Urteil des OLG Köln vom 09.09.1994
OLG Köln (fahrbahn, verkehr, verschmutzung, silo, körperverletzung, fahrzeug, unfall, stgb, weide, unverzüglich)
Oberlandesgericht Köln, Ss 319/94 - 131 -
Datum:
09.09.1994
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 319/94 - 131 -
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Re-vision, an eine andere Abteilung des Amts-gerichts
(erweitertes Schöffengericht) Schleiden zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit
fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 100,- DM
verurteilt. Es hat festgestellt:
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"Am Samstag, dem 26.10.1991 gegen 12.50 Uhr befuhr der Zeuge H. mit dem Silo-
LKW den asphaltierten Verbindungsweg zwischen der Bundesstraße --- und dem
landwirtschaftlichen Betrieb des Angeklagten aus Richtung Bundesstraße ---
kommend. Der nicht überladene Silozug war mit Futtermitteln beladen, da der
Angeklagte tags zuvor bei der Firma H. ... zwischen 8 und 10 Tonnen Pressfutter ...
bestellt hatte. Absprachegemäß sollte diese Lieferung im Laufe des Vormittags des
darauffolgenden Tages angeliefert werden. Der zum Teil steil abfallende
Wirtschaftsweg ist für Fahrzeuge dieser Größe der einzige Zugang zu dem Hof H.,
weil der aus dem Ort B. kommende ansteigende Weg durch einen Tunnel führt, durch
den größere Fahrzeuge nicht ... passen. Aus diesem Grunde wurde der Angeklagte in
den Zeiten zuvor - je nach bestellter Menge und Größe des Fahrzeuges - entweder
von der B --- oder von B., den Tunnel durchfahrend (be) liefert. Die Straße, die in
Fahrtrichtung des LKW ein durchschnittliches Gefälle von 13 % aufweist, führt
zunächst durch freies, landwirtschaftliches Gelände. Innerhalb einer Rechtskurve
wird der Weg sodann durch hohen Baum- und Strauchbewuchs abgeschattet. Die
Straße weist dort ein Gefälle von 15 % sowie eine Querneigung zur
Kurvenaussenseite von 3 % auf. Innerhalb der waldgesäumten Gefällstrecke des
Wirtschaftsweges war dieser fahrbahndeckend mit Kuhmist, Lehm, Silageresten und
herabgefallenem Laub bedeckt. Diese Verschmutzungen gelangten dort auf die
Fahrbahn, weil der Angeklagte tags zuvor und auch am Samstagmorgen dort Vieh
getrieben und mit seinem Traktor Silage gefahren hatte. Der Zeuge H. befuhr diese
Wegstrecke mit einer Geschwindigkeit zwischen 7 und 35 km/h, am späteren
Unfallort selber mit 10 km/h. Als der Zeuge H. mit seinem Fahrzeug die Rechtskurve
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befuhr, kam ihm auf dem - von ihm aus gesehen - linken Fahrbahnrand eine
Fußgängergruppe aus 6 Personen entgegen, die er wegen des Bewuchses erst 30 m
vor dem Unfallort sehen konnte. Aufgrund des Gefälles, der Straßenneigung, der
Fahrbahnverschmutzung sowie einer Verminderung der Bremswirkung an der
rechten Hinterradbremse auf ca. 10 % der normalen Bremsleistung verlor der LKW
bei Betätigen des Bremspedals die Lenkfähigkeit und rutschte auf der nur 3,10 m
breiten Fahrbahn immer weiter nach links auf die Fußgängergruppe zu. Das
Fahrzeug geriet über den linken Fahrbahnrand in eine tiefer gelegene Wiese und
kippte um. Dabei wurde der 8 Jahre alte D. H., der 9 Jahre alte B. W. und die 29
Jahre alte P. W. mitgerissen und unter dem LKW begraben. Alle drei Personen
erlitten tödliche Verletzungen und starben noch am Unfallort. Die Zeugen F. W., R. R.
