Urteil des OLG Köln vom 26.01.1995
OLG Köln (kläger, wohnung, gefahr im verzuge, störer, land, licht, installation, eigenes verschulden, restriktive auslegung, öffentliche sicherheit)
Oberlandesgericht Köln, 7 U 146/94
Datum:
26.01.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 U 146/94
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 4 O 522/93
Tenor:
Auf die Berufung wird unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels das am 30. März 1994 verkündete Urteil der 4.
Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 4 O 522/93 - teilweise
abgeändert und wie folgt neu gefaßt: Das beklagte Land wird verurteilt,
an den Kläger 914,18 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 27.10.1993 zu
zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des
Rechtsstreits werden dem Kläger zu 2/3, dem beklagten Land zu 1/3
auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger verlangt von dem beklagten Land Schadensersatz in Höhe von 2.742,55
DM nebst Zinsen, weil am 20.08.1993 Polizeibeamte zwischen 22.30 Uhr und 23 Uhr
gewaltsam in seine Wohnung eingedrungen sind. Der Kläger befand sich mit sei-ner
Familie seinerzeit im Sommerurlaub. Die Poli-zeibeamten waren von Nachbarn
gerufen worden, die in der über ihnen befindlichen Wohnung des Klägers Licht
gesehen und Geräusche gehört hatten. Sie vermuteten daher einen Dieb, da sie von
der ur-laubsbedingten Abwesenheit des Klägers und seiner Familie wußten. Das
Licht ging einige Zeit nach Eintreffen der ersten Polizeistreife aus; auch Ge-räusche
waren nicht zu hören. Nach Eintreffen ei-ner zweiten Polizeistreife brachen die
Beamten die Tür zur Wohnung des Klägers schließlich gewaltsam auf. Es wurde in
der Wohnung niemand angetroffen. Licht und Geräusche waren durch eine an das
Fern-sehgerät gekoppelte Zeitschaltuhr verursacht wor-den. Darüber waren die
Nachbarn, welche die Poli-zei gerufen hatten, nicht unterrichtet.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger sei als Anscheinsstörer
polizeipflichtig gewesen. Die Polizeibeamten hätten rechtmäßig gehandelt. Es
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kämen daher weder Ansprüche aus § 39 OBGNW i.V.m. § 67 PolGNW noch aus §
839 BGB in Betracht.
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Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihren er-stinstanzlich geltend gemachten
Schadensersatzan-spruch unverändert weiter.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache zu einem Teil Erfolg. Das
beklagte Land ist nach § 39 Abs. 1 a OBG i.V.m. § 67 PolGNW zum Schadensersatz
verpflichtet. Der Kläger hat aber 2/3 des ihm entstandenen Schadens nach § 40 Abs.
4 OBGNW selbst zu tragen, weil er durch eigenes Ver-schulden zur
Schadensentstehung beigetragen hat.
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1. Nach § 39 Abs. 1 a OBGNW ist ein Schaden, den
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jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden - nach § 67 PolGNW
entsprechend bei Maßnahmen der Po-lizeibehörden - erleidet, zu ersetzen, wenn er
infolge einer Inanspruchnahme als Nichtstörer ent-standen ist. Das ist hier der Fall.
Die Polizeibe-amten sind seinerzeit gegen einen vermeintlichen Dieb vorgegangen,
dem die vermutete Störung gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung angelastet
wurde. Zur Beseitigung dieser Störung ist die Wohnungstür beschädigt und insoweit
der Kläger, obgleich er nicht für den Störer gehalten wurde, nach § 6 Nr. 1 sowie §§
8, 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 PolG in Anspruch genommen worden.
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Die gegenteilige Auffassung des Landgerichtes be-ruht darauf, daß es
stillschweigend seiner Wertung eine ex-post-Betrachtung zugrunde gelegt hat, also
die aus heutiger Sicht ("im nachhinein") gegebene Situation beurteilt hat.
Demgegenüber kommt es nach dem Wortlaut der genannten Vorschriften auf die
seinerzeitigen Vorstellungen der handelnden Beamten an (ex-ante-Betrachtung). Es
besteht kein Anlaß, die Vorschriften anders auszulegen, als es ihrem Wortlaut
entspricht.
