Urteil des OLG Köln vom 12.05.1998
OLG Köln (eintritt des versicherungsfalles, fahrer, 1995, vvg, grobe fahrlässigkeit, falsche angabe, versicherte sache, versicherer, verschulden, versicherungsnehmer)
Oberlandesgericht Köln, 9 U 191/97
Datum:
12.05.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 U 191/97
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 11 0 170/97
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30.07.1997 verkündete
Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 0 170/97 -
geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Beklagten hat auch in der Sache
Erfolg. Das Landgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Ein
Rückforderungsanspruch der Klägerin wegen der an die Beklagte erbrachten
Kaskoentschädigung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative BGB und ein Anspruch
auf Rückzahlung der aus Anlaß des Unfallgeschehens vom 24.04.1995 an den
Landschaftsverband Rheinland geleisteten Haftpflichtentschädigung aus § 426 Abs. 1
BGB in Verbindung mit § 3 Nr. 9 Satz 2 des Pflichtversicherungsgesetzes besteht nicht.
Die Klägerin hat nicht den Nachweis geführt, daß sie die Kaskoentschädigung ohne
Rechtsgrund im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative BGB erbracht hat.
Deshalb kann auch nicht von einer alleinigen Haftung der Beklagten im Innenverhältnis
der Parteien (§ 3 Nr. 9 Satz 2 Pflichtversicherungsgesetz) ausgegangen werden. Denn
die zur Leistungsfreiheit der Klägerin führenden Merkmale des § 2 Nr. 2 c) AKB in
Verbindung mit § 6 Abs. 1 und 2 VVG können im Streitfall ebensowenig festgestellt
werden wie die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Obliegenheitsverletzung nach
§ 7 AKB, § 6 Abs. 3 VVG.
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Nach § 2 Nr. 2 c) Satz 1 AKB ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei,
wenn der Fahrer des Fahrzeugs bei Eintritt des Versicherungsfalles auf öffentlichen
Wegen und Plätzen nicht die vorgeschriebene Fahrerlaubnis hat. Allerdings bleibt nach
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Satz 2 des § 2 Nr. 2 c) AKB die Verpflichtung zur Leistung unter anderem gegenüber
dem Versicherungsnehmer dann bestehen, wenn dieser das Vorliegen der
Fahrerlaubnis bei dem berechtigten Fahrer ohne Verschulden annehmen durfte.
Deshalb wäre die Klägerin, die unter dem 19.06.1995 den Versicherungsvertrag
innerhalb der in § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG bestimmten Frist gekündigt hat, nicht zur
Erbringung von Versicherungsleistungen verpflichtet gewesen, wenn ihrer Auffassung
gefolgt werden könnte, der zum Unfallzeitpunkt nicht im Besitz der vorgeschriebenen
deutschen Fahrerlaubnis befindliche berechtigte Fahrer C. sei Repräsentant der
Beklagten gewesen. Denn in diesem Falle wäre seine Kenntnis maßgebend, der
Versicherungsanspruch mithin gemäß § 2 Nr. 2 c) Satz 1 AKB ausgeschlossen. Von
einer solchen Repräsentanteneigenschaft des seinerzeit für die Beklagte als Prokurist
tätigen Fahrers C. kann jedoch nicht ausgegangen werden. Nach der neueren
Rechtsprechung reicht die bloße Überlassung der Obhut über die versicherte Sache,
hier des C. Ende 1994 überlassenen Kraftfahrzeugs, für die Annahme einer
Repräsentanteneigenschaft nicht aus. Repräsentant kann vielmehr nur sein, wer befugt
ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutendem Umfang für den
Versicherungsnehmer zu handeln (sog. Risikoverwaltung, vgl. hierzu BGH r+s 1993,
321 = VersR 1993, 828 und Senat, zuletzt Urteile vom 21.10. und 18.11.1997 in den
Rechtsstreiten 9 U 376/94 und 9 U 63/97). Hierzu hat die Klägerin jedoch keinerlei
Tatsachen vorgetragen. Vielmehr hat die Beklagte unwiderlegt behauptet, sämtliche
Kosten des Fahrzeugs, und zwar sowohl die Kfz-Steuer als auch die
Versicherungsprämien wie auch die Reparatur- und Benzinkosten, seien von ihr
getragen worden.
