Urteil des OLG Köln vom 30.09.1998
OLG Köln (allgemeine geschäftsbedingungen, treu und glauben, geschäftsbedingungen, schlüssiges verhalten, rückgabe, höhe, geschäftsbeziehung, keg, schweigen, verwendung)
Oberlandesgericht Köln, 5 U 106/98
Datum:
30.09.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 106/98
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 90 O 248/97
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 10. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Köln vom 3. April 1998 - 90 O 248/97 -
abgeändert. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an
die Klägerin 14.175,00 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 9. Mai 1997 zu
zahlen. Es wird festgestellt, daß der Rechtsstreit im übrigen in der
Hauptsache erledigt ist. Die Kosten des Rechtsstreits werden den
Beklagten als Gesamtschuldner auferlegt. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Klägerin hat auch in der Sache
Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 2) ein Anspruch auf Leistung von
Schadensersatz für insgesamt 92 PM-Fässer und 14 KEG-Fässer in Höhe von
14.175,00 DM gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu.
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Die gesamtschuldnerische Haftung des Beklagten zu 1) als persönlich haftendem
Gesellschafter ergibt sich aus §§ 161 Abs. 2, 128 HGB.
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Aus dem Vortrag der Beklagten selbst ergibt sich, daß der Beklagten zu 2) die von ihr
geschuldete Rückgabe von leeren Bierfässern an die Klägerin unmöglich ist, weil sie
nach der Aufgabe und Veräußerung ihres Geschäfts an die Firma A. nicht mehr in den
Besitz der ihr von der Klägerin überlassenen streitgegenständlichen Fässer gelangt ist.
Die Beklagten tragen weiterhin vor, die Beklagte zu 2) sei auch nicht imstande, sich die
Fässer zum Zwecke der Rückgabe an die Klägerin zu beschaffen. Die Voraussetzungen
für eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB liegen demnach vor.
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Dem Umstand, daß die Rückgabe der Fässer möglicherweise nicht objektiv unmöglich
ist, kommt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu, da das
subjektive Unvermögen der Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 2 BGB gleichgestellt ist.
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Dem Vortrag der Beklagten ist ferner zu entnehmen, daß das Unvermögen zur
Rückgabe der Fässer auch auf Dauer besteht, denn die Behauptung, die noch
fehlenden Fässer würden irgendwann über andere Kunden der Klägerin bzw. die Firma
A. in B. an die Klägerin zurückgelangen, bedeutet nicht, daß die Beklagte zu 2)
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irgendwann sicher in der Lage sein wird, die ihr obliegende Rückgabepflicht zu erfüllen,
sondern drückt lediglich eine bloße Hoffnung der Beklagten aus.
Soweit die Beklagte zu 2) mithin zu der geschuldeten Rückgabe ihr von der Klägerin
überlassener Fässer unvermögend geworden ist, hat sie dies auch zu vertreten im
Sinne von § 280 Abs. 1 BGB. Ein Verschulden der Beklagten zu 2) wird in diesem
Zusammenhang gemäß § 282 BGB vermutet; diese Vermutung ist von den Beklagten
nicht widerlegt worden.
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Die Klägerin hat ferner durch die Vorlage der Rechnungen vom 10.12, 19.11, 22.11,
26.11, 03.12 und 10.12.1996 sowie der Lieferscheine vom 19.11, 22.11, 26.11 und
03.12.1996 (Bl. 3 - 13 des Anlagenhefts) hinreichend dargetan, daß die Beklagte zu 2)
zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch die Rückgabe von insgesamt 133 PM-
Leerfässern und 63 KEG-Fässern schuldete. Hierzu bedurfte es nicht einer genauen
Darlegung der Entwicklung des Leergutsaldos der Beklagten zu 2), denn die Klägerin
beruft sich zu Recht auf die in Ziff. 6 letzter Satz ihrer Allgemeinen
Geschäftsbedingungen enthaltene Bestimmung, wonach der auf den Rechnungen der
Klägerin dem jeweiligen Kunden mitgeteilte Leergutsaldo als anerkannt gilt, wenn
dieser nicht innerhalb von acht Tagen ab Rechnungsdatum schriftlich widersprochen
hat.
