amtsausübung" obliegt ihr jedoch nicht gegenüber der R. GmbH.
26
Ob im Einzelfall der Geschädigte zu dem durch § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB geschützten
Kreis der "Dritten" gehört, hängt davon ab, ob die Amtspflicht - wenn auch nicht
notwendig allein, so doch auch - den Zweck hat, das Interesse gerade dieses
27
Geschädigten wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden
und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der Natur des Amtsgeschäfts ergibt,
daß der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange nach dem Zweck
und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert sein sollen,
besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht (st.
Rspr., siehe Krohn/Schwager, die neuere Rechtsprechung des BGH zum
Amtshaftungsrecht, DVBl 1992, 321, 327 sowie aus jüngster Zeit BGH Urteil vom 6. Mai
1993 - III ZR 2/92 - EBE 1993, 194, jeweils m.w.N.). Anderen Personen gegenüber ist
eine Ersatzpflicht nicht begründet, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie
mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat. Es muß mithin eine besondere Beziehung
zwischen der verletzten Amtspflicht und dem Geschädigten "Dritten" bestehen.
Wird der Amtshaftungsanspruch darauf gestützt, daß die Amtspflichtverletzung im Erlaß
eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts besteht, so fällt in der Regel die
Drittgerichtetheit mit der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zusammen, das heißt
Dritter ist, wer durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt ist (vgl. Wurm,
Drittgerichtetheit und Schutzzweck der Amtspflicht als Voraussetzungen für die
Amtshaftung, JA 1992, 1, 2 m.w.N.; ähnlich Ossenbühl, a.a.O. Seite 48 und Kreft,
öffentlich-rechtliche Ersatzleistungen, § 839 Rdnr. 239 a.E., jeweils m.w.N.). Es kann
aber nicht davon ausgegangen werden, daß die R. GmbH die
Indizierungsentscheidungen der B. hätte selbständig anfechten können.
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Eine ausdrückliche Aussage darüber, wer klageberechtigt ist, enthält die Bestimmung
des § 20 GjS nicht. Welche Personen der Gesetzgeber - abgesehen von den
antragsberechtigten Behörden und sonst beteiligten Behörden und Verbänden - als
Verfahrensbeteiligte ansieht, ergibt sich jedoch aus § 12 GjS. Dort werden der Verleger
und der Verfasser der Schrift als Beteiligte erwähnt; ihnen ist die Entscheidung
zuzustellen, § 14 Abs. 1 Nr. 1 GjS. Dem entspricht es, daß in § 4 Abs. 4 Satz 1 GjS DVO
als Beteiligte neben dem Antragsteller nur der Verleger und der Verfasser genannt
werden. Aus Satz 2 dieser Bestimmung ergibt sich, daß gegebenenfalls auch
Herausgeber von Sammelwerken, Übersetzer und sonstige Bearbeiter zu
berücksichtigen sind. Aus dem Zusammenhang dieser Vorschriften wird deutlich, daß
der Gesetzgeber nur diejenigen Personen als Betroffene einer
Indizierungsentscheidung ansehen und sie deshalb am Indizierungsverfahren beteiligen
will, die durch eigene schöpferische Leistung an der Herstellung des Werks beteiligt
waren. Hierunter fallen aber nicht Personen, die mit dem fraglichen Werk nur Handel
treiben wollen. Ihnen ist die Anfechtungsbefugnis abzusprechen, weil durch eine
Indizierung nicht ihre Rechte, sondern lediglich ihre Aussichten auf Gewinnerzielung
beeinträchtigt werden.
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Selbst wenn aber entgegen dieser Auffassung von einer Anfechtungsbefugnis der R.
GmbH im Verwaltungsgerichtsverfahren auszugehen sein sollte, so folgt daraus nicht
zwingend auch, daß sie geschützter Dritter im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist.
