Urteil des OLG Köln vom 16.09.2010

OLG Köln (geschäftsführung ohne auftrag, vorweggenommene beweiswürdigung, höhe, antragsteller, behandlung, schmerzensgeld, beschwerde, aktivlegitimation, tod, gutachten)

Oberlandesgericht Köln, 5 W 30/10
Datum:
16.09.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 W 30/10
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 O 98/10
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des
Landgerichts Aachen vom 15.7.2010 - 11 O 98/10 - teilweise
abgeändert.
Den Antragstellern wird für nachfolgende Anträge unter Beiordnung von
Rechtsanwalt N. S., Kanzlei O. und O. aus L., ratenfreie
Prozesskostenhilfe bewilligt:
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu
1) ein angemessenes, vererbtes Schmerzensgeld aus der Behandlung
seines Vaters zwischen dem 20. und 22.5.2006 zu zahlen, dessen Höhe
in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens
jedoch 5.000.- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 16.8.2006.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin
zu 2) ein eigenes Schmerzensgeld aus der Behandlung ihres Lebens-
gefährten zwischen dem 20. und 22.5.2006 zu zahlen, dessen Höhe in
das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens
jedoch 5.000.- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 8.5.2009.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin
zu 2) 574,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 512,26 € seit dem 22.7.2008 und aus 62,43 € seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet
sind, dem Kläger zu 1) sämtliche weiteren vergangenen und künfti-gen
materiellen Schäden sowie künftige immaterielle Schäden, die ihm aus
der Behandlung seines Vaters entstanden sind bzw. noch entstehen, zu
ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger
oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Der weitergehende Antrag und die weitergehende sofortige Beschwerde
werden zurückgewiesen.
Die Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
1
Die zulässige sofortige Beschwerde ist teilweise begründet. Die wirtschaftlichen und
persönlichen Verhältnisse zur Geltendmachung von Prozesskostenhilfe sind
hinreichend glaubhaft gemacht. Die beabsichtigte Klage hat auch zumindest teilweise
Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).
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Der Antragsteller zu 1) hat einen ererbten Schmerzensgeldanspruch aus ärztlicher
Fehlbehandlung seines Vaters vorgetragen und geeignet unter Beweis gestellt. Den –
ohnehin maßvollen – Anforderungen an die Darlegung eines Behandlungsfehlers ist,
namentlich durch die Vorlage eines Privatgutachtens, bei weitem genüge getan. Dem
erhobenen Behandlungsfehlervorwurf wird die Kammer nachzugehen haben. Die Frage
fehlender Aktivlegitimation, auf die die Kammer insoweit maßgeblich abgestellt hat, ist
nach Vorlage des Erbscheins erledigt. Weitergehende Bedenken gegen die
Aktivlegitimation des Antragstellers zu 1) sind nicht ersichtlich. Der Höhe nach kann
angesichts der kurzen Dauer der erlittenen Schmerzen und Leiden ein Schmerzensgeld
von mehr als 5.000.- € nicht in Betracht kommen. Insofern wird auf die Ausführungen im
angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
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Ein Schmerzensgeldanspruch der Antragstellerin zu 2) kann nicht mit der Erwägung
verneint werden, sie zähle nicht zu dem geschützten Personenkreis. Die in der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum sogenannten Schockschaden
beschränken sich auf nahe Angehörige, nicht aber auf Verwandte eines bestimmten
Grades. Hierzu zählen ohne weiteres auch Lebensgefährten (vgl. etwa Oetker in
Münchener Kommentar, 5.Aufl., § 249 Rn. 147; Palandt-Grüneberg Vorb v § 249 Rn. 40,
jeweils mit weiteren Nachweisen; vgl. ferner zu einem ähnlichen Fall BGHZ 163, 209 ff.
= VersR 2005, 1238, 1240). Auch hinsichtlich der Darlegung des psychisch vermittelten
Schadens aufgrund des Todes eines nahen Angehörigen ist eine übertriebene Strenge
unangebracht, vielmehr sind nur maßvolle Anforderungen zu stellen (OLG Koblenz
NJW-RR 2005, 677 f.). Die Darlegung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist
grundsätzlich ausreichend (OLG Koblenz aaO). Eine solche hat die Antragstellerin zu 2)
durch Vorlage eines ausführlichen Attestes ihres behandelnden Psychiaters
vorgetragen und durch Sachverständigengutachten tauglich unter Beweis gestellt. Die
seitens der Kammer hierzu angestellten Erwägungen, die offenbar teilweise darauf
hinauslaufen, den Sachvortrag der Antragstellerin für unzureichend zu erachten,
teilweise auf eine vorweggenommene Beweiswürdigung, überzeugen nicht. Ob die
Antragstellerin die Leiche ihres Lebensgefährten tatsächlich gesehen hat oder nicht,
oder wann sie wie lange in welcher Weise mit dem Verstorbenen zusammen gelebt hat
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(worüber die Kammer letztlich nur Spekulationen anstellt), ist angesichts der klaren
Aussagen ihres Behandlers zum Krankheitswert ihrer psychischen Störungen und deren
Ursache (Tod des Lebensgefährten) ohne ausreichende Aussagekraft. Der Höhe nach
erscheint aufgrund des bisherigen Vortrags allerdings ein Schmerzensgeldanspruch in
Höhe von 5.000.- € als angemessen und ausreichend. Ein etwaiger höherer Anspruch,
der sich nach Lage der Dinge im Rahmen der Beweisaufnahme ergeben könnte, ist
durch den Klageantrag nicht ausgeschlossen.
