Urteil des OLG Köln vom 20.02.2001
OLG Köln: grobe fahrlässigkeit, versicherte sache, avb, wagen, fahrzeug, versicherungsnehmer, wahrscheinlichkeit, parkplatz, franchise, ware
Oberlandesgericht Köln, 9 U 155/00
Datum:
20.02.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 155/00
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 8 0 437/99
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30.06.2000 verkündete Urteil
der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 8 0 437/99 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten ist unbegründet.
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Das Landgericht hat zu Recht der Klage zum größten Teil stattgegeben.
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I. Der Klägerin steht wegen des Schadenereignisses vom 23.09.1998 in H., Parkdeck
der N.-Halle, ein Ersatzanspruch gegen die Beklagte auf Grund der
Musterkollektionsversicherung und der Warentransportversicherung in Höhe von
insgesamt 36.377,--DM zu.
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1.
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a) Im Hinblick auf den Verlust der Kollektionsware (Damenoberbekleidung) ergibt sich
ein Anspruch aus der Warentransportversicherung, Versicherung Nr. ............., in Höhe
von 14.877,-- DM abzüglich 250,-- DM vereinbarter Franchise gleich 14.627,-- DM.
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Insoweit ist im Rahmen der Allgefahrendeckung (vgl. dazu Voit in Prölss/Martin, VVG,
26. Aufl., ADS 73/84, § 1 Rn 4) die Deckung gemäß Ziffer 1.2. der ADS
Güterversicherung 1973 in der Fassung 1984 für den Verlust der transportierten Ware
vereinbart abzüglich 250,00 DM Franchise pro Sendung und Schadenfall gegeben.
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b) Hinsichtlich der Musterkollektion steht der Klägerin ein Anspruch in Höhe von
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21.750,-- DM aus § 2 Abs. 2 der AVB Musterkollektionen, Versicherung Nr. ................, zu.
Danach sind in Kraftfahrzeugen die Gegenstände u. a. gegen Verlust und
Beschädigung durch Diebstahl des ganzen Kraftfahrzeugs sowie bei allseitig fest
verschlossenen Kraftwagen gegen nachgewiesenen Einbruchdiebstahl versichert. Nach
Abs. 3 Satz 1 der genannten Bedingung sind Gegenstände in unbeaufsichtigten
Kraftfahrzeugen in diesen Fällen nur bis zu einer Dauer von zwei Stunden versichert.
Während der Nachtzeit, das ist von 22 bis 6 Uhr, besteht gemäß Satz 2
Versicherungsschutz gegen die genannten Gefahren nur, wenn sich das
verschlossenen Kraftfahrzeug in einer abgeschlossenen Einzelgarage oder einer
bewachten Sammelgarage befindet, bzw. bis zur Höchstdauer von zwei Stunden auf
einem bewachten Parkplatz abgestellt ist.
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Von dem Vorliegen des äußeren Bildes des Versicherungsfalls, also des Verlustes der
Oberbekleidung und der Musterkollektion im Sinne der genannten Bedingungen, ist -
wie die Vernehmung des Zeugen H. vor dem Landgericht ergeben hat - auszugehen.
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Der Wagen befand sich gegen 19.45 Uhr noch auf dem Parkplatz, als der Zeuge H. eine
Tasche mit persönlichen Dingen herausnahm. Als er nach dem Besuch des Chinalokals
und dem Telefonat etwa um 21.10 Uhr zum Fahrzeug zurückging, war es
verschwunden. Dies hat der Zeuge H. glaubhaft bekundet.
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Um 23.39 Uhr wurde der Wagen ohne Ladung in der Parkbucht der . .... hinter der
Autobahnbrücke zwischen H.-N. und H.-B. von der Polizei aufgefunden. Der Verlust hat
demnach auch in der versicherten Zeit im Sinne des § 2 Abs. 2 der AVB
Musterkollektionen stattgefunden.