und A. G. wurden teils erheblich verletzt. So erlitt die Zeugin R. diverse Prellungen,
Ödeme in den Augen, Kopfverletzungen und einen Fußbruch. Der Fuß ist zu 40 %
auf Dauer geschädigt. Die Zeugen W. und G. erlitten diverse Prellungen. Das
Fahrzeug des Zeugen H. befand sich mit Ausnahme der auf ca. 10 % der normalen
Leistung verringerten rechten Hinterradbremse in einem technisch einwandfreien
Zustand. Der Mangel an der Bremse konnte jedoch (nach dem) Gutachten des
Sachverständigen ... während des normalen Fahrbetriebes nicht auffallen, er wäre
vielmehr erst bei einer Überprüfung auf einem Rollen- oder Plattenprüfstand
feststellbar gewesen. Trotz dieses Mangels an der Bremse wäre das Fahrzeug des
Zeugen H. bei halbwegs gesäuberter Fahrbahn rechtzeitig zum Stillstand gekommen.
Die Asphaltbetondecke der Fahrbahn wies flächendeckend eine 2 bis 3 mm dicke
Schmierschicht auf, die im Bereich der 15 %-igen Gefällstrecke ein Befahren mit
Fahrzeugen fast unmöglich machte. So geriet ein zu Hilfe eilender Rettungswagen
auf dieser Gefällstrecke trotz eingeschlagener Räder auf die linke Fahrbahnseite und
wurde dort von einem Baumstumpf oder Stein abgefangen, ansonsten wäre dieses
Fahrzeug ebenfalls die Böschung hinuntergestürzt. Beim Abtransport der Zeugin R.
mußte der Rettungswagen trotz bereits erfolgter Abstreuung der Fahrbahn am Traktor
des Angeklagten angeseilt werden, um ein Abrutschen in die linke Böschung zu
verhindern. Auch das Bergungsfahrzeug, das den Silozug anheben sollte, mußte
mittels Stahltrossen an Bäumen angebunden werden. Die Fußgänger hatten größte
Schwierigkeiten, diesen Streckenabschnitt zu begehen. Das Gericht unterstellt als
wahr, daß sowohl am Freitagabend als auch am Samstagvormittag ein Viehtrieb im
Unfallbereich stattgefunden hatte; so hatte der Angeklagte am Morgen des
Unfalltages nach dem Melken zunächst 60 Milchkühe an der Unfallstelle vorbei auf
eine höher gelegene Weide getrieben. Da der Aufwuchs hier nicht ausreichend war,
wurden diese Kühe alsdann auf eine tiefer gelegene Weide unterhalb der Unfallstelle
umgesetzt. Auf die abgegraste Weide trieb der Angeklagte alsdann 25 Rinder, und
zwar wiederum an der Unfallstelle vorbei. Zu Gunsten des Angeklagten geht das
Gericht ferner davon aus, daß der Angeklagte regelmäßig den Wirtschaftsweg
gesäubert hat, sofern dies infolge von Beschmutzungen erforderlich wurde."
Der Argumentation des Angeklagten, der Unfall wäre nicht geschehen, wenn die Firma
H. die vereinbarte Lieferzeit (Samstagnachmittag) eingehalten hätte, weil es seine
Absicht gewesen sei, den durch das Viehtreiben stark verschmutzten Weg nach dem
Einbringen der Silage für die Abendfütterung sofort gründlich zu reinigen, ist das
Amtsgericht nicht gefolgt. Vielmehr hat es die Einlassung, mit der Firma H. sei vereinbart
gewesen, das Pressfutter am Samstagnachmittag anzuliefern, aufgrund der Aussage
des Zeugen H., wonach ab Samstagmittag grundsätzlich keine Lieferung mehr
stattfinde, für widerlegt erachtet.
