Urteil des OLG Köln vom 19.08.1997
OLG Köln (kläger, wider besseres wissen, planung, errichtung, allgemeine versicherungsbedingungen, arglistige täuschung, zpo, versicherungsnehmer, klausel, versicherer)
Oberlandesgericht Köln, 9 U 123/96
Datum:
19.08.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 123/96
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 9 U 123/96
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13. Juni 1996 verkündete
Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 355/95 - unter
Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert
und wie folgt neu gefaßt: Es wird festgestellt, daß die Beklagte
verpflichtet ist, dem Kläger aus der Rechtsschutzversicherung Nr. X
Versicherungsdeckung zu gewähren für das Verfahren des Klägers
gegen die E., S. B. und U. M. wegen Schadenersatz in Höhe von bis zu
150.000,00 DM infolge der Täuschungsanfechtung des
Grundstückskaufvertrages über das Apartment Nr. Y. im Haus A. in F.. Im
übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits tragen
der Kläger zu 1/10 und die Beklagte zu 9/10. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Beklagten hat in der Sache nur
zum geringeren Teil Erfolg.
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1.
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Zu Unrecht hat das Landgericht allerdings dem Zahlungsbegehren des Klägers
entsprochen. Zwar hat der Rechtsschutzversicherer die ihm obliegenden Leistungen zu
erbringen, sobald der Versicherungsnehmer wegen der Kosten in Anspruch genommen
wird. Die Regelung des § 5 Abs. 2 a) der von der Beklagten verwendeten
Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB/G 94) trägt dem
Rechnung. Danach kann der Kläger als Mitglied der Gewerkschaft der E. (X.) im
Rahmen des zwischen der X. und der Beklagten abgeschlossenen
Gruppenversicherungsvertrages die Übernahme der vom Versicherer zu tragenden
Kosten verlangen, sobald er nachweist, daß er zu deren Zahlung verpflichtet ist oder
diese Verpflichtung bereits erfüllt hat. Solange aber der Versicherungsnehmer oder - wie
hier - das Gewerkschaftsmitglied als Teilnehmer am Gruppenversicherungsvertrag den
Kostengläubiger noch nicht berechtigterweise befriedigt hat, hat er nach allgemeiner
Meinung gegen den Rechtsschutzversicherer lediglich einen Befreiungsanspruch (vgl.
nur: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, Y.. Aufl. 1992, § 2 ARB mit
Nachweisen aus der Rechtsprechung). Dieser Anspruch wandelt sich unter bestimmten
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Voraussetzungen und erst dann in einen Zahlungsanspruch um, wenn der
Versicherungsnehmer in Vorlage getreten ist und den Kostengläubiger befriedigt hat.
Dies ist nach dem eigenen Vortrag des Klägers jedoch nicht der Fall. Deshalb kann das
Urteil des Landgerichts keinen Bestand haben, soweit die Beklagte darin zur Zahlung
von Rechtsanwaltskosten an den Kläger verurteilt worden ist.
2.
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Zutreffend ist das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung jedoch davon
ausgegangen, daß die Beklagte dem Kläger aus dem
Rechtsschutzversicherungsvertrag in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang
Deckungsschutz zu gewähren hat. Auch der Begründung der angefochtenen
Entscheidung schließt sich der Senat an. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt
er die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil
unter Ziffer 1. a) in Bezug und sieht insoweit auch von der Darstellung der
Entscheidungsgründe ab (§ 543 Abs. 1 ZPO).
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Die mit der Berufung gegen das angefochtene Urteil vorgetragenen Einwände greifen
nicht durch.
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Richtig ist allerdings, daß im Streitfall die ARB/G 94 gelten. Versicherungsnehmerin des
Versicherungsvertrages, aus dem der Kläger seine Ansprüche ableitet, ist die E. X..
Nach dem zwischen ihr und der Beklagten abgeschlossenen
Gruppenversicherungsvertrag sind rechtsschutzversicherte Personen die Mitglieder der
X., soweit sie dem Gruppenvertrag beigetreten sind. Unstreitig ist der Kläger Mitglied der
X. und nimmt seit dem 01.01.1981 an dem Gruppenversicherungsvertrag teil.
Vertragspartner sind aber lediglich die X. auf der einen und die Beklagte auf der
anderen Seite. Die zwischen der X. und der Beklagten im Januar getroffene
Vereinbarung, daß für alle ab dem 01.05.1995 gemeldeten Versicherungsfälle die
ARB/G 94 gelten sollen, berechtigt und verpflichtet damit automatisch auch den Kläger
als an dem Gruppenversicherungsvertrag teilnehmendes Gewerkschaftsmitglied.