Durch die Indizierungsentscheidung wird die R. GmbH nur in ihren
Vermögensinteressen berührt, die daraus resultieren, daß sie mit der Klägerin einen
Vertrag geschlossen hat, der sie dazu berechtigt, ihre Produkte in Deutschland zu
vertreiben. Eine "Betroffenheit", die auf eine bloß schuldrechtliche Verbindung mit dem
Rechtsinhaber zurückzuführen ist, vermag aber eine Drittbezogenheit der Amtspflicht
nicht zu begründen (st. Rspr., z.B. RGZ 151, 109, 113; BGH LM KonsularG Nr. 1 Blatt 3
= NJW 1962, 2100, 2102; Kreft a.a.O. Rdnr. 242 m.w.N.). Wenn die R. GmbH als Dritter
in den Schutzbereich der allgemeinen Pflicht zur rechtmäßigen Amtsausübung
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einzubeziehen wäre, würde dies nach Auffassung des Senats zu untragbaren
haftungsrechtlichen Konsequenzen führen. Die R. GmbH vertreibt das fragliche
Computerspiel nur als eines von mehreren hundert Spielen (vgl. die umfangreichen
Prospekte Blatt 19 bis 28 und 126 bis 141 GA). Ihr Verhältnis zu dem indizierten
Gegenstand ist letztlich kein anderes als das eines Buchhändlers zu einem einzelnen
von ihm vertriebenen Buch. Daß sich die Indizierung eines Buchs auf seinen
Geschäftsbetrieb nachteilig auswirken kann, mag durchaus sein. Diese finanzielle
Betroffenheit allein reicht aber gerade nicht aus, um ihn in den Schutzbereich der der B.
im Rahmen eines Indizierungsverfahrens obliegenden Amtspflichten einzubeziehen.
Die Auffassung, daß ein einzelner Händler gegen eine Indizierungsentscheidung
Anfechtungsklage erheben kann oder ihm bei einer rechtswidrigen
Indizierungsentscheidung ein Entschädigungsoder Schadensersatzanspruch zusteht, ist
- soweit ersichtlich - bislang auch nicht vertreten worden. Für die R. GmbH kann
hinsichtlich des indizierten Spiels nichts anderes gelten.
b) Neben der Pflicht zur rechtmäßigen Amtsausübung, die dem Beamten im Rahmen
eines von ihm betriebenen Verfahrens nur gegenüber einem begrenzten Personenkreis
obliegt, ist jeder Beamte verpflichtet, sich eines Amtsmißbrauchs zu enthalten. Diese
Pflicht ist weitergehend und besteht gegenüber jedem, der durch den Mißbrauch
geschädigt werden könnte (Kreft a.a.O. § 839 Rdnr. 249; Bender, Staatshaftungsrecht, 2.
Aufl., Fußnote 497). Davon, daß die B. bei Erlaß der beiden
Indizierungsentscheidungen in diesem Sinne "amtsmißbräuchlich" gehandelt hat, kann
jedoch nicht ausgegangen werden.
31
Es versteht sich von selbst, daß nicht jede Überschreitung der Amtsbefugnisse bereits
einen Amtsmißbrauch darstellt, da sonst die Begrenzung der haftungsrechtlichen
Veranwortlichkeit auf die geschützten Dritten gegenstandslos würde. Von einem
Amtsmißbrauch kann vielmehr nur dann die Rede sein, wenn ein Verhalten vorliegt, das
den Forderungen von Treu und Glauben und guter Sitte widerspricht und entweder den
Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht oder diesem zumindest nahekommt (vgl. z.B.
BGH NJW 1990, 836, 838 a.E. und Kreft a.a.O. Rdnr. 165, jeweils m.w.N.). Ein solches
Fehlverhalten ist vorliegend nicht festgestellt.
32
aa) Ein den Tatbestand des Amtsmißbrauchs verwirklichendes Verhalten der B. läge
dann vor, wenn die Behauptung der Klägerin zuträfe, das Computerspiel sei indiziert
worden, ohne daß sich die Mitglieder des Dreiergremiums überhaupt einen Eindruck
von Inhalt und Ablauf des Spiels verschafft hätten. Diese Behauptung ist jedoch nicht
bewiesen.
33
Zwar ist unstreitig, daß die B. bei Erlaß der ersten Indizierungsentscheidung nicht über
einen Computer der Marke A. verfügte, so daß das Spiel, das von der antragstellenden
Behörde in einer A.-Version vorgelegt worden war, nicht gespielt werden konnte. Aus
dem Antrag vom 03.12.1986 (Blatt 23 GA) ergibt sich jedoch, daß diesem außer der
Diskette auch eine Videokassette beigefügt war. Die von der Beklagten mit Schriftsatz
vom 09.02.1993 zu den Gerichtsakten eingereichte Kassette hat der Senat -
auszugsweise - in Augenschein genommen und auch der Zeugin G. auszugsweise
vorgeführt. Die Inaugenscheinnahme hat ergeben, daß die Videoaufzeichnung, die
insgesamt eine Laufzeit von ca. 1 Stunde hat, einen umfassenden und ausreichenden
Überblick über Inhalt und Ablauf des Computerspiels in seinen unterschiedlichen
Abschnitten und Spielvarianten bietet. Die Zeugin G. hat bestätigt, daß sie diesen Film
in der B. gesehen hat. Der Zeuge J. hat bekundet, daß nach seiner Erinnerung im
34
Rahmen von Indizierungsverfahren einoder zweimal ein Computerspiel nicht selbst
gespielt, sondern ein Videofilm vorgeführt worden ist, auf dem dargestellt wurde, wie
das Spiel abläuft. Er hat es zudem ausgeschlossen, eine Indizierungsentscheidung
unterzeichnet zu haben, ohne sich zuvor das zu indizierende Spiel angesehen zu
haben. Der Beweis für die Behauptung, die erste Indizierung sei erfolgt, ohne daß sich
die Kommissionsmitglieder einen Eindruck vom Inhalt des Spiels verschafft hätten, ist
damit zweifellos nicht erbracht.
