Urteil des OLG Köln vom 11.04.1994

OLG Köln (unfall, sturz, gutachten, vorbehalt, beweislast, rückforderung, literatur, arbeitsunfähigkeit, zpo, grad)

Oberlandesgericht Köln, 5 U 232/93
Datum:
11.04.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 232/93
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 25 0 136/91
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 10. März 1993 verkündete
Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 0 136/91 -
geändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Die Klage wird
abgewiesen. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an den
Beklagten 13.992,00 DM (in Worten:
dreizehntausendneunhundertzweiundneunzig Deutsche Mark) nebst 4
% Zinsen seit dem 5. Januar 1990 zu zahlen. Die Kosten des
Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die nach §§ 511, 511 a ZP0 statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden (§§ 516, 518, 519 ZPO) und damit zulässig. Sie ist auch in der Sache
gerechtfertigt.
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Die Klage ist nicht begründet. Als Grundlage des von der Klägerin erhobenen
Anspruchs kommt allein § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB (condictio indebeti) in Betracht. Die
Klägerin macht nämlich geltend, auf eine Verbindlich- keit geleistet zu haben, die in
Wirklichkeit nicht be- standen habe. Nach allgemeinen Regeln wäre sie für die
Anspruchsvoraussetzung des Nichtbestehens der Verbind- lichkeit an sich darlegungs-
und beweispflichtig. Das mit der Klage zurückgeforderte Tagegeld für die Zeit ab dem 3.
Oktober 1989 wurde indes unter dem ausdrück- lichen Vorbehalt der Rückforderung
gezahlt. Ein solcher Vorbehalt kann im Einzelfall die Bedeutung haben, daß die
Leistung unter der Bedingung erfolgt, daß die Ver- bindlichkeit tatsächlich besteht. In
einem solchen Fall verbleibt die Beweislast für das Bestehen der Verbind- lichkeit beim
Leistungsempfänger (vgl. Palandt-Thomas, 53. Aufl., § 814 Rdn. 11). Dies ist vorliegend
der Fall. Der Vorbehalt der Rückforderung konnte sich im Streitfall nur auf die zur Zeit
der Zahlung noch nicht geklärte Frage bezogen haben, ob die Arbeitsunfähigkeit des
Beklagten unfallbedingt war oder nicht. Die Kläge- rin hat sich also vorbehalten, das
gewährte Tagegeld zurückzufordern, ohne daß dadurch in einem evtl. Rück-
forderungsstreit eine Verschiebung der Beweislast zu ihrem Nachteil bewirkt werden
sollte. Eine Auslegung des Vorbehalts in diesem Sinne ist auch geboten, weil
andernfalls ein Unfallversicherer in den häufigen Fällen ungeklärter Kausalität bis zu
deren endgültiger Klärung keinerlei Leistungen erbringen könnte, ohne sich erheblichen
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Nachteilen auszusetzen. Dies hätte praktisch zur Folge, daß in solchen Fällen
Zahlungen, die dem Ausgleich unmittelbar eintretender Nachteile des Verletzten dienen,
erst nach gerichtlicher Ausein- andersetzung, in der dem Anspruchsteller die Beweislast
obliegt, erfolgen würden, was nach dem Wesen einer Ta- gegeldversicherung aus der
Sicht der Versicherten nicht wünschenswert ist.
Der danach dem Beklagten obliegende Beweis, daß die Ar- beitsunfähigkeit
unfallbedingt war, ist nach Auffassung des Senats erbracht.
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Der BGH hat in einer jüngeren Entscheidung (vgl. NJW 1994, 801, 802) unter
Bestätigung seiner früheren Rechtsprechung (vgl. NJW 1989, 2448) erneut darauf hin-
gewiesen, daß es bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Ereignis einen bestimmten
Erfolg im medizinischen Sinne verursacht hat, nicht auf den Grad der Überzeugung des
(medizinischen) Sachverständigen ankommt, sondern auf die persönliche Überzeugung
des Tatrichters, die nicht den Ausschluß letzter Zweifel, sondern lediglich einen für das
praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit voraussetzt. Diese Gewißheit hat
der Senat aufgrund der unstreitigen tatsächlichen Umstände, den Feststellungen des
Oberarztes Dr. B. und des Chefarztes des V.-P.-Hos- pitals Dr. H. sowie letztlich auch
den gutachterlichen Äußerungen von Dr. K. gewonnen.
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Der Senat ist davon überzeugt, daß der Bizepssehnenriß, der zu der lang andauernden
Arbeitsunfähigkeit geführt hat, adäquat kausal durch den Sturz auf den rechten Oberarm
verursacht worden ist.
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Für die Ursächlichkeit spricht zunächst der zeitliche Zusammenhang zwischen dem
Unfall und dem Erkennen des Bizepssehnenrisses zwei Tage danach. Ferner spricht
dafür, daß neben dem Unfallgeschehen weitere äußere Einwirkungen auf
Oberarm/Schulter, durch die der Riß hätte verursacht werden können, nicht ersichtlich,
auch nicht behauptet sind. Auch aus dem Kurzattest des Oberarztes Dr. B. vom 9.
November 1991 ergibt sich ein Kausalzusammenhang. Danach soll der Riß nämlich
"nicht schon durch den Unfall allein entstanden sein können". Es habe vielmehr schon
vorher ein schleichender degene- rativer Veränderungsprozeß der Sehnensubstanz
stattge- funden. Indessen soll es dann durch den Unfall zu einer deutlichen
Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens gekommen sein. Dies bedeutet nichts
anderes, als daß der Sturz den Riß im Sinne einer Verursachung ausgelöst hat, mögen
auch andere Ursachen mitgewirkt haben.
