Urteil des OLG Köln vom 17.04.1998
OLG Köln (einstellung des verfahrens, anklage, hehlerei, stpo, diebstahl, einstellung, konkretisierung, umfang, 1995, beihilfe)
Oberlandesgericht Köln, Ss 135-136/98
Datum:
17.04.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
Ss 135-136/98
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte K. wegen
Diebstahls in 90 Fällen und der Angeklagte B. wegen Beihilfe zum
Diebstahl in 90 Fällen verurteilt worden sind.
Soweit eine Einstellung erfolgt ist, werden die Verfahrenskosten und die
notwendigen Auslagen beider Angeklagten der Staatskasse auferlegt.
Soweit keine Einstellung erfolgt ist (Verurtei-lung des Angeklagten K.
wegen Hehlerei in 9 Fällen) wird das Urteil im Rechtsfolgenausspruch
aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung,
auch über die insoweit angefallenen Kosten der Revision, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückver-wiesen.
G r ü n d e :
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Durch Urteil des Amtsgerichts sind die Angeklagten wegen gemeinschaftlichen
gewerbsmäßigen Diebstahls in 100 Fällen, der Angeklagte K. darüber hinaus
tatmehrheitlich wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in 9 Fällen schuldig gesprochen
worden. Der Angeklagte K. ist zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei
Monaten, der Angeklagte B. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht
Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
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Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft - letztere auf
das Strafmaß beschränkt - Berufung eingelegt. Das Landgericht hat das angefochtene
Urteil teilweise abgeändert und insoweit neu gefaßt, als der Angeklagte K. wegen
Diebstahls in 90 Fällen und wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in 9 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und der Angeklagte B.
wegen Diebstahls in 90 Fällen - unter Einbeziehung einer Geldstrafe von 30
Tagessätzen zu je 25,00 DM aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hamm vom 2. Mai
1996 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt worden
ist.
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Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie eine Einstellung des
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Verfahrens erstreben, soweit sie wegen Diebstahls bzw. Beihilfe zum Diebstahl
verurteilt worden sind und mit der der Angeklagte K., soweit er wegen gewerbsmäßiger
Hehlerei in 9 Fällen verurteilt worden ist, eine Änderung des Rechtsfolgenausspruches
erstrebt.
Das Rechtsmittel des Angeklagten B. hat in vollem Umfang Erfolg; das des Angeklagten
K. hat zum Teil vorläufigen Erfolg. Die Rechtsmittel führen in dem in der Beschlußformel
ersichtlichen Umfang gemäß § 206 a StPO zur Einstellung des Verfahrens. Die in dem
Revisionsverfahren von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der
Verfahrensvoraussetzungen (Karlsruher Kommentar-Pikart, StPO, 3. Aufl., § 337 Rdnr.
25 m.w.N.) ergibt, daß die Anklage und der Eröffnungsbeschluß, durch den die Anklage
ohne Änderungen zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, wegen
durchgreifenden Verfahrensmängeln unwirksam sind und den Verfahren in diesem
Umfang eine Prozeßvoraussetzung fehlt (vgl. K.knecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., §
200, Rdnr. 26 m.w.N.), soweit den Angeklagten Diebstahl bzw. Beihilfe zum Diebstahl
zur Last gelegt wird.
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Die Anklage muß gemäß § 200 Abs. 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat
sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau bezeichnen, daß die Identität des
geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat
gemeint ist und wodurch sie sich von anderen, gleichartigen strafbaren Handlungen
desselben Täters unterscheidet (vgl. BGH NStZ 1994, 350; OLG Karlsruhe NStZ 1993,
147; jeweils m.w.N.).
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Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der
Staatsanwaltschaft urteilen soll (vgl. BGH a.a.O.; SenatE vom 8. November 1994 - Ss
427/94-184; SenatE vom 13. Dezember 1996 - Ss 503-504/96-194-195), damit der
Umfang der Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils nicht zweifelhaft ist (vgl.