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Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin sind von dieser wirksam zur
Grundlage ihrer vertraglichen Beziehungen zu der Beklagten zu 2) gemacht worden.
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Nach dem insoweit unstreitigen Vorbringen der Klägerin ist davon auszugehen, daß
deren Allgemeine Geschäftsbedingungen auf sämtlichen der Beklagten zu 2) von der
Klägerin übersandten Lieferscheinen und Rechnungen abgedruckt waren, denn die
Klägerin hat Ablichtungen dieser Lieferscheine und Rechnungen vorgelegt, aus denen
sich ergibt, daß diese stets als Computerausdruck auf dem Geschäftspapier der
Klägerin erfolgt waren, das rückseitig jeweils einen Aufdruck der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Klägerin enthält. Auf diese auf der Rückseite abgedruckten
Allgemeinen Geschäftsbedingungen weist die Klägerin auf der Vorderseite ihres
Geschäftspapiers durch einen graphisch deutlich abgesetzten Zusatz hin.
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Unter Berücksichtigung dessen, wie auch des Umstands, daß die Klägerin derartig
gestaltete Rechnungen und Lieferscheine in einer Vielzahl von Fällen während der
langdauernden Geschäftsbeziehung mit der Beklagten zu 2) an diese versandt hat, ist
anzunehmen, daß eine rechtsgeschäftliche Einbeziehung der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen durch schlüssiges Verhalten der Parteien erfolgt ist. Denn bei
einer ständigen Geschäftsbedingung mit einer gewissen Häufigkeit von Verträgen, von
der hier unzweifelhaft auszugehen ist, können allgemeine Geschäftsbedingungen durch
wiederholte, auch für den flüchtigen Leser ohne weiteres erkennbare Hinweise in
Rechnungen o. ä. zum Vertragsbestandteil werden (vgl. BGHZ 42,55; BGH-NJW RR 91,
570 f; Fischer, BB 95, 2491 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
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So liegt der Fall hier.
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Die in Ziff. 6 letzter Satz der von der Klägerin verwendeten allgemeinen
Geschäftsbedingungen enthaltene Bestimmung hält einer Überprüfung gemäß § 9
AGBG stand.
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Der Senat verkennt nicht, daß es sich hierbei um eine Erklärungsfiktion im Sinne des §
10 Nr. 5 AGBG handelt, der nach § 24 AGBG zwar nicht unmittelbar für Kaufleute gilt,
dessen Wertungen bei der Überprüfung der im kaufmännischen Verkehr verwandten
Geschäftsbedingungen am Maßstab des § 9 AGBG jedoch mit zu beachten sind (vgl.
Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl., § 10 Nr. 5, Rn. 35 m. w. N.).
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Andererseits sind jedoch auch die Geschäftserfahrungen und Geschäftsgewandtheit
von Kaufleuten und die Besonderheiten des kaufmännischen Verkehrs bei der
vorzunehmenden Wertung zu berücksichtigen. Aus diesem Grunde werden
Erklärungsfiktionen auch im kaufmännischen Verkehr im Rahmen der Überprüfung nach
§ 9 AGBG einer strengen Prüfung unterzogen, die weitgehend an der Bestimmung des §
10 Nr. 5 AGBG orientiert ist (vgl. BGHZ 101, 365).
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Die anhand dieser Kriterien vorzunehmende Inhaltskontrolle führt indessen unter
Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände hier zu dem Ergebnis, daß die von der
Klägerin verwandte Vertragsklausel nicht gegen § 9 AGBG verstößt.
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Zum einen wird den Vertragspartnern der Klägerin eine Frist zum Widerspruch gegen
den ihnen mitgeteilten Kontokorrentsaldo von 8 Tagen eingeräumt, die in Anbetracht
des Bedürfnisses der Klägerin nach möglichst kurzfristiger Klärung der Verhältnisse
durchaus als angemessen angesehen werden kann.
