Urteil des OLG Köln vom 19.12.2001

OLG Köln: geschäftsplan, versicherungsnehmer, transparenzgebot, deregulierung, rückkaufswert, aufsichtsbehörde, gefahr, genehmigung, deckungskapital, avb

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Köln, 5 U 142/01
19.12.2001
Oberlandesgericht Köln
5. Zivilsenat
Urteil
5 U 142/01
Landgericht Köln, 23 O 506/98
Die Berufung des Klägers gegen das am 17. Januar 2001 verkündete
Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 506/98 - wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat
die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Zahlung von - jetzt noch
verlangten - 25.553,12 DM und noch auf Auskunft über eine Berechnung des
Rückkaufswertes ohne Zillmerung und ohne Berücksichtigung eines Abschlages sowie auf
Zahlung des sich nach der Auskunft ergebenden Restbetrages.
Der Kläger stützt sein Klagebegehen im Berufungsrechtzug in erster Linie darauf, dass die
hier einschlägige Regelung in § 4 Abs. 4 der AVB, die Gegenstand der im Jahr 1990
geschlossenen Lebensversicherungsverträge ist und wonach der Rückkaufswert dem
Deckungskapital abzüglich eines im Geschäftsplan festgelegten Abzugs entspricht, nach §
9 AGBG unwirksam sei. Die Regelung sei intransparent. Dem Versicherungsnehmer sei
der Geschäftsplan nicht zugänglich. Es werde ein rechtsfreier Raum geschaffen, in
welchem dem Versicherungsnehmer praktisch jede Nachprüfbarkeit genommen werde. Die
erforderliche Genehmigung der Aufsichtsbehörde sei insoweit kein Ersatz; der
Geschäftsplan sei auch nicht in den Vertrag einbezogen worden. Eine unangemessene
Benachteiligung liege darin, dass einem Versicherungsnehmer nicht verdeutlicht werde,
dass ihm bei einer Kündigung in den ersten Jahren wegen der Zillmerung und dem
Abschlag nach § 176 Abs. 4 VVG praktisch kaum ein nennenswerter Rückkaufswert
zustehe.
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Dem vermag sich der Senat nicht anzuschliessen. Der Kläger, der sich bei seinen
Ausführungen wesentlich auf die Grundsätze stützt, die der Bundesgerichtshof im Urteil
vom 9. Mai 2001 (VersR 2001, 841 ff.) entwickelt hat, verkennt, dass sich diese
Entscheidung auf hier nicht einschlägige Lebensversicherungsbedingungen, die in der
Versicherungswirtschaft erst nach der sog. Deregulierung - d.h. ab dem 29. Jui 1994 -
verwendet werden, bezieht. Mit der Neuregelung insbesondere des hier einschlägigen §
176 VVG hat sich aber die Art und Weise der Berechnung des Rückkaufswertes
maßgebend geändert. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Abzüge nach § 176 Abs. 3 und 4
VVG vom Rückkaufswert (Prämienreserve) nach einem im (zu genehmigenden)
Geschäftsplan festgelegten Abzug zu bestimmen (§ 4 Abs. 3 AVB). Diese Regelung gilt für
vor dem 29. Juli 1994 abgeschlossene Verträge fort (§ 11 c VAG). Diese Verweisung auf
den genehmigten Geschäftsplan genügt dem Transparenzgebot. Das hat der
Bundesgerichtshof im Urteil vom 23. November 1994 ausdrücklich bejaht (BGHZ 128, 54,
60 zur Verweisung auf die Grundsätze zur Überschußrückgewähr im Geschäftsplan).
Danach liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nicht schon immer dann vor, wenn
der Versicherungsnehmer keine oder nur erschwerte Möglichkeiten hat, ihn betreffende
Regelungen zu verstehen, auch wenn der Verwender von AGB nach diesem Gebort
gehalten sein mag, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und
durchschaubar darzustellen. Sinn des Transparenzgebotes ist es, der Gefahr vorzubeugen,
dass der Versicherungsnehmer von der Durchsetzung bestehender Rechts angehalten
wird. Erst in der Gefahr, dass der Versicherungsnehmer wegen unklar abgefasster AVB
seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von §
9 Abs. 1 AGBG (BGHZ 128, 54, 60, 61). Eine solche Gefahr hat der Bundesgerichtshof in
der bloßen Verweisung auf ein anderes Regelwerk in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
nicht gesehen. Maßgebend hierfür dürfte die - im damaligen Rechtsstreit auch vom
Berufungsgericht vertretene Auffassung - sein, dass der Versicherungsnehmer in seinen
durch § 9 AGBG geschützten Rechten durch die regelmäßige Überprüfung durch die
Aufsichtsbehörde hinreichend geschützt ist (BGH, aaO, S. 59 unten).
