Urteil des OLG Köln vom 28.09.2009
OLG Köln (internationale kriminalpolizeiliche organisation, bundesrepublik deutschland, rechtliches gehör, auslieferung, auslieferungshaft, anordnung, deutschland, strafe, abwesenheit, antrag)
Oberlandesgericht Köln, AuslA113-09-078b
Datum:
28.09.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
AuslA113-09-078b
Tenor:
Gegen den albanischen Staatsangehörigen J.T. wird die vorläufige
Auslieferungshaft angeordnet.
Den albanischen Behörden wird Gelegenheit gegeben, binnen drei
Wochen zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Verfolgte
a) sich in Kenntnis des anhängigen Verfahrens diesem durch Flucht
entzogen hat und er von einem ordnungsgemäß bestellten Verteidiger
unter Beachtung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen verteidigt
werden konnte
oder
b) nachträglich Kenntnis von Durchführung und Abschluss des gegen
ihn gerichteten Verfahrens erhalten hat und sich ihm eine tatsächlich
wirksame Möglichkeit eröffnet hat, sich nach Kenntniserlangung
rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen
G r ü n d e:
1
I.
2
Die albanischen Behörden ersuchen über Interpol Tirana um die Festnahme des
Verfolgten
Fahndungs- und Festnahmeersuchen vom 21.01.2004 ist dieser durch Urteil des
Gerichts in Tirana vom 14.12.2001 (Nr. 822) – rechtskräftig seit dem 13.02.2002 – in
Abwesenheit wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen zu einer Freiheitsstrafe von
10 Jahren verurteilt worden. Er habe am 24.07.2001 gemeinsam mit einem Mittäter die
damals 15- oder 16jährige B.N. in einem Schulgebäude in Tirana, in das sie zuvor
gelockt worden war, zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
3
I.
4
Bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Aachen am 24.08.2009 hat der am
23.09.2009 festgenommene Verfolgte sich mit der vereinfachten Auslieferung nicht
einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes nicht
verzichtet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Vorgänge mit dem Antrag auf Anordnung der
vorläufigen Anordnung der Auslieferungshaft nach § 16 IRG vorgelegt.
6
II.
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Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die vorläufige Auslieferungshaft
anzuordnen, ist zu entsprechen. Die Voraussetzungen des Art. 16 des (von Albanien im
Jahre 1998 ratifizierten) Europäischen Auslieferungsübereinkommens - EuAlÜbk - vom
13. Dezember 1957 in Verbindung mit den §§ 15, 16 IRG liegen vor:
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Mit der von den albanischen Justizbehörden veranlassten und gemäß Art. 16 Abs.3
EuAlÜbk in zulässiger Weise durch die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation
(Interpol) übermittelten Ausschreibung hat eine zuständige Stelle um die Festnahme des
Verfolgten nachgesucht.
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Eine Auslieferung zur Strafvollstreckung erscheint jedenfalls nicht von vornherein als
unzulässig.
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Die den Gegenstand der Verurteilunge des Verfolgten bildende Tate ist nach dem Recht
des ersuchenden Staates – als Vergewaltigung einer Minderjährigen nach Art. 101 des
albanischen Strafgesetzbuchs – wie auch nach dem Recht der Bundesrepublik
Deutschland – gem. § 177 StGB - strafbar und läßt die Auslieferung nach Artikel 2
Absatz 1 EuAlÜbK zu. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die Tatbeschreibung
("zwangen" bzw. in der französischen Fassung: "forcée") farblos ist; der Senat erwartet
hier Aufklärung durch die förmlichen Auslieferungsunterlagen.
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Die verhängte Strafe entspricht den Anforderungen des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EuAlÜbk
(mindestens vier Monate). Offen ist allerdings, ob der Verfolgte die Strafe noch voll zu
verbüßen hat. Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft die erforderlichen
Nachforschungen bereits veranlasst.
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Mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verfolgte in Abwesenheit verurteilt worden ist,
sieht sich der Senat zu dem Hinweis veranlasst, dass die deutschen Gerichte bei
Prüfung der Zulässigkeit einer Auslieferung regelmäßig verpflichtet sind zu prüfen, ob
die Auslieferung und die ihr zu Grunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der
Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den
unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der
Bundesrepublik vereinbar sind (BGHSt 47, 120; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 62; KG StV
1993, 207). Zu diesen Mindeststandards gehört die Gewährung rechtlichen Gehörs; ob
dieser Grundsatz im vorliegenden Verfahren gewahrt worden ist, wird zu prüfen sein.
Hierzu ist den albanischen Behörden Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der
Senat hat im Auslieferungsverkehr mit Albanien speziell im Fall von
Abwesenheitsverurteilungen bereits in der Vergangenheit die Auslieferung gelegentlich
für unzulässig erachtet und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die
albanische Regelung der Wiedereinsetzung im Falle von Abwesenheitsverurteilungen
(Art. 147 Abs. 2 der albanischen Strafprozessordnung) Bedenken begegnet (SenE v.
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19.12.2008 – 6 AuslA 95/08 – 80, bei juris), die nicht durch verlässliche Zusicherungen
ausgeglichen werden konnten. Im gegenwärtigen Verfahrensstadium steht indessen die
Abwesenheitsverurteilung der Haftanordnung nicht entgegen.
III.
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Die Anordnung der Haft zur Durchführung der Auslieferung ist geboten. Der Verfolgte ist
empfindlich bestraft worden. Er ist aus den Niederlanden kommend nach Deutschland
eingereist. Er hat keinen Wohnsitz und keine erkennbaren soziale Bindungen in
Deutschland, die geeignet wären, die Fluchtgefahr auszuräumen.
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