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Zum Fahrlässigkeitsvorwurf wird im Urteil u.a. ausgeführt:
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"Aufgrund der gegebenen Umstände geht das Gericht davon aus, daß den
Angeklagten bereits ein Verschulden desshalb trifft, weil er gegen § 32 StVO
verstoßen hat. Hiernach ist es verboten, die Straße zu verschmutzen oder zu
benässen oder Gegenstände auf Straßen zu bringen oder dort liegen zu lassen,
wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann. Der für solche
verkehrswidrigen Zustände Verantwortliche hat sie unverzüglich zu beseitigen und
bis dahin ausreichend kenntlich zu machen. Zu diesen zu beseitigenden
Hindernissen zählen auch Viehkot, Ackerlehm ... Dabei verkennt das Gericht nicht,
daß es sich vorliegend nicht um eine überörtliche Straße, sondern um einen
Wirtschaftsweg gehandelt hat. Dieser Wirtschaftsweg wurde aber auch von anderen
Anliegern benutzt und durfte auch von anderen Verkehrsteilnehmern benutzt werden.
Es trifft zwar zu, daß ein Landwirt nur schwerlich verhindern kann, daß
Kuhausscheidungen während des Treibens der Tiere über öffentliche Straßen
erfolgen; auch sonstige Verschmutzungen durch Traktoren und Silagen sind nur in
gewissem Umfange vermeidbar. § 32 StVO verbietet jedoch nicht nur,
verkehrsgefährdende Gegenstände auf die Straße zu bringen, sondern auch, sie dort
liegen zu lassen. Diese zweite Alternative bezieht sich gerade auf solche
Gegenstände, die gegen den Willen des für die Verkehrsbehinderung
Verantwortlichen auf die Straße gelangt sind, jedoch fortgeschafft werden können.
Diese Fortschaffung hat nach dem Gesetz unverzüglich zu erfolgen, und zwar im
Rahmen des Zumutbaren. Jede mögliche Gefahr ist alsbald zu beseitigen. Der
Angeklagte hätte daher - wenn nicht schon am Freitagabend - spätestens nach dem
letzten Viehtrieb am Samstagmorgen die erheblichen Verschmutzungen auf der
Fahrbahn beseitigen müssen. Diese gilt um so mehr, als er im Laufe des Samstags
den bestellten Silozug erwartete. Da der Angeklagte die erhebliche Verschmutzung
im Bereich der 15 %-igen Gefällstrecke erkannt hatte, durfte er mit der Beseitigung
dieser Beschmutzung nicht zuwarten, bis er die letzte Silagefahrt beendet hatte.
Denn er mußte jederzeit mit dem Erscheinen des Silozuges rechnen. Der Angeklagte
mußte ferner damit rechnen, daß bei der bestellten Menge zwischen 8 und 10
Tonnen zur Anlieferung des Futtermittels die Unfallstrecke benutzt würde, im
Zweifelsfalle hätte er telefonisch nachfragen müssen ... Hätte der Angeklagte, wie es
seine Pflicht gewesen wäre, den Streckenabschnitt ordnungsgemäß gesäubert, so
wäre es nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ... nicht zum
Unfallgeschehen gekommen. Die kausale Verursachung des Todes und der
Körperverletzung wäre ... bei pflichtgemäßem Verhalten des Angeklagten vermieden
worden. Der Angeklagte hat daher eine ihn treffende Sorgfaltspflicht verletzt. Das
tragische Ereignis war für den Angeklagten auch vorhersehbar und vermeidbar. Der
Angeklagte mußte jederzeit mit Fußgängern, Fahrradfahrern und anderen
Verkehrsteilnehmern auf diesem Wirtschaftsweg rechnen. (Er) ... mußte ferner damit
rechnen, daß noch im Laufe des Vormittags der große und schwere Silozug die
Gefahrenstelle befahren würde. Aufgrund der erheblichen Verschmutzungen in
Verbindung mit dem starken Gefälle von 15 % mußte der Angeklagte auch davon
ausgehen, daß der Silozugfahrer diese Gefahrenstelle nur unter erheblicher
Gefährdung durchfahren konnte. Durch eine unverzügliche Säuberung dieser
Gefahrenstelle wäre dieser tragische Erfolg für ihn auch vermeidbar gewesen.