Kommt damit eine Obliegenheitsverletzung der Beklagten nur insoweit in Betracht, als
ihr selbst der Vorwurf gemacht werden könnte, sie habe bei dem Fahrer C. den Besitz
einer gültigen Fahrerlaubnis nicht ohne Verschulden annehmen dürfen (§ 2 Nr. 2 c) Satz
2 AKB), scheitert der Rückforderungsanspruch der Klägerin aus § 812 Abs. 1 Satz 1
erste Alternative BGB - gleiches gilt für den Anspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB in
Verbindung mit § 3 Nr. 9 Satz 2 Pflichtversicherungsgesetz - daran, daß sie nicht in der
Lage ist, den im Rückforderungsprozeß von ihr zu erbringenden Kausalitätsbeweis im
Sinne von § 6 Abs. 2 VVG zu führen, also den Beweis, daß die Verletzung der durch § 2
Ziffer 2 c) AKB begründeten Obliegenheit Einfluß auf den Eintritt des
Versicherungsfalles oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung
gehabt hat.
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Ist der Verstoß gegen § 2 Abs. 2 c) Satz 1 AKB unstreitig oder hat der Versicherer ihn
bewiesen, bleibt die Verpflichtung zur Leistung gegenüber dem Versicherungsnehmer
nach Satz 2 der genannten Vorschrift grundsätzlich dann bestehen, wenn der
Versicherungsnehmer das Vorliegen der Fahrerlaubnis bei dem berechtigten Fahrer
ohne Verschulden annehmen durfte. Dabei obliegt es normalerweise dem
Versicherungsnehmer, sein Nichtverschulden zu beweisen (allge-meine Meinung; vgl.
nur Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 25. Aufl. 1992, § 2 AKB Anm. 3 E, Seite
1419). Auch die Führung des Kausalitätsgegenbeweises (§ 6 Abs. 2 VVG) obliegt in der
Regel dem Versicherungsnehmer (ebenfalls allgemeine Meinung; vgl. statt aller
Prölss/Mar-tin, a.a.O., § 2 AKB Anm. 3 B). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der
Versicherer die Versicherungsleistung erbracht hat und diese - wie hier - im
Rückforderungsprozeß zurückfordert. In diesem Fall trägt der Versicherer, wenn er seine
Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung geltend macht, nicht nur die
Beweislast für die objektiven Voraussetzungen der Obliegenheitsverletzung. Vielmehr
hat er auch das hierfür relevante Verschulden des Versicherungsnehmers
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nachzuweisen (vgl. BGH VersR 1995, 281). Die in § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG aufgestellte
Vermutung zum Vorsatz bzw. zur groben Fahrlässigkeit gilt im Rückforderungsprozeß
ebensowenig wie die vermutete Kausalität im Sinne des § 6 Abs. 2 VVG. Da § 812 Abs.
1 Satz 1 erste Alternative BGB aber voraussetzt, daß die Leistung ohne Rechtsgrund
erfolgt ist, hat der Versicherer alle tatbestandlichen Voraussetzungen der zur
Leistungsfreiheit führenden Obliegenheitsverletzung darzulegen und nachzuweisen,
muß also gegebenenfalls das relevante Verschulden des Versicherungsnehmers und
auch die sonst vermutete Kausalität nachweisen. Im Streitfall obliegt es der Klägerin
deshalb nicht nur, den Nachweis zu führen, daß es der Beklagten infolge von
Fahrlässigkeit verborgen geblieben ist, daß der Fahrer C. zwar im Besitz einer
niederländischen, nicht aber einer deutschen Fahrerlaubnis war. Vielmehr muß die
Klägerin mit Rücksicht darauf, daß es bei Inhabern einer ausländischen, im Inland nicht
(mehr) gültigen Fahrerlaubnis hinsichtlich der Kausalität der Obliegenheitsverletzung
darauf ankommt, unter welchen Voraussetzungen die deutsche Fahrerlaubnis nach der
zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung des § 15 StVZO erteilt worden wäre (BGH
VersR 1974, 1072), auch darlegen und gegebenenfalls beweisen, daß der Unfall auf
einem Umstand beruhte, der es gerechtfertigt hätte, dem führerscheinlosen Fahrer die
Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis wegen Eignungsmängeln zu versagen (BGH
a.a.O.). Denn nach der Rechtsprechung fehlt die sog. "relevante" Kausalität, wenn die
Erteilung der deutschen Fahrerlaubnis nach § 15 StVZO nur wegen Eignungsmängeln
hätte versagt werden können, der Unfall aber nicht auf Umständen beruht, die eine
Versagung der deutschen Fahrerlaubnis wegen solcher Eignungsmängel gerechtfertigt
hätte. So aber liegt es hier. Die Möglichkeit der Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis
unter erleichterten Voraussetzungen ist bei EG-Führerscheinen nicht mehr
fristgebunden. Entgegen der bis zum 06.04.1993 geltenden Fassung des § 15 Abs. 2
StVZO ist die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis gemäß § 15 Abs. 1 StVZO in
keinem Fall mehr vom Nachweis einer Fahrpraxis im Inland abhängig. Einer
Fahrprüfung braucht sich der jeweilige Antragsteller nicht zu unterziehen; seine
Befähigung wird vielmehr unterstellt, indem § 15 Abs. 1 Nr. 4 StVZO bestimmt, daß die
Vorschrift über die Befähigungsprüfung (§ 11 StVZO) nicht anzuwenden ist. Auch ein
genereller Nachweis der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nicht
Voraussetzung für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis unter erleichterten
Voraussetzungen im Sinne des § 15 Abs. 1 StVZO (vgl. hierzu: Jagusch/Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 34. Auflage 1997, § 15 StVZO Rdnr. 10, 12 und 14). Anwendbar
bleibt in solchen Fällen allerdings § 9 StVZO, wonach die Umschreibung unter anderem
dann versagt werden kann, wenn der Fahrer zum Trunk neigt.
