Urteil des OLG Köln vom 16.02.1994
OLG Köln (stgb, gefahr, gefährdung, strafkammer, nötigung, grund, zeuge, fahrer, schuldspruch, stpo)
Oberlandesgericht Köln, Ss 40/94 -24-
Datum:
16.02.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 40/94 -24-
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
Aachen zurückverwie-sen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Nöti-gung in Tateinheit mit
gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (§§ 240, 315 b Abs. 1 Nr. 2, 52 StGB) zu
einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 55,00 DM verurteilt. Zugleich hat es ihm
die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein einge-zogen und angeordnet, daß
vor Ablauf von sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe (§§ 69,
69 a StGB). Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe
verworfen, daß die Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis auf vier
Monate ermäßigt worden ist. Im Schuldspruch hat die Strafkammer das erstin-
stanzliche Urteil klarstellend dahin neu gefaßt, daß der Angeklagte des vorsätzlichen
gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung (§§ 315 b
Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4, 240, 52 StGB) schuldig ist.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts soll der Angeklagte, der am 4. Februar
1993 gegen 19.00 Uhr mit einem Pkw die B... im Bereich der Gemeinde D. befuhr,
absichtlich und ohne verkehrsbedingten Grund scharf abgebremst haben, um den mit
einer Geschwindigkeit von ca. 35 km/h hinter ihm fahren-enden, voll beladenen, vom
Zeugen E. gesteuerten Silolastzug mit einer zulässigen Gesamtgewicht von 33,5 t zu
einer Vollbremsung zu zwingen. Mit diesem Manöver habe der Angeklagte den Lkw-
Fahrer disziplinieren wollen, weil dieser sich nicht ange-schickt habe, unter
Benutzung des Seitenstreifens weiter rechts zu fahren und dadurch das Überholen zu
erleichtern. Der Lkw stieß gegen das Heck des Pkw. Dadurch trugen beide
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Fahrzeuge Schäden davon. Der Zeuge E. erlitt bei der Kollision eine leichte
Knieverletzung.
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Zur Gefährdung im Sinne von § 315 b StGB wird im Berufungsurteil ausgeführt:
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"Bei Anwendung der gebotenen, ihm möglichen und zumutbaren Sorgfalt hätte der
Angeklagte erken-nen können und müssen, daß er durch das grund-lose
Abbremsen die Gefahr eines Auffahrunfalls heraufbeschwor und eine Kollision mit
mögli-cherweise erheblichen Schadensfolgen nur dann abgewendet werden
konnte, wenn es dem Zeugen E. gelang, den Lastzug rechtzeitig zum Stehen zu
bringen bzw. auf die Geschwindigkeit des Perso-nenwagens abzubremsen."
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An anderer Stelle heißt es dort:
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"Der Angeklagte hat sich des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den
Straßenverkehr (§§ 315 b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4, 11 Abs. 2 StGB) in Tateinheit
mit Nötigung (§§ 240, 52 StGB) schuldig gemacht. Bei Beachtung der gebotenen
und ihm zumutbaren Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können und müssen,
daß er durch das willkürliche Abbremsen seines Perso-nenwagens die Gefahr einer
erheblichen Kolli-sion mit dem nachfolgenden Lastzug hervorrief, deren
Abwendung er - der Angekalgte - allein dem Zeugen E. überließ."
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Damit hat die Strafkammer in bezug auf die Tathand-lung des § 315 b Abs. 1 Nr. 2
StGB Vorsatz, hin-sichtlich der dadurch verursachten Gefahr jedoch nur
Fahrlässigkeit (§§ 11 Abs. 2, 315 b Abs. 4 StGB) an-genommen.
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Gegen das Urteil richtet sich die Revision des Ange-klagten mit der Sachrüge.
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Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO
zur Aufhebung des an-gefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sa-che an
die Vorinstanz.
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Der Schuldspruch wegen tateinheitlich begangenen gefährlichen Eingriffs in den
Straßenverkehr hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Annahme eines gefährlichen
Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB (Hindernisbereiten)
wird von den Feststellungen nicht getragen.
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Die Anwendung des § 315 b StGB auf das Verhalten von Verkehrsteilnehmern im
fließenden Verkehr setzt voraus, daß der Täter einen "verkehrsfeindlichen" Eingriff
vornimmt. Verkehrsfeindlich handelt derje-nige, der sein Fahrzeug bewußt
zweckwidrig gebraucht und zweckfremd als Werkzeug der Gefährdung einsetzt (vgl.