Demnach ... (hat) der Angeklagte seinen Verkehrssicherungspflichten in fahrlässiger
Weise nicht entsprochen. Unter diesen Umständen ist (er) ... für den Tod dreier
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Menschen und die Körperverletzung von drei Personen verantwortlich und wegen
fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung gemäß den §§
222, 232, 230, 223, 52, 13 StGB zu bestrafen."
Gegen dieses Urteil richtet sich die (Sprung-) Revision des Angeklagten, mit der er die
Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
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Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg.
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Die Verfahrensrügen bedürfen keiner Entscheidung, weil schon die Sachbeschwerde
durchgreift.
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Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit
fahrlässiger Körperverletzung hält auf der Grundlage der vom Amtsgericht getroffenen
Feststellungen der materiell-rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Gründe der
Entscheidung enthalten keine hinreichenden Belege dafür, daß der Angeklagte am 26.
Oktober 1991 durch Fahrlässigkeit den Tod von Menschen (§ 222 StGB) und die
Körperverletzung anderer (§ 230 StGB) verursacht hat. Zwar ist das Unfallereignis mit
seinen schwerwiegenden Folgen zumindest auch darauf zurückzuführen, daß es der
Angeklagte an jenem Tag unterlassen hat (darin liegt jedenfalls der "Schwerpunkt des
Vorwurfs": Vgl. BGH St. 6, 46, 59), den durch seine Viehherde und Silagereste stark
verschmutzten Weg im Bereich der Gefällestrecke früher zu reinigen. Denn ohne diese
Fahrbahnverschmutzungen, die dem Verantwortungsbereich des Angeklagten
zuzuordnen sind, wäre der Unfall nach Überzeugung des Tatrichters trotz des
Bremsendefekts am LKW nicht geschehen. Jedoch beruht die Annahme des Tatrichters,
dem Angeklagten habe die Rechtspflicht (§ 13 Abs. 1 StGB) oblegen, den Weg noch vor
der Ankunft des LKW zu säubern, auf einer insgesamt unzureichenden
Tatsachengrundlage. Aus der vom Amtsgericht herangezogenen Spezialnorm des § 32
Abs. 1 StVO (= § 41 StVO a.F.), die Ausfluß der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht
(vgl. BayObLG St. 1978, 80) und des Grundsatzes ist, daß derjenige, der eine
Gefahrenquelle schafft, Vorkehrungen zur Abwehr von Schäden für Dritte treffen muß
(vgl. OLG Koblenz VRS 72, 128), kann eine solche Rechtspflicht des Angeklagten auf
der Basis der bisherigen Feststellungen nicht abgeleitet werden. Nach dieser Vorschrift
ist es unter anderem verboten, die Straße zu beschmutzen, wenn dadurch der Verkehr
gefährdet oder erschwert werden kann. Der für solche verkehrswidrigen Zustände
Verantwortliche hat sie unverzüglich zu beseitigen und sie bis dahin ausreichend
kenntlich zu machen. Daß Kuhdung, lehmige Ackererde und Silagereste, sofern sie
nicht nur in geringfügigen Spuren, sondern - wie hier - flächendeckend auf der Straße
abgelagert sind, Verschmutzungen in diesem Sinne darstellen, ist in der
Rechtsprechung anerkannt (vgl. BGHZ 12, 124; Senat VM 1968, 79 = VRS 36, 224;
OLG Koblenz VersR 1971, 745; alle zu § 41 StVO a.F.). Die Pflicht,
verkehrsgefährdende oder -behindernde Gegenstände nicht auf die Fahrbahn zu
verbringen und, sollten sie dennoch dorthin gelangt sein, sie alsbald wieder zu
entfernen, gilt indes nicht uneingeschränkt, sondern nur im Rahmen des Zumutbaren
(vgl. Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 13. Aufl., § 32 Rn. 7). § 32 StVO bezieht sich
vielmehr allein auf solche "Hindernisse", mit denen der Verkehrsteilnehmer im
allgemeinen nicht zu rechnen braucht (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1973, 945; DAR
1977, 188; Jagusch/Hentschel, StVR, 32. Aufl., § 32 StVO Rn. 6). Maßgebend für die
Entscheidung, ob den Verantwortlichen eine Beseitigungspflicht nach § 32 Abs. 1 S. 2
StVO trifft, ist somit, wie die Straße beschaffen ist, welcher Verkehr sich auf ihr abspielt
und welches Ausmaß die Verschmutzung hat (vgl. BGH a.a.O.; OLG Koblenz a.a.O.).