Dasselbe gilt auch hinsichtlich der zweiten Indizierung, die von dem Dreiergremium in
der Besetzung mit dem Zeugen A. und den Zeuginnen G. und K. ausgesprochen
worden ist. Zwar hat der Zeuge A. zuerst die Vermutung geäußert, daß er auf einem
Computer der Marke A. wahrscheinlich nicht gespielt hat (Seite 15 des
Sitzungsprotokolls vom 14.06.1993 = Blatt 396 GA). Er hat das in der Sitzung
vorgeführte Spiel jedoch einwandfrei wiedererkannt und schließlich bekundet, er habe
dieses Spiel auf einem Computer gespielt. Der Umstand, daß das indizierte Spiel vom
S. für Jugend und Familie B. ursprünglich in einer A.-Version vorgelegt worden ist,
spricht jedoch keineswegs gegen die Richtigkeit dieser Aussage, da eine nachträgliche
Beschaffung der Version unschwer möglich war, weil sie sich auf dem allgemeinen
Markt befand. Dafür, daß bei der zweiten Indizierung eine Version des Spiels vorlag, die
auf dem in der B. vorhandenen Computer vorgeführt werden konnte, spricht zudem die
Aussage der Zeugin G., sie habe das ihr in der Sitzung vorgeführte Spiel bei der B. nicht
nur in einer Videoaufzeichnung, sondern auch auf dem Computer gesehen; dies kann
nur aus Anlaß der zweiten Indizierungsentscheidung erfolgt sein. Schließlich haben alle
vernommenen Zeugen bekundet, eine Indizierungsentscheidung sei von ihnen nicht
getroffen worden, ohne daß sie sich zuvor durch eigene Anschauung einen Eindruck
vom Inhalt des Mediums verschafft haben. Anlaß, hieran zu zweifeln, sieht der Senat in
keiner Weise, da die Zeugen sowohl einen persönlich glaubwürdigen Eindruck
hinterlassen haben als auch keine Umstände vorhanden sind, die gegen die Richtigkeit
ihrer Angaben sprechen könnten.
35
bb) Ebenfalls als Amtsmißbrauch könnte zu qualifizieren sein, wenn der Vorsitzende
des Dreiergremiums oder ein Mitarbeiter der B. dann, wenn ein Beisitzer gegen eine
Indizierung im vereinfachten Verfahren stimmte, unter Verstoß gegen die gemäß § 12
Abs. 4 DVO GjS festgelegte Geschäftsverteilung andere Beisitzer angesprochen hätte
mit dem Ziel, von ihnen die Zustimmung zu der Indizierung zu erhalten. Auch für einen
solchen Pflichtenverstoß hat die Beweisaufnahme jedoch keinerlei Anhaltspunkte
ergeben.
36
c) Auch dann, wenn entgegen den vorstehenden Ausführungen unter a) die Amtspflicht
der B. zur ordnungsgemäßen Amtsausübung gegenüber der R. GmbH als "Dritter" im
Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB bestehen würde, würde dies der Klage nicht zum
Erfolg verhelfen, weil ein Verstoß gegen diese Amtspflicht nicht festgestellt worden ist.
37
aa) Das Landgericht hat zutreffend begründet, daß die B. für die Indizierung von
Computerspielen überhaupt zuständig ist. Bei einer Diskette oder Kassette für einen
Computer handelt es sich um einen körperlichen Gegenstand, der einer Schallplatte,
einem Tonband oder einer Compactdisc vergleichbar ist; daß Medien dieser Art von § 1
Abs. 3 GjS erfaßt werden, entspricht jedoch allgemeiner Auffassung. Weitere
Ausführungen hierzu erübrigen sich, zumal die Berufung begründete Einwendungen
gegen diese Ausführungen des Landgerichts nicht erhebt.