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Zwar fehlt darüber hinaus die nach § 10 Nr. 5 b AGBG grundsätzlich im Falle einer
klauselmäßig vereinbarten Erklärungsfiktion aufzunehmende Verpflichtung des
Verwenders zur Erteilung eines gesonderten Hinweises auf die möglichen Folgen einer
widerspruchslosen Entgegennahme. Ein solcher Hinweis ist hier jedoch entbehrlich,
denn es ist davon auszugehen, daß in dem betreffenden Geschäftszweig, in dem
sowohl die Klägerin, als auch die Beklagten tätig sind, die Verwendung derartiger
Erklärungsfiktionen als bekannt vorausgesetzt werden kann. Dies ergibt sich bereits aus
den von beiden Parteien in Bezug genommenen Entscheidungen des OLG Karlsruhe
(NJW RR 88, 370 ff) und OLG Köln (NJW RR 88, 373), die beide eine ähnliche
Vertragsgestaltung zum Gegenstand hatten. Auch in diesen Fällen enthielten die dort
vom Getränkelieferanten verwendeten branchentypischen Allgemeinen
Geschäftsbedingungen vergleichbare Erklärungsfiktionen hinsichtlich des
Leergutsaldos.
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Die von der Klägerin verwandte Vertragsklausel hält ferner auch deshalb einer
Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand, weil ein sachlich anzuerkennendes Interesse der
Klägerin an deren Verwendung besteht. Der Klägerin wird es bei der großen Zahl des
ständig in Umlauf befindlichen Leerguts sowie der bei jeder Lieferung erfolgenden
Änderung des Leergutsaldos ohne Verwendung einer derartigen Erklärungsfiktion nur
sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich sein, im Bestreitensfall die Entwicklung eines
solchen Leergutsaldos von Beginn der Geschäftsbeziehung an lückenlos durch
Darstellung sämtlicher Bewegungen dieses Kontos darzulegen und ggf. zu beweisen.
Praktikabel ist allein die Abrechnung des Leerguts im hier praktizierten Wege, die nicht
zuletzt auch im Interesse der Kunden der Brauerei, denen das Leergut kostenfrei
überlassen wird, erfolgt. Aus diesem Grunde bestehen gegen die Wirksamkeit der
Vertragsklausel letztendlich keine durchgreifenden Bedenken, denn der Schwerpunkt
bei der Inhaltskontrolle in Hinblick auf Erklärungsfiktionen im kaufmännischen
Geschäftsverkehr sollte grundsätzlich nicht bei der Einhaltung der formalen Kriterien des
§ 10 Nr. 5 AGBG, sondern bei der materiellen Überprüfung liegen, ob an der Fiktion
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angesichts ihrer Anknüpfungspunkte und Rechtsfragen ein sachlich anzuerkennendes
Interesse des Verwenders besteht (vgl. Ullmer/Brandner/Hensen, AGBG, 8. Aufl., § 10
Nr. 5, Rn. 18). Dem schließt sich der Senat nicht zuletzt vor dem Hintergrund der
Überlegung an, daß dem Schweigen im Rechtsverkehr unter Kaufleuten auch in einer
Anzahl von gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen eine andere Bedeutung
beigemessen wird, als dies im nichtkaufmännischen Verkehr der Fall ist.
Im übrigen stellt sich das Verhalten der Beklagten, die offenbar erstmals im
vorliegenden Rechtsstreit die auf der Grundlage ihrer AGB geübte Praxis der Klägerin
bestritten haben, als rechtsmißbräuchlich und damit als Verstoß gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB dar.
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Soweit die Beklagten pauschal vortragen, der von der Klägerin angegebene
Leergutsaldo sei im Verlauf der Geschäftsbeziehung mehrmals beanstandet worden, ist
dies unbeachtlich. Eine nähere Substantiierung dieses Vortrages ist nicht erfolgt; die
Beklagten sind insoweit der Auffassung, die Klägerin müsse zunächst ihrerseits ihren
Vortrag durch Darlegung der Gesamtentwicklung des Kontokorrentkontos
substantiieren. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Klägerin beruft
sich zu Recht auf die Richtigkeit des durch Schweigen der Beklagten anerkannten
Saldos. Will die Beklagte hiergegen geltend machen, sie habe einzelne, von der
Klägerin mitgeteilte Salden als unrichtig beanstandet, so ist wiederum sie hierfür
darlegungs- und beweispflichtig. Eine Darlegung dahingehend, wann und auf welche
Weise ggf. welche Mitteilung der Klägerin beanstandet worden sind, ist indes nicht
erfolgt, das bloß pauschale Bestreiten der Beklagten mithin insoweit unbeachtlich.