Senat NZV 1991, 319 = VRS 81, 110, VRS 82, 30 und 39; ständige
Senatsrechtsprechung). Da für die Anwendung des § 315 b StGB auf
Verkehrsteilneh-mer die bewußte Verkehrsfeindlichkeit entscheidend ist, ist es kaum
denkbar, daß die Tathandlung des § 315 b Abs. 1 StGB vorsätzlich, die Verursa-
chung der Gefahr nach § 315 b Abs. 4 StGB i.V.m. § 11 Abs. 2 StGB aber nur
fahrlässig verwirklicht wird (vgl. zu § 315 b Abs. 1 Nr. 3: Senat a.a.O.). Kann dem
Täter bezüglich der Gefahr nur Fahrläs-sigkeit vorgeworfen werden (§ 315 b Abs. 4
StGB), dann heißt dies auch im Rahmen des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB
(Hindernisbereiten), daß er eben nicht "bewußt verkehrsfeindlich" gehandelt hat (vgl.
Se-natsentscheidung vom 6. September 1991 - Ss 396/91 und vom 26. November
1991 - Ss 530/91 -).
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Nach diesen Grundsätzen kann die Verur-teilung wegen gefährlichen Eingriffs nach §
315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB hier keinen Bestand haben. Die Feststellungen ergeben
nicht, daß der Angeklag-te mit "Gefährdungsvorsatz" (vgl. Lackner, StGB, 20. Aufl., §
15 Rn. 28) gehandelt hat. Das Landge-richt hat nicht festgestellt, daß der Angeklagte
durch die Vollbremsung bewußt einen Unfall habe herbeiführen wollen. Angesichts
der beträchtlichen Größen- und Gewichtsunterschiede beider Fahrzeuge, die einen
Auffahrunfall für den Angeklagten selbst ersichtlich zu einem unkalkulierbaren Risiko
gemacht hätten, wäre eine solche Annahme eher fernliegend und bedürfte jedenfalls
näherer Begründung. Demge-genüber ist die Strafkammer davon ausgegangen, daß
der Angeklagte den Zeugen E. durch Ausbremsen habe disziplinieren wollen. Wenn
aber der Anbeklagte bezüglich der Gefährdung nicht einmal mit bedingtem Vorsatz
handelte, kann sein Verhalten auch nicht als "bewußt verkehrsfeindlich" gewertet
werden (vgl. Se-natsentscheidungen a.a.O.).
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Bereits aus diesem Grund ist die angefochtene Entcheidung aufzuheben. Die
Aufhebung erfaßt glei-chermaßen die tateinheitliche Verurteilung wegen Nötigung;
insoweit ist der Schuldspruch untrennbar (vgl. KK-Ruß, StPO, 3. Aufl., § 318 Rn. 6
m.w.N.). Es ist nicht auszuschließen, daß unter Beachtung der vorstehenden
Grundsätze insgesamt ausreichen-de Feststellungen, zumindest zu § 240 StGB,
noch getroffen werden können. Deshalb ist die Sache ge-mäß § 354 Abs. 2 StPO an
die Vorinstanz zurückzuver-weisen.
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Ergänzend wird bemerkt:
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Sollte das neue Tatgericht ebenfalls zu einer Verur-teilung gelangen, wird im
Rahmen der Beweiswürdigung zu erörtern sein, ob und inwieweit die Selbstgefähr-
dung, die ein Pkw-Fahrer beim "Ausbremsen" eines so schweren Sattelschleppers
notwendig auf sich nehmen würde, dieser Deutung seines Verhaltens entgegen-
stehen könnte. Ferner darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Zeuge E., der auf
den Pkw des Ange-klagten aufgefahren ist, ein Interesse daran haben könnte, durch
seine Aussage eigene Schuld am Unfall auf den Angeklagten abzuwälzen. Deshalb
wird sich die Beweiswürdigung mit diesem Gesichtspunkt eben-falls
auseinanderzusetzen haben. Schließlich wird zu erörtern sein, ob der Zeuge E. aus
seiner Position im Führerhaus des LKW überhaupt Hand- und Armbewe-gungen des
Angeklagten, mit denen er dem Zeugen E. Zeichen gegeben haben soll, beobachten
konnte. Ein LKW-Fahrer kann aus seiner erhöhten Position nicht ohne weiteres
Handzeichen des Fahrers eines vor ihm fahrenden PKW`s erkennen. Sofern eine
Verurteilung nach § 315 b Abs. 1 StGB mangels vorsätzlicher Her-beiführung der
Gefährdung nicht in Betracht kommt, sind die Voraussetzungen des § 315 c Abs. 1
Nr. 2 b, Abs. 3 Nr. 1 StGB zu prüfen, sofern festgestellt werden kann, daß zum
Zeitpunkt des scharfen Abbrem-sens der Überholvorgang des Angeklagten noch
nicht abgeschlossen war, was angenommen werden kann, wenn der Überholende
den Überholten noch nicht so hinter sich gelassen hat, daß dieser die Fahrt
unbehindert fortsetzen kann, wie wenn er nicht überholt wor-den wäre (vgl.
Senatsentscheidungen vom 30.10.1990 - Ss 504/90 -; vom 26.11.1991 - Ss 530/91 -;
Schönke/Schröder-Cramer, StGB, 24. Aufl., § 315 c Rn. 17 b m.w.N.).
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