38
bb) Wie vorstehend bereits ausgeführt, ist davon auszugehen, daß sich die Mitglieder
der Prüfgremien das Spiel vor den von ihnen getroffenen Indizierungsentscheidungen
überhaupt angesehen haben. Darüber hinaus ist die von ihnen geschilderte Art und
Weise, wie ihnen das Spiel vorgestellt bzw. vorgeführt worden ist, auch hinreichend
geeignet, um sich den für eine sachgerechte Entscheidung erforderlichen Eindruck von
Inhalt und Ablauf des Spiels zu machen. Der Videofilm ist nämlich so umfassend, daß er
alle wesentlichen Spielsituationen darstellt. Bei der Vorstellung des Spiels auf dem
Computer vor der zweiten Indizierungsentscheidung hatten die Kommissionsmitglieder
zudem die Möglichkeit, den Computer selbst zu bedienen und so Spielsituationen selbst
zu gestalten. Weitergehende Anforderungen daran, wie sich die Kommissionsmitglieder
einen Eindruck von dem Inhalt eines Computerspiels zu verschaffen haben, ergeben
sich weder aus dem Gesetz noch aus der Natur der Sache selbst. Insbesondere kann
nicht die Forderung aufgestellt werden, daß die Mitglieder das Spiel über einen
bestimmten Mindestzeitraum hinweg selbst gespielt haben müssen.
39
cc) Soweit die Klägerin geltend macht, die getroffenen Indizierungsentscheidungen
seien deshalb rechtswidrig, weil sie mangels Jugendgefährdung des Spiels materiell
unrichtig seien, vermag sie ebenfalls nicht durchzudringen.
40
Die B. hat bei der Bewertung des Computerspiels als jugendgefährdend die
maßgeblichen Rechtsbegriffe zutreffend zugrundegelegt.
41
Die Beantwortung der Frage, ob eine Schrift oder ein sonstiger Gegenstand geeignet ist,
Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden, hängt zum einen davon ab, wie eng oder
weit der Kreis der zu schützenden Jugendlichen gezogen wird. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 39, 197, 205), der sich der
Senat in vollem Umfang anschließt, würde aber der Zweck des Gesetzes, der auf den
Schutz der heranwachsenden Jugend gerichtet ist, verfehlt, wenn die Eignung zur
Jugendgefährdung nur an denjenigen Jugendlichen gemessen wird, die kraft ihrer
Veranlagung oder Erziehung gegen schädigende Einflüsse ohnehin weitgehend
geschützt sind. Gefährdet erscheinen gerade die Kinder und Jugendlichen, die einer
äußeren Beeinflussung leichter erliegen. Auch und gerade die in diesem Sinne labilen
Jugendlichen sollen und müssen vor einer Gefährdung ihrer Entwicklung geschützt
werden. Die anzulegenden Maßstäbe müssen deshalb von den Jugendlichen
schlechthin, einschließlich des gefährdungsgeneigten Jugendlichen, ausgehen
(BVerwGE a.a.O. unter Hinweis auf gleichlautende Rechtsprechung des BGH in
Strafsachen); lediglich Extremfälle völliger Verwahrlosung und krankhafter Anfälligkeit
sind außer Betracht zu lassen. Im Hinblick auf den Schutzzweck des Gesetzes erscheint
es auch nicht angezeigt, daß eine Indizierung nur dann in Betracht kommen soll, wenn
die naheliegende Gefahr eines ernsthaften Entwicklungsschadens mit einer an
Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht. Der Nachweis der
Jugendgefährdung ist vielmehr dann als erbracht anzusehen, wenn anzunehmen ist,
daß eine Gefährdung durch die in die Liste aufzunehmende Schrift mutmaßlich eintreten
wird, daß heißt, wenn eine einfache Wahrscheinlichkeit hierfür besteht BVerfG a.a.O.).
