Urteil des OLG Köln vom 30.07.2003
OLG Köln: sachliche zuständigkeit, funktionelle zuständigkeit, einzelrichter, verfügung, bauvertrag, gewährleistung, abnahme, handbuch, widerklage, erlass
Oberlandesgericht Köln, 17 W 179/03
Datum:
30.07.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
17. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 W 179/03
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 43 O 111/01
Tenor:
wird die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 21. Mai 2003 gegen
den das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 29. April 2003
zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Aachen vom 12. Mai
2003 auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen
G r ü n d e :
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Die nach § 46 Abs. 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige sofortige
Beschwerde ist unbegründet.
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1. Es kann dahingestellt bleiben, ob, wie die Beklagte mit
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ihrer Beschwerde rügt, über das Ablehnungsgesuch der Beklagten das Kollegialgericht
und nicht der Einzelrichter (§ 349 Abs. 3 ZPO) hätte entscheiden müssen. Für die
Auffassung der
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Beschwerde spricht die von ihr zitierte Kommentarstelle bei Musielak/Smid, ZPO, 3.
Aufl., § 45 Rdn. 2 m.w.N., nach der auch im Falle des § 349 ZPO die Kammer in voller
Besetzung
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die Entscheidung nach § 45 ZPO treffen muss. Nach Feiber, in: MünchKommZPO, 2.
Aufl. § 45 Rdn. 1, stellt § 45 Abs. 1 ZPO
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sicher, "dass über die Richterablehnung immer ein Kollegial-gericht entscheidet". Die
durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27.07.2001 (BGBl. I S. 1887) vorgenommene
Änderung des
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§ 45 Abs. 2 ZPO zur Frage, wer bei Ablehnung eines Richters beim Amtsgericht über
das Gesuch zu entscheiden hat, indiziert im Wege des Umkehrschlusses gleichfalls,
dass im Falle des – hier vorliegenden - § 45 Abs. 1 ZPO stets das Kollegium über das
Ablehnungsgesuch befinden muss.
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Der Senat hat die aufgeworfene Verfahrensfrage aber nicht
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abschließend zu entscheiden, weil dies, worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen
hat, die Neuregelung des § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO verbietet. Nach dieser Bestimmung
"kann (die sofortige Beschwerde) nicht darauf gestützt werden, dass das
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Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat". Zur
"Zuständigkeit" in diesem Sinne gehören – über die örtliche und sachliche Zuständigkeit
hinaus – auch die funktionelle Zuständigkeit, die Gerichtseinteilung und das Verhältnis
von Zivilkammer und Kammer für Handelssachen (so Lipp, in: MünchKommZPO, 2.
Aufl., Aktualierungsband zur ZPO-Reform, § 571 Rdn. 11). Die Frage, ob über das
Ablehnungsge-such gegen einen nach § 349 Abs. 3 ZPO zu entscheidenden
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Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen als Einzelrichter dessen Vertreter mit
oder ohne Handelsrichter zu befinden hat, wird danach ebenfalls von § 571 Abs. 2 Satz
2 ZPO erfasst, der allgemein die Nachprüfung der "Zuständigkeit" des erstinstanz-lichen
Gerichts ausschließen will.
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2. Die Beklagte hat keinen ausreichenden Grund dargetan bzw. glaubhaft gemacht, der
Misstrauen im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten
Richters rechtfertigen könnte. Entscheidend ist hierbei nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (Urt. v. 14.05.2002 – XI ZR 388/01, NJW 2002, 2396), ob ein
Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der
Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln. Davon kann in concreto keine Rede
sein. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die Gründe der angefochtenen
Entscheidung und des Nichtabhilfebeschlusses des LG Aachen vom 05.06.2003.
Ergänzend ist zu bemerken:
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a) Die Verfügung des Kammervorsitzenden vom 23.04.2003 (GA 985) bot der Beklagten
keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Der Inhalt
dieser Verfügung ist vor dem Hintergrund zu würdigen, dass der vorliegende äußerst
umfangreiche, kaum justiziable Bauprozess – alleine die Klageerwiderung vom
10.01.2002 (GA 77 ff.) weist einen Umfang von 149 Seiten, die Replikschrift vom
27.05.2002 (GA 296 ff.) 220 Seiten und die Duplikschrift vom 28.09.2002 (GA 527 ff.)
182 Seiten Umfang, jeweils engzeilig geschrieben, auf!! - keine typische Handelssache
darstellt und mithin sachlich nicht vor eine Kammer für Handelssachen, sondern eher
vor ein Schiedsgericht (zur Zweckmäßigkeit der Vereinbarung einer Schiedsabrede vgl.
Siegburg, Handbuch der Gewährleistung beim Bauvertrag, 4. Aufl. Rdn. 2676 ff.) gehört.
Nicht umsonst hat der Gesetzgeber die Baustreitigkeiten wegen ihrer Komplexität und
Schwierigkeiten durch § 348 Abs. 1 Satz 2 lit. c) ZPO zur
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Kammersache erklärt.