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2. Es besteht -trotz einiger nicht entscheidenden Ungereimtheiten- auch nicht die
erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Diebstahl nur vorgetäuscht ist. Vielmehr liegen
typische Einbruchspuren vor. Dafür, dass es sich bei den an und im Fahrzeug
festgestellten Spuren um im Einverständnis mit dem Versicherungsnehmer "gelegte
Spuren" handelt, spricht keine erhebliche Wahrscheinlichkeit. Auf Grund der
Untersuchungen des Kraftwagens wurde festgestellt, dass sich an der Gummidichtung
der Fahrertüre mindestens zwei Durchstichstellen befanden. Insoweit kommt ein Öffnen
des Verriegelungsknopfes mittels eines drahtähnlichen Werkzeuges mit Haken oder
Schlinge in Betracht. Hinzukommt, dass das Lenkradschloss abgedreht worden ist und
die Kabel Beschädigungen aufwiesen. Dass die abisolierten und verdrehten Kabel zum
Airbag gehörten und nicht zum Kurzschließen benutzt werden konnten, führt im
Ergebnis nicht zu einer anderen Beurteilung.
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Es ist nicht auszuschließen, dass der Wagen über die im Motorraum befindliche Batterie
kurzgeschlossen wurde, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Auch besteht die
Möglichkeit, dass das Fahrzeug weggeschleppt worden ist. Wenn der Zeuge bei seiner
Vernehmung im Ermittlungsverfahren angegeben hat, er führe zwei Fahrzeugschlüssel
bei sich, so ändert dieser Umstand nichts.
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Ob der Wagen mit einem passenden Schlüssel gefahren worden ist, ist unklar. Dass der
Zeuge H. nach seiner Bekundung einen Fahrzeugschlüssel weggeworfen hat, nachdem
ihm dieser nach Instandsetzung des Wagens wieder ausgehändigt worden war, ist zwar
ungewöhnlich, führt aber angesichts der Gesamtumstände nicht mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit zur Annahme einer Vortäuschung des Versicherungsfalles.
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3. Leistungsfreiheit der Beklagten ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der
schuldhaften Herbeiführung des Versicherungsfalles.
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Die insoweit einschlägigen Vorschriften § 33 ADS 73/84 für die Transportversicherung
und § 10 AVB - Musterkollektionen haben unterschiedliche Fahrlässigkeitsmaßstäbe
und Zurechnungen.
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Bei der Warentransportversicherung für die Oberbekleidung genügt nach § 33 ADS
einfache Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers oder seines Repräsentanten (vgl.
Voit in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl, Ziffer 9 ADS 73/84, Rn. 11, 12); nach § 10 AVB -
Musterkollektionen wird grobe Fahrlässigkeit verlangt. Die Zurechnung wird hier vom
Versicherungsnehmer ausgedehnt auf den Versicherten, ihre Vertreter oder
Beauftragten.
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Im Rahmen der Transportversicherung ist der Zeuge H. nicht als Repräsentant
anzusehen. Er ist weder sogenannter Vertragsverwalter noch Risikoverwalter (vgl. BGH,
r+s 1993, 321). Nach seiner Aussage ist der Zeuge nicht mehr Entscheidungsträger. Er
ist nicht eigenverantwortlich mit der Verwaltung des Versicherungsvertrages
(Vertragsverwalter) befasst. Außerdem ist er nicht in dem Geschäftsbereich, zu dem die
versicherte Sache gehört, auf Grund eines Vertretungs- oder anderen
Rechtsverhältnisses an die Stelle der Versicherungsnehmerin getreten und befugt,
selbständig in einem nicht ganz unbedeutenden Umfang für die Versicherungsnehmerin
zu handeln (Risikoverwalter). Die bloße Überlassung der Obhut über versicherten
Sachen reicht nicht aus, ihn als Risikoverwalter anzusehen. Der Zeuge hilft nach seinen
Angaben bei dem Landgericht lediglich als Auslieferungsfahrer, wobei auch schon
einmal andere Personen aus dem Bekanntenkreis fahren, um Ware zu transportieren.
