Urteil des OLG Köln vom 26.10.2009

OLG Köln (eintritt des schadens, schuldner, kenntnis, haftung, bank, belastung, gläubiger, schädigung, vorsätzlich, insolvenz)

Oberlandesgericht Köln, 13 U 132/09
Datum:
26.10.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 U 132/09
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 10 O 139/09
Tenor:
beabsichtigt der Senat, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des
Landgerichts Aachen vom 28.07.2009 (10 O 139/09) gemäß § 522 Abs.
2 ZPO zurückzuweisen.
Gründe:
1
Die zulässige Berufung hat nach dem gegebenen Sachstand keine Aussicht auf Erfolg.
Da die zugrunde liegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine
Entscheidung durch Urteil auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (vgl. § 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO),
soll über das Rechtsmittel durch Beschluss entschieden werden.
2
Das Landgericht hat die auf die Behauptung einer sittenwidrigen Schädigung gestützte
Klage mit Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die subjektiven
Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 826 BGB liegen bereits nach dem Vortrag
der Klägerin nicht vor.
3
1.
4
Es kann dahinstehen, ob der objektive Tatbestand des § 826 BGB durch den
Widerspruch der Beklagten gegen die Belastung ihres Kontos mit den
streitgegenständlichen Lastschriftbeträgen im vorliegenden Fall erfüllt ist.
5
a.
6
Das Lastschriftverfahren ist ein von der deutschen Kreditwirtschaft entwickeltes System
im bargeldlosen Zahlungsverkehr, das sich - wegen seiner Einfachheit und seiner
besonderen Eignung für eine elektronische Abwicklung vor allem in Form des
Einzugsermächtigungsverfahrens - zur erleichterten Abwicklung von massenhaften
Zahlungsvorgängen weitgehend durchgesetzt hat. Die Besonderheit des
Einzugsermächtigungsverfahrens besteht darin, dass der Gläubiger die Initiative zur
Bezahlung seiner Forderung ergreift, indem er seine Bank beauftragt, den Geldbetrag
einzuziehen. Diese leitet den Auftrag an die Schuldnerbank weiter, die den Betrag vom
Schuldnerkonto abbucht und der Gläubigerbank zuleitet, ohne dazu vom Schuldner eine
7
Weisung erhalten zu haben. Wegen dieser weisungslosen Belastung seines Kontos
steht dem Schuldner gegenüber der Schuldnerbank aus dem Girovertrag bis zu seiner
Genehmigung ein Widerspruchsrecht zu. Widerspricht der Schuldner, ohne zuvor
genehmigt zu haben, muss die Schuldnerbank die Buchung berichtigen. Sie kann die
Lastschrift im Interbankenverhältnis zurückgeben und von der Gläubigerbank deren
Wiedervergütung verlangen, wenn der Schuldner innerhalb von sechs Wochen nach
Belastung seines Kontos widerspricht. Die Gläubigerbank belastet sodann das
Gläubigerkonto wieder mit dem zuvor gutgeschriebenen Betrag und den
Rücklastgebühren
Aufgrund dieser Ausgestaltung des Verfahrens kann der Gläubigerbank im Falle eines
rechtzeitigen Widerspruchs ein Schaden entstehen, wenn das Gläubigerkonto zum
Zeitpunkt der Rückbelastung keine Deckung mehr aufweist und der Gläubiger nicht
mehr in der Lage ist, seiner Verpflichtung zur Rückzahlung des ihm gutgeschriebenen
Betrags gegenüber der Gläubigerbank nachzukommen. Dieses Schadensrisiko ist
allerdings nicht ohne weiteres zu missbilligen und durch die Gewährung von
Schadensersatzansprüchen auszugleichen. Es ist dem Lastschriftverfahren
grundsätzlich immanent, trägt dem notwendigen Schutz des Schuldners im
Einzugsermächtigungsverfahren Rechnung und wurde von den Kreditinstituten mit der
Einführung des Lastschriftverfahrens im Interesse der Erleichterung des massenhaften
Zahlungsverkehrs übernommen (vgl. zum Ganzen: BGH WM 2009, 1073 = NJW-RR
2009, 1207; BGHZ 177, 69, 73 f.; BGH NJW 1985, 847; BGHZ 74, 300; BGHZ 161, 49;
van Gelder, in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 3. Aufl., § 57 Rn. 5-
56d).
8
b.