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Allerdings stellt der Bundesgerichtshof in in-zwischen gefestigter Rechtsprechung im
Rahmen des § 39 OBG teilweise auf eine nachträgliche objektive Betrachtungsweise
ab. Danach kann auch dem ein Entschädigungsanspruch zustehen, der als Störer
(Anscheinsstörer) in Anspruch genommen worden ist, sich bei der nachträglichen
Klärung des Sachverhaltes aber herausgestellt hat, daß in Wirklichkeit eine Gefahr
nicht bestand und der Betroffene die den Anschein begründenden Umstände nicht zu
verantworten hat. Das gilt sowohl, wenn er als - vermeintlicher - Handlungsstörer wie
auch dann, wenn er als - vermeintlicher - Zustandsstörer in Anspruch genommen
worden ist (BGH NJW 1992, 2639 = BGHZ 117, 303; NJW 1994, 2355). Diese
Rechtsprechung kann aber nicht gene-ralisierend dahin verstanden werden, daß im
Recht der Entschädigung für Maßnahmen der Ordnungs- und Polizeibehörden stets
der Betrachtung aus nach-träglicher objektiver Sicht der Vorzug zu geben wäre. Mit
der zitierten Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs ist zugunsten des
Geschädigten der Anwendungsbereich der Entschädigungsregelung über den
unmittelbaren Wortlaut der maßgeblichen Vor-schriften hinaus erweitert worden, um
eine sonst vorhandene Gerechtigkeitslücke zu schließen. Die Dinge liegen anders,
wenn es nicht darum geht, daß der mutmaßliche Störer in Wirklichkeit kein Störer
war, sondern darum, daß der als Nichtstörer in An-spruch genommene Geschädigte -
wie sich erst spä-ter herausstellt - mitursächlich für die Umstände war, die seinerzeit
auf eine (objektiv nicht be-stehende) Gefahrensituation hindeuteten. Für eine
restriktive Auslegung der Vorschrift zu Ungunsten des Geschädigten besteht
angesichts der Regelung des § 40 Abs. 4 OBG auch vom Ergebnis her kein Be-
dürfnis.
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Unabhängig davon würde selbst bei einer Betrach-tung "ex-post" der Kläger nicht als
Anscheins-störer angesehen werden können. Polizeirechtli-cher Störer ist nach
herrschender Meinung und Rechtsprechung nur der, der eine unmittelbare Ursache
für einen Gefahrenzustand gesetzt hat. Wer in einer längeren Kausalkette eine
frühere erste Ursache für die spätere Störung gesetzt hat, also der mittelbare
Verursacher, kann po-lizeirechtlich nur in Ausnahmefällen als Störer angesehen
werden, nämlich dann, wenn er die spätere Gefahrensituation bezweckt hat. Dieser
sogenannte Zweckveranlasser ist gleichfalls Störer (vgl. statt aller
Drews/Wacke/Vogel/Martens, Ge-fahrenabwehr, 9. Aufl., S. 310 ff., 315; Denninger in
Handbuch des Polizeirechts, E, Anm. 60 ff., jeweils m.w.N.). Wer nach diesen
Grundsätzen bei einer tatsächlich gegebenen Gefahr als mittelbarer Verursacher
nicht "Störer" im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts sein kann, kann bei einer
bloß angenommenen, tatsächlich aber nicht existierenden Gefahr auch nicht als
"Anscheinsstörer" polizei-pflichtig gemacht werden.
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Infolgedessen ist der Kläger auch bei einer ob-jektiven Betrachtung aus der heutigen
Sicht der Dinge kein Anscheinsstörer gewesen. Er hat mit dem Einbau der
Zeitschaltuhr und seiner Abreise in den Urlaub lediglich erste, "mittelbare" Glieder in
der Ursachenkette gesetzt, die schließlich nach Hinzutreten weiterer Umstände die
Polizeibeamten vor Ort von einer wirklichen Gefahr ausgehen ließen. Mit der
Installation der Zeitschaltuhr verfolgte der Kläger den Zweck, potentielle Diebe von
einem Einbruch in die zur Urlaubszeit verlas-sene Wohnung abzuhalten, indem sie
etwa beim Aus-kundschaften geeigneter Einbruchsobjekte annehmen sollten, es
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hielten sich Personen in der Wohnung auf. Eben deshalb wird die Installation von
Zeit-schaltuhren seitens der Kriminalpolizei ausdrück-lich empfohlen. Der Kläger war
also keinesfalls "Zweckveranlasser" in dem oben beschriebenen Sinn; die
tatsächlich eingetretene Täuschung der Poli-zeibeamten war vielmehr eine objektiv
und subjek-tiv unerwünschte Nebenfolge. Der Kläger war mithin nicht polizeipflichtig.
1. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes
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entfällt der damit grundsätzlich zu bejahende Ersatzanspruch des Klägers nicht nach
§ 39 Abs. 2 Nr. 2 b OBGNW. Danach besteht ein Ersatzanspruch nicht, wenn "durch
die Maßnahme das Vermögen des Geschädigten geschützt worden ist". Hier ist das
Vermögen des Klägers im Ergebnis durch die Maßnah-me der Polizei nicht
geschützt, sondern im Gegen-teil beschädigt worden. Die genannte Bestimmung
wäre daher nur anwendbar, wenn es nicht auf den Schutzerfolg, sondern auf den
Schutzzweck ankäme. Diese in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bisher nicht
entschiedene Frage ist im Schrifttum in der Vergangenheit unterschiedlich
beantwortet worden. Ein Teil der polizeirechtlichen Kommentar-literatur vertritt die
Auffassung, daß der von den Beamten bei ihrer Maßnahme beabsichtigte Schutz-
zweck entscheidend sei (Drews/Wacke/Vogel/Martens, a.a.O. S. 672 f. mit der
Begründung, daß bei dieser Frage wie auch sonst im Polizeirecht die Notwendigkeit
der Maßnahme ex-ante zu beurteilen sei; zum Überblick über den Streitstand vgl.
Wagner, Alternativkommentar Polizeirecht, S. 452). Indessen dürfte dieser alte
Meinungsstreit durch die oben zitierten Entscheidungen BGH NJW 1992, 2639 und
1994, 2355 inzwischen überholt sein. Der an sich nach § 39 Abs. 1 OBG NW
gegebene Entschä-digungsanspruch kann nur ausgeschlossen sein, wenn die
Maßnahmen im Ergebnis das Vermögen des Klägers tatsächlich geschützt haben.
Bei den Anspruchsvor-aussetzungen des § 39 Abs. 1 a OBG NW wird nach der
neueren Rechtsprechung darauf abgestellt, ob der Geschädigte nach den
Gegebenheiten, wie sie sich im Nachhinein objektiv zeigen, Störer war oder nicht.
Derjenige, der von den Polizeibehörden irrtümlich (und aus von der Sicht der
einschrei-tenden Beamten hier objektiv nachvollziehbaren Gründen) als Störer
angesehen wurde, in Wirklich-keit aber keiner war, hat danach grundsätzlich einen
Entschädigungsanspruch. Von daher macht es keinen Sinn, demjenigen einen
Entschädigungsan-spruch zu versagen, dessen Vermögen aus späterer Sicht
objektiv überhaupt nicht gefährdet war, durch eine obrigkeitliche Maßnahme aber
geschädigt wurde, weil die eingreifenden Beamten irrtümlich meinten, dieses
Vermögen schützen zu müssen. Nachdem sich im Rahmen des § 39 Nr. 1 a OBGNW
zugunsten des geschädigten Bürgers die ex-post-Be-trachtung über den Wortlaut der
Bestimmung hinaus durchgesetzt hat, wäre es inkonsequent, im Rahmen des § 39
Abs. 2 Nr. 2 b OBGNW gegen den Wortlaut der Bestimmung zum Nachteil des
geschädigten Bür-gers eine ex-ante-Sicht zu befürworten.
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1. Der Kläger hat nach § 40 Abs. 4 OBG seinen Schaden
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aber zu 2/3 selber zu tragen, weil bei der Entste-hung des Schadens sein eigenes
"Verschulden" - im Sinne einer Verletzung eigener Obliegenheiten - entscheidend
mitgewirkt hat.