Für Lebensversicherungsverträge, die nach dem 28. Juli 1994 abschlossen worden sind,
ist die Ausgangssituation eine andere: Eine Genehmigung der Geschäftspläne ist nicht
mehr erforderlich. Dass nunmehr verstärkt dem Erfordernis der Transparenz Geltung
verschafft werden soll, ist nachvollziehbar und in der Sache berechtigt. Dies hat der
Bundesgerichtshof im Urteil vom 9. Mai 2001 auch ausgesprochen. Allerdings ist selbst
nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu verlangen, dass der
Versicherer seine Methoden zur Berechnung des Rückkaufswertes im einzelnen offen legt.
Tabellarische Übersichten über die garantierten Rückkaufswerte reichen grundsätzlich aus,
um dem Erfordernis der Transparenz zu genügen (aaO, S. 844). Dem
Versicherungsnehmer müssen nur etwaige Nachteile, die aus den verwendeten
Berechnungsmethoden folgen, verdeutlicht werden.
Dies zeigt: Dem Erfordernis der Transparenz wird für Lebensversicherungsverträge, die vor
der Deregulierung geschlossen worden, auf andere Weise Rechnung getragen als nach
der Deregulierung. Da es nach der Deregulierung an der Kontrolle der Geschäftspläne
durch die Aufsichtsbehörde fehlt, ist ein verstärkter Schutz des Versicherungsnehmers
durch erhöhte Anforderungen an die Transparenz der Regelungen über die
Rückkaufswerte erforderlich. Die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof in seinem Urteil
vom 9. Mai 2001 aufgestellt hat, können mithin nicht auf Verträge, für die das alte Recht
weiter gilt, übertragen werden. Hierfür sind weiterhin die Grundsätze maßgebend, die der
Bundesgerichtshof im Urteil vom 23. November 1994 aufgestellt hat. Diese gelten
gleichermaßen auch für die Bestimmungen über Rückkaufswerte (OLG Düsseldorf, VersR
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1993, 556): Das Transparenzgebot ist eingehalten. Die Verweisung auf den Geschäftsplan
ist wirksam. Der Geschäftsplan als solcher ist nicht in den Vertrag einbezogen, und
unterliegt deshalb auch keiner Inhaltskontrolle (OLG Düsseldorf, aaO).
Darüber hinaus dürften im vorliegenden Fall selbst die strengeren Anforderungen an das
Transparenzgebot, die der Bundesgerichtshof im Urteil vom 9. Mai 2001 aufgestellt hat,
erfüllt sein. Den Lebensversicherungsverträgen war eine vom Kläger selbst vorgelegte
Tabelle (als "Beilage zum Versicherungsschein für kapitalbildende
Lebensversicherungen") beigefügt, aus der sich deutlich ergibt, dass die Rückkaufswerte in
den ersten Jahren sehr gering sind und teilweise bei "0" liegen. Dass der Kläger vor
Abschluß der Verträge von diesen Tabellen nicht in zumutbarer Weise Kenntnis nehmen
konnte, ist nicht dargetan. Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall,
wonach in den dortigen AGB geregelt war, dass sich der Rückkaufswert "nach anerkannten
Regeln der Versicherungsmathematik berechneten Deckungskapital zum
Kündigungszeitpunkt, vermindert um einen als angemessen angesehenen Abzug"
berechnet, ist im vorliegenden Fall der im Geschäftsplan festgelegte Abschlag vom
Deckungskapital maßgebend, hinsichtlich dessen - wie dargelegt - ein zureichender
Schutz des Versicherungsnehmers durch die Genehmigung des Geschäftsplanes erzielt
wird. Dass im übrigen die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne weiteres
auch auf "Altverträge" zu übertragen ist, ist weder der Entscheidung selbst noch den
bislang hierzu ergangenen Stellungnahmen (Schwintowski, NVersR 2001, 337 ff. = VuR
2001, 304 ff.; Präve, VersR 2001, 846 ff.) zu entnehmen. Auch das Bundesaufsichtsamt für
das Versicherungswesen hat sich in entsprechender Weise geäußert (VerBAV 2001, 251).
Soweit der Kläger schließlich Einwendungen gegen die Begutachtung durch den
Sachverständigen Prof. H. erhebt, zwingt dies nicht zu einer weiteren Sachaufklärung.
Substantiierte Einwände gegen die Berechnung sind nicht vorgebracht worden. Im übrigen
hat auch eine Prüfung durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen keine
Beanstandung ergeben.
Zur Zulassung der Revision sieht der Senat keine Veranlassung. Die maßgebenden
Rechtsfragen zur Wirksamkeit der hier in Rede stehenden Klausel sind durch das Urteil
des Bundesgerichtshofs vom 23. November 1994 geklärt worden.
Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer des Klägers: 35.553,52 DM
(s. Senatsbeschluss vom 3. August 2001)