Urteil des OLG Köln vom 16.06.1994
OLG Köln (überwiegende wahrscheinlichkeit, unfall, kläger, fahrzeug, einwilligung, haftpflichtversicherung, gutachten, untersuchung, beweislast, beschädigung)
Oberlandesgericht Köln, 18 U 248/93
Datum:
16.06.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
18. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 U 248/93
Schlagworte:
UNFALL; BEWEISLAST; INDIZIEN
Normen:
§ 7 StVG
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Ein Schadensersatzanspruch
des Klägers gem. § 7 Abs. 1 StVG oder § 823 BGB i.V.m. § 3 Nr. 1, 2 PflVersG gegen
die Beklagten aus dem Ereignis vom 21.12.1990 in K., L.-Platz besteht nicht. Denn es
spricht eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Kläger in den
Tatbestand der Rechtsgutverletzung durch den Beklagten zu 1) eingewilligt hat.
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Zwar ist davon auszugehen, daß der Beklagte zu 1) tatsächlich mit seinem Lkw VW LT
28 gegen die linke Seite des Pkw Jaguar des Klägers gestoßen ist. Denn der gerichtlich
beauftragte Sachverständige D. hat im einzelnen dargelegt, daß jedenfalls die
Beschädigung im unteren vorderen Bereich der Fahrertür, wie sie auf den Lichtbildern F
5 - 7 des Gutachtens zu erkennen ist, sehr wahrscheinlich auf den Anstoß durch den
Lkw zurückzuführen ist. Damit stimmt die Bekundung des Beklagten zu 1) als Partei vor
dem Landgericht überein, wonach er beim Zurücksetzen mit dem Lkw hinten rechts in
den Pkw gefahren ist, wobei er nach seiner Annahme die linke Türseite beschädigt hat.
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Das Gutachten D. ergibt jedoch auch, daß jedenfalls ein Teil der Schäden nicht durch
diesen Anstoß herbeigeführt worden ist. Das gilt für die Anstreifung der seitlichen
Verlängerung der Frontstoßstange und für die Beschädigung im vorderen Bereich des
hinteren linken Seitenteils knapp oberhalb der Schwelleroberkante. Das Gutachten des
Sachverständigen D. stimmt insoweit mit dem Gutachten des von der Beklagten zu 2)
beauftragten Sachverständigen S. überein, der die Beschädigungen am Pkw in ihrer
Gesamtheit dem rückwärtsfahrenden Lkw des Beklagten zu 1) nicht zuordnen konnte.
Auch der Beklagte zu 1) hat bei seiner Vernehmung nicht bekunden können, daß die
Schäden an der Frontstoßstange und am hinteren linken Seitenteil durch den Anstoß
verursacht worden sind.
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Ist danach nicht bewiesen, daß sämtliche Beschädigungen an der linken Fahrzeugseite,
die Eingang in die Schadensberechnung gefunden haben, durch den Anstoß verursacht
worden sind, so kann sich daraus bereits der Verdacht einer Manipulation zu Lasten der
Beklagten zu 2) ergeben.
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Auffällig ist ferner, daß das Unfallgeschehen für die beteiligten Fahrzeughalter ohne
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persönliches Risiko war. Der Pkw des Klägers war geparkt, in dem Fahrzeug befand
sich niemand. Der Beklagte zu 1) fuhr mit einem kleinen Lkw langsam rückwärts. Eine
Gefährdung seiner eigenen Person durch den rückwärtigen Anstoß war danach so gut
wie ausgeschlossen.
Das Unfallgeschehen ergibt klar und eindeutig die volle Haftung des Beklagten zu 1).
Denn wer beim Rückwärtsfahren gegen einen ordnungsgemäß am Straßenrand
geparkten Pkw stößt, ist in vollem Umfang schadensersatzpflichtig. Die Kollision mit
einem stehenden Fahrzeug ist die am leichtesten zu konstruierende Form des
Zusammenstoßes. Auch die dem Beklagten zu 1) zur Last fallende Unaufmerksamkeit
beim Rückwärtssetzen ist typisch für gestellte Unfälle.
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Der Unfall ereignete sich offenbar ohne Augenzeugen, obgleich er am Tage
nachmittags geschah und der L.-Platz in einem dicht bebauten Wohngebiet liegt. Der
Beklagte zu 1) rief zwar die Polizei herbei. Die Beamten haben eine Unfallaufnahme
jedoch abgelehnt, weil es sich nach ihrer Auffassung um einen Bagatellschaden
handelte, worauf die auf den Lichtbildern erkennbaren Beschädigungen auch
hindeuteten. Polizeiliche Feststellungen an Ort und Stelle, die Grundlage einer weiteren
Aufklärung des Geschehens hätten sein können, wurden damit nicht getroffen.
Entgegen der Meinung der Polizeibeamten, es handele sich um einen Bagatellschaden,
macht der Kläger einen Fahrzeugschaden von netto rund 8.300,00 DM geltend.
