Urteil des OLG Köln vom 02.02.2001
OLG Köln: persönliche ansprache, einstweilige verfügung, aufdringliche werbung, objektive klagenhäufung, versicherung, entziehen, form, erlass, kontaktaufnahme, vollstreckung
Oberlandesgericht Köln, 6 U 112/00
Datum:
02.02.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 112/00
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 81 O 105/00
Tenor:
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 07.07. 2000
verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Köln - 81 O 105/00 - teilweise abge- ändert und insgesamt wie folgt neu
gefasst: Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom
18.05.2000 in der Fassung des Beschlusses vom 25.05.2000 - 81 O
105/95 - wird insoweit bestätigt, als der Antragsgegnerin damit bei
Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM untersagt
worden ist, im Rahmen der Akquise von Pre-Selection-Kunden auf
öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten, in Einkaufszentren,
Warenhäusern oder Geschäftspassagen auf Passanten zuzugehen und
sie individuell anzu- sprechen oder ansprechen zu lassen. Im
weitergehenden Umfang werden die einstweilige Verfügung aufgehoben
und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag vom 15.05.2000 insoweit
zurück- gewiesen. Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens
in beiden Instanzen werden der Antragstellerin mit 1/4, der
Antragsgegnerin mit 3/4 auferlegt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Die in formeller Hinsicht einwandfreie und insgesamt zulässige Berufung der
Antragsgegnerin hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
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Sie führt lediglich in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang zur Abänderung
des die einstweilige Verfügung bestätigenden angefochtenen Urteils. Denn soweit der
Antragsgegnerin mit dieser im Beschlusswege erlassenen einstweiligen Verfügung die
Akquise von Pre-Selection Kunden durch gezielte und individuelle Ansprache von
Passanten in Bahnhöfen und öffentlichen Verkehrsmittel untersagt worden ist, stellt sich
dies mangels insoweit bestehender Begehungsgefahr als zu weitgehend dar. Im
übrigen steht der Antragstellerin indessen ein gegen die dargestellte Form der
Kundenwerbung an öffentlichen Orten gerichteter Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG
unter dem Gesichtspunkt der Belästigung zu und hat das Landgericht die diesen
Anspruch titulierende Beschlussverfügung insoweit daher zu Recht bestätigt.
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Soweit sich das Unterlassungsbegehren gegen die streitbefangene Form der
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Kundenwerbung auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten sowie in Einkaufszentren,
Warenhäusern oder Geschäftspassagen richtet, hat die Antragstellerin in einer für den
Erlass und die Aufrechterhaltung der begehrten einstweiligen Verfügung ausreichenden
Weise die tatsächlichen Voraussetzungen sowohl des geltend gemachten
Verfügungsanspruchs als auch der Verfahrensanforderungen glaubhaft gemacht,
welche die prozessuale Durchsetzung dieses Anspruchs als zulässig erachten lassen.
Denn das erwähnte Verhalten der Antragsgegnerin ist nach den Maßstäben des § 1
UWG unter dem Gesichtspunkt der Kundenbelästigung als wettbewerbswidrig
einzuordnen und gewährt der Antragstellerin einen Unterlassungsanspruch, den sie
zulässigerweise im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Verfügung geltend
machen kann.
I.
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1. Die Antragstellerin kann sich auf den für die Zulässigkeit des Verfügungsbegehrens
vorauszusetzenden Verfügungsgrund der Dringlichkeit berufen. Entgegen der Ansicht
der Antragsgegnerin ist die zu Gunsten der Antragstellerin greifende
Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG im Streitfall nicht widerlegt.
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Soweit die Antragsgegnerin einwendet, die Antragstellerin habe schon weit vor
Einreichen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (17.05.2000) Kenntnis
des vorliegend angegriffenen Werbeverhaltens erlangt, überzeugt das nicht.