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Mit dem Landgericht ist auch der Senat der Auffassung, daß im Streitfall der
Risikoausschluß "Baurisiko" nicht greift. Nach § 3 Abs. 1 d) bb) besteht Rechtsschutz
nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit
der Planung oder Errichtung eines Gebäudes oder Gebäudeteiles, das sich im
Eigentum oder Besitz des Gewerkschaftsmitgliedes befindet oder das dieser zu
erwerben oder in Besitz zu nehmen beabsichtigt. § 3 Abs. 1 d) bb) ARB/G 94 entspricht
damit inhaltlich der Bestimmung des § 4 Abs. 1 k ARB 75, allerdings mit der Maßgabe,
daß nunmehr nicht mehr von einem "unmittelbaren", sondern lediglich von einem
"ursächlichen" Zusammenhang der Interessenwahrnehmung mit der Planung oder
Errichtung eines Gebäudes oder Gebäudeteiles die Rede ist.
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Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher
Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und
Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muß (BGH r+s
1996, 45, 46). Als Ausschlußklausel ist § 3 Abs. 1 d) bb) ARB/G 94 nicht weiter
auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der
gewählten Ausdrucksweise erfordert (BGH r+s 1994, 61, 62 zu 4 Abs. 1 k ARB 75). Der
Zweck der Ausschlußklausel "Baurisiko" geht dahin, die erfahrungsgemäß besonders
kostenträchtigen, im Kostenrisiko schwer überschaubaren und kaum kalkulierbaren
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rechtlichen Auseinandersetzungen um Baumaßnahmen aller Art, aber auch um die sie
unmittelbar begleitenden Vorgänge, vom Versicherungsschutz auszunehmen, weil nur
für einen verhältnismäßig kleinen Teil der Versicherten ein solches Risiko entstehen
kann. Bei der Auslegung auch der Baurisikoklausel ist auf das Verständnis eines
durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen, der zwar den Wortlaut der
Klausel, nicht aber ihre Entstehungsgeschichte kennt (BGH, r+s 1994, 61, 62). Danach
setzt nicht nur der "unmittelbare", sondern auch der "ursächliche" Zusammenhang mit
der Planung und Errichtung eines Gebäudes oder Gebäudeteiles im Sinne des § 3 Abs.
1 d) bb) ARB/G 94 einen gewissen zeitlichen Zusammenhang und einen inneren
sachlichen Zusammenhang zu diesen Maßnahmen voraus. Ob dieser gegeben ist,
hängt nicht von der Art der Beteiligung der anderen Seite am Bau ab. Vielmehr kommt
es auf den vorhandenen oder nicht vorhandenen ursächlichen Zusammenhang der
wahrgenommenen rechtlichen Interessen mit der Planung oder Errichtung eines
Gebäudes an.
Auf dieser Grundlage kann von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen den
rechtlichen Interessen, die der Kläger wahrnehmen will, und der Planung oder
Errichtung des Gebäudes im Sinne der Baurisikoklausel des § 3 Abs. 1 d) bb) ARB/G 94
nicht gesprochen werden. Das Haus "A." war bereits fertiggestellt, als der Kläger das
darin befindliche Apartment Nr. Y. im September 1993 von der Firma E. erwarb. Nach
dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, daß das
Haus A. und auch das Apartmentnummer Y. erstmals am 01.03.1993 bezugsfertig war.
Das Apartment Nr. Y. wurde ab dem 01.03.1993 von dem Mieter O. Er. und in der
Folgezeit ab September 1993 von dem Mieter D. Z. bewohnt. Der Senat folgt insoweit
der schriftlichen Auskunft des Zeugen H. D. sowie den glaubhaften Bekundungen der im
Termin zur Beweisaufnahme vom 03.06.1997 vor dem Senat vernommenen Zeugin R.
Bu., die in ihrer Eigenschaft als Inhaberin der Hausverwaltung D. die entsprechenden
Mietverträge abgeschlossen hatte. Er sieht keinen Anlaß, die Richtigkeit der
Bekundungen dieser Zeugen in Zweifel zu ziehen.
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An der Planung und/oder Errichtung des Gebäudes war der Kläger mithin nicht beteiligt.
Er hat das Apartment vielmehr als Anlageobjekt erworben und begehrt jetzt u.a. von der
Verkäuferin und deren Geschäftsführer Rückabwicklung des Kaufvertrages und
Schadenersatz mit der Begründung, die Eigentumswohnung sei wissentlich falsch als
mangelfrei und gut vermietbar bezeichnet worden. Damit geht es dem Kläger in dem
Rechtsstreit, für dessen Kosten die Beklagte einstehen soll, nicht um die Wahrnehmung
rechtlicher Interessen im ursächlichen Zusammenhang mit der Planung oder Errichtung
eines Gebäudes, sondern darum, daß er nach seinem Vortrag von einem unseriösen
Verkäufer wider besseres Wissen über die Güte des bereits fertiggestellten und
vermieteten Kaufobjekts arglistig getäuscht und betrogen worden ist. Diese arglistige
Täuschung, namentlich die behaupteten falschen Angaben zum Zustand des bereits
errichteten Kaufobjekts einerseits und zum Mietzins, zum Vermietungsstand und dem
zukünftig erzielbaren, angeblich durch eine Mietgarantie gesicherten Mietzins
andererseits, und nicht die typischerweise mit der Planung und Errichtung eines
Gebäudes verbundene Unwägbarkeiten sind der Anlaß für die beabsichtigte
Klageerhebung.