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Bei Fernverkehrsstraßen mit überwiegendem Kraftfahrzeugverkehr braucht, selbst wenn
sie durch ländliches Gebiet führen, in der Regel mit groben Verschmutzungen nicht
gerechnet zu werden, so daß derartige "Hindernisse" alsbald zu entfernen oder
kenntlich zu machen sind (vgl. BGH a.a.O.; NJW 1962, 34). Für Straßen dörflichen
Charakters, die vornehmlich dem Verkehr mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen dienen,
gilt hingegen ein anderer Maßstab. Ortsübliche Verschmutzungen, die beispielsweise
durch Erntearbeiten entstanden sind, müssen hier nicht sofort entfernt werden, sondern
regelmäßig erst am Ende des betreffenden Erntetages (vgl. OLG Koblenz VersR 1971,
745). Die Anlieger eines Wirtschaftsweges, der keine Verbindungsstraße ist, sondern
allein dem Verkehrsbedürfnis der Landwirte dient, die angrenzende Acker- und
Weideflächen bewirtschaften wollen, sind demgegenüber grundsätzlich nicht
verpflichtet, den erkennbar ausschließlich für den Verkehr mit landwirtschaftlichen
Fahrzeugen bestimmten Weg von Ackererde und sonstigen ortsüblichen - selbst
stärkeren - Verschmutzungen freizuhalten (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1973, 945; 1981,
659). Der Umfang der Pflichten aus § 32 Abs. 1 StVO hat sich nach dem zu bemessen,
was zur Sicherheit desjenigen Verkehrs erforderlich ist, dem die Wegfläche gewidmet ist
(vgl. Gaisbauer VersR 1974, 61). Wer einen solchen Wirtschaftsweg benutzt, muß den
für ihn erkennbaren Gegebenheiten durch entsprechende Fahrweise Rechnung tragen.
Der Charakter einer Straße als Wirtschaftsweg entbindet die ihn bestimmungsgemäß
nutzenden Landwirte allerdings nicht von der Pflicht, solche außergewöhnlichen
Hindernisse (Verschmutzungen) zu beseitigen, mit deren Vorhandensein auch auf
einem Wirtschaftsweg in ländlicher Gegend nicht gerechnet werden muß (vgl. OLG
Düsseldorf VersR 1981, 659, 660).