7
Aus der den Vorfall "P." betreffenden Abmahnung der
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Antragstellerin vom 14.03.2000 (Anlage AG 1 a zum Schriftsatz der Antragsgegnerin
vom 06.06.2000) ergibt sich diese Kenntnis nicht. Denn nach der der genannten
Abmahnung zugrundeliegenden - allerdings nicht im vollständigen Wortlaut vorgelegten
- eidesstattlichen Versicherung des T. P. vom 04.03.2000 bzw. den daraus von der
Antragstellerin zitierten Stellen (vgl. 52 d.A.), deren Richtigkeit die Antragsgegnerin nicht
bestreitet, lag die Vorgehensweise der Antragsgegnerin bzw. ihrer Werber in jenem Fall
anders. Denn dort war es Herr P., der den für die Antragsgegnerin tätigen Werbern das
Interesse am beworbenen Angebot signalisiert hatte, was für die wettbewerbsrechtliche
Beurteilung von maßgeblicher Bedeutung ist. Der hier angegriffene Wettbewerbsverstoß
ergibt sich nämlich gerade daraus, dass Passanten/Kunden ohne ihren Willen einer
gezielten und werblichen Ansprache ausgesetzt werden, mit der sie weder rechnen
noch nach den Umständen rechnen müssen. Der den Vorwurf der
Wettbewerbswidrigkeit begründende beanstandungswürdige Aspekt dieses Verhaltens
liegt in der Belästigung der Kunden, die ohne ihren Willen in eine Situation verstrickt
werden, die sie dazu zwingt, sich plötzlich und unvorbereitet mit einem Angebot
befassen zu müssen, dem sie sich andernfalls unter den gegebenen Umständen nicht
zugewandt hätten und der sie sich - gerade wegen des persönlichen Kontaktes mit dem
Werber - häufig nur dadurch zu entziehen können glauben, indem sie sich zum
Vertragsschluss bereit finden. Vor diesem Hintergrund kann das individuelle
Ansprechen von Passanten allerdings dann zulässig sein, wenn diese durch ihr
Verhalten erkennen lassen, dass sie sich für das Angebot des Werbenden interessieren
und mit ihm durch die Herstellung eines persönlichen Kontakts in Verbindung treten
wollen (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Auflage, Rdn. 60/61 zu § 1
UWG; Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 2. Auflage, 50. Kapitel, Rdn. 36/38;
Köhler/Piper, UWG, Rdn. 19 zu § 1 UWG - jeweils m.w.N.). Eben letzteres ergibt sich
aber nach der in der beigezogenen Akte 81 O 67/00 (LG Köln) enthaltenen
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eidesstattlichen Versicherung des Herrn T. P. sowie dem dortigen Sachvortrag der
Antragstellerin, wonach "der Kunde ...P. zu einem Beratungsstand..." gegangen sei (vgl.
Bl. 3, 16 d.A. 81 O 67/00 LG Köln). Konsequenterweise hat die Antragstellerin in bezug
auf das Verhalten der Antragsgegnerin gegenüber Herrn P. lediglich Verstöße gegen
das Irreführungsverbot verfolgt, weil diesem gegenüber inhaltlich unzutreffende
Angaben über das beworbenen Pre-Selection-Angebot gemacht worden seien sowie
mit der Bemerkung, es handele sich lediglich um eine "Registrierung" ein
Auftragsformular der Antragsgegnerin überreicht worden sei. Dies alles belegt, dass die
Antragstellerin mit der Kenntnis des Verhaltens der Antragsgegnerin gegenüber Herrn
T. P. nicht zugleich auch die Kenntnis der unter dem Gesichtspunkt des unlauteren
Kundenanreißens durch Belästigung im vorliegenden Verfahren beanstandeten
Werbemethode erhalten hat.
Soweit die Antragsgegnerin ferner einwendet, die Antragstellerin hätte durch
verschiedene, im Zeitraum von Juli 1999 bis Februar 2000 erschienene
Presseveröffentlichungen Kenntnis der hier angegriffenen Werbemethode erhalten
können, rechtfertigt das keine abweichende Wertung. Denn den als Anlagen AG 2 - AG
5 vorgelegten Beiträgen lässt sich lediglich entnehmen, dass die Antragsgegnerin ihr
Pre-Selection-Angebot im Wege des Direktvertriebs - "zum überwiegenden Teil durch
Straßenverkauf" - bewirbt und absetzt. In welcher konkreten Form bei diesem
Straßenverkauf und sonstigen Direktvertrieb vorgegangen wird bzw. dass die Werber
dabei konkret wie im vorliegenden Verfahren beanstandet handeln, geht aus diesen
Presseveröffentlichungen indessen nicht hervor.