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Nachdem die Parteien sich mit einer Entscheidung gemäß § 349 Abs. 3 ZPO durch den
Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen als Einzelrichter einverstanden erklärt
haben, muss dieser versuchen, die schon vom Tatsachenstoff extrem umfangreiche
Sache terminlich zu bewältigen. Dazu gehört auch, den Rechts-streit möglichst zügig
abzuwickeln, weil ansonsten ein Bauprozess solchen Ausmaßes im Laufe der Jahre
eine gewisse Eigendynamik entwickelt und kaum noch für alle Seiten zufriedenstellend
abschließend entschieden werden kann. Dies gilt umso mehr, als das
Zivilprozessreformgesetz der ersten Instanz
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erhöhte Hinweis- und Dokumentationspflichten auferlegt hat, die es kaum noch
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ermöglichen, einen Prozess solchen Umfanges verfahrensfehlerfrei zu entscheiden.
Dies gilt in besonderem Maße für einen Einzelrichter, der auf typische Handelssachen
und nicht auf Bauprozesse spezialisiert ist.
Wenn der Einzelrichter unter diesen Umständen den – mit
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urlaubsbedingter Verhinderung des Geschäftsführers der Beklagten begründeten -
Antrag der Beklagten in deren Schriftsatz vom 22.04.2003 auf Verlegung des im
verkündeten Beweisbeschluss vom 11.04.2003 angesetzten Beweis- und
Weiterverhandlungstermin vom 14. Mai 2003, in dem insgesamt 7 Zeugen vernommen
werden sollten, davon abhängig machte, dass die Abhaltung eines neuen Termins bis
zum 31.10.2003 gewährleistet sei, ist das nicht zu beanstanden. Angesichts der
Bedeutung des Prozesses für die Beklagte – der Streitwert der Klage beträgt 902.565,14
€, die Beklagte macht eine Überzahlung von 2.061.871,58 € geltend, wovon sie im
Wege der Widerklage einen Teilbetrag von 255.645,94 € einklagt – war es im Interesse
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einer – für den Vorsitzenden einer Handelskammer terminlich äußerst schwierigen –
zügigen Abwicklung des Rechtsstreit dem Geschäftsführer der Beklagten zumutbar,
seinen gebuchten
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Urlaub zu unterbrechen, um den vorgesehenen Beweistermin persönlich wahrnehmen
zu können. Jedenfalls rechtfertigt das
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Ergebnis der vom abgelehnten Richter vorgenommenen Abwägung, es grundsätzlich
bei dem angesetzten Termin zu belassen, wenn in absehbarer Zeit kein neuer
Beweistermin zustande kommt, nicht die Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht der
Beklagten.
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Das gilt gleichermaßen, soweit der abgelehnte Richter mit
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seiner Verfügung vom 23.04.2003 eine "verbindliche" Erklärung seitens der Beklagten
auch in Bezug auf die von der Beklagten benannten Zeugen verlangt hat. Es mag sein,
dass die Formulierung "verbindlich" in diesem Zusammenhang etwas unglücklich
getroffen wurde. Nach den Umständen des Falles war für die
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Beklagte aber klar erkennbar, dass das Gericht einigermaßen gewährleistet haben
wollte, dass spätestens bis zum 31.10.2003 ein neuer Termin möglich sei. In Bezug auf
die Zeugen konnte die Verfügung vernünftigerweise nur so verstanden werden, dass die
Beklagte versuchen sollte, von den von ihr benannten Zeugen eine sichere Erklärung
darüber zu erhalten, wann diese vor Gericht erscheinen können. Eine "Verbindlichkeit"
im Rechtssinne war hier ersichtlich nicht gemeint. Ein Rückruf des auswärtigen
Prozessbevollmächtigten der Beklagten beim abgelehnten Richter hätte in diesem
Punkte mit Gewissheit Klarheit im erläuterten Sinne ergeben. Mithin bestand aus der
objektiven Sicht der Beklagten auch hier kein Anlass, Misstrauen an der Unparteilichkeit
des Richters zu hegen.
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b) Soweit die Beklagte ihr Ablehnungsgesuch auf die vom
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Gericht vorgesehene Beauftragung des Sachverständigen Q. stützt, ist streitig, was der
abgelehnte Richter dazu in der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2003 gesagt hat.
Insoweit enthält das Ablehnungsgesuch entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 ZPO keine
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Glaubhaftmachung, so dass es schon deshalb unbegründet ist.
Im übrigen ist dazu folgendes anzumerken:
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Die Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen steht – vorbehaltlich der
Einschränkung des § 404 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO – nach § 404 Abs. 1 Satz 1 ZPO im
Ermessen des Gerichts. Der
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abgelehnte Richter war deshalb nicht gehalten, sich mit den Parteien über die Person
des Sachverständigen abzustimmen.
