Urteil des OLG Köln vom 05.12.1995

OLG Köln (abnahme des werks, eintritt des schadens, positive vertragsverletzung, unternehmer, zerstörung, höhe, 1995, sorgfalt, vorschrift, gefahr)

Oberlandesgericht Köln, 24 U 114/95
Datum:
05.12.1995
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 U 114/95
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 1 O 271/94
Tenor:
Die Berufung gegen das am 05. April 1995 verkündete Urteil der 1.
Zivilkammer des Landgerichts B. - 1 O 271/94 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagten werden auch die Kosten des Berufungsverfahrens
auferlegt. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung - auch im Wege der Gestellung
der unbedingten und unbefristeten selbstschuldnerischen Bürgschaft
einer deutschen Großbank, Volksbank, Raiffeisenbank oder öffentlichen
Sparkasse - in Höhe von 380.000,00 DM abwenden, falls nicht die
Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Art und Höhe
leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Beklagte beauftragte die Klägerin im August 1992 mit der Starkstrominstallation
(einschließlich Baustrom) und ähnlichen Leistungen an dem nahe dem R. gelegenen
sogenannten Sch. in B. mit einem Auftragsvolumen von rund 7,5 Mio. DM. Die VOB/B ist
in das Vertragswerk einbezogen. Die Klägerin erhielt im Verlauf ihrer Arbeiten auf 4
jeweils fortgeschriebene Teilrechnungen in der Zeit vom 12. November 1992 bis 09.
November 1993 Zahlungen von insgesamt 1.887.980,64 DM. Gegenstand des
Rechtsstreits ist die Vergütung weiterer Leistungen, die die Klägerin in Höhe von
274.984,13 DM mit der 5. Teilrechnung in Rechnung gestellt hat.
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Am 22./23. Dezember 1993 kam es zu einem Rhein-Hochwasser mit dem bisher in
diesem Jahrhundert höchsten Pegelstand von 10,13 m entsprechend 53,38 m über NN.
Das Wasser überstieg dabei den Rand der als sogenannter Schlitzwandtopf
ausgebildeten Baugrube und überflutete sie. Dies führte zu einem Auftrieb des
Baukörpers, wodurch dieser in Schieflage geriet, und zu einem Reißen der Wände. Das
hatte u. a. die Zerstörung der - noch nicht abgenommenen - Leistungen der Klägerin zur
Folge.
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Die Klägerin hat ihren Werklohnanspruch in I. Instanz auf § 7 i.V.m. § 6 Nr. 5 VOB
gestützt und geltend gemacht, die Zerstörung ihrer Werkleistung beruhe auf einem
unabwendbaren Umstand im Sinne der zuerst genannten Vorschrift. Dagegen hat die
Beklagte vorgebracht: Nach der Bauplanung sei ein Hochwasserschutz zur Rheinseite
hin bis 53,85 m über NN, also 0,50 m über dem Jahrhundert-Höchstwasserstand im
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Jahre 1926 vorgegeben gewesen. "Temporär" habe der Bau durch Errichtung einer
Spundwand bis 53,35 m über NN auf der bis 51,10 m über NN erreichenden Oberkante
des Schlitzwandtopfs gesichert werden sollen und endgültig durch Einbetonierung
eines Dichtungsbandes in den Schlitzwandtopf und dessen - des Bandes -
wasserdichte Verbindung mit einer vom Baukörper auskragenden Konsole. Das
Eindringen des Wassers - ab einem Pegelstand von 51,10 m über NN - beruhe darauf,
daß die Rohbauunternehmer - die A. in Meerbusch und HBM GmbH in Neu-Isenburg -
den temporären Schutz nicht, wie vorgegeben, lediglich abschnittweise beseitigt hätten
und bei Eintritt des Hochwassers die Konsole noch nicht vollständig betoniert gewesen
sei. Die Beklagte hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(NJW 85, 2475) die Auffassung vertreten, für dieses fehlerhafte Verhalten der
"Vorunternehmer" der Klägerin habe sie nicht einzustehen.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt und zur
Begründung ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin ergebe sich mangels - objektiver -
Unabwendbarkeit des Schadensereignisses zwar nicht aus § 7 VOB, gründe sich
indessen auf eine entsprechende Anwendung von § 645 BGB, weil die
Funktionsfähigkeit des Hochwasserschutzes bis zur Abnahme des Werks der Klägerin
in den Risikobereich der Beklagten gefallen sei.
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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie trägt vor, § 645 BGB sei
weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, weil die VOB in §§ 7, 16 Nr. 6 eine
abschließende Risikoregelung enthalte. Eine Ausdehnung der angezogenen Vorschrift
in Richtung auf eine Risikoverteilung nach "Sphären" werde von der Rechtsprechung
zutreffend abgelehnt. Sie - die Beklagte - habe entgegen der Auffassung des
Landgerichts die Gefahrensituation weder herbeigeführt noch "hingenommen", vielmehr
den Hochwasserschutz ordnungsgemäß geplant und von der abweichenden
Ausführung durch die Rohbauunternehmer nichts gewußt. Es gebe weder eine
vertragliche Schutzvereinbarung der Parteien noch eine sich aus dem Wesen des
Werkvertrags ergebende Überwachungspflicht zugunsten der Klägerin. Aus einer
etwaigen Pflichtverletzung lasse sich auch nicht ein Erfüllungsanspruch herleiten.
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Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz zunächst auch Einwendungen gegen die
Höhe des Anspruchs vorgebracht, diese jedoch in der mündlichen Verhandlung vom 07.