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Dass die Antragstellerin von dem im vorliegenden Verfahren konkret angegriffenen
Verhalten der Antragsgegnerin gegenüber Herrn K.-H. Pö., wie es in dessen
eidesstattlicher Versicherung vom 14.04.2000 dokumentiert ist, schon in einer
dringlichkeitsschädlichen Zeit positive Kenntnis erlangt hätte, ist weiter ebenfalls nicht
ersichtlich. Zwar trägt die Antragstellerin nicht vor, wann sie erstmals von Herrn Pö. über
die hier zu beurteilende Werbemethode der Antragsgegnerin Kenntnis erhielt. Auch fällt
es auf, dass Herr Pö. seiner eidesstattlichen Versicherung zufolge noch am 03.03.2000
bei der Antragstellerin angerufen haben will, um sich dort über die im Rahmen des
Verkaufsgesprächs durch den Werber der Antragsgegnerin behaupteten
unternehmerischen Verbindungen zwischen den Parteien zu informieren, woraufhin er
"bei der T. ... um diese Stellungnahme gebeten" worden sei. Danach liegt es jedoch
nicht fern, dass Herr Pö. den Sachverhalt erst in der offenkundig auf diese Aufforderung
hin erstellten eidesstattlichen Versicherung vom 14.04.2000 umfassend darstellte und
erst darin das Vorgehen der Werber der Antragsgegnerin in dem das Kundengespräch
des beanstandeten Inhalts anbahnenden Stadium schilderte. Hierfür spricht der
Umstand, dass Anlass des von Herrn Pö. am 03.03.2000 geführten Telefonats die Frage
war, ob T. und O. tatsächlich - wie in dem Werbegespräch behauptet - in einem Konzern
wie Mutter und Tochter miteinander verbunden seien. Dies spricht dafür, dass Herr Pö.
in dem Telefonat nur den Inhalt des fraglichen Gesprächs, nicht aber auch die in diesem
Zusammenhang nicht interessierende Gesprächsanbahnung erwähnte. Hat die
Antragstellerin aber erst durch die eidesstattliche Versicherung des Herrn Pö. vom
14.04.2000 Kenntnis des Sachverhalts erlangt, der Gegenstand der hier vorgetragenen
wettbewerblichen Beanstandung ist, ist die Dringlichkeitsvermutung nicht widerlegt. Die
Antragstellerin hat den in diesem Sachverhalt gesehenen Wettbewerbsverstoß in
dringlichkeitsunschädlicher Zeit mit Schreiben vom 04.05.2000 abgemahnt und -
nachdem die Antragsgegnerin unter dem Datum des 09.05.2000 nur eine diesen
Verstoß aussparende Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hatte - durch
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Einreichen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung am 17.05.2000
gerichtlich verfolgt.
Die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG ist schließlich aber ebenfalls nicht
widerlegt, soweit die Antragstellerin ihr Unterlassungsbegehren erstmals in der
Berufungserwiderung vom 30.11.2000 auch auf den durch Vorlage der eidesstattlichen
Versicherung der Frau T. St. vom 05.09.2000 glaubhaft gemachten Vorfall im September
2000 in der Fußgängerzone der B. Innenstadt sowie u.a. darauf stützt, dass Herr
Rechtsanwalt R. am 01.09.2000 auf einem Straßenfest wie im vorliegenden Verfahren
beanstandet gezielt und individuell von einem Werber der Antragsgegnerin
angesprochen worden sei. Der Umstand, dass die Antragstellerin diese Vorfälle nicht
bereits zu einem früheren Zeitpunkt zur Begründung des Unterlassungsbegehrens
verfolgt hat, erklärt sich zwanglos daraus, dass sie mit der durch das angefochtene Urteil
einschränkungslos bestätigten Beschlussverfügung bereits einen die beanstandete
Form der Kundenwerbung u.a. auch auf öffentlichen Straßen und Plätzen
untersagenden Verbotstitel in Händen hielt, obwohl sie lediglich zwei Vorfälle der
gezielten und individuellen Ansprache von Passanten innerhalb eines Kaufhauses
vorgetragen und glaubhaft gemacht hatte. In dieser Situation konnte die Antragstellerin
nicht nur davon ausgehen, dass sie die hier in Rede stehenden, nachträglich in das
Verfahren eingeführten Vorfälle durch Vollstreckung der bereits vorliegenden