42
Die B. hat den jugendgefährdenden Charakter des Spiels bejaht mit der Begründung, es
sei der in § 1 Abs. 1 Satz 2 GjS beispielhaft aufgeführte Unterfall der
Kriegsverherrlichung gegeben. Sie hat sich hierbei an der Auslegung dieser
unbestimmten Rechtsbegriffe orientiert, die diese in der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung erfahren haben. Danach haftet den Schriften in den in Satz 2
genannten Beispielen die Eignung an, die Jugend zu einer sittlichen Fehlhaltung
43
gegenüber Erscheinungen des menschlichen Lebens zu führen oder - anders formuliert
- bei den Jugendlichen eine sozialethische Begriffsverwirrung hervorzurufen (BVerwGE
23, 112, 114/5). Dabei besteht in Rechtsprechung und Schrifttum Einvernehmen
darüber, daß der Teilbegriff der Kriegsverherrlichung weit auszulegen ist. Dies ist
geboten, da eine enge Auslegung nur uneingeschränkte Lobpreisungen des Krieges
treffen würde. Die vom Gesetz und auch von Art. 26 GG angestrebte Friedensgesinnung
wird in der Vorstellung der Jugend aber nicht nur durch eine uneingeschränkte
Lobpreisung des Krieges gefährdet. Die gewünschte sozialethische Einstellung kann
vielmehr schon durch solche Darstellungen gefährdet werden, durch die der Krieg
irgendwie qualifiziert positiv bewertet wird, etwa dadurch, daß er als anziehend, reizvoll,
wertvoll, als romantisches Abenteuer oder in erster Linie als eine Bewährungsprobe für
männliche Tugenden und Möglichkeit dargestellt wird, Anerkennung, Ruhm oder
Auszeichnung zu gewinnen (BVerwGE 23, a.a.O. 115; Steindorf in Erbs/Kohlhaas,
Strafrechtliche Nebengesetze, J 214, § 1 GjS Anm. 12; Scholz, Jugenschutz, 2. Aufl., § 1
GjS Anm. 5 e; Löffler, Presserecht, Bd. I, Kapitel 10 § 1 GjS Rn. 13).
Im Hinblick auf die sogenannte "Mutzenbacher"-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 27.11.1990 (NJW 1991, 1471), durch die die frühere
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (insbesondere BVerfG NJW 1987, 1429)
insoweit für Verfassungswidrig erklärt worden ist, als sie der B. bei der Bewertung eines
Sachverhalts als jugendgefährdend einen Beurteilungsspielraum zugebilligt hat, der nur
eine eingeschränkte gerichtliche Überprüfung der getroffenen Entscheidung zuläßt,
kann allerdings nicht - wie es das Landgericht vorliegend getan hat - eine nur auf
Willkürfreiheit begrenzte Überprüfung der Indizierungsentscheidung vorgenommen
werden. Aus der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist aber nicht
zwingend zu folgern, daß der Kontrollauftrag des Art. 19 Abs. 4 GG grenzenlos gilt. So
hat das Bundesverfassungsgericht selbst vorsorglich darauf hingewiesen, die Frage, ob
der B. bei der Einschätzung der Jugendgefährdung noch ein Beurteilungsspielraum
einzuräumen sei, bleibe offen (vgl. hierzu VG Köln NVwZ 1992, 402 f.). Herzog hat in
NJW 1992, 2601, 2604 mit beachtlichen Argumenten ausgeführt, der Kontrollauftrag des
Art. 19 Abs. 4 GG gelte nicht grenzenlos; er könne vielmehr dort seine Grenze finden,
wo von einer gerichtlichen Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die gleiche
Sachqualität zu erwarten sei wie von der Verwaltungsentscheidung; in einem solchen
Fall sei richterliche Zurückhaltung angezeigt. Nach Auffassung des Senats sind diese
Erwägungen geeignet, den Schluß nahezulegen, daß eine Überprüfung von
Indizierungsentscheidungen der B. in so engen Grenzen, wie sie die Rechtsprechung
bisher gezogen hat, zwar nicht mehr dem Verfassungsauftrag entspricht, andererseits
aber auch eine in jeder Hinsicht uneingeschränkte Überprüfung nicht sachgerecht wäre.
Denn mit der in § 9 GjS getroffenen Regelung über die personelle Besetzung der
Prüfgremien wird das Ziel verfolgt, den Gremien der B. eine pluralistische und zugleich
auf sozialethisch-pädagogischem sowie künstlerischem Gebiet sachkundige
Zusammensetzung zu sichern (vgl. Bundesverwaltungsgericht NJW 1989, 412 m.w.N.).
Diese pluralistischen Entscheidungsgremien können für sich repräsentativen Charakter
in Anspruch nehmen; sie stellen ein verfassungsrechtlich zulässiges Konzept bei der
Beantwortung komplexer Fragen der Sachverhaltsfeststellung und ihrer Bewertung dar
(Gusy JZ 1991, 470 f.).
