Urteil des OLG Köln vom 23.07.2007
OLG Köln: gütliche einigung, wohnung, arbeitsvermittlung, zustand, verwirkung, form, vermietung, dienstleistungsgewerbe, geschäftstätigkeit, mieter
Oberlandesgericht Köln, 16 Wx 25/07
Datum:
23.07.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Wx 25/07
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der
Beschluss des Landgerichts Köln vom 29.12.2006 - 29 T 243/05 –
abgeändert und neu gefasst:
Die Antragsgegnerin wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes für
jeden Fall der Zuwiderhandlung verpflichtet, die Nutzung der
Wohnungen in der G Straße 7 in L im 1. Obergeschoß durch Vermietung
an eine private Schülernachhilfe und im 2. Obergeschoß durch
Vermietung an eine Zeitarbeitsvermittlung zu unterlassen, bzw. eine
solche Nutzung durch Dritte nicht zuzulassen.
Der weitergehende Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten sämtlicher Instanzen fallen der Antragstellerin und
der Antragsgegnerin je zur Hälfte zur Last. Eine Erstattung
außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf
10.000,00 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Antragstellerin und nunmehr der beigetretene Beschwerdeführer als
Rechtsnachfolger der Antragsgegnerin zu 1. bilden die oben genannte
Wohnungseigentümergemeinschaft.
3
Nach der Teilungserklärung von 1975, die für die Stockwerke 2 bis 4 Sondereigentum
an Wohnungen vorsieht, sind die Wohnungs- und Teileigentümer berechtigt, die
Wohnung nach Belieben zu nutzen, soweit sich nicht Beschränkungen aus dem Gesetz
oder aus der Teilungserklärung ergeben. Die Antragstellerin wendet sich gegen die
gewerbliche Nutzung sämtlicher Wohnungen der Antragsgegnerin im 1. bis 4.
4
Obergeschoß. Die Wohnungen im 1. und 2. Stock waren bis 1998 oder 1999 an zwei
Ärztinnen vermietet; seitdem wird die Wohnung im 2. Stock von einer
Zeitarbeitsvermittlung, diejenige des 1. Stocks wurde von einer Heilprakterin, nun –
nach einem Wechsel im Verlauf dieses Verfahrens – befindet sich darin eine private
Schülernachhilfe. Zu der Nutzung des 3. und 4. Obergeschosses haben die
Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen. In den der Antragstellerin gehörenden
Erdgeschossräumen wird ein Imbiß betrieben; über die Zulässigkeit dieser Nutzung
haben die Beteiligten über lange Jahre gerichtlich gestritten. Der Eingang zu den
Wohnungen ist getrennt vom Zugang zum Imbiß und befindet sich neben diesem.
Das Amtsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin auf Untersagung jeder
gewerblichen oder freiberuflichen Nutzung stattgegeben. Das Landgericht hat auf das
Rechtsmittel der Antragsgegnerin unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung
den Antrag zurückgewiesen. Mit ihrer weiteren Rechtsmittel begehrt die Antragstellerin
Wiederherstellung der Entscheidung des Amtsgerichts.
5
II.
6
Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 20,
22 Abs. 1, 27, 29 FGG).
7
Eine mündliche Verhandlung war entgegen dem Antrag der Antragstellerin nicht
veranlasst, da der Sachverhalt in den Vorinstanzen ausreichend aufgeklärt war, es nur
um Rechtsfragen geht und im Übrigen eine gütliche Einigung nicht zu erwarten war.
8
Die weitere Beschwerde hat in der Sache insoweit Erfolg, als sie die derzeitige Nutzung
der Räumlichkeiten im 1. und 2. Obergeschoß angreift.
9
Die Ausführungen des Landgerichts halten der dem Gericht der weiteren Beschwerde
allein möglichen rechtlichen Nachprüfung (§ 27 FGG, § 550 ZPO) nur zum Teil stand.
10
Der Antragstellerin steht gemäß § 15 Abs. 3 WEG, § 1004 BGB gegen die
Antragsgegnerin ein Anspruch auf Unterlassung zu, ihre im Sondereigentum stehenden
Räume zum Zweck des Betreibens einer Arbeitsvermittlung oder einer Schülernachhilfe
zu nutzen bzw. eine entsprechende Nutzung zuzulassen. Zutreffend ist das Landgericht
davon ausgegangen, dass maßgeblich für den geltend gemachten Anspruch der Inhalt
der Teilungserklärung ist. Diese bezeichnet die Räumlichkeiten im 1.bis 4.
Obergeschoß ausschließlich als "Wohnung" und grenzt sie deutlich gegenüber den im
Teileigentum stehenden Räumen des Erdgeschosses ab, die als "nicht zu
Wohnzwecken dienend" bezeichnet werden (§ 1 Nr. 1 bis 5 Teilungserklärung).
11
Die Teilungserklärung unterliegt wie alle Grundbucheintragungen der selbständigen
Auslegung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Der Senat sieht in der Bezeichnung
als Wohnung eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter gem. §§ 5 Abs. 4, 10
Abs. 1 Satz 2, 15 Abs. 1 WEG, die eine Nutzung des Sondereigentums der
Antragsgegnerin in der derzeitigen Form nicht zuläßt. Die auf Wortlaut und Sinn
abgestellte Auslegung führt zweifelsfrei dazu, dass die Räumlichkeiten in den ersten
beiden Stockwerken grundsätzlich nur für Wohnzwecke genutzt werden dürfen.
12
Etwas Anderes folgt ebensowenig aus der Vereinbarung in § 4 des Abschnittes III der
Teilungserklärung. Durch die dort erwähnte Einschränkung ist wiederum auf die
13
Zweckbestimmung der Teilungserklärung abzustellen.