Verbotsverfügung ahnden kann und daher keines weiteren Unterlassungstitels bedarf,
sondern sie musste für den Fall der Beantragung einer weiteren einstweiligen
Verfügung den Einwand der bereits rechtskräftig entschiedenen Sache, jedenfalls aber
den des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses gewärtigen. Erstmals in der
Berufungsbegründung ist darauf hingewiesen worden, dass die zur Begründung des
Verbotsantrags in erster Instanz vorgetragenen und glaubhaft gemachten Vorfälle in der
M.-Kaufhalle in L. keinesfalls das umfassende, von der Antragstellerin aber beantragte
Verbot der beanstandeten Form der Kundenwerbung außerhalb von Kaufhäusern auch
auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten usw. trage, mithin der Antrag insoweit
jedenfalls in der Sache zu weit gehe. Daraufhin hat die Antragstellerin in ihrer
Berufungserwiderung die vorbezeichneten Vorfälle einer Kundenwerbung durch
gezielte und individuelle Ansprache auch im öffentlichen Raum außerhalb von
Kaufhäusern in das Verfahren eingeführt. Die dargestellten Besonderheiten der
Prozessentwicklung würdigend, liegt daher in dieser erstmaligen Geltendmachung der
Vorfälle aus September 2000 keine die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG
widerlegende zögerliche und verschleppende Rechtsverfolgung, die offenbarte, dass es
der Antragstellerin in Wirklichkeit mit dem Verbot nicht so eilig ist, als dass sie diese
nicht in einem Hauptsacheverfahren erwirken könnte.
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Soweit durch die Geltendmachung dieser Vorfälle, mit der die Antragstellerin eine
zusätzliche Begründung des erstinstanzlichen Antrags insoweit vornehmen will, als
dieser sich u.a. auf öffentliche Straßen, Plätze, Märkte etc. außerhalb von
Warenhäusern erstreckt, der Streitgegenstand erweitert wird, mithin darin eine nach den
Voraussetzungen der Klageänderung zu beurteilende objektive Klagenhäufung liegt
(vgl. Zöller/Greger, ZPO, 22. Auflage, Rdn. 2 zu § 263 ZPO), ist diese als sachdienlich
zu erachten und daher zulässig (§§ 523, 263 ZPO). Denn der bisherige Prozessstoff
kann unverändert auch zur Entscheidung des neu in das Verfahren eingeführten
Sachverhalts verwertet werden, wobei die Zulassung des neuen Streitstoffes der
umfassenden Erledigung der in bezug auf die hier fragliche Werbemethode der
Antragsgegnerin diskutierten Streitpunkte dient.
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2. Dem Verfügungsbegehren ist weiter auch nicht etwa das allgemeine
Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen, weil die Antragstellerin mit dem im Verfahren 81
O 67/00 LG Köln erwirkten Titel bereits einen Verbotssausspruch in Händen hielte,
mittels dessen Vollstreckung sie die Unterlassung des hier beanstandeten Verhaltens
auf einfacherem Wege erreichen könnte (vgl. näher: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche
Ansprüche, 7. Aufl., 22. Kap. Rdn. 7 und 57. Kap. Rdn. 16 ff/16 c). Dabei kann es
dahinstehen, ob dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht bereits das
Prozesshindernis der anderweitigen Rechtskraft entgegenstünde. Denn da in dem
erwähnten Verfahren andere Verhaltensweisen der Antragsgegnerin angegriffen
wurden, mithin eine Identität der Streitgegenstände nicht vorliegt, konnte das hier
beanstandete Verhalten nicht implizit Gegenstand der Prüfung in jenem
Erkenntnisverfahren sein und fällt es daher auch nicht unter dem Kern des dort titulierten
Verbots. Die Unterlassung der hier beanstandeten Verhaltensweise kann folglich nicht
durch Vollstreckung des in dem Verfahren 81 O 67/00 LG Köln erwirkten Verbotstitels
einfacher durchgesetzt werden, so dass der Antragstellerin für den vorliegenden Antrag
ein Rechtschutzbedürfnis zur Seite steht. Aus dem nämlichen Grund liegt im Ergebnis
auch nicht das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtskraft vor.