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In seinen vier am 26.11.1992 zu Indizierungsfragen ergangenen Entscheidungen (7 C
20-23/92; teilweise abgedruckt in NJW 1993, 1490 ff) hat das Bundesverwaltungsgericht
ausgesprochen, daß entgegen einer in jüngerer Zeit vertretenen Auffassung bei der
Indizierung von Schriften auch unter Beachtung der bindenden Ausführungen des
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Bundesverfassungsgerichts noch ein Bereich verbleibt, der durch einen
"Entscheidungsvorrang" der B. gekennzeichnet ist. Einen Beurteilungsspielraum oder
Entscheidungsvorrang hat das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf
Ausführungen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jedoch abgelehnt,
soweit es um die Frage geht, ob eine Schrift geeignet ist, eine Jugendgefährdung
herbeizuführen. Es hat einen Entscheidungsvorrang der B. nur anerkannt bei der
Beantwortung der Frage, ob dann, wenn das Medium, dessen Indizierung beantragt ist,
als Kunstwerk zu qualifizieren ist, im Einzelfall die Belange der Kunst oder des
Jugendschutzes schwerer wiegen und deshalb den Vorrang verdienen (von
Würkner/Kerst-Würkner, NJW 1993, 1446 deshalb auch plastisch als
"Abwägungsermächtigung" bezeichnet). Dergleichen steht hier jedoch nicht in Frage. Im
Hinblick darauf, daß die Zusammensetzung der B. nach § 9 Abs. 2 GjS eine Beteiligung
derjenigen Kreise an der Indizierungsentscheidung gewährleistet, die für die
Beurteilung des jugendgefährdenden Charakters wegen ihres praktischen
Erfahrungshorizonts besonders qualifiziert sind und daß dieses Gremium vom
Gesetzgeber mit Unabhängigkeit ausgestattet ist (§ 10 GjS) leitet das
Bundesverwaltungsgericht aber ab, daß die der Indizierungsentscheidung
zugrundeliegenden Erwägungen der B. insoweit, als es um die Beurteilung des von der
Schrift ausgehenden schädigenden Einflusses für Jugendliche geht, als
sachverständige Aussage verstanden werden muß, der die gleiche Bedeutung zukommt
wie ein im gerichtlichen Verfahren eingeholtes Fachgutachten (NJW 1993, 1491, 1492).
Diese Einordnung erscheint sachgerecht, um der besonderen Stellung der B. als
unabhängiges und pluralistisch besetztes Gremium Rechnung zu tragen. Bei
Anwendung der sich daraus ergebenden Prüfungsmaßstäbe ist eine Fehlerhaftigkeit der
getroffenen Indizierungsentscheidungen nicht festzustellen.
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Der Spieler übernimmt die Aufgaben des Kapitäns bzw. der gesamten Besatzung eines
US-amerikanischen Unterseeboots, das sich während des 2. Weltkriegs im Pazifischen
Ozean auf Feindfahrt befindet. Seine Aufgabe besteht darin, möglichst viele japanische
Schiffe unterschiedlicher Größenordnung aufzusprüren und unter Einsatz von Torpedos
und Bordwaffen zu versenken sowie ihren Gegenangriffen auszuweichen. Der gesamte
Zweck des Spiels erschöpft sich in dieser Tätigkeit, auch in den verschiedenen
Varianten, die sich letztlich voneinander nur durch den Schwierigkeitsgrad der
Tätätigkeit unterscheiden, nicht jedoch in der Tätigkeit selbst. Ein erfolgreicher
Abschluß des Spiels ist nur dadurch zu erreichen, daß der Spieler durch taktisch
geschicktes Vorgehen den Angriffen der japanischen Schiffe ausweicht, sich unbemerkt
bis zur Reichweite seiner eigenen Waffen an die feindlichen Schiffe heranpirscht, um
diese sodann mit möglichst schnellem und effektivem Einsatz der ihm zur Verfügung
stehenden Waffen zu zerstören. Da sich auf den japanischen Schiffen eine Besatzung
befindet und es sich bei den Schiffen außerdem teilweise um Truppentransporter
handelt, beinhaltet das Spiel auch zwangsläufig die Tötung zahlreicher Menschen. Das
Spiel ist nicht nur völlig einseitig darauf ausgerichtet, möglichst viele Schiffe zu
versenken und damit auch auf ihnen befindlichen Menschen umzubringen, sondern bei
Erreichen einer besonders hohen "Abschußleistung" wird der Spieler dadurch belohnt,
