Urteil des OLG Köln vom 19.05.2010

OLG Köln (zeichen, marke, tatsächliche vermutung, verwendung, beschreibende angabe, bezeichnung, verwechslungsgefahr, kennzeichnungskraft, bezug, höhe)

Oberlandesgericht Köln, 6 U 186/09
Datum:
19.05.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 186/09
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 31 O 89/09
Normen:
MarkenG § 14 Abs. 2 Nr. 2
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 05.11.2009 verkündete Urteil
der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 89/09 - wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung des Unterlassungsanspruches
durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet. Die
Sicherheitsleistung beträgt 100.000,00 Euro.
Die Vollstreckung des Kostenerstattungsanspruchs können die
Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund
des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger
vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
I.
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Die Klägerin vertreibt unter der für sie eingetragenen Marke "pjur" Massage- und
Körpergleitmittel sowie kosmetische Produkte. Die Beklagte zu 1. bot unter der
Internetadresse: www."puremassageoil.com" Massageöle an. Auf der Homepage warb
sie unter der Bezeichnung "pure massageoil" für ihre Produkte. Zudem verwandte sie
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auf den Massageölflaschen das Wort "pure". Der Beklagte zu 2. ist Geschäftsführer der
Beklagten zu 1. Der Beklagte zu 3. ist Inhaber der Domain "puremassageoil.com".
Im vorangegangenen Verfügungsverfahren hat das Landgericht dem Antrag der
Klägerin auf Unterlassung der Verwendung der Bezeichnung "pure", "pure massageoil"
sowie "puremassageoil.com" in der nachstehend wiedergegebenen Form und auf
Herausgabe der verletzenden Ware zum Zwecke der Vernichtung stattgegeben.
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(Bild/Grafik nur in Originalentscheidung vorhanden)
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Die dagegen gerichtete Berufung ist vor dem Senat ohne Erfolg geblieben.
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In dem jetzt anhängigen Verfahren zur Hauptsache hat die Klägerin ergänzend die
Feststellung einer Schadenersatzpflicht der Beklagten beantragt. Das Landgericht hat
der Klage antragsgemäß stattgegeben.
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Gegen das Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des
Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen. Sie vertreten die Ansicht, das
Vorgehen der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich. Sie habe sich das Zeichen "pjur" als
Marke schützen lassen, um es zweckfremd als Marke einzusetzen und um gegen die
Verwendung an sich freihaltebedürftiger Zeichen vorzugehen.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung
zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die sämtlich
– ebenso wie die beigezogene Akte Az. 6 U 40/09 – Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
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II.
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Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
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1. Das Landgericht ist – wie schon im vorausgegangenen Verfügungsverfahren –
zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin ein Unterlassungsanspruch gegen
die Beklagte gemäß §§ 14 II Nr. 2, V, VII MarkenG zusteht.
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a) Die Beklagte zu 1. verwendet das Zeichen "pure" markenmäßig, denn das Zeichen
dient aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise dazu, im Rahmen des
Produktabsatzes Waren der Beklagten zu 1. von denen anderer Hersteller zu
unterscheiden. Im Hinblick auf die Verwendung des Zeichens "pure" auf den
Produktflaschen der Beklagten zu 1. folgt dies daraus, dass das Zeichen in
geschwungener Schrift und in hervorgehobener Stellung zu sehen ist, während der
Inhalt der Flaschen (das Massageöl) sowie die "Geschmacksrichtung" in neutraler
Schrift und kleiner gehalten sind. Für den Verbraucher wird "pure" somit als Hinweis auf
die Herkunft der Produkte und nicht etwa als beschreibende Angabe angesehen. Auch
das Zeichen "pure massageoil" im Internetauftritts wird markenmäßig verwendet. Dies
folgt aus dem (, das sich hinter dem Zeichen "pure" befindet, aber auch aus der
exponierten Stellung des Zeichens am linken oberen Teil der Homepage. Eine
beschreibende oder dekorative Verwendung liegt aus Sicht der maßgeblichen
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Verkehrskreise hier fern. Schließlich werden die angebotenen Produkte auch durch den
Domainnamen mittelbar gekennzeichnet, so dass auch insoweit eine kennzeichnende
Verwendung gegeben ist (vgl. Hacker in Ströbele/Hacker, 9. Aufl. 2009, § 14 Rn. 158).
b) Zwischen der klägerischen Marke "pjur" und dem Zeichen der Beklagten zu 1.
besteht unmittelbare Verwechslungsgefahr. Der Senat hält im Ergebnis an seiner im
Verfügungsverfahren dargelegten Auffassung fest.