Seine Aussage vor der Polizei zum Umfang seiner Tätigkeit hat der Zeuge
eingeschränkt. Demnach scheidet Leistungsfreiheit nach 33 ADS 73/84 aus.
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Im Hinblick auf § 10 AVB - Musterkollektionen wird man den Zeugen zwar als
Beauftragten der Klägerin anzusehen haben.
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der Schaden ist aber nicht im Sinne der Bedingung grobfahrlässig verursacht worden.
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Zunächst muss der vertragsgemäß vorausgesetzte Standard an Sicherheit gegenüber
der Diebstahlsgefahr deutlich unterschritten sein (vgl. Senat, r+s 1999, 189). Grobe
Fahrlässigkeit setzt ferner voraus, dass der Versicherungsnehmer die
verkehrserforderliche Sorgfalt in hohem Maße außer Acht läßt und das nächstliegende,
das jedem in der gegebenen Situation einleuchtet, nicht beachtet (vgl. BGH, r+s 1989,
62). In subjektiver Hinsicht muss ein erheblich gesteigertes Verschulden hinzukommen
(vgl. BGH, r+s 1989, 209; OLG Düsseldorf r+s 1999, 229; Senat r+s 2000, 404;
Knappmann in Prölss/Martin, a.a.O., § 12 AKB, Rn 68, 100).
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Daran fehlt es vorliegend. Das bloße Zurücklassen der Ware in einem unbeaufsichtigt
abgestellten Fahrzeug ist noch nicht als grob fahrlässig zu bezeichnen. Zu
berücksichtigen ist nämlich bei der Bewertung der vertragsgemäß vorausgesetzte
Standard an Sicherheit. Insoweit geht § 2 Abs. 3 AVB - Musterkollektionen davon aus,
dass Gegenstände sich in unbeaufsichtigten Kraftfahrzeugen befinden (dürfen). Diese
Bestimmung setzt voraus, dass bei unbeaufsichtigtem Abstellen, jedenfalls kurfristig,
keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Nach der speziellen Regelung des § 7 Abs. 1 d) der
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AVB sind die versicherten Gegenstände im Inneren des Kraftfahrzeuges oder in
verschlossenen, mit dem Wagen fest verbundenen Behältnissen unterzubringen. Diese
Voraussetzungen waren erfüllt. Die Kollektionsware befand sich in nicht durchsichtigen
blauen Stoffsäcken im Fahrzeuginneren. Außerdem hat der Zeuge H. bekundet, dass er
den Wagen auf dem Parkplatz rückwärts dicht an eine Mauer herangefahren hatte, mag
auch diese Maßnahme die Einsicht in das Innere nicht völlig ausgeschlossen haben
(vgl. die Lichtbildmappe der beigezogenen Akte, Bl. 38 ff). Andere Umstände, die das
Verhalten als grob fahrlässig erscheinen lassen, sind nicht erkennbar.
Nach alledem ist auch eine Verletzung der Obliegenheiten nach § 7 AVB -
Musterkollektionen nicht gegeben.
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4. Die Höhe der Entschädigung - Einwendungen gegen die Berechnung werden
insoweit nicht erhoben - errechnet sich aus dem Anteil der Warentransportversicherung
(hierbei ist die Franchise von 250,-- DM abzuziehen und nicht bei der Musterkollektion)
von 14.627,-- DM und dem Anteil der Musterkollektionsversicherung von 21.750,-- DM.
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Insgesamt ergibt sich der Entschädigungsbetrag von
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36.377,-- DM.
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5. Der Zinsanspruch folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 284, 288 Abs. 1
BGB.
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II. Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Wert der
Beschwer ist nach
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§ 546 Abs. 2 ZPO festzusetzen.
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Streitwert für das Berufungsverfahren
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und Wert der Beschwer der Beklagten: 36.377,-- DM
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