daß er sich bei Beendigung des Spiels in die sog. Ruhmeshalle der U-Bootfahrer
eintragen kann, die nur den in diesem Sinne besonders erfolgreichen Spielern
vorbehalten ist. Hierdurch wird der Anreiz, bei der Feindfahrt besonders "effektiv" zu
sein, zweifellos noch erhöht. Das Spiel hat damit auch nach Auffassung des Senats die
Tendenz, das kriegerische Geschehen, das in der Vernichtung von Menschenleben und
erheblichen Sachwerten besteht, als gute Gelegenheit darzustellen, um Ansehen, Ruhm
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oder Auszeichnung zu gewinnen und die eigene Geschicklichkeit und
Reaktionsschnelligkeit unter Beweis zu stellen. Gegen letztere Eigenschaften als solche
ist zweifellos sozialethisch nichts einzuwenden. Sozialethisch negativ zu bewerten ist
jedoch das Mittel, das in dem Spiel gewählt wird, um solche Eigenschaften zu
gewinnen, zu erproben und gegenüber Dritten darzustellen. Es besteht damit die
Gefahr, daß die das Spiel benutzenden Jugendlichen den Eindruck gewinnen, der
Erwerb dieser Eigenschaften sei höher zu bewerten als die Vernichtung von Menschen
und Sachen, da diese Vernichtung in dem Spiel notwendigerweise erfolgen muß, um zu
dem vom Spiel vorgegebenen und vom Spieler angestrebten Ziel zu gelangen. Eine
derartige Verwirrung in der ethischen Werteskala ist als Gefährdung der Jugendlichen
im Sinne des § 1 GjS zu qualifizieren. Daß durch das Spiel eine solche Gefährdung mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit herbeigeführt werden kann, erscheint ebenfalls nicht
zweifelhaft. Das Spiel ist von Aufbau und Struktur so angelegt, daß es vom Spieler
häufiger gespielt werden muß, um die einzelnen Varianten mit unterschiedlichem
Schwierigkeitsgrad kennen und beherrschen zu lernen. Ein Erfolg kann nur erreicht
werden, wenn der Spieler das Heranpirschen an die feindlichen Konvois und den
Angriff auf sie immer wieder übt und durch stetes Training seine "Trefferquote" erhöht.
Es ist somit davon auszugehen, daß Jugendliche das Spiel über einen längeren
Zeitraum immer wieder spielen und auch mit Freunden Vergleichswettkämpfe
durchführen. Diese intensive und wiederholte Befassung mit dem Spiel kann dazu
führen, daß der Jugendliche die dem Spiel zugrunde liegende ethische Fehlbewertung
mit der Zeit unbewußt in sich aufnimmt und zu einer Gefährdung oder gar Veränderung
einer vorhandenen positiven Einstellung führt oder das Entstehen eines sozialethisch
zutreffenden Wertbildes verhindert.
Soweit die Klägerin gegen eine Einstufung des Spiels als jugendgefährdend einwendet,
bei Anwendung der von der B. dargelegten Kriterien auf das allseits als harmlos
eingestufte Spiel "Schiffe versenken" müßte auch dieses indiziert werden, kann ihr nicht
gefolgt werden. In dem von der Klägerin vertriebenem Spiel "S." werden sowohl das
amerikanische U-Boot als auch die japanischen Schiffe realistisch dargestellt. Dasselbe
gilt hinsichtlich des Einsatzes der dem Spieler zur Verfügung stehenden Torpedos und
Bordwaffen; ihre Betätigung und Wirkung wird sowohl optisch dargestellt als auch
akustisch untermalt. Der Spieler kann sich in verschiedenen Bereichen des U-Bootes
bewegen, Instrumente ablesen, Karten einsehen und Geräte bedienen. Das Spiel ist
zudem mit einem umfangreichen Handbuch versehen, das Erläuterungen zum U-Boot-
Krieg im Pazifik enthält. Insgesamt ist das Spiel darauf ausgelegt, den U-Boot-Krieg
möglichst realitätsnah zu simulieren. Das Spiel "Schiffe versenken" ist damit von der
Ausgestaltung her in keiner Weise vergleichbar. Es enthält weder figürliche
Darstellungen von Menschen und Schiffen, noch wird überhaupt ein direkter Bezug zu
Kriegshandlungen hergestellt. Auch der Spielablauf ist völlig andersartig. Es geht bei
diesem Spiel nämlich nicht darum, bei der Handhabung Schnelligkeit und Geschick zu
erlernen bzw. zu beweisen und Gegenangriffen auszuweichen, sondern nur darum, mit
etwas Kombinationsgabe und viel Glück geometrische Figuren blind zu treffen.