November 1995 für das vorliegende Verfahren fallen gelassen.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tritt den Ausführungen der Beklagten entgegen und verteidigt das Urteil des
Landgerichts. Hilfsweise stützt sie ihren Anspruch auf positive Vertragsverletzung. Dazu
behauptet sie unter Beweisantritt, der Schutz vor Hoch- und Grundwasser sei, weil nach
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dem technischen Ablauf nicht lückenlos, unzureichend ausgelegt gewesen. Außerdem
hätte ein Auftrieb des Gebäudekörpers, der bereits bei einem Wasserstand von 47,2 m
über NN entstanden sei, durch Einrichtung von Überströmungs- und Flutmöglichkeiten
verhindert werden müssen. Schließlich habe die für die Beklagte handelnde
Bundesbaudirektion auch in der Situation unmittelbar vor dem Hochwasser falsch bzw.
nicht gehandelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Urteil des
Landgerichts und die in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Das Rechtsmittel ist zulässig, bleibt aber in der Sache selbst erfolglos.
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Der Zahlungsanspruch der Klägerin ist gemäß § 7 i.V.m. § 6 Nr. 5 VOB gerechtfertigt.
Nach dem Werkvertragsrecht des BGB (§ 644 Abs. 1 Satz 1) trägt vor der Abnahme des
Werks im Regelfall alleine der Unternehmer die (Vergütungs-)Gefahr der Zerstörung
oder Beschädigung seiner Leistung. Dieser Grundsatz ist durch § 7 VOB wegen des
höheren Risikos des Bauunternehmers, der seine Leistung regelmäßig außerhalb
seines Betriebes auf fremdem Grund und Boden zu erbringen hat (vgl. dazu Heiermann-
Riedl-Rusam, 7. Aufl., § 7 Rdnr. 7; Ingenstau-Korbion, 12. Aufl., § 7 Rdnr. 19; Nicklisch-
Weick, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 5) dahin eingeschränkt, daß der Auftraggeber die Gefahr für
die Beschädigung oder Zerstörung trägt, wenn sie u. a. auf Umständen beruht, die nicht
nur der Unternehmer nicht zu vertreten hat, sondern unabwendbar d. h. nach
menschlicher Einsicht und Erfahrung in dem Sinn unvorhersehbar sind, daß sie oder
ihre Auswirkungen trotz Anwendung wirtschaftlich erträglicher Mittel durch die äußerste
nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder in ihren Wirkungen bis auf
ein erträgliches Maß unschädlich gemacht werden können (vgl. BGH NJW 73, 1698; 91,
1812, 1814; Heiermann-Riedl-Rusam, § 7 Rdnr. 11; Ingenstau-Korbion, § 7 Rdnr. 22;
Nicklisch-Weick, § 7 Rdnr. 12). Umstände in dem dA.legten Sinn können Ereignisse
aller Art sein. Unerheblich ist, ob sie außer- oder innerbetrieblicher Natur sind (vgl. BGH
BB 62, 111; NJW 73, 1698: Regenfälle; OLG Köln - 22. Zivilsenat - Schäfer-Finnern-
Hochstein § 7 VOB Nr. 2: Wassereinbruch eines Flusses; BGH LM VOB Nr. 31 = VersR
68, 991: Diebstahl; BGH BauR 81, 71: Fahrlässige Brandstiftung durch einen anderen
am Bau beteiligten Unternehmer). Daraus folgt die Anwendbarkeit der Vorschrift auch in
dem - nach dem Vortrag der Beklagten hier gegebenen - Fall, daß der Schaden durch
die fehlerhafte Bauleistung eines Vor- oder Mitunternehmers verursacht worden ist,
ferner auch dann, wenn der Schaden auf mehreren aus verschiedenen Bereichen
herrührenden Ursachen beruht.
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der Begriff der Unabwendbarkeit im
Sinne von § 7 VOB relativ bzw. subjektbezogen zu verstehen. Das Ereignis muß also
nicht allgemein, sondern für den Unternehmer unvermeidbar gewesen sein (so im
Ergebnis BGH LM VOB Nr. 31; OLG Köln a.a.O.; ferner Heiermann-Riedl-Rusam a.a.O.).
Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Zwar ist die Unabwendbarkeit des
schädigenden Ereignisses vom Unternehmer darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH
a.a.O. und NJW 91, 1812, 1814; Ingenstau-Korbion § 7 Rdnr. 26; Nicklisch-Weick, § 7
Rdnr. 22). An die Darlegungslast dürfen indessen keine zu hohen Anforderungen
gestellt werden. Der Unternehmer hat also regelmäßig nicht von sich aus im einzelnen
darzulegen, was alles er zur Vermeidung des Schadens unternommen hat. Vielmehr ist
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aus der konkreten Situation heraus festzustellen, was er bei Anwendung äußerster
Sorgfalt hätte unternehmen können und müssen (so im Ergebnis BGH LM VOB Nr. 31).
Alsdann obliegt ihm der Nachweis, daß er so gehandelt hat. Hiervon ausgehend ist der
Senat zu der Überzeugung gelangt, daß die Klägerin auch bei äußerster Sorgfalt den
Eintritt des Schadens nicht hätte verhindern können. Unbezweifelbar erscheint zunächst
die Unvorhersehbarkeit des "Jahrhunderthochwassers" für sie; Gegenteiliges trägt auch
die Beklagte nicht vor. Mit Rücksicht darauf, daß es sich bei dem Sch. um eine
außergewöhnlich große Baustelle gehandelt hat und Berührungen des Gewerks der
Klägerin mit dem der Rohbauunternehmer nicht ersichtlich sind, bestand aber auch für
die Klägerin keine Veranlassung, den Ablauf der Arbeiten dieser Unternehmer einer
kritischen Untersuchung zu unterziehen und der Bundesbaudirektion hierüber zu
berichten.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Streitwert für die Berufungsinstanz = Wert der Beschwer der Beklagten: 274.984,13 DM.
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