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3. Der Zulässigkeit des prozessualen Vorgehens der Antrag-
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stellerin steht schließlich auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs unter dem
Gesichtspunkt der "Mehrfachverfolgung" (§ 13 Abs. 5 UWG, vgl. näher
Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 53 zu § 13 UWG) entgegen. Dieser Einwand
scheitert im Streitfall schon daran, dass nicht ersichtlich ist, dass die Anragstellerin zu
dem Zeitpunkt, als sie das Verfahren 81 O 67/00 beim Landgericht Köln eingeleitet hat,
bereits Kenntnis des vorliegend streitgegenständlichen Wettbewerbsverstoßes hatte.
Der Vorwurf einer nach Maßgabe von § 13 Abs. 5 UWG rechtsmissbräuchlichen
"Salami-Taktik" setzt aber in jedem Fall voraus, dass der Verletzte ihm bekannte
Verbotsmöglichkeiten nicht ausschöpft, sondern kostenerhöhend "scheibchenweise"
mehrere Anträge stellt, die in einem Verfahren hätten gebündelt werden können.
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II.
17
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist in dem sich aus dem Urteilstenor
ergebenen Umfang auch begründet.
18
Die Antragsgegnerin hat sich, indem sie Herrn Pö. wie in dessen eidesstattlicher
Versicherung geschildert in der M.-Kaufhalle in L. ansprach, nach Maßgabe von § 1
UWG unter dem Aspekt der Belästigung von Kunden durch Anreißen wettbewerbswidrig
verhalten.
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Anreißen bedeutet die Belästigung von Kunden durch aufdringliche Werbung. Zwar ist
jede Werbung darauf ausgerichtet, auf Kunden einzuwirken, sie anzulocken und
zugunsten des Werbenden zu beeinflussen, womit unvermeidbar ein gewisses Maß an
Belästigung verbunden ist. Die Grenze zur nicht mehr hinnehmbaren und als
wettbewerbswidrig zu qualifizierenden Werbung ist jedoch dort überschritten, wo ein
Grad an Aufdringlichkeit erreicht ist, der dem Umworbenen eine ruhige sachliche
Prüfung unmöglich macht. Denn dann droht die Gefahr, dass der Umworbene sich nur
dadurch aus der für ihn als lästig und unangenehm empfundenen Situation glaubt
befreien zu können, dass er dem Druck nachgibt, um so den Werber loszuwerden. Eine
solches Anreißen von Kunden widerspricht den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs
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und ist als wettbewerbsfremd zu erachten, wobei es unerheblich ist, ob die Kunden
durch die unangemessen aufdringliche Werbemethode überrumpelt werden. Das
Unlauterkeitsmoment liegt hier nicht in der Überrumpelung und ihren Folgen, sondern in
der Belästigung an sich. Denn es geht hier letztlich um die Wahrung der
Individualsphäre der Umworbenen und ihre Freiheit, einem gewerblichen Angebot ihre
Aufmerksamkeit zu schenken oder sich mit anderen Dingen zu befassen, die unter
Abwägung des Interesses des Werbenden an freier gewerblicher Entfaltung vor
unzumutbaren Beeinträchtigungen zu schützen ist. Bei dieser Abwägung ist auch zu
berücksichtigen, wie sich eine Werbemethode, selbst wenn die mit ihr verbundene
Belästigung im Einzelfall gerade noch hinnehmbar erscheint, im Fall ihrer Erlaubnis
auswirken würde. Muss damit gerechnet werden, dass andere Gewerbetreibende in
größerer Zahl die gleiche Methode anwenden und es durch die Nachahmung zu einer
die Allgemeinheit unerträglich beeinträchtigenden Verwilderung der Wettbewerbssitten
kommt, so kann auch diese Auswirkung die Wettbewerbswidrigkeit unter dem Aspekt
der Belästigung begründen (vgl. BGH GRUR 1980, 790/791 -"Werbung am Unfallort III;
ders. GRUR 1975, 266/267 -"Werbung am Unfallort II"- und a.a.O, 264/265 -"Werbung
am Unfallort I"-; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 57 zu § 1 UWG; Gloy, a.a.O., § 50
Rdn. 34/35; Köhler/Piper, a.a.O., Rdn. 17 zu § 1 UWG - jeweils m.w.N.).