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1. Der Kläger hat seine unmittelbaren Nachbarn, die
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im gleichen Haus wie er die tiefere Etage bewohn-ten und die darüber Bescheid
wußten, daß er sich mit seiner Familie im Urlaub befand, nicht darüber informiert, daß
er eine Zeitschaltuhr installiert und an das Fernsehgerät gekoppelt hatte. Damit hat er
objektiv - wenn auch gewiß unbeabsichtigt - provoziert, daß die Nachbarn in dem
Augenblick, in welchem sie zum ersten Mal Licht und Geräusche in seiner Wohnung
vernahmen, einen Einbruch ver-muteten und die Polizei alarmieren würden. Mit
dieser Möglichkeit hätte er bei einigem Nachdenken rechnen und deshalb jedenfalls
diese seine engsten Nachbarn, von denen ihn offensichtlich auch kein irgendwie
geartetes Zerwürfnis trennte, über die Installation der Zeitschaltuhr ins Bild setzen
müssen. Der Kläger hat dem in beiden Instanzen entgengehalten, durch eine
derartige Information sei die von ihm erstrebte Täuschung möglicher Diebe ad
absurdum geführt worden. Dieser Einwand geht unter den hier gegebenen
Umständen fehl. Dem Kläger wird nicht angesonnen, in dem von ihm bewohnten
Viertel öffentlich bekannt zu machen, daß er zur Abschreckung etwaiger Diebe eine
Zeit-schaltuhr installiert habe. Es wird auch nicht von ihm verlangt, daß er im Sinne
einer Obliegenheit zur Erhaltung etwaiger Entschädigungsansprüche al-le die
Nachbarn zu unterrichten gehabt hätte, die von ihrer eigenen Wohnung einen Blick
auf die von ihm selbst bewohnte Etage haben konnten. Der Kläger hätte aber ohne
jedwedes Risiko die Familie unterrichten können, die gemeinsam mit ihm dassel-be
Haus bewohnte und ohnehin wußte, daß er seinen Sommerurlaub angetreten hatte.
Daß er auch diesen unmittelbaren Nachbarn mißtraut hätte, behauptet er selbst nicht.
Selbst wenn das aber der Fall gewesen wäre, hätte ihnen gegenüber eine Geheim-
haltung der Installation der Zeitschaltuhr keinen Sinn gemacht, weil diesen Nachbarn
bekannt war, daß er sich mit seiner Familie in Urlaub befand. Wenn der Kläger denn
Angst gehabt hätte, diese Nachbarn würden (bewußt oder unbewußt) die Nach-richt
verbreiten, daß in seiner Wohnung eine Zeit-schaltuhr angebracht wäre, so bestand
in eben sol-chem Ausmaß die Gefahr, daß sie auch weitererzähl-ten, der Kläger
befinde sich in Urlaub: was für ihn, soweit diese Mitteilung an potentielle Diebe
gelangen sollte, eine wesentlich gefährlichere Information gewesen wäre. Die
Argumentation des Klägers wäre daher nur dann in sich folgerichtig, wenn er sowohl
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die Tatsache, daß er in Urlaub ge-fahren wäre, als auch die Existenz der Zeitschalt-
uhr streng geheimgehalten hätte. Abgesehen davon, daß sich bei eng
zusammenlebenden Nachbarn die Tatsache einer Familienreise in den
Sommerurlaub kaum verbergen läßt, wäre eine derartige Geheim-nistuerei aber wohl
übertrieben und kann, wie der Beispielsfall VG Berlin NJW 1991, 2854 ausweist,
auch zu unliebsamen Konsequenzen führen (dort wur-de die Wohnung des
verreisten Wohnungsinhabers ge-waltsam geöffnet in der Annahme, er sei in seiner
Wohnung zusammengebrochen und bedürfe erster Hil-fe). Vielmehr ist es nicht zuviel
verlangt, einen einzigen Nachbarn, mit dem man räumlich eng bei-einanderlebt und
mit dem ein ungestörtes Auskommen besteht, ins Vertrauen zu ziehen.