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Soweit die Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung mit Wirkung
zum 01. Mai 1995 im § 3 Abs. 1 d) bb) ARB/G 94 insoweit eine Änderung erfahren
haben, als nicht nur der "unmittelbare", sondern bereits jeder "ursächliche"
Zusammenhang der Interessenwahrung mit der Planung oder Errichtung eines
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Gebäudes die Annahme des Ausschlußtatbestandes rechtfertigen soll, mag damit aus
der Sicht des Beklagten eine Erweiterung des Risikoausschlusses "Baurisiko"
angestrebt worden sein. Das Verständnis, das die Beklagte der Ausschlußklausel
beimessen will, daß nämlich alle Streitigkeiten ausgeschlossen sein sollen, die im
Zusammenhang mit dem Erwerb eines neu errichteten Gebäudes oder Gebäudeteiles
stehen, erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der zwar den
Wortlaut, nicht aber die Entstehungsgeschichte der Risikoklausel kennt, nicht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt auch der Ausschlußtatbestand des § 3
Abs. 1 d) dd) ARB/G 94 nicht vor. Danach ist vom Versicherungsschutz auch die
Interessenwahrnehmung im ursächlichen Zusammenhang mit der Finanzierung eines
der unter aa) - cc) genannten Vorhaben ausgeschlossen. Im Streitfall geht es jedoch
ersichtlich schon nicht um die Finanzierung einer Baumaßnahme, sondern um Zusagen
des Veräußerers zur Güte und Rentabilität des Kaufobjekts.
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Auch der Hinweis der Beklagten, der Kläger habe einen Klageentwurf nicht vorgelegt,
die Erfolgsaussichten einer unter anderem gegen die Firma E. gerichteten Klage seien
nicht hinreichend dargelegt, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Denn nach § 14 Abs.
1 b) ARB/G 94 kann sich der Versicherer auf die fehlende Erfolgsaussicht nur berufen,
wenn er dies dem Gewerkschaftsmitglied unverzüglich unter Angabe der Gründe
schriftlich mitteilt. Nur dann wird der Versicherungsnehmer bzw. bei
Gruppenversicherungsverträgen der vorliegenden Art das Gewerkschaftsmitglied in die
Lage versetzt, den den Versicherer bindenden Stichentscheid eines Rechtsanwalts
gemäß § 14 Abs. 1 ARB/G 94 herbeizuführen. Mit der Ablehnung des
Versicherungsschutzes allein wegen der Ausschlußklausel hat die Beklagte aber keine
Prüfung der Erfolgsaussichten vorgenommen und dem Kläger schriftlich mitgeteilt. In
einem solchen Fall ist die jetzige Berufung auf die fehlende Erfolgsaussicht wegen
Verletzung dieser Mitteilungspflichten unbeachtlich (vgl. hierzu: OLG Hamm r+s 1994,
141 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
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3.
16
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Sache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung im
Sinne des § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO. Grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn zu
erwarten ist, daß die Rechtsfrage auch künftig wiederholt auftreten wird, und über ihre
Auslegung in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen geäußert worden sind
(vgl. Zöller-Gummer, ZPO, § 546 Rdnr. 31). Das ist nicht der Fall. Auch beruht das
vorliegende Urteil nicht auf einer Abweichung von einer Entscheidung des
Bundesgerichtshofes oder des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des
Bundes, § 546 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO.
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4.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Zwar steigt - wie das Landgericht
richtig erkannt hat - mit der Abweisung des Zahlungsantrags das auf Erteilung von
Deckungsschutz gerichtete Feststellungsinteresse des Klägers. Dies ändert aber nichts
daran, daß der Kläger mit seinem Zahlungsantrag unterlegen ist. Diese Zuvielforderung
war auch nicht verhältnismäßig geringfügig im Sinne des § 92 Abs. 2 ZPO. Die
Tatsache, daß mit der Abweisung des Zahlungsantrags das Feststellungsinteresse des
Klägers steigt, hat der Senat bei der auf den Kläger entfallenden Kostenquote
angemessen berücksichtigt.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erfolgt aus §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren
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und Wert der Beschwer der Beklagten: 20.000,00 DM.
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Wert der Beschwer des Klägers: 2.000,00 DM.
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