Dies vorangestellt ist das gezielte, individuelle Ansprechen von Personen auf
öffentlichen Orten ( öffentliche Plätze, Wege, Straßen, Gebäude, Verkehrsmittel u.ä.)
grundsätzlich als wettbewerbswidrig zu erachten. Die Unlauterkeit liegt darin, dass der
Passant plötzlich und unvorbereitet in ein von ihm unerwünschtes Verkaufsgespräch
verwickelt und gezwungen wird, sich ad hoc mit einem Angebot zu befassen und eine
Entscheidung zu treffen, ohne das Angebot in Ruhe sachlich prüfen zu können. Viele
Betroffene werden durch die persönliche Ansprache in eine mit einem Gefühl
erheblicher Unbehaglichkeit verbundene subjektive Zwangslage versetzt, der sie sich
häufig nur dadurch zu entziehen können glauben, dass sie auf das Angebot eingehen.
Sie werden so ganz erheblich in ihrer Möglichkeit der freien Entschließung
beeinträchtigt, ob überhaupt und welches Angebot sie näher prüfen und ggf. annehmen
wollen. Dem steht es nicht entgegen, dass sich möglicherweise ein Teil der Passanten
durch das Ansprechen auf öffentlichen Plätzen und Straßen nicht belästigt fühlt. Für die
Einordnung als wettbewerbswidrig genügt es, dass nicht ganz unerhebliche Teile der
maßgeblichen Verkehrskreise in dem Ansprechen eine Belästigung sehen
(Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 60 zu § 1 UWG). Unter Zugrundelegen dieser
Kriterien ist das vorliegend zu beurteilende Verhalten der Antragsgegnerin als
sittenwidrige und nach Maßgabe von § 1 UWG zu unterbindende Werbung anzusehen:
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Denn die von den Werbern der Antragsgegnerin angesprochenen Personen werden
gezielt und individuell in eine als lästig empfundene Situation hineingezogen, die die
Gefahr mit sich bringt, dass ein mehr als nur unbeachtlicher Teil der Angesprochenen
Hemmungen hat, sich ihr anders als durch Eingehen auf das Angebot der
Antragsgegnerin zu entziehen. Durch die mit der Ansprache verbundene persönliche
Interaktion wird für viele Passanten eine Lage geschaffen, die sie schon aus Gründen
der Höflichkeit und um weiteren Nachfragen zu entgehen, veranlassen wird, sich mit
dem beworbenen Angebot zu befassen. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes,
dass ein zunehmender Teil des Verkehrs Werbemaßnahmen gegenüber distanziert ist
und über ein ausreichendes Selbstbewußtsein verfügt, um die individuellen Ansprache
ohne weiteres Eingehen auf das beworbene Angebot sogleich abzuschütteln, wird doch
jedenfalls ein anderer, als erheblich zu erachtender Teil des Verkehrs über ein solches
Selbstbewußtsein oder eine solche Reaktionsschnelligkeit nicht verfügen, um sich der
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Kontaktaufnahme und der damit verbundenen Belästigung zu entziehen. Hinsichtlich
dieses - erheblichen - Teils des Verkehrs ist daher der aufgezeigte
Belästigungstatbestand zu bejahen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Person,
welche die Passanten anspricht mit derjenigen identisch ist, die sodann das eigentliche
Verkaufsgespräch übernimmt. Die durch die persönliche Ansprache des ersten
Werbers, der die Kunden aus der Anonymität herausholt und letztlich "anreißt"
geschaffene Verstrickung wirkt vielmehr bis zu dem zweiten Werber fort. Zwar sind
Fallgestaltungen denkbar, wo es den durch den ersten Weber angesprochenen bzw.
"eingefangenen" Passanten ohne weiteres möglich ist, sich der durch die persönlichen
Ansprache geschaffenen Verstrickung bis zu dem zweiten Werber zu entziehen
(beispielsweise wenn eine große oder unübersichtliche Strecke vom ersten Werber zum
zweiten Werber zu überbrücken ist, die es dem Angesprochenen zwanglos ermöglicht,
der "Sichtkontrolle" bzw. dem Einfluss des ersten Werbers, der lediglich an den zweiten,
vom Angesprochenen eigens aufzusuchenden Werber verweist, zu entgehen).