Auch der in ständiger Rechtsprechung der Obergerichte, der auch der Senat folgt,
entwickelte Grundsatz, dass eine Nutzung einer zu Wohnzwecken bestimmten
Wohnung jedenfalls dann zu anderen, insbesondere gewerblichen Zwecken
zuzulassen ist, wenn diese Nutzung nicht über das Maß hinausgeht, das bei
Wohnzwecken üblich ist (Senat vom 15.02.2002, NZM 2002, 258; zuletzt beispielsweise
OLG Saarbrücken, NZM 2006, 590; KG, ZWE 2007, 258; BayObLG, NJW-RR,
96,13589), führt zu keinem anderen Ergebnis. Ein solcher Fall liegt hier – entgegen der
Meinung des Landgerichts - nicht vor.
14
Voraussetzung für diese Ausnahme wäre, dass bei einer typisierenden Betrachtung die
Beeinträchtigung der übrigen Wohnungseigentümer nicht stärker ausfällt als bei einer
Nutzung zu Wohnzwecken. Dabei ist – wie das Landgericht zu Recht ausführt – auf die
Auswirkungen der abweichenden Nutzung, wie insbesondere Besucherfrequenz unter
Berücksichtigung der zeitlichen und örtlichen Verhältnisse abzustellen.
15
Die Vorinstanz hat hierzu im Weiteren nicht hinreichend berücksichtigt, dass die von der
Antragsgegnerin aufgezeigten Besucherzahlen, die den aktuellen Zustand
wiedergeben, nicht als maßgeblich angesehen werden können. Vielmehr ist bei
typisierender Betrachtungsweise entscheidend, welche Besucherfrequenzen bei der
praktizierten Nutzung und bei gewöhnlichem Verlauf üblich sind. In beiden Wohnungen
im 1. und 2. Stock befinden sich Dienstleistungsgewerbe, deren Büros üblicherweise
ganztägig geöffnet sind. Beide Geschäftsbereiche sind erfahrungsgemäß bei
gewöhnlichem Ablauf mit regem Kundenbesuch verbunden. Die Besucherzahlen
können sowohl bei einer Arbeitsvermittlung als auch bei einer Schülernachhilfe täglich
bei 20 Personen oder noch darüber liegen. Die vom Landgericht zugrunde gelegten
Zahlen beziehen sich lediglich auf den Jetzt-Zustand, der nicht dauerhaft sein muss.
Vielmehr kann sich die Geschäftstätigkeit jederzeit bei einer Ausweitung oder einer
Schwerpunktverlagerung erheblich verändern und einen weitaus lebhafteren
Besucherstrom zur Folge haben. Im Übrigen ist auch ein Publikumsverkehr von 10 bis
15 Personen – bezogen auf eine Wohneinheit und die Nachmittagsstunden - schon
beträchtlich. Bei einer - hypothetischen – privaten Wohnnutzung läge die
Besucherfrequenz deutlich niedriger. Es handelt sich jeweils um 2-Zimmerwohnungen,
die typischerweise von Einzelpersonen oder Kleinfamilien bewohnt werden, die nicht
mit erheblichem Besuchsverkehr verbunden sind.
16
Die von der Antragsgegnerin erwähnten Gesichtspunkte ändern daran nichts. Es ist für
die Beeinträchtigung letztlich nicht entscheidend, dass für die Wohnungen neben dem
Imbiß ein separater Eingang und ein damit verbundener Flur vorhanden sind, da die
Auswirkungen der abweichenden Nutzung auf die Anlage insgesamt, für die wegen der
Überzahl der Wohnungen die Wohnnutzung prägend ist, deutlich spürbar sind.
17
Auch die Antragstellerin als Eigentümerin der EG-Räume bzw. ihr Mieter, der den
Imbißbetrieb nutzt, werden durch die von der Teilungserklärung abweichende Nutzung
stärker beeinträchtigt, und zwar sowohl durch die Publikumsfrequenz wie auch durch
stärkere Nutzung der Gemeinschaftsräume sowie damit verbundener höherer
Kostenlast.
18
Der Unterlassungsanspruch ist nicht verwirkt. Die jetzige Nutzung erfolgte zum
Zeitpunkt der Antragstellung (Juli 2002) allenfalls seit vier Jahren, so dass schon das für
19
eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment fehlt. Ob und in welchem Umfang die Räume
zuvor gewerblich genutzt wurden, spielt keine Rolle, da in Anbetracht der erwähnten
Grundsätze der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Frage der Verwirkung nur auf
die konkrete abweichende Nutzung abgestellt werden kann. Zu mit der früheren
Nutzung verbundenen Beeinträchtigungen ist nichts Konkretes bekannt.
Das Begehren der Antragstellerin bleibt allerdings ohne Erfolg, soweit sie jegliche
gewerbliche Nutzung untersagen lassen will. Ein solcher allgemeiner Anspruch besteht
nicht, da – wie ausgeführt - für eine Untersagung stets auf die konkrete Abweichung von
der vereinbarten Zweckbestimmung abgestellt werden muss.
20
Soweit der Antrag der Antragstellerin erfolgreich ist, kann mit dem Gebot der
Unterlassung zugleich wie beantragt ein Ordnungsgeld angedroht werden, § 44, 45 Abs.
3 WEG a.F., § 890 ZPO.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 Abs. 1 WEG. Es entspricht billigem Ermessen,
angesichts des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens die Gerichtskosten anteilig
beiden Beteiligten aufzuerlegen. Im Übrigen bestand keine Veranlassung, von dem
Grundsatz, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind, abzuweichen.
22
Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 48 Abs. 3 WEG und entspricht der
nicht beanstandeten Festsetzung des Gegenstandswertes in den Vorinstanzen.
23