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Gleiches folgt aus den Nachschauberichten des Dr. H. , der auch die Erstversorgung der
Schulterprellung vorge- nommen hat, vom 11. September 1989 und 26. Januar 1990.
Die jeweils getroffene Diagnose lautet:"Zustand nach starker Prellung rechte Schulter
mit Ruptur der langen Bizepssehne". Daß Dr. H. weder bei der Erstversorgung am 30.
August noch bei der Erstnachschau am 1. Septem- ber 1989 einen Bizepssehnenriß
erwähnt hat, läßt sich dadurch erklären, daß insoweit (noch) keine klinischen Anzeichen
dafür (Zusammenschrumpfen des Bizepsmuskels) sichtbar waren.
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Auch Dr. K. gesteht zu, daß der Unfall der auslösende Faktor für den Bizepssehnenriß
gewesen ist. Zwar hat er in seinem Gutachten vom 5. Dezember 1989 weiter ausgeführt,
daß die Hauptursache für die Ruptur in der degenerativen Vorschädigung der Sehne
liege. Ein Sturz könne lediglich als auslösender Faktor betrachtet wer- den, weil eine
völlig gesunde Sehne nicht reiße, denn es komme dann allenfalls zu einem Ausreißen
der Sehne am Knochenansatz, wobei Knochenanteile mit ausgerissen würden.
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Regelmäßig bilde die Beanspruchung der Bizeps- sehne durch Heben von
Gegenständen oder Ziehen eines Wagens lediglich einen beliebigen
Gelegenheitsanlaß, um "die ohnehin bevorstehende Ruptur nunmehr aufzuzeigen". Der
von Dr. K. daraus abgeleiteten Bewertung, daß der zwei Tage später zutagegetretene
Riß der langen Bizeps- sehne, "nach Bestehen der Lehrmeinung und der gesamten
einschlägigen Literatur nicht Unfallfolge sondern Zei- chen einer degenerativen
Sehnenerkrankung sei", teilt der Senat nicht. Es spricht nämlich nichts dafür, daß der
Unfall lediglich "der letzte Tropfen war, der das volle Faß zum Überlaufen gebracht hat".
Solche beliebig austauschbaren Gelegenheitsursachen würden allerdings regelmäßig
nicht genügen, denn die Unfallversicherung soll Entschädigung für die Folgen eines
Unfalls gewäh- ren, nicht aber für einen ohnehin latent bestehenden Invaliditätszustand,
der nur durch einen geringfügigen Anlaß zuTage tritt. Es fehlt indessen an hinreichend
sicheren Feststellungen, daß die Sehne des Beklagten derart degeneriert war, daß sie
bei der geringsten Ge- legenheit ohnehin gerissen wäre. Objektive Befunden die auf
eine besonders übermäßige Degeneration hindeuten, gibt es nicht. Es kann auch nicht
davon ausgegangen werden, daß es sich bei dem Unfall nur um ein belang- loses
Ereignis gehandelt hat. Immerhin hat Dr. H. eine starke Prellung der rechten Schulter
dokumentiert. Es ist auch ohne weiteres nachvollziehbar, daß ein Sturz auf die rechte
Schulter mit angelegtem Arm einen erheb- lichen Aufprall verursacht.
Das Gutachten von Prof. T. vom 12. Dezember 1989, das inhaltlich ausgesprochen
substanzarm ist, steht dem nicht entgegen. Es leuchtet nicht ein, wieso der Sturz nicht
geeignet gewesen sein soll, eine degenerierte Sehne zum Reißen zu bringen. Darauf,
daß eine gesunde Sehne im Streitfall nicht gerissen wäre, kommt es nicht an.
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Das Kurzgutachten des Dr. He. ist schon deshalb un- brauchbar, weil der Unfallhergang
nicht richtig erfaßt ist, denn der Gutachter spricht von einem Sturz auf den abduzierten
Arm. Ferner sprichts nichts dafür, daß die Sehne aufgrund eines zweiten
Unfallereignisses später gerissen ist, wie Dr. He. annimmt.
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Das vom Landgericht eingeholte Gutachten des Dr. G. hat keine neuen Gesichtspunkte
erbracht, weil sich Dr. G. im wesentlichen lediglich unter Bezugnahme auf die ein-
schlägige Literatur den "Vorgutachtern" angeschlossen hat.
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Die danach anzunehmende Mitursächlichkeit des Unfalls für den Sehnenriß genügt, um
die Leistungspflicht der Beklagten auszulösen (vgl. Knappmann in Pröls-Martin, 25.
Aufl., § 1 AUB 88, Anm. 3 e).
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Eine Anspruchsminderung nach § 10 (1) AUB/Signal (=§ 8 AUB 88) kommt nicht in
Betracht, weil altersbe- dingt normale Verschleißerscheinungen (Degenerationen),
keine Krankheiten oder Gebrechen im Sinne der Bedingun- gen sind (vgl. Knappmann
a.a.O., § 8 AUB 88 Anm. 3).
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Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich ohne weiteres, daß die Widerklage
begründet ist. Aufgrund der vom Beklagten vorgelegten ärztlichen Atteste steht fest, daß
er wegen des Bizepssehnenrisses bis zum 11. März 1990 arbeitsunfähig war.
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Der Zinsanspruch ist nach Grund und Höhe unstreitig.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Wert der Beschwer für die Klägerin:
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unter 60.000,00 DM.
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