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Der Pkw des Klägers stellt ein relativ wertvolles Fahrzeug der sog. Luxusklasse dar. Es
handelt sich um einen Pkw Jaguar mit einer Leistung von 124 kw, der zwar bereits fast
14 Jahre alt war im Zeitpunkt des Unfalls, aber immerhin noch einen
Wiederbeschaffungswert von 20.000,00 DM hatte. Demgegenüber war der Lkw des
Beklagten zu 1) 12 Jahre alt und wies zum Teil erhebliche Rostschäden auf, wie die
Lichtbilder zeigten. Es ist ein typisches Anzeichen für gestellte Unfälle, daß das
Fahrzeug des Geschädigten relativ wertvoll ist, dasjenige des Schädigers hingegen
nicht. Denn die Beseitigung von Schäden an einem Pkw einer gehobenen
Fahrzeugklasse verursacht erfahrungsgemäß einen höheren Aufwand als bei Pkw
unterer Preisklassen. Der Lkw ist auch nicht instandgesetzt worden, der Beklagte zu 1)
hat ihn vielmehr zwischenzeitlich verkauft. Infolgedessen stand das Fahrzeug für eine
Rekonstruktion des Unfalls und für eine nähere Untersuchung, etwa auf Lackspuren
nicht mehr zur Verfügung.
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Der Kläger seinerseits hat seinen Pkw reparieren lassen, ohne zuvor der Beklagten zu
2) Gelegenheit zu einer Besichtigung zu geben. Zwar ist ein Geschädigter nicht
verpflichtet, der gegnerischen Haftpflichtversicherung eine eigene Untersuchung seines
Fahrzeugs zu gestatten. Ein solches Verhalten paßt aber in das Bild eines gestellten
Unfalls, weil dadurch der gegnerischen Haftpflichtversicherung die Möglichkeit zu einer
eigenen Überprüfung am Fahrzeug selbst genommen wird. Ein Geschädigter, der nichts
zu verbergen hat, hat normalerweise keinen Anlaß, der Haftpflichtversicherung des
Gegners die Besichtigung des Fahrzeugs durch einen Sachverständigen zu verweigern.
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Der Kläger hat sein Fahrzeug nicht entsprechend dem von ihm eingeholten
Schadensgutachten reparieren lassen, sondern, wie das Privatgutachten S. ergibt, nicht
sach- und fachgerecht instandsetzen lassen. Auch das kann darauf hindeuten, daß der
Kläger den Unfall verabredet hat, um bei Abrechnung auf Gutachtenbasis einen
möglichst hohen Geldbetrag zu erlangen, wenngleich der Senat nicht verkennt, daß der
Geschädigte in der Verwendung des ihm gem. § 249 Satz 2 BGB geschuldeten
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Betrages frei ist. Die notdürftige Reparatur führt andererseits dazu, daß eine nähere
Untersuchung des Pkw's etwa auf Alt- oder Vorschäden nicht mehr möglich ist, wodurch
die Aufklärung jedenfalls erschwert worden ist.
Weiteres Anzeichen für einen gestellte Unfall ist, daß der Lkw des Beklagten zu 1) erst
zwei Monate vor dem Unfall bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert worden ist, der
Beklagte zu 1) keinen Schadensfreiheitsrabatt hatte, ein solcher durch die
Einstandspflicht der Beklagten zu 2) für das Unfallereignis demzufolge auch nicht
verlorengehen konnte.
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Der Kläger hat schließlich in der Klageschrift vorgetragen, sein Pkw sei vor dem
Schadensfall unbeschädigt gewesen. Das von ihm vorgelegte Schadensgutachten
ergibt jedoch, daß jedenfalls an der rechten Türseite ein Schaden bereits vor dem Unfall
vorhanden war.
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Aufgrund der dargelegten Indiztatsachen scheidet ein Schadensersatzanspruch des
Klägers gegen die Beklagten aus. Es kann dahinstehen, ob wegen der besonderen
Anhäufung von Verdachtsmomenten der Beweis des ersten Anscheins für einen
gestellten Unfall spricht mit der Folge, daß es Sache des Klägers wäre, den gegen ihn
sprechenden Anschein einer Manipulation zu entkräften. Jedenfalls würde auch dann,
wenn den Beklagten ein Anscheinsbeweis nicht zugute käme, die Beweislast für die
Einwilligung des Klägers in die Rechtsgutverletzung also bei ihnen verbliebe, die
Häufung der für die Manipulation sprechenden Beweisanzeichen eine solche
Einwilligung ganz überwiegend wahrscheinlich machen. Zwar hat der Schädiger und
damit auch dessen Versicherer die volle Beweislast dafür, daß der vermeintliche
Unfallschaden auf einer mit der Einwilligung zur Beschädigung verbundenen
Absprache der Beteiligten beruht, jedoch setzt eine dahingehende
Überzeugungsbildung des Gerichts keine mathematisch lückenlose Gewißheit voraus.
Eine Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation kann insoweit ausreichen.
Dabei darf bei der Beweisführung durch Indizien nicht nur jedes Beweisanzeichen für
sich gewertet, sondern es muß eine Gesamtschau und Gesamtwürdigung aller
Umstände vorgenommen werden. Mit den aufgeführten Indizien wird bei der
erforderlichen Gesamtschau die notwendige erhebliche Wahrscheinlichkeit für die
Annahme begründet, daß der Unfall nicht ohne den Willen des Klägers stattgefunden
hat. Diese Überzeugung wird dadurch gestützt, daß es dem Kläger nicht gelungen ist,
die Beweisanzeichen in irgendeiner Weise zu entkräften.
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Danach hat das Landgericht zu Recht die Klage abgewiesen, so daß die Berufung
keinen Erfolg haben kann.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Streitwert der Berufung und Beschwer des Klägers: 17.042,42 DM
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