9
Die Ausgestaltung des Lastschriftverfahrens darf allerdings nicht dazu ausgenutzt
werden, das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Gläubigers auf dessen Bank zu
verlagern. Das ist etwa dann der Fall, wenn Gläubiger und/oder Schuldner die
Widerspruchsmöglichkeit als Sicherungsinstrument einsetzen, um eine risikolose
Darlehensgewährung des Lastschriftschuldners an den Lastschriftgläubiger zu
ermöglichen (Lastschriftreiterei). Ein solches Vorgehen, bei dem der Gläubigerbank
faktisch die Rolle einer Bürgin aufgezwungen wird, ist mit dem Sinn und Zweck des
Lastschriftverfahrens nicht zu vereinbaren. Es erhöht die Wahrscheinlichkeit eines
Widerspruchs erheblich, was für die beteiligten Kreditinstitute mit besonderen, deutlich
über das mit dem Lastschriftverfahren zwangsläufig verbundene Risiko
hinausgehenden Gefahren verbunden ist (vgl. BGH WM 2009, 1073; BGHZ 74, 300; van
Gelder, aaO, § 56 Rn. 38; Staub/Canaris, HGB, 4. Aufl., Fünfter Band, Rn. 604). Ein
solches Vorgehen ist jedenfalls dann in aller Regel sittenwidrig und führt zu Ansprüchen
der geschädigten Bank nach § 826 BGB, wenn es (lediglich) der Erlangung von
Vorteilen wie der Kreditbeschaffung des Lastschriftgläubigers und der Erzielung von
Zinseinnahmen des Lastschriftschuldners dient.
10
c.
11
Über den Sonderfall der Lastschriftreiterei hinaus geht die Rechtsprechung davon aus,
dass allgemein ein Schuldner, der der Belastung seines Girokontos im
Einzugsermächtigungsverfahren zu dem Zwecke widerspricht, Zahlungen auf
begründete und von seiner Einziehungsermächtigung gedeckte Gläubigeransprüche
rückgängig zu machen, die er, wenn er sie überwiesen hätte, durch einen Widerruf der
12
Überweisung nicht mehr hätte rückgängig machen können, grundsätzlich die ihm seiner
Bank gegenüber zustehende Widerspruchsmöglichkeit zweckfremd ausnutzt und sich
gegebenenfalls schadensersatzpflichtig macht. Ein zweckfremdes Ausnutzen liegt aber
dann nicht vor, wenn der Schuldner anerkennenswerte Gründe für den Widerspruch hat,
etwa weil er überhaupt keine Einziehungsermächtigung erteilt oder den Gläubiger zwar
generell ermächtigt hat, aber den im Einzelfalle zum Einzug gegebenen
Lastschriftbetrag nicht schuldet. Denn der Inhaber eines Kontos, das von seiner Bank
wegen einer Lastschrift belastet worden ist, muss sich vor einem Missbrauch des
Verfahrens durch den Auftraggeber schützen können (BGH NJW 2005, 675; WM 2009,
1073).
2.
13
Ob die Beklagte im vorliegenden Fall solche anerkennenswerten Gründe im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hatte, ist zwischen den Parteien streitig (weil
die Klägerin in Abrede stellt, dass die Beklagte und die Gemeinschuldnerin die in der
Klageerwiderung im Einzelnen dargestellten Vereinbarungen zu den Voraussetzungen
der Inanspruchnahme der Finanzierungen getroffen und praktiziert haben), bedarf aber
keiner Sachaufklärung und Entscheidung. Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB
erfordert nämlich nicht nur das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen sittenwidrigen
Verhaltens des Anspruchsgegners in dem dargestellten Sinne, sondern darüber hinaus
die Feststellung, dass der Schädiger Kenntnis von den Tatumständen hatte (oder sich
dieser Kenntnis bewusst verschlossen hat), die sein Verhalten als sittenwidrig
erscheinen lassen (so ausdrücklich BGH in WM 2009, 1073, Tz. 15 des juris-Ausdrucks)
und entspricht den allgemein zu den subjektiven Voraussetzungen einer Haftung nach §
826 BGB entwickelten Grundsätzen (dazu Staudinger/Oechsler, Neubearbeitung 2003,
§ 826 BGB Rdn. 61; Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage, § 826
BGB Rdn. 26; Palandt/Sprau Kommentar zum BGB, 68. Auflage 2009 § 826 BGB Rdn.
10). Diese Kenntnis wiederum setzt nach einhelliger Auffassung voraus, dass der
Schädiger spätestens im Zeitpunkt des Schadenseintritts Art und Richtung des
Schadens und die Schadensfolgen vorausgesehen und gewollt oder jedenfalls, mag er
ihn auch nicht wünschen, billigend in Kauf genommen hat. Das erfordert, wie die
Klägerin mit der Berufungsbegründung richtig anführt, zwar weder das Bewusstsein der
Sittenwidrigkeit noch die Absicht einer Schädigung, andererseits genügt aber, weil der
Vorsatz sich nicht nur auf die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen, sondern
auch auf den Eintritt des Schadens erstrecken muss, eine nur allgemeine Vorstellung
über etwa mögliche Schädigungen nicht (BGH WM 2001, 1454, 1457).