Hiernach kann das angefochtene Urteil schon deshalb keinen Bestand haben, weil Art
und Verkehrsbedeutung des Weges, auf dem sich der Unfall ereignet hat, den
Feststellungen nicht klar und widerspruchsfrei zu entnehmen sind. Während zunächst
(S. 3 des Urteils) vom "Verbindungsweg" zwischen der B --- und dem Gehöft des
Angeklagten und vom "Wirtschaftsweg" die Rede ist, heißt es an anderer Stelle (S. 6
des Urteils), daß der Weg - abgesehen von sonstigen Anliegern - "auch von anderen
Verkehrsteilnehmern" benutzt werden "durfte", so daß "jederzeit mit Fußgängern,
Fahrradfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern" dort gerechnet werden mußte (S. 7
des Urteils). Damit ist letztlich ungewiß, ob es sich um eine vom allgemeinen Verkehr
benutzte Durchgangsstraße handelt oder um einen bloßen Anliegerweg für den
landwirtschaftlichen Verkehr (Wirtschaftsweg), zumal das Urteil keine näheren Angaben
über die Beschilderung enthält. Da die sich aus § 32 Abs. 1 StVO ergebenden Pflichten
je nach Eigenart und Verkehrsbedeutung der betreffenden Straße - wie dargelegt -
unterschiedlichen Inhalt und Umfang haben, führt die nicht eindeutige Qualifizierung des
hier zu beurteilenden Weges zur materiell-rechtlichen Unvollständigkeit des Urteils
insgesamt. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die festgestellten Verschmutzungen
selbst für einen rein landwirtschaftlich genutzten Wirtschaftsweg (vgl. OLG Düsseldorf
a.a.O.) so außergewöhnlich gewesen wären, daß damit auch an diesem Ort nicht
gerechnet werden konnte und mußte. In Gegenden, in denen - wie hier - vornehmlich
Milchwirtschaft betrieben wird, gehören Verschmutzungen der Gehöfte mit Weideflächen
verbindenden Wirtschaftswege durch Kuhmist, lehmige Erde und Silagereste im
allgemeinen zu den gewöhnlichen Erschwernissen, es sei denn, wegen der besonderen
Eigenart der Wegführung (z.B. starkes Gefälle, Fahrbahnneigung), ggfls. in Verbindung
mit weiteren Faktoren (z.B. Nässe), würden an sich ortsübliche Verschmutzungen eine
solche Gefahrenquelle schaffen, daß die Benutzung des Weges selbst bei äußerster
Vorsicht für jedweden Verkehrsteilnehmer ein unkalkulierbares Risiko wäre. Unter
diesen Voraussetzungen wäre die unverzügliche Säuberung auch eines rein
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landwirtschaftlich genutzten Wirtschaftsweges geboten und zumutbar gewesen, zumal
der Angeklagte den Feststellungen zufolge wußte, daß an diesem Tag jederzeit der
Lastzug mit dem bestellten Pressfutter eintreffen und wegen der Größenordnung der
Lieferung keine andere Route wählen konnte. Den Feststellungen läßt sich jedoch nicht
mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß eine derart außergewöhnliche, die
unverzügliche Reinigung erfordernde Verschmutzung des Weges vorgelegen hat. Zwar
wird im Urteil darauf hingewiesen, daß nach dem Unfall zu Hilfe eilende Rettungswagen
sowohl bei der An- als auch bei der Abfahrt auf der Gefällestrecke ins Rutschen geraten
seien. Das Bergungsfahrzeug für den Silozug habe mit Stahltrossen an Bäumen
festgebunden werden müssen. Fußgänger hätten diesen Streckenabschnitt nur unter
"größten Schwierigkeiten" begehen können. Diese Indizien gestatten jedoch noch nicht
den rechtlich einwandfreien Schluß, daß die Benutzung des Weges durch einen mit 8
bis 10 Tonnen Pressfutter beladenen Silo-LKW in technisch einwandfreiem Zustand
wegen der Verschmutzung der Straße selbst bei vorsichtigster Fahrweise ein
unkalkulierbares, aber nicht ohne weiteres erkennbares Risiko gewesen wäre. Der
Rettungswagen unterscheidet sich von dem Silo-LKW ersichtlich nach Größe, Gewicht
und Fahreigenschaften. Hinzu kommt, daß die Rutschpartie dieses Wagens
möglicherweise (auch) durch die Eile zu erklären ist, mit der die Helfer den Unfallort
erreichen oder nach Aufnahme der Verletzten wieder verlassen wollten. Mit diesem
Gesichtspunkt und den bauartbedingten Unterschieden der Fahrzeuge hätte sich das
Amtsgericht - ggf. nach sachverständiger Beratung - näher auseinandersetzen müssen,
bevor es aus dem Geschehen bei An- und Abfahrt der Rettungswagen auf eine
außergewöhnliche Verschmutzung der Fahrbahn schließen durfte. Daß die Aktion eines
Bergungsfahrzeugs, das den die Böschung hinabgestürzten Silo-LKW anzuheben hatte,
mit einer normalen Straßenbenutzung nicht vergleichbar ist, leuchtet ohne weiteres ein.
