Urteil des OLG Köln vom 21.11.2005

OLG Köln: gesetzlicher vertreter, psychische störung, behinderung, autismus, diagnose, psychose, behandlung, einsichtsfähigkeit, krankheit, anzeichen

Oberlandesgericht Köln, 16 Wx 183/05
Datum:
21.11.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Wx 183/05
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 1 T 286/05
Tenor:
Auf die weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der
ersten Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 12.08.2005 - 1 T 286/05 -
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das
Landgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Die weitere Beschwerde ist zulässig. In der Sache führt sie zur Aufhebung der
Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung an das Landgericht, dessen
Entscheidung aus Rechtsgründen (§ 27 FGG, 546 ZPO) nicht bestehen bleiben kann.
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Die vom Landgericht bisher getroffenen Feststellungen vermögen die Bestellung eines
Betreuers für den Betroffenen nicht zu rechtfertigen. Es bedarf weiterer gerichtlicher
Ermittlungen nach § 12 FGG.
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Die Anordnung der Betreuung ist nur zulässig, wenn der mit seiner Betreuung nicht
einverstandene Betroffene aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung im Sinne von §
1896 Abs. 1 BGB nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen. Mit der
Einführung des seit 01.07.2005 geltenden § 1896 Abs. 1 a BGB hat der von der
Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass gegen den freien Willen eines
Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf, im Gesetz Einzug gefunden.
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Zum Ausschluss der feien Willensbildung des Betroffenen hat das Landgericht keine
ausreichenden Feststellungen getroffen.
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Nach der Gesetzesbegründung sind in Anlehnung an die Definition der
Geschäftsunfähigkeit im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB insoweit entscheidende Kriterien
die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen sowie seine Fähigkeit, nach der gewonnenen
Einsicht zu handeln. Dabei setzt Einsichtsfähigkeit die Fähigkeit des Betroffenen
voraus, im Grundsatz die für und wider einer Betreuerbestellung sprechenden
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Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen, wobei an seine
Auffassungsgabe keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Wichtig ist
das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§1902 BGB) bestellt wird, der
eigenständige Entscheidungen in dem ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen
kann (BT-Drucks. 15/2494 Seite 28).
Der in erster Instanz beauftrage Sachverständige Dr. H hat in seinem Gutachten vom
21.06.2005 keine ausreichenden Tatsachen dargelegt, aus denen auf eine unfreie
Willensbildung des Betroffenen geschlossen werden kann. Er hat vielmehr ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass es ihm aufgrund der weitgehenden Sprachlosigkeit des
Betroffenen nicht gelungen sei, sich einen umfassenden Eindruck über dessen
kognitiven Fähigkeiten zu verschaffen. Dabei hatte der Sachverständige allerdings - wie
er ausgeführt hat - den Eindruck, dass der Betroffene den Zweck der Untersuchung
durchaus verstanden habe, da dieser auf entsprechende Fragen habe vermitteln
können, dass es sein Wunsch sei, die Betreuung zu beenden. Ob der Betroffene aber
auch in der Lage ist, Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell zu
erfassen, kann dem Gutachten nicht entnommen werden.
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Dabei lassen die Ausführungen des Sachverständigen im Übrigen auch nicht mit
hinreichender Sicherheit auf eine Erkrankung oder Behinderung des Betroffenen im
Sinne von § 1896 Abs. 1 BGB schließen. Dr. H kommt zwar zu dem Ergebnis, dass bei
dem Betroffenen eine schwerwiegende psychische Störung in Form einer ausgeprägten
Behinderung der sprachlichen und non-verbalen Kommunikationsfähigkeit verbunden
mit erheblichen emotionalen Auffälligkeiten vorlägen. Deren Ätiologie vermochte der
Gutachter jedoch nicht sicher anzugeben. Entgegen dem Gutachten von Frau Dr. B vom
19. 02.2004, wonach es sich bei dem Betroffenen diagnostisch entweder um einen
Autismus mit schon frühkindlichen Verhaltensauffälligkeiten oder um eine schizophrene
Psychose mit katatonen Störungen handelt, schließt Dr. H eine schizophrene Psychose
aus, stellt aber auch nicht die Diagnose eines frühkindlichen Autismus sondern spricht
lediglich von einer "autistischen Veranlagung". Gegen die Diagnose eines
"frühkindlichen Autismus" sprechen im Übrigen auch die Ausführungen der früheren
Betreuerin T in deren Bericht vom 03.05.2005, wonach nach einem Entlassungsbrief der
Kinderpsychiatrie ein "frühkindlicher Autismus" ausgeschlossen werde und auch sie,
Frau T, aufgrund ihrer Verhaltensbeobachtung - als Diplom-Psychologin - diverse
Anzeichen beobachte, die sie an dieser Diagnose zweifeln lasse.
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Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. H vermögen deshalb auch die Annahme
des medizinischen Tatbestandes des § 1896 Abs. 1 BGB nicht zu rechtfertigen. Anhand
seiner Feststellungen lässt sich nicht zuverlässig beurteilen, ob der Betroffene an einer
psychischen Krankheit leidet oder eine seelische Behinderung vorliegt, denn auch eine
solche kann immer nur Folge einer psychischen Erkrankung sein.
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Die Sache ist deshalb unter Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts an dieses
zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Landgericht wird -
auch unter Berücksichtigung des Vortrages des Betroffenen in der Rechtsbeschwerde
und das von ihm zu den Akten gereichte Gutachten des Herr Dr. N-T vom 14.10.2005 -
weiter zu ermitteln, insbesondere eine erneute Begutachtung des Betroffenen
anzuordnen und dabei zu überlegen haben, ob bei der vorhandenen
Kommunikationsstörung des Betroffenen eine einmalige Exploration ausreichend ist.
Auch wird es den Betroffenen erneut anzuhören und ihn ausführlich über Sinn und
Zweck der Betreuung aufzuklären haben. Schließlich kann dem Akteninhalt auch nicht
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entnommen werden, dass der Betroffene zur Person der neuen Betreuerin angehört
worden ist, was in der Regel zu verlangen ist (§§ 68, 69 i Abs. 8, 69 g Abs. 5 FGG).
Diese ist gegebenenfalls nachzuholen. Sollte sich nach weiteren Ermittlungen die
Erforderlichkeit der Betreuung verifizieren lassen, wird das Landgericht auch zu jedem
Aufgabenkreis zu prüfen haben, ob der Betroffene auf entsprechende Hilfen
angewiesen ist oder weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kommen (§ 1896
Abs. 2 S. 1 BGB).