1. Hätte somit der Kläger durch zumutbare Vorkehrun-
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gen das hier aufgetretene und schadensverursachen-de Mißverständnis vermeiden
können, so ist auf der anderen Seite ein rechtswidriges, weil ermessens-fehlerhaftes
Verhalten der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten nicht erkennbar. Die Beamten
mußten freilich mit der Möglichkeit rechnen, daß alles blinder Alarm war, weil in
Wirklichkeit eine Zeit-schaltuhr installiert war. Das beklagte Land hat im
Berufungsverfahren selbst nicht mehr behauptet, das Licht in der Wohnung des
Klägers sei gerade in dem Augenblick erloschen, als die erste Einsatz-streife am
Tatort erschienen war. Vielmehr wird jetzt eingeräumt, die Erststreife habe zunächst
vergeblich an der Wohnung des Klägers geklingelt und geklopft und das Licht sei erst
einige Zeit später kurz vor Eintreffen der angeforderten Verstärkung erloschen. Es ist
nicht unbedingt das typische Verhalten eines vom Eintreffen der Poli-zei
überraschten Diebes, daß er das von ihm einge-schaltete Licht zunächst brennen
läßt, das Läuten und Klopfen der Polizeibeamten zunächst abwartet und erst
geraume Zeit später das Licht ausmacht. Das ändert aber nichts daran, daß die
Beamten mit der Möglichkeit eines Einbruchs weiter rechnen mußten.
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Dem hält der Kläger entgegen, daß die Beamten jedenfalls nicht selbst die Wohnung
hätten aufbre-chen, sondern einen privaten Schlüsseldienst, mit dem sie auch sonst
regelmäßig zusammenarbeiteten, hätten herbeiholen müssen. Es sei keine Gefahr im
Verzuge gewesen, die ein sofortiges Handeln hätte unabdingbar erscheinen lassen.
Diese Ansicht teilt der Senat nicht. Es ist im Rahmen der von den Beamten
anzustellenden Ermessensentscheidung nicht fehlerhaft, daß sie auf die
Hinzuziehung eines privaten Schlüsseldienstes verzichtet haben. Sofern sich in der
Tat ein Dieb in der Wohnung aufhielt, konnte nicht ausgeschlossen werden, daß er
den Moment der Öffnung der Wohnungstür durch den Schlüsseldienst zu einem
verzweifelten Flucht-versuch nutzen würde. Als anderer Fluchtweg stand ihm
unstreitig nur noch ein gefährlicher Sprung aus einem 5 - 6 Meter über dem Erdboden
befindli-chen Fenster des ersten Stockwerkes offen; dort versperrten ihm entweder
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die Beamten der herbeige-rufenen zweiten Streife - so das beklagte Land - oder
jedenfalls Nachbarn - so der Kläger - den weiteren Fluchtweg. Die Gefahr, daß der
private Schlüsseldienst bei der Aktion gefährdet würde, war daher nicht von
vornherein von der Hand zu weisen. Es ist daher das Ergebnis einer verständ-lichen
Abwägung, wenn die Polizeibeamten sich ent-schlossen, lieber einen (gewissen)
Sachschaden in Kauf zu nehmen als einen (nicht auszuschließenden)
Personenschaden. Als weitere taktische Möglichkeit hätte nur noch die Wohnung
über längere Zeit "belagert" werden können, bis sich denn nach einigen Stunden
oder Tagen der vermeintliche Dieb ergeben hätte oder Kontakt mit dem Kläger in
seinem Urlaubsort hätte hergestellt werden können. Die Unvertretbarkeit eines
derartigen personellen und sachlichen Aufwands steht außer Frage. Es kommt daher
im Ergebnis auch nicht darauf an, ob die Polizeibeamten - was das beklagte Land
unter Beweisantritt behauptet, der Kläger aber mit Nichtwissen bestreitet - den
Nachbarn, der sie herbeigerufen hatte, gefragt haben, ob der Kläger eine
Zeitschaltuhr installiert habe und ob, nachdem dies verneint worden ist, sie die
weitere Frage gestellt haben, ob aufgrund der Gewohnheiten des gemeinsamen
Umgangs anzunehmen sei, daß der Kläger bei einer Installation einer Zeitschaltuhr
die Nachbarn darüber auch unterrichtet hätte. Die Situation änderte sich im Ergebnis
nicht, wenn die entsprechenden Fragen tatsächlich gestellt worden sind. Die
Nachbarn wußten unstreitig nichts von der Installation der Zeitschaltuhr und konnten
daher eine etwa gestellte Frage immer nur mit nein beantworten. Selbst wenn sie auf
die zweite Frage nach dem gegenseitigen Auskommen geantwortet hät-ten, sie
hielten es für gut möglich, daß der Klä-ger ihnen gegenüber den Einbau der Uhr
verschwie-gen hätte, so wäre die Entscheidung für die Poli-zeibeamten vor Ort
gleichwohl unverändert schwer gewesen. Auch dann wäre es anfechtbar gewesen,
wenn sie die ganze Sache hätten auf sich beruhen lassen und abgezogen wären.