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aa) Die Prüfung der Verwechslungsgefahr erfordert nach st. Rspr. des EuGH und des
BGH eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, wobei eine
Wechselbeziehung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren besteht,
insbesondere der Identität oder Ähnlichkeit der Marken und der Identität oder Ähnlichkeit
der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren
Marke. Dabei kann ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen höheren
Grad der Ähnlichkeit der Zeichen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der
älteren Marke ausgeglichen werden und umgekehrt (vgl. BGH GRUR 2010, 235 Tz. 15
– AIDA/AIDU; GRUR 2008, 505 Tz. 18 – TUC-Salzcracker; BGHZ 156, 112, 120 f –
Kinder I). Bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch
die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre
unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl.
u.a. EuGH GRUR Int. 2007, 1009 Tz. 33 – Il Ponte Financiaria).
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bb) Die Zeichenähnlichkeit kann in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher
Hinsicht bestehen. Grundsätzlich genügt es für die Annahme einer
Verwechslungsgefahr, wenn in einer dieser Richtungen ausreichende
Übereinstimmungen bestehen (BGH GRUR 2006, 60 Tz. 17 – coccodrillo; BGH GRUR
2006, 859, 860 Tz. 17 – Malteserkreuz).
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Zwischen der Marke der Klägerin "pjur" und dem von der Beklagten zu 1 verwendeten
Zeichen "pure" besteht klangliche und begriffliche Identität, denn es ist davon
auszugehen, dass die angesprochenen Verbraucherkreise das Verletzerzeichen
"englisch" aussprechen. Das ergibt sich zum einen daraus, dass das englische Wort
"pure" zu dem für das deutsche Publikum weithin geläufigen Grundwortschatz gehört
und zum anderen daraus, dass eine buchstabengetreue Aussprache des Wortes "pure"
befremdlich klingt. Im Hinblick auf das Schriftbild kann von einer zumindest geringen
Ähnlichkeit ausgegangen werden. Auch wenn das Verletzerzeichen die ungewöhnliche
Buchstabenkombination "pj" nicht enthält, stimmen beide Zeichen doch dahingehend
überein, dass sie aus vier Buchstaben bestehen, von denen drei identisch sind, und
dass sie mit dem Buchstaben "p" beginnen.
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cc) Nach nochmaliger Überprüfung ist der Senat der Ansicht, dass der Klagemarke
"pjur" von Haus aus eine zumindest schwach durchschnittliche Kennzeichnungskraft
zukommt, denn der Begriff als solcher ist für Massageöle unterscheidungskräftig.
Jegliche Unterscheidungskraft fehlt einem Begriff nur, wenn er einen so engen
beschreibenden Bezug zu den angemeldeten Waren aufweist, dass der Verkehr ohne
weiteres und ohne Unklarheiten den beschreibenden Begriffsinhalt als solchen erfasst
und deshalb in dem Zeichen kein Unterscheidungsmittel für die Herkunft der Waren
sieht (BGH WRP 2009, Rn. 10 – Deutschland Card). Dieser unmittelbar beschreibende
Bezug kommt dem Wort "pjur" nicht zu. Vielmehr ergeben sich für den Verbraucher nur
beschreibende Anklänge und diese auch erst nach mehreren gedanklichen
Zwischenschritten. Er muss zunächst – was insbesondere bei der visuellen
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Wahrnehmung des Zeichens nicht selbstverständlich ist - die Marke "pjur" mit dem
englischen Wort "pure" assoziieren und ihm die deutsche Übersetzung des englisches
Wortes mit "pur, rein" bekannt sein. Hinzu kommt die begriffliche Unschärfe und
Unbestimmtheit, die die Bezeichnung "pur" in Bezug auf Massageöle hat (vgl. auch
BGH GRUR 2008, 254, 257 - the home store). Es ist nicht erkennbar, welche
Eigenschaften einem "puren Massageöl" zukommen sollen. Hier von einem
fremdsprachigen Begriffsverständnis auszugehen, um einen diffus beschreibenden
Bedeutungsgehalt zu gewinnen, drängt sich nicht auf.