Unabhängig davon, ob dadurch der durch die persönliche Ansprache des ersten
Werbers geschaffenen Belästigung abgeholfen ist, ist jedoch nicht ersichtlich, dass im
vorliegenden Fall eine solche Situation bestand.
An der dargestellten Beurteilung des Werbeverhaltens der Antragsgegnerin ändert
weiter auch der Umstand nichts, dass die persönliche Ansprache der Passanten im Fall
des Herrn Pö. nicht auf einer öffentlichen Straße, sondern in den Räumlichkeiten eines
Warenhauses/Einkaufsmartes geschah. Allerdings ist es anerkannt, dass auch ein
individuelles Ansprechen von Passanten im Einzelfall ausnahmsweise zulässig sein
kann, wenn der Passant eine besonderes Interesse an dem Angebot des
Gewerbetreibenden und die Bereitschaft, mit ihm in Verbindung zu treten, deutlich
erkennen lässt (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 61 zu § 1 UWG). Dieses
Interesse muss sich jedoch auf das Angebot des konkreten Gewerbetreibenden
beziehen, von dessen Seite aus die Ansprache erfolgt (vgl. Jacobs/Hasselblatt, a.a.O., §
50 Rdn. 38 m.w.N.). Schon danach kann das streitbefangene Verhalten nicht als
zulässig erachtet werden. Denn selbst wenn der die M.-Kaufhalle in L. aufsuchende
Herr Pö. das konkrete Interesse am Erwerb dort angebotener Waren hatte, so lässt sich
doch dem Vortrag der insoweit darlegungspflichtigen Antragsgegnerin nicht entnehmen,
dass er ein Interesse gerade für das beworbene Pre-Selection-Angebot der
Antragsgegnerin und eine Bereitschaft für die persönliche Kontaktaufnahme mit den
Werbern signalisierte. Allein der Umstand, dass ein Kunde sich in den Räumlichkeiten
eines Warenhauses/Einkaufsmarktes aufhält, um dort ggf. Waren zu erwerben,
signalisiert aber nicht das Interesse an einer solchen persönlichen Kontaktaufnahme.
Denn der Charakter derartiger Einkaufsstätten, die darauf ausgerichtet sind, dass der
Kunde die Wahl des Kaufgegenstandes in erster Linie im Selbstbedienungsverfahren
vornimmt, wird gerade dadurch geprägt, dass er seine Kaufentscheidung in aller Regel
ohne die Hilfe des Verkaufspersonals trifft, so dass das Betreten eines Warenhauses für
sich genommen noch nicht als Zeichen dafür gedeutet werden kann, dass der Kunde mit
dort tätigem Werbepersonal in Kontakt treten will (vgl. Baumbach/Hefermehl. a.a.O.,
Rdn. 65 zu § 1 Jacobs/Hasselblatt a.a.O).
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An der Wertung, dass der Kunde die individuelle Ansprache innerhalb eines
Warenhauses durch dort tätiges Werbepersonal als Belästigung empfindet, ändert auch
der Umstand nichts, dass - wie dies den Mitgliedern des erkennenden Senats aus
eigener Lebenserfahrung bekannt ist - im Bereich von Lebensmittelmärkten des öfteren
Stände aufgebaut sind, an denen Passanten zu Werbezwecken Lebensmittel zum
Verkosten angeboten werden. Es stellt eine sachlich unterschiedliche Situation dar, ob
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der Kunde in der dargestellten Weise mit einem Angebot konfrontiert wird, aus dem
klassischen Sortiment des aufgesuchten Einkaufsmarktes eine kleine Probe zu
verkosten, oder ob er auf den Abschluss eines Vertrages angesprochen wird, der mit
diesem Angebot in keiner Beziehung steht.
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch die vorstehend erwähnte
"Summenwirkung" des hier zu beurteilenden Werbeverhaltens der Antragsgegnerin, das
auf eine ganz erhebliche Belästigung hinausliefe. Denn es kann nicht von der hand
gewiesen werden, dass gerade im hier betroffenen Marktsegment der
Telekommunikationsdienstleistungen, der durch eine starke Konkurrenzsituation
geprägt ist, andere Mitbewerber zu entsprechenden Werbemaßnahmen griffen, um im
Wettbewerb mit der Antragsgegnerin zu bestehen. Dies liefe - wie dies das Landgericht
in der angefochtenen Entscheidung treffend formuliert hat - auf ein "Spießrutenlaufen"
der Kunden und Passanten hinaus, die sich dann an den verschiedenen, sie
ansprechenden Werbern der Telekommunikationsdienstleister vorbei durch Kaufhäuser
und Straßen fortbewegen müssten.