14
Für Fälle der vorliegenden Art bedeutet das, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt
hat, dass eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung ausscheidet, wenn der die
Lastschrift Widerrufende weder von einer bereits eingetretenen noch von einer
bevorstehenden oder drohenden Insolvenz Kenntnis hatte, wie das hier unstreitig bei
der Beklagten der Fall war. Hatte, wie im vorliegenden Fall mangels
entgegenstehenden Vorbringens der Klägerin anzunehmen ist, die Beklagte mangels
Kenntnis von der schlechten wirtschaftlichen Lage der späteren Gemeinschuldnerin
nicht die Vorstellung, dass bei der Klägerin durch die praktizierte Art der Zahlung ein
Schaden eintreten könnte, handelte sie nicht vorsätzlich. Auf der Grundlage der
Rechtsauffassung der Klägerin würde das Risiko der Insolvenz des Geschäftspartners
des Widerrufenden schon bei einer für ihn zufällig eintretenden, nicht vorhergesehenen
bzw. nicht vorhersehbaren Zahlungsunfähigkeit auf den Lastschriftschuldner verlagert.
Dabei würde nicht beachtet, dass dieses Schadensrisiko – wie ausgeführt – dem
15
Lastschriftverfahren als solchem immanent ist und im Regelfall von der Gläubigerbank
zu tragen ist.
Die so bestimmte Reichweite der Haftung des Lastschriftschuldners stimmt mit den in
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entwickelten Grundsätzen überein. Aus
beiden von der Klägerin bereits in der Klageschrift angeführten Entscheidungen ergibt
sich bei richtigem Verständnis das Erfordernis eines so bestimmten – nämlich den
konkreten Insolvenzfall umfassenden - Vorsatzes des Lastschriftschuldners für eine
Haftung aus § 826 BGB.
16
Der Entscheidung des BGH vom 28.5.1979 (BGHZ 74, 300) lag der Widerspruch eines
Lastschriftschuldners zugrunde, der – anders als im vorliegenden Fall - erst nach dem
Eintritt der Insolvenz und in dessen Kenntnis erfolgt war. In diesem Zusammenhang hat
der BGH ausgeführt, dass ein Schuldner, der zu dem Zwecke gegen die Buchung
Widerspruch einlege, Zahlungen auf begründete und von seiner Einzugsermächtigung
gedeckte Gläubigeransprüche rückgängig zu machen, nicht in jedem Fall, sondern nur
dann sittenwidrig handele, wenn er mit dieser Handlung "vorsätzlich das Ausfallrisiko
der ersten Inkassostelle" zuschiebe.
17
In dem der Entscheidung vom 4.11.2004 (BGHZ 161, 49) zugrunde liegenden Fall ging
es um die mögliche Haftung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, der nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Lastschriftbuchung rückgängig gemacht hatte.
Der BGH hat dazu entschieden, dass der vorläufige Insolvenzverwalter mit
Zustimmungsvorbehalt berechtigt sei, die Genehmigung von Belastungsbuchungen im
Einzugsermächtigungsverfahren zu verhindern, auch wenn er sachliche Einwendungen
gegen die eingezogene Forderung nicht erhebe und seine Haftung aus § 826 BGB -
wiederum - einen auf das Insolvenzrisiko gerichteten Vorsatz erfordere
("Gegebenenfalls handelt er, wenn er damit vorsätzlich das Ausfallrisiko der ersten
Inkassostelle zuschiebt, dieser gegenüber sittenwidrig.").
18
Auf die Entscheidung des BGH vom 21.4.2009 (WM 2009, 1073) kann sich die Klägerin
schon deshalb nicht berufen, weil ihr die mit der vorliegenden nicht vergleichbare
Konstellation einer abgesprochenen Lastschriftreiterei zugrunde lag.
19
Danach steht fest: Die Haftung aus § 826 BGB in den Fällen eines behaupteten
Missbrauchs eines Lastschriftverfahrens kommt nur bei einem auch die Schädigung der
ersten Inkassostelle umfassenden Vorsatz in Betracht. Dieser scheidet aus, wenn – wie
im vorliegenden Fall – der Lastschriftschuldner von der Zahlungseinstellung, der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder zumindest von wirtschaftlichen Schwierigkeiten
des Gläubigers keine Kenntnis hatte.
20
3.
21
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer
Frist
Zugang dieses Beschlusses. Die Frist kann nur unter den Voraussetzungen des § 224
Abs. 2 ZPO oder mit Zustimmung des Gegners verlängert werden. Auf die Möglichkeit
einer kostensparenden Rücknahme der Berufung (KV Nr. 1220, 1222 zu § 3 Abs. 2
GKG) wird hingewiesen.
22
Köln, den 26.10.2009
23
Oberlandesgericht, 13. Zivilsenat
24