Hinsichtlich der konkret bezifferten materiellen Ansprüche, die Gegenstand des Antrags
zu 3) sind, ist – mit Ausnahme der geltend gemachten Gutachter- und Kopierkosten -
Prozesskostenhilfe zu Recht verweigert worden. Die – mittlerweile deutlich reduzierten
– Beerdigungskosten sind von der Schwester des Verstorbenen gezahlt worden.
Insoweit mag diese einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten haben (etwa
aus § 842 Abs.1 BGB oder Geschäftsführung ohne Auftrag), keineswegs aber die
Antragstellerin zu 2). Zwar lässt die Rechtsprechung grundsätzlich auch
Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung abgetretener Ansprüche zu, wenn ein
triftiger Grund für die Abtretung erkennbar ist (BGHZ 47, 289 ff.; OLG Köln FamRZ 1995,
940; Zöller-Geimer, § 114 Rn. 9 m.w.N.), was hier dahinstehen mag. Dann aber kommt
es entscheidend auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Zedenten
und nicht diejenigen der klagenden Partei an (BGH VersR 1992, 594). Zu den
Verhältnissen der Schwester des Verstorbenen fehlt indes jeglicher Vortrag.
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Soweit die Antragstellerin zu 2) für Kleidung, Bewirtung u.ä. einen Pauschalbetrag von
250.- € verlangt, ist ihr Vortrag auch bei Anlegung geringer Anforderungen derart
allgemein, dass die Schätzung selbst eines Mindestbetrages nicht möglich ist.
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Hinsichtlich der aufgewendeten Gutachterkosten sind die Erfolgsaussichten hingegen
zu bejahen. Die Annahme des Landgerichts, dass das Gutachten tatsächlich nur für das
strafrechtliche Ermittlungsverfahren und nicht zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche
eingeholt worden sei (auch wenn es ein staatsanwaltschaftliches Aktenzeichen in der
Kopfzeile aufführt), liegt denkbar fern. Es handelt sich vielmehr um Aufwendungen im
Rahmen angemessener Rechtsverfolgung, die grundsätzlich erstattungsfähig sind. Dies
gilt auch hinsichtlich der Rechnungshöhe. Der Senat geht auch davon aus, dass das
Gutachten entsprechend dem Vortrag der Antragstellerin auch von ihr bezahlt wurde.
Gleiches gilt für die geltend gemachten Kopierkosten.
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Aussicht auf Erfolg hat die Klage schließlich hinsichtlich des Feststellungsantrages des
Antragstellers zu 1). Eine Feststellungsklage ist begründet, wenn bei einem bereits
eingetretenen Schaden eine gewisse Wahrscheinlichkeit für weitere Schäden besteht.
Das aber kann schlechterdings nicht verneint werden, wenn es um Unterhaltsansprüche
eines zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses knapp vier Jahre alten Kindes geht.
Dass der Verstorbene vor seinem Tod nicht in der Lage gewesen wäre, jemals wieder in
irgendeiner Weise Unterhaltsleistungen für den Antragsteller zu 1) zu erbringen, ist nicht
ansatzweise ersichtlich. Für eine derart weit reichende Schlussfolgerung genügt die
seinerzeitige Arbeitslosigkeit jedenfalls nicht. Wie vorgetragen und belegt wurde, hatte
der Verstorbene den größten Teil seines beruflichen Lebens
rentenversicherungspflichtig gearbeitet. Er war mit 56 Jahren durchaus noch in der
Lage, als angestellter oder freiberuflicher Fotograf Geld zu verdienen und Barunterhalt
zu leisten, und er war ohne weiteres in der Lage, Naturalunterhalt zu leisten.
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Nicht sicher auszuschließen ist ferner das künftige Auftreten gesundheitlicher Folgen
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bei dem Antragsteller zu 1), so dass auch der immaterielle Vorbehalt gerechtfertigt ist.
Angesichts des teilweisen Obsiegens und Unterliegens im Beschwerdeverfahren ist die
gesetzliche Beschwerdegebühr auf die Hälfte zu reduzieren.
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Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht.
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