Auch die Schwierigkeiten der Fußgänger beim Begehen dieses Streckenabschnitts
lassen sich nicht auf die hier maßgebende Straßenbenutzung durch einen LKW
übertragen. Insoweit sind die Erwägungen des Amtsgerichts lückenhaft, weil
naheliegende Gesichtspunkte, die ggfls. Schlüsse zugunsten des Angeklagten erlauben
würden, nicht in die Gesamtbetrachtung einbezogen worden sind (vgl. dazu:
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 41. Aufl., § 337 Rn. 29 n.w.N.). Darüber hinaus
enthält das Urteil zwar die Feststellung, der Silo-LKW wäre trotz des Mangels an der
Bremse "bei halbwegs gesäuberter Fahrbahn rechtzeitig zum Stillstand gekommmen",
jedoch fehlen jegliche Ausführungen dazu, ob nicht ungeachtet der
Fahrbahnverschmutzungen das Unfallereignis bei intakter Bremsanlage unterblieben
wäre, ob also der LKW mit ordnungsgemäßen Bremsen auch auf dem Schmutzbelag
der Gefällestrecke hätte Spur halten können.
Da die getroffenen Feststellungen hiernach nicht mit ausreichender Verläßlichkeit
ergeben, daß der Angeklagte gemäß § 32 Abs. 1 S. 2 StVO eine Pflicht zur
unverzüglichen Beseitigung der Fahrbahnverschmutzungen hatte, ist das Urteil wegen
materiell-rechtlicher Unvollständigkeit aufzuheben (§ 353 StPO). Die Sache ist zu neuer
Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der oben erörterten Grundsätze an die
Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), weil nicht ausgeschlossen werden
kann, daß weitere, für eine Verurteilung insgesamt ausreichende
Tatsachenfeststellungen noch möglich sind.
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Ergänzend wird bemerkt:
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Zunächst wird die Straße, auf der sich der Unfall ereignet hat, eindeutig zu qualifizieren
sein. Für die Qualifikation kommt es auf die Verkehrsanschauung an. Gewichtige
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Indizien sind dabei Lage und Anlage des Wegs, Breite, Straßenführung, Beschilderung
und die Nähe zu einer Bundes-, Landes- oder Kreisstraße (OLG Düsseldorf VersR
1981, 659). Handelt es sich danach erkennbar um einen Wirtschaftsweg, der keine
Verbindungsstraße darstellt, sondern allein dem Verkehrsbedürfnis von Landwirten
dient, so kommt es jedenfalls in Gegenden mit Einzelgehöften ohne geschlossene
Bebauung nicht darauf an, ob und in welchem Umfang dieser Weg entgegen seiner
Bestimmung tatsächlich als Durchgangsstraße genutzt wird. Für die Frage der
außergewöhnlichen Verschmutzung ist darauf abzustellen, ob das Befahren der
verschmutzten Gefällestrecke mit einem technisch einwandfreien Silo-LKW gleicher Art,
Ausstattung und Beladung selbst bei Anwendung der äußerst möglichen Vorsicht als
unkalkulierbares Risiko hätte erscheinen müssen, ohne daß dies aufgrund des
sichtbaren Straßenzustands erkennbar gewesen wäre.