Im Streitfall hätte dem Fahrer C. die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis nach
seinem Umzug von den Niederlanden nach B. allenfalls mit der Begründung versagt
werden können, er neige zum Trunk und sei deshalb zum Führen von Kraftfahrzeugen
ungeeignet. Nach dem Vorgesagten fehlt es dann aber an der relevanten Kausalität,
weil das Unfallgeschehen vom 24.04.1995 gerade nicht auf Umständen beruht, die
gegebenenfalls eine Versagung der deutschen Fahrerlaubnis wegen Eignungsmängeln
hätten rechtfertigen können. Namentlich kann dem Sachvortrag der Klägerin nicht
entnommen werden, daß bei dem Unfall vom 24.04.1995 Trunkenheit im Spiel war. Im
Gegenteil: Nach der von der Klägerin selbst vorgelegten Ablichtung der
Verkehrsunfallanzeige machte der Fahrer C. auf die aufnehmenden Polizisten einen
"verkehrstüchtigen Eindruck", was zugleich bedeutet, daß die unfallaufnehmenden
Polizisten irgendwelche alkoholbedingten Ausfallerscheinungen bei C. nicht festgestellt
haben. Im übrigen sind auch sonst keinerlei greifbare Anhaltspunkte ersichtlich oder gar
vorgetragen, die Anlaß geben könnten, die Richtigkeit der Unfallschilderung C. in
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Zweifel zu ziehen, wonach er auf der Bundesautobahn 46 fahrend die Kontrolle über
sein Fahrzeug verloren hat, weil er zuvor von einem anderen Fahrer geschnitten worden
war.
Hat die Klägerin demgemäß den im Rückforderungsprozeß ihr obliegenden
Kausalitätsbeweis im vorbezeichneten Sinne nicht geführt, kommt ihre Leistungsfreiheit
wegen Obliegenheitsverletzung der Beklagten auch nicht gemäß § 7 AKB in
Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG in Betracht, weil C. in der Schadenanzeige vom 24.04.
1995 fälschlicherweise als "Geschäftsführer" und nicht als "Prokurist" bezeichnet ist.
Gleiches gilt, soweit die Frage in der Schadenanzeige "Besitzt der Fahrer einen
Führerschein?" mit "Ja, Liste Nr. 3xxxxxxx Klasse III ausgestellt durch I./KLD, NL,
ausgehändigt am 27.7.93, umgeschrieben nach NL" beantwortet worden ist. Dabei kann
dahinstehen, ob die Angaben zum Führerschein C. oder die falsche Angabe
"Geschäftsführer" die Annahme einer objektiven Obliegenheitsverletzung rechtfertigen.
Denn mit Rücksicht darauf, daß nach dem Vortrag der Parteien die Schadenanzeige
zwar von C. aus eigenem Wissen ausgefüllt, aber von der Geschäftsführerin der
Beklagten unterschrieben worden ist, handelt es sich um eine Erklärung der Beklagten.
In einem solchen Fall ist der Dritte, der das Schadenformular ausgefüllt hat, kein
Wissenserklärungsvertreter (vgl. hierzu BGH r+s 1995, 81 = VersR 1995, 281 sowie
Senat, r+s 1997, 140, 141). Eine Zurechnung seines Kenntnisstandes zulasten des
Versicherungsnehmers kommt nicht in Betracht. Vielmehr ist allein der Kenntnisstand
der Beklagten respektive der ihrer Geschäftsführerin maßgebend. Da der Versicherer in
Rückforderungsprozessen der vorliegenden Art nach dem Vorgesagten aber auch
darlegen und beweisen muß, daß den Versicherungsnehmer an der
Obliegenheitsverletzung ein relevantes Verschulden trifft (BGH, a.a.O.), wäre es folglich
Sache der Klägerin gewesen, ein solches Verschulden der Beklagten, also Vorsatz oder
bei Hinzutreten weiterer Umstände grobe Fahrlässigkeit, nachzuweisen. Hierzu mangelt
es jedoch bereits an jedwedem Sachvortrag der Klägerin.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert und Wert der
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Beschwer der Klägerin: 26.326,25 DM
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