Urteil des OLG Köln vom 14.04.2008
OLG Köln: unerlaubte handlung, körperliche unversehrtheit, operation, fehlbehandlung, eingriff, schmerzensgeld, vollstreckung, einwilligung, patient, vertragsverletzung
Oberlandesgericht Köln, 5 U 135/07
Datum:
14.04.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 135/07
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 O 655/03
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 09. Mai 2007 verkündete
Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 655/03 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrags
abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
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Die 1946 geborene Klägerin unterzog sich im Jahre 1977 im evangelischen
Krankenhaus L-X einer subtotalen Schilddrüsenresektion. Nachdem es in den
folgenden Jahren nach und nach zu einem erneuten Schilddrüsenwachstum gekommen
war und sich eine Einengung der Trachea verbunden mit Atemnot bei Belastung
einstellte, begab sie sich im Juni 1998 in das Klinikum der Beklagten zu 1). Der
Beklagte zu 2), Chefarzt der dortigen Chirurgie, führte am 25. Juni 1998 bei der Klägerin
eine Rezidivstrum-Ektomie beidseits durch. Dabei kam es zu einer Schädigung beider
Nervi recurrentes mit bleibender Stimmbandlähmung.
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Die Klägerin zu 1) nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld und Ersatz des erlittenen
materiellen Schadens unter anderem mit der Behauptung in Anspruch, der Beklagte zu
2) habe es fehlsam unterlassen, den Nervus recurrens intraoperativ darzustellen. Ferner
habe der Beklagte zu 2) nicht in einem Zuge beidseits resezieren dürfen. Schließlich
seien auch die präoperative Vorbereitung und die Operation selbst fehlerhaft
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durchgeführt worden. Die Risikoaufklärung sei unzureichend gewesen.
Die Klägerin zu 2) macht Kosten geltend, die sie für notwendige Heilbehandlungen der
Klägerin zu 1) aufgewendet habe, welche wiederum durch die behauptete
Fehlbehandlung entstanden seien.
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Die Kläger haben beantragt,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) ein
angemessenes weiteres Schmerzensgeld aus der fehlerhaften und rechtswidrigen
Behandlung vom Juni/Juli 1998 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße
Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 50.000,00 € nebst 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz – mindestens verzinslich jedoch mit 8 % Zinsen –
seit dem 16. März 1999,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der
Klägerin zu 1) sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangene und
künftige materiellen Schäden, die ihr aus der fehlerhaften und rechtswidrigen
Behandlung vom Juni/Juli 1998 entstanden sind und noch entstehen werden, zu
ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder
sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden,
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) aus der
fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung der Klägerin zu 1) vom Juni/Juli 1998
19.753,19 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz – mindestens verzinslich
jedoch mit 8% - seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der
Klägerin zu 2) sämtliche weiteren materiellen Schäden, die ihr aus der fehlerhaften
und rechtswidrigen Behandlung der Klägerin zu 1) vom Juni/Juli 1998 entstanden
sind, zu ersetzten, soweit diese Ansprüche auf die Klägerin zu 2) übergegangen
sind bzw. übergehen werden.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben Behandlungsfehler bestritten, eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung
behauptet und sich hilfsweise auf hypothetische Einwilligung berufen.
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Das Landgericht hat, Sachverständig beraten, der Klage der Klägerin zu 2) in vollem
Umfang und derjenigen der Klägerin zu 1) teilweise stattgegeben. Es hat eine grobe
Fehlbehandlung des Beklagten zu 2) festgestellt, sodass eine Haftung der Beklagten
gegeben sei. Die Klägerin zu 1) könne allerdings über die bereits vorprozessual
gezahlten 20.000,00 DM hinaus nur weitere 20.000,00 € Schmerzensgeld
beanspruchen.
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Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung, mit der sie Klageabweisung
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erstreben. Sie bestreiten eine Fehlbehandlung und rügen die Richtigkeit des vom
Landgericht eingeholten Gutachtens. Jedenfalls habe das Landgericht etwaige Fehler
nicht als grob bewerten dürfen. Die Klägerin zu 1) sei zutreffend aufgeklärt worden. Im
Übrigen hätte sie in jeden Fall in die Operation eingewilligt.
Die Kläger treten der Berufung entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil.
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Der Senat hat die Klägerin zur Frage der hypothetischen Einwilligung angehört.
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II.