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An der Wertung, dass das Verhalten der Antragsgegnerin nach alledem unter dem
Gesichtspunkt der Belästigung als wettbewerbswidrig zu erachten ist, hat sich auch
durch das am 01.05.1986 in Kraft getretene HaustürWG nichts geändert. Denn die im
HaustürWG vorgesehen Widerrufsmöglichkeit der Vertragserklärung beseitigt nur die
zivilrechtlichen Folgen, nicht aber die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit der
Maßnahmen, welche die Vertragserklärung, deren Widerruf im Ermessen des Kunden
steht, erst herbeiführen und für die andere Kriterien maßgebend sind, als dies für die
zivilrechtliche Beurteilung nach dem HaustürWG der Fall ist (vgl BGH WRP 2000,
168/169; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 82 zu § 1 UWG; Jacobs/Hasselblatt, a.a.O.,
50.Kap. Rdn. 37; Ulmer WRP 1986, 445/452 f).
26
Stellt sich nach alledem das Werbeverhalten der Antragsgegnerin in der M.-Kaufhalle in
L. als wettbewerblich unlauter dar, ergibt sich aus den obigen Ausführungen zugleich
die Wettbewerbswidrigkeit der in B. und H. gegenüber Frau St. und Herrn R. gezeigten
Werbemethode, bei der die gezielte und individuelle Ansprache auf öffentlichen
Straßen/Plätzen stattfand.
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Das Unterlassungsbegehren stellt sich danach als begründet dar, soweit sich dieses auf
die streitbefangene Form der Kundenakquise auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten,
Einkaufszentren, Warenhäuser und Geschäftspassagen erstreckt. Denn bei Märkten,
Einkaufszentren und Geschäftspassagen handelt es sich um Örtlichkeiten, die eine dem
Charakteristischen der Passantenansprache auf öffentlichen Straßen strukturell
entsprechende Belästigungssituation beschreiben. Letzteres gilt indessen nicht, soweit
die Antragstellerin auf der Grundlage der vorstehend beurteilten Vorfälle auch das
Verbot der gezielten und individuellen Ansprache von Passanten in öffentlichen
Verkehrsmitteln und Bahnhöhen erreichen will. In diesen Örtlichkeiten stellt die
individuelle und gezielte werbliche Ansprache von Passanten eine qualitativ
eigenständige Belästigungssituation dar, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die
Angesprochenen sich in aller Regel in einer Situation befinden, in der sie sich der
Ansprache nur mit Schwierigkeiten - beispielsweise durch schlichtes Weg- oder
Weitergehen - entziehen können. Da die Antragstellerin keinen Fall der Belästigung
vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, in dem die Antragsgegnerin die streitbefangen
Werbemethode in öffentlichen Bahnhöfen oder Verkehrsmitteln praktizieren ließ, besteht
insoweit weder eine Wiederholungsgefahr, noch lässt sich diesbezüglich aufgrund der
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im Vorstehenden beurteilten Fälle auf die Gefahr erstmaliger Begehung schließen, so
dass der Unterlassungsantrag hinsichtlich des auf die gezielte und individuelle
Passantenansprache in öffentlichen Bahnhöfen und Verkehrsmitteln erstreckten
Verbotsziels als unbegründet zu erachten ist.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Soweit der Senat die im
Unerlassungsantrag enthaltene Formulierung ""...gezielt und individuell..." durch die
Begriffe "...auf Passanten zuzugehen und sie anzusprechen..." ersetzt hat, liegt hierin
keine sachliche Beschränkung des Unterlassungsbegehrens, sondern eine mit Blick auf
die Interpretationsbedürftigkeit des Begriffs "gezielt" nach Maßgabe von § 938 ZPO
vorgenommene redaktionelle Änderung.
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Das Urteil ist gemäß § 945 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
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