dd) Angesichts der von der Klägerin vorgetragenen umfangreichen Bewerbung der
Marke in Zeitschriften und auf Messen hat sich die schwach durchschnittliche
Kennzeichnungskraft inzwischen zu einer jedenfalls glatt durchschnittlichen
Kennzeichnungskraft gesteigert. Nachdem die Beklagten das entsprechende
Klagevorbringen mit Nichtwissen bestritten hatten (vgl. Bl. 227 f), hat die Klägerin mit
Schriftsatz vom 25.09.2009 weiteren Belegmaterial vorgelegt. Unstreitig war "pjur Aqua"
eines der Produkte, welche die Stiftung Warentest unter dem 14.12.2007 einem
Vergleich verschiedener Gleitmittel unterzogen hat (Bl. 306 f.). In dem Bestseller
"Feuchtgebiete" ist "pjur" einschlägig zitiert und die Bild-Zeitung hat die Passage am
20.08.2008 ihren Lesern vorgestellt (Bl. 32 d.A.). "pjur Original" war eines der in der
Zeitschrift "fit for fun" getesteten Öle (Bl. 264 f.).
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ee) Aufgrund der Warenidentität, der inzwischen erreichten durchschnittlichen
Kennzeichnungskraft und der Zeichenidentität in klanglicher und begrifflicher Hinsicht
ist das Vorliegen einer unmittelbaren Verwechslungsgefahr zu bejahen.
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ff) Besteht Verwechslungsgefahr zwischen der Marke "pjur" und dem Zeichen "pure",
dann kann für die Verwendung der Zeichens "pure massageoil" und der Internetadresse
"puremassageoil.com" nichts anders gelten, da der beschreibende Begriff "massageoil"
bzw. die Top-Level Domain ".com" hinter "pure" völlig zurücktreten.
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c) Die Antragstellerin zu 1. kann sich auch nicht auf die Schutzschranke des § 23 Nr. 2
MarkenG berufen, da sie das Zeichen "pure" nicht beschreibend verwendet. Auch
insoweit wird auf die Ausführungen im einstweiligen Verfügungsverfahren Bezug
genommen. Hier hat der Senat ausgeführt
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"Gegen eine beschreibende Verwendung spricht vor allem das prominente
Herausstellen der Bezeichnung "pure" auf der Ware und das Fehlen eines anderen
Zeichens auf der Etikettierung der Ware, das der Verkehr als Marke verstehen
könnte.
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Ebenso wenig stellt die Benutzung der Internetadresse "puremassageoil.com" eine
beschreibende Verwendung dar, denn in der konkreten streitgegenständlichen
Verwendungsform versteht der Verkehr die Internetadresse ausschließlich
dahingehend, dass durch sie die angebotenen Waren gekennzeichnet werden."
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Daran ist festzuhalten. In den auf S. 3 dieses Urteils abgebildeten Verwendungsformen
wird die Bezeichnung "Pure" ersichtlich als Dachmarke genutzt. Das bestätigt sich,
wenn Pure-neutral "Der Klassiker von Pure" genannt wird (vgl. S. 4 oben). Mit der –
freihaltebedürftigen – Beschreibung eines Massageöls hat das nichts zu tun.