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Die zulässige Berufung ist im Ergebnis in der Sache nicht gerechtfertigt. Die von den
Klägern geltend gemachten Schadensersatzansprüche sind jedenfalls deshalb
begründet, weil die Beklagten mangels wirksamer Operationseinwilligung aus dem
Gesichtspunkt der eigenmächtigen Behandlung haften (§§ 611, 280, 823 Abs. 1, 253
Abs. 2, 249, 278, 421 BGB). Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit stellen sich
rechtlich als unerlaubte Handlung und zugleich als Vertragsverletzung dar, wenn sie
nicht von einer wirksamen Patienteneinwilligung gedeckt sind, was wiederum eine
ordnungsgemäße Aufklärung über die mit der Behandlung verbundenen Risiken
voraussetzt. Daran hat es im Streitfall gefehlt. Ob den Behandlern darüber hinaus auch
schadensursächliche Fehler unterlaufen sind, wie das Landgericht gemeint, hat kann
dahinstehen.
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Die Aufklärung als Grundlage des Selbstbestimmungsrechts soll dem Patienten
aufzeigen, was der Eingriff für seine persönliche Situation bedeuten kann. Er soll Art
und Schwere des Eingriffs erkennen und ein allgemeines Bild von Schwere und
Richtung des konkreten Risikospektrums gewinnen können (vgl. Steffen/Pauge,
Arzthaftungsrecht, 10. Auflage, Rn. 323, 329 mit Rechtsprechungsnachweisen). Risiken
dürfen nicht dramatisiert, aber auch nicht verharmlost werden. Erforderlich ist eine klare,
den konkreten Fall vollständig erfassende Risikobeschreibung. Dem wird die
dokumentierte Aufklärung nicht gerecht. Sie betrifft die Risiken bei einer Kropfoperation
als Ersteingriff (so ausdrücklich im Aufklärungsbogen vermerkt). Bei einem Ersteingriff
ist es sicherlich richtig, dass es selten zu Nervverletzungen mit gelegentlich auftretender
Heiserkeit, Sprach- und Atemstörungen kommt, die sich meist zurückbilden und
bleibende Schäden sehr selten sind. Anders ist dies bei der Rezidivoperation. Während
nach Ersteingriffen die Häufigkeit von permanenten Recurrenzparesen bei 0,5 bis 1,5%
liegt, ist dieser Faktor bei Rezidivoperationen um den Faktor 10 bis 20 erhöht, eben weil
das Operationsgebiet vorgeschädigt (vernarbt ist) (siehe das für das Landgericht von
Prof. T erstattete Gutachten vom 31.05.2005; Seite 18/19). Darüber muss der Patient
aufgeklärt werden (so schon BGH NJW 1992, 2351 für den – auch hier vorliegenden –
Fall einer Rezidiv-Strumektomie), was nicht geschehen ist. Etwas Anderes behaupten
die Beklagten auch gar nicht (siehe ihren Vortrag in der Klageerwiderung vom
04.03.2004, Seite 2, 8, 9 und in der Replik auf die Berufungserwiderung vom
21.08.2007, Seite 5, 6).
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Die Beklagten berufen sich ohne Erfolg darauf, dass die Klägerin zu 1) auch in Kenntnis
der erhöhten Risiken in die Operation eingewilligt hätte. Den ihnen insoweit
obliegenden Beweis haben sie nicht erbracht. Die Klägerin zu 1) hat zwar eingeräumt,
dass sie sich einer Schilddrüsenoperation zur Behebung ihrer Atemnot unterzogen
hätte, aber nicht "in C" und nicht, wie sie schriftsätzlich vorgetragen hat, in einem Zuge
beidseitig. Gerade letzteres ist überaus plausibel, war doch eine Operation der linken
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Seite nicht eilbedürftig, sodass es sich angeboten hätte abzuwarten, ob sich nach einer
auf die rechte Seite beschränkte Operation eine Komplikation einstellen würde. Im
Übrigen kommt es nur darauf an, ob ein Entscheidungskonflikt plausibel dargelegt ist.
Ein solcher liegt aber geradezu auf Hand. Je gefahrträchtiger ein Eingriff ist, desto eher
wird sich ein Patient auch anderweitig nach geeigneten Operateuren und Klinken
erkundigen, die über möglichst umfassende Erfahrung mit Eingriffen der anstehenden
Art verfügen. Es erscheint deshalb ohne Weiteres nachvollziehbar, dass sich die
Klägerin, wie sie bekundet hat, in Kenntnis des erhöhten Risikos im nahen L erkundigt
hätte, wo ein umfangreiches Angebot an Kliniken zur Verfügung steht. Dass sie zum
Beklagten zu 2) Vertrauen hatte, steht dem nicht entgegen. Vertrauen ist die
Grundvoraussetzung für eine Behandlung überhaupt.
Dass der geltend gemachte Schaden auf dem Eingriff beruht, ist unstreitig, sodass es
insoweit keiner weiteren Ausführungen mehr bedarf. Gleiches gilt für den ausgeurteilten
Schadensumfang, der von den Parteien nicht angegriffen worden ist.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
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Berufungsstreitwert: 59.753,19 €
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