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Gleichwohl entfällt bei der Abwägung im Rahmen des § 40 Abs. 4 OBGNW eine
Haftung des beklagten Landes nicht vollständig. Die oben geschilder-te Verletzung
des Klägers gegen seine eigenen Obliegenheiten kann entgegen der Auffassung der
Beklagten keinesfalls als grobe Nachlässigkeit ge-wertet werden. Es bedurfte
vielmehr eines - frei-lich zumutbaren und zu fordernden - sorgfältigen Nachdenkens,
um zu erkennen, daß es zu Komplika-tionen führen könnte, wenn die Einrichtung der
Zeitschaltuhr auch vor den unmittelbaren Nachbarn verborgen gehalten wurde. Das
gilt um so mehr, als die Kriminalpolizei die Installation von Zeit-schaltuhren zur
Diebstahlssicherung selbst emp-fiehlt, ohne zugleich darauf hinzuweisen, daß ge-
gebenenfalls nicht nur etwaige Diebe, sondern auch uninformierte Nachbarn und die
Polizei von fal-schen Voraussetzungen ausgehen können. Das beklag-te Land weist
in diesem Zusammenhang vergeblich darauf hin, daß die Polizei ein Mitteilungsblatt
"Nachbarn schützen Nachbarn" herausgegeben habe, in welchem auf die Bedeutung
gutnachbarlicher Informationen und Beobachtungen zur Verbrechens-bekämpfung
hingewiesen wird. Das Faltblatt dient in erster Linie der Warnung vor Trickdieben und
Betrügern an der Haustür und weist auf die große Zahl derer hin, die gedankenlos
"Klingelgangstern" die Tür öffnen und auf diese Weise Opfer von Schlägern, Räubern
oder Sittlichkeitsverbrechern werden. Die mit einer Installation von Zeitschalt-uhren
verbundenen Risiken spricht der Text nicht an. Bei Abwägung aller Umstände
erscheint daher dem Senat eine Haftungsbeteiligung des beklagten Landes mit 1/3
an dem dem Kläger entstandenen Schaden als angemessen.
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1. Der Gesamtschaden des Klägers beläuft sich auf
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2.742,55 DM. Nach dem Kostenvoranschlag des Tisch-lermeisters H. vom
31.08.1993 betragen die Kosten für die Anfertigung, Lieferung und Montage einer
neuen Eingangstür netto 2.131,00 DM und die Kosten für die Erneuerung der
flurseitigen Bekleidun-gen zur Küchentür einschließlich der Putzleisten 187,00 DM
netto = 2.318,00 DM netto. Daraus re-sultiert ein Bruttobetrag von 2.665,70 DM. Die
Kosten für eine Erneuerung der Schließanlage haben nach der Rechnung des
Schlüsseldienstes G. vom 15.09.1993 76,85 DM betragen. Daraus resultiert die
Gesamtschadenssumme.
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Das beklagte Land hat erstinstanzlich den Schaden "nach Grund und Höhe"
bestritten (GA 20). Soweit damit das Ausmaß der eingetretenen Beschädigungen an
den beiden Türen bestritten wird, ist dies nach § 138 Abs. 2 und 4 ZPO unbeachtlich.
Das beklagte Land kann die Art des eingetretenen Schadens nicht bloß mit
Nichtwissen bestreiten, da es über die am Einsatz beteiligten Beamten eigene
Erkenntnisse über den Schadensumfang hat. Gegen die Höhe des von dem
Tischlermeister H. ermittelten Kosten hat der Senat keine durchgreifenden Bedenken
(§ 287 ZPO), zumal konkrete Einwände gegen den Ko-stenvoranschlag nicht
vorgebracht worden sind.
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Die Zinsentscheidung folgt aus den §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet
sich seit ih-rem Schreiben vom 27.10.1993, mit dem sämtliche Ansprüche des
Klägers kategorisch zurückgewiesen wurden, in Verzug. Angesichts der definitiven
Zah-lungsweigerung erübrigte sich ein weiteres Mahn-schreiben des Klägers, weil es
eine sinnlose For-malität gewesen wäre.
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Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10,
713 ZPO.
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Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 2.742,55 DM. Die Beschwer beider
Parteien liegt unter 60.000,00 DM.
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