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Die von der B. in den angegriffenen Entscheidung getroffene und vom Senat geteilte
Bewertung hinsichtlich der Frage des jugendgefährdenden Charakters des Spiels "S."
wird auch durch das übrige Vorbringen der Klägerin nicht erschüttert. Die Hinweise auf
die in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren zitierten Veröffentlichungen von Knoll,
Rosemann und Fritz führen nicht weiter. Die Veröffentlichungen beschäftigen sich nicht
mit dem hier zu beurteilenden Spiel, sondern befassen sich nur allgemein mit der Frage,
in welcher Form Jugendgefährdungen von Computeroder Videospielen ausgehen
49
können. Eine Aussage dahingehend, daß Spiele dieser Art grundsätzlich
jugendgefährdend oder im Gegenteil schlechterdings nie jugendgefährdend sind, ist
jedoch naturgemäß weder für die gesamte Gattung dieser Spiele noch für die Unterart
der sog. Kriegsspiele möglich, es ist vielmehr jeweils auf das konkrete Spiel
abzustellen. Soweit in den von der Klägerin zitierten Veröffentlichungen die Auffassung
vertreten wird, Computerspiele seien von ihrer Struktur her grundsätzlich nicht geeignet,
Aggressionen bei dem Spieler hervorzurufen, erscheint dies in dieser Allgemeinheit
zumindest zweifelhaft. Selbst wenn diese Auffassung aber als zutreffend unterstellt wird,
so ergibt sich daraus nichts gegen die von der Bundesprüfstelle vorgenommene
Bewertung des Spiels "S. ", da die Jugendgefährdung eben nicht daraus hergeleitet
wird, daß durch das Spiel Aggressionen erzeugt werden, sondern daraus, daß das Spiel
den Krieg verharmlost und zu einer sozialethischen Desorientierung führen kann. Es ist
auch nicht zu beanstanden, daß die Indizierung durch das Dreiergremium im
vereinfachten Verfahren nach § 15 a GjS erfolgt ist. Ob die B. vom vereinfachten
Verfahren Gebrauch macht, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen (Steindorf a.a.O. §
15 a GjS Anm. 2 und Löffler a.a.O. § 15 a GjS Rn. 2). Zulässig ist dieses Verfahren
dann, wenn die Indizierungsvoraussetzungen gem. § 1 GjS "offenbar" gegeben sind.
Dies ist nicht dahin zu verstehen, daß die von dem Medium ausgehende
Jugendgefährdung eine besonders hohe Intensität aufweisen muß, da derart
qualifizierte Fälle bereits von § 6 GjS erfaßt werden mit der Folge, daß die
Beschränkungen der §§ 3 - 5 GjS kraft Gesetzes eintreten, eine Indizierung also nicht
mehr zwingend erforderlich ist. Auch muß eine besondere Eilbedürftigkeit nicht gegeben
sein, da das Gesetz für Fälle dieser Art die vorläufige Anordnung gem. § 15 GjS als
geeignete Sanktion zur Verfügung stellt. Es besteht auch kein Anlaß allgemein die
Vorausetzungen für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens restriktiv auszulegen,
da die verfahrensmäßigen Nachteile, die für den Betroffenen damit verbunden sind (im
Regelfall keine mündliche Verhandlung), dadurch ausgeglichen werden, daß dem
Betroffenen zwei Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die im vereinfachten Verfahren
ergangene Entscheidung anzugreifen. Ihm steht nämlich nicht nur die Möglichkeit zu
gebote, die Entscheidung sofort in Verwaltungsgerichtswege anzugreifen, sondern er
kann darüber hinaus auch nach § 15 a Abs. 4 GjS auf Entscheidung durch das
Zwölfergremium antragen; diesem Antrag ist stets stattzugeben. Für die Zulassung des
vereinfachten Verfahrens gem. § 15 a GjS, das vorrangig der Entlastung des
Zwölfergremiums dient, muß es deshalb genügen, wenn die Jugengefährdung für einen
unvoreingenommenen Betrachter klar und zweifelsfrei zutage tritt (Scholz a.a.O. § 15 a
GjS Anm. 1 und Steindorf a.a.O.). Dies ist nach den obigen Feststellungen zu bejahen.
III. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Beschwer der Klägerin und Berufungsstreitwert: 736.013,00 DM. Bei der Umrechnung
des englischen Pfunds hat der Senat einen Wechselkurs von 2,55 DM zugrundegelegt.
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