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d) Der Senat kann der Ansicht der Beklagten, die Klägerin handele mit ihrer
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Klageerhebung rechtsmissbräuchlich, nicht folgen. Unabhängig davon, ob der Einwand,
der Markeninhaber verstoße mit der Eintragung der Marke gegen § 8 Abs. 2 Nr. 10
MarkenG, unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB im Verletzungsverfahren geltend
gemacht werden kann, fehlt es an Anhaltspunkten für ein rechtsmissbräuchliches
Vorgehen der Klägerin. Sie verwendet ihre Marke vielmehr – wie es ihr als
Rechtsinhaberin zusteht – als Herkunftshinweis. Dass sie sich gegen die Verwendung
verwechslungsfähiger Zeichen durch Dritte verteidigt, ist ebenfalls Teil der ihr
zukommenden Rechtsposition. Es kann daher keine Rede davon sein, dass sie ihre
formale Rechtsstellung als Markeninhaberin ausnutzt, um Dritte unangemessen zu
behindern. Im Gegensatz zu der von den Beklagten zitierten Entscheidung des BGH
"EROS" (GRUR 2008, 917) kann eine etwaige Behinderungsabsicht nicht festgestellt
werden. In dem Fall "EROS" war eine langjährige enge und gleichberechtigte
Zusammenarbeit zwischen den Parteien beendet worden und in diesem Zeitpunkt hatte
eine der Parteien das bisher genutzte Zeichen als Marke angemeldet, um die andere
Partei am Vertrieb unter dieser Bezeichnung zu hindern. So liegt der Fall hier nicht.
Vielmehr geht die Klägerin schlicht aus ihrer Marke vor, um ihre Rechtsstellung zu
verteidigen. Soweit vom Schutzbereich ihrer Marke auch freihaltebedürftige Begriffe
erfasst werden, bietet das Gesetz mit der Regelung des § 23 Nr. 2 MarkenG einen
angemessenen Ausgleich. Liegen deren Voraussetzungen nicht vor und sind auch
keine sonstigen Anhaltspunkte für eine Behinderung ersichtlich, kann von einem
Rechtsmissbrauch keine Rede sein. Diese Auffassung liegt auch dem Beschluss des
DPMA vom 12.02.2010 (Register-Nr.: 303 40797 – S 30/09) zugrunde, mit dem es den
Löschungsantrag der Beklagten zurückgewiesen hat.
2. Zur Erteilung der Auskunft ist die Beklagte zu 1. gemäß § 19 MarkenG, § 242 BGB
verpflichtet.
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3. Der Zahlungsanspruch in Höhe von 1.374, 00 Euro für die Kosten des
Abschlussschreibens sowie der gemäß Tenor zu III festgestellte
Schadenersatzanspruch ergeben sich aus § 14 Abs. 6 MarkenG.
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4. Für sämtliche Ansprüche haften neben der Beklagten zu 1. auch deren
Geschäftsführer, der Beklagte zu 2., sowie der Inhaber der Domain
"puremassageoil.com", der Beklagte zu 3. Insbesondere haftet Letztgenannter als
Domaininhaber für die Verletzungshandlung unmittelbar als Teilnehmer und somit auch
für den Schadenersatzanspruch. Hinsichtlich der Verwendung des Domainnamens
"puremassageoil" folgt seine für eine Teilnehmerhaftung erforderliche Kenntnis von der
Rechtsverletzung denknotwendig aus seiner Stellung als Inhaber der Domain. Im
Hinblick auf den Inhalt der Homepage besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass
der Beklagte zu 3. als Domaininhaber auch Kenntnis von den Inhalten hatte, die sich auf
seiner Seite befanden. Anders als der Betreiber einer Internetauktionsplattform, auf der
eine Vielzahl von Dritten Inhalte einstellt, spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der
Inhaber einer Domain deren Inhalt kennt. Anhaltspunkte dafür, dass diese tatsächliche
Vermutung nicht zutrifft, hat die Beklagte zu 3. nicht vorgetragen.
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5. Die Kosten sind nach § 97 I ZPO dem Beklagten aufzuerlegen. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen. Es fehlt an einer grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache sowie an dem Erfordernis der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 3 ZPO). Die
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maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die angeführte höchstrichterliche
Rechtsprechung hinreichend geklärt oder nicht von grundsätzlicher Bedeutung.