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Dem Senat ist bekannt, dass das Landgericht Aachen den seit vielen Jahren tätigen
Sachverständigen Q. in Bausachen vielfach beauftragt. Nach den Erfahrungen des
Senates handelt es sich bei diesem Sachverständigen um einen sog. "Allround-
Sachverständigen" ("Generalist", vgl. dazu Siegburg, Handbuch der Gewährleistung
beim Bauvertrag, a.a.O. Rdn. 2814). Die
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Beauftragung eines solchen Sachverständigen erscheint vielfach nicht zweckmäßig,
wenn es um technische Spezialfragen geht, für die einem Allround-Sachverständigen
normalerweise die
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erforderliche Kompetenz fehlt. Ob das in concreto der Fall ist, wird das Landgericht evtl.
zu prüfen haben.
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c) Soweit die Beklagte den Beweisbeschluss des Landgerichts vom 11.04.2003 (GA
973 ff.) aus Rechtsgründen beanstandet und der abgelehnte Richter hierauf alsdann
nicht reagiert hat, rechtfertigt dieses Verhalten des abgelehnten Richters ebenfalls nicht
den Tatbestand des § 42 Abs. 2 ZPO. Es ist grundsätzlich nicht üblich, dass die
Gerichte nach Erlass eines
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Beweisbeschlusses und dessen Kritik durch eine oder beide Prozessparteien alsbald
ihre Auffassung dazu in einer bestimmten Weise kundtun. Die Beklagte kann deshalb
aus dem Verhalten des abgelehnten Richters nach Erlass des Beweisbeschlusses kein
Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit des Richters herleiten.
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Vorsorglich darf der Senat in diesem Zusammenhang auf folgen-des hinweisen:
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aa) Es entspricht einer weit verbreiteten Unsitte der Gerichte, in förmlichen
Beweisbeschlüssen entgegen der zwingenden Vorschrift des § 359 Nr. 1 ZPO nicht "die
Bezeichnung der streitigen Tatsachen", also die beweisbedürftigen Tatsachen einzeln
in den Beweisbeschluss aufzunehmen, sondern das
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Beweisthema mit einer Fragestellung zu umschreiben, die vielfach auf einen
Ausforschungsbeweis gerichtet ist (vgl. dazu eingehend Siegburg, BauR 2001, 875 ff.).
Soweit die Beklagte geltend gemacht hat, in concreto liefen einige Beweisfragen des
Beweisbeschlusses vom 11.04.2003 auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis
hinaus, ist ihr freigestellt, insoweit
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gegen den Beweisbeschluss förmliche Gegenvorstellung zu erheben (siehe dazu
Siegburg, BauR 2001, 875, 880). Diese Möglichkeit rechtfertigt es aber nicht, den
Richter wegen Befangenheit abzulehnen und ihn so aus dem Verfahren "herausboxen"
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zu wollen, wie das die Beklagte offensichtlich versucht.
bb) Das Vorgenannte gilt gleichermaßen, soweit die Beklagte geltend macht, der
Beweisbeschluss vom 11.04.2003 sei über-flüssig, weil der Rechtsstreit – jedenfalls die
Werklohnklage - im Sinne von § 300 Abs. 1 ZPO entscheidungsreif sei, nachdem es
unstreitig an einer Abnahme fehlt und die der Klage zugrun-de liegenden Bauleistungen
nicht abnahmefähig seien (zur
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Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung bzw. zur Fälligkeit ohne Abnahme oder
Abnahmefähigkeit vgl. Siegburg, ZfIR 2000, 841 ff., 941 ff., 944 f.). Inwieweit der
Sachstand (= das unstreitige Vorbringen, vgl. dazu Siegburg, Einführung in die
Urteilstechnik, 5. Aufl. 2003, Rdn. 354 ff.) das Fehlen der
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Abnahmereife nach § 12 Nr. 3 VOB/B rechtfertigt (siehe dazu näher Siegburg,
Handbuch der Gewährleistung beim Bauvertrag, a.a.O. Rdn. 349 ff. m.w.N.), wäre näher
darzulegen, soweit das noch nicht geschehen sein sollte.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Beschwerdeentscheidung hat eine Kostenentscheidung zu enthalten, sofern – wie
in concreto - das Rechtsmittel gegen den das Ablehnungsgesuch zurückweisenden
Beschluss erfolglos bleibt (Feiber, in: MünchKommZPO, 2. Aufl., § 46 Rdn. 6;
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Putzo, in: Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. § 46 Rdn. 9; a.A.
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Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 46 Rdn. 20, jeweils mit weiteren Nachweisen).
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Der Gebührenstreitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 697.226,65 € +
205.338,49 € = 902.565,14 € (Klage) + 255.645,94 € (Widerklage) = 1.158.211,08 €
festgesetzt (Wert der Hauptsache, vgl. Feiber, a.a.O. m.w.N.).
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Köln, den 30. Juli 2003
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OLG Köln, 17. Zivilsenat
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