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Unerheblich ist ferner, ob die Beklagten die letzte Rechnung der Klägerin vom
10.12.1996 erhalten haben, was von ihnen bestritten wird. Denn jedenfalls ist der mit der
Rechnung vom 09.12.1996 mitgeteilte Saldo von 135 PM-Fässern und 63 KEG-Fässern
den Beklagten mitgeteilt und durch Schweigen von ihnen anerkannt worden. Bei der
Berechnung ihrer Forderungen geht die Klägerin indessen davon aus, daß in der Zeit
vom 03.12 bis zum 10.12.1996 noch mehrere Fässer von den Beklagten zurückgegeben
worden sind. Daß die insoweit von der Klägerin zu Grunde gelegten Zahlen
unzutreffend sind, behaupten die Beklagten nicht.
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Nicht zu beanstanden ist ferner die Schadensberechnung der Klägerin, soweit diese
hinsichtlich der nicht von der Beklagten zu 2) zurückgegebenen Fässer von einem
Wiederbeschaffungswert in Höhe des von ihr für eine Neuanschaffung der Fässer
aufzuwendenden Betrages ausgegangen ist. Die zwischen den Parteien kontrovers
diskutierte Frage einer Wirksamkeit der in Ziff. 6 der von der Klägerin verwendeten AGB
enthaltenen Klausel, wonach verlorengegangene oder nach Beendigung der
Geschäftsbeziehung nicht zurückgegebene Fässer mit dem Wiederbeschaffungswert zu
ersetzen sind, bedarf hierzu keiner Entscheidung, denn auch nach den allgemeinen
gesetzlichen Vorschriften, hier § 251 BGB, ist grundsätzlich eine Entschädigung in Geld
in Höhe des Wiederbeschaffungswertes zu leisten (vgl. Palandt-Heinrichs, § 251, Rn.
13). Da andererseits die Behauptung der Klägerin, die betreffenden Fässer seien
aufgrund ihrer technischen Beschaffenheit von einer nahezu unbegrenzten
Lebensdauer und es gebe für diese keinen Gebrauchtmarkt, von den Beklagten nicht
bestritten worden ist, begegnet es keinen Bedenken, als Wiederbeschaffungswert den
Neupreis derartiger Fässer anzusetzen. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist eine
Wiederbeschaffung nur durch Neukauf zu realisieren. Ein Abzug "Neu für Alt" erscheint
nicht gerechtfertigt. Das gilt insbesondere deshalb, weil die Klägerin mit Rücksicht
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darauf, daß sie die Größe der einzelnen Fässer nicht mehr nachvollziehen kann, jeweils
nur den Preis für die kleinstmöglichste Größe in Ansatz gebracht hat, obwohl es
durchaus wahrscheinlich ist, daß sich auch eine Anzahl größerer und damit teurerer
Fässer unter dem bislang nicht zurückgegebenen Leergut befindet. Auch aus diesem
Grund erscheint letztlich eine Benachteiligung der Beklagten durch die von der Klägerin
vorgenommene Schadensberechnung ausgeschlossen.
Begründet ist ferner auch der von der Klägerin gestellte Antrag auf Feststellung, daß der
Rechtsstreit in Höhe des Betrages, um den die Klagesumme im Berufungsverfahren
reduziert worden ist, in der Hauptsache erledigt ist. Auch hinsichtlich der von der Firma
A. auf Veranlassung der Beklagten im Mai 1998 zurückgegebenen 41 PM-Fässer und
50 KEG-Fässer gilt nach den obigen Ausführungen, daß zunächst eine auf eine
Geldzahlung gerichtete Schadensersatzforderung der Klägerin gemäß § 280 Abs. 1
BGB bestand, denn auch insoweit war ein Unvermögen der Beklagten zur Erfüllung
ihrer vertraglichen Rückgabeverpflichtung gegeben.
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Mit der Entgegennahme der Fässer durch die Klägerin wurde diese Forderung gemäß §
364 Abs. 1 BGB erfüllt, so daß insoweit eine Teilerledigung des Rechtsstreits
eingetreten ist.
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Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, 352 HGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, 91 a Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Wert der Beschwer der Beklagten: unter 60.000,00 DM
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