BGH NStZ 1994, 553) und die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten nicht in
unzulässiger Weise eingeschränkt werden (BGH NStZ 1995, 244, 245).
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Welche Angaben zur ausreichenden Bestimmung des Verfahrensgegenstandes
erforderlich sind, kann nicht allgemein festgelegt werden (vgl. BGH NStZ 1984, 469;
SenatE a.a.O.):
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Während ein täglich wiederholbares Geschehen im Straßenverkehr regelmäßig der
Individualisierung durch Tatort und Tatzeit bedarf (vgl. BGH NStZ 1994, 350 (351)), wird
die Tötung eines Menschen durch die Person des Opfers hinreichend konkretisiert. Bei
Serienstraftaten ist zwar eine sachgerechte Zusammenfassung zulässig, dennoch sind
die Einzeltaten aber dergestalt zu präzisieren, daß dem Angeklagten deutlich gemacht
wird, gegen welche Einzelheiten er sich verteidigen muß (SenatsE vom 17. März 1995 -
Ss 404/94), wobei an die Präzisierung der Einzeltaten keine übertriebenen
Anforderungen gestellt werden dürfen (SenatE vom 9. April 1997 - Ss 105/97 m.w.N.).
So kann es insbesondere bei einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen gegenüber
Kindern, bei denen die einzelnen Taten aller Voraussicht nach hinsichtlich genauer
Tatzeit und genauem Geschehensablauf nicht individualisiert werden können,
ausreichen - um gewichtige Lücken in der Strafverfolgung zu vermeiden -, das Tatopfer,
die Grundzüge der Tatbegehung und die Bezeichnung des Tatzeitraumes mitzuteilen,
um die Taten von anderen, möglichen Taten desselben Täters zu unterscheiden (BGH
NStZ 1997, 145). Auch bei solchen Serienstraftaten muß jedoch beachtet werden, daß
der Angeklagte nicht durch lediglich vage, unbestimmte Tatvorwürfe in seinen
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Verteidigungsmöglichkeiten unangemessen eingeschränkt wird (BGH NStZ 1996, 294
m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt die Anklage hinsichtlich der zur Last gelegten
Diebstahlstaten nicht.
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Der Verurteilung wegen der Diebstahlstaten lag folgende, durch Eröffnungsbeschluß
ohne Änderung zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage zugrunde:
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Den Angeklagten ist vorgeworfen worden, "gemeinschaftlich durch 100 selbständige
Handlungen fremde bewegliche Sachen anderen in der Absicht weggenommen zu
haben, sich dieselben rechtswidrig zuzueignen, wobei sie gewerbsmäßig handelten".
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Als Konkretisierung ist ausgeführt worden:
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"Zu 1-100:
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In der Zeit von August 1994 bis Februar 1995 suchten die beiden Angeschuldigten
bis auf die Wochenenden fast täglich - in mindestens 100 Fällen - im Raum A.
gelegene Warenhäuser auf, in denen sie bestimmte Waren entwendeten. Hierbei
handelte es sich u.a. um die Firmen a., S., C., E.-Markt, B.-B., P. und den
Supermarkt D.. In der Regel entwendeten sie hochwertige Kosmetikartikel,
Spirituosen, Fleischermesser, Bau- und Hobby-Artikel, Computerzubehör, Kleidung
und Zigaretten. ... Durchschnittlich wurden pro Tag Waren im Wert von 2.500,00
DM entwendet. ... "
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Damit sind die den Angeklagten vorgeworfenen Taten nicht so hinreichend konkretisiert,
daß sie sich von anderen, gleichartigen, möglicherweise von ihnen begangenen
strafbaren Handlungen unterschieden.
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So ist insbesondere der in der Anklage enthaltene Vorwurf, wonach die Angeklagten
"u.a." in bestimmten Warenhäusern in der Regel Gegenstände bestimmter
Warengruppen entwendet hätten, zu unbestimmt, um die Taten zu individualisieren.
Durch die Formulierung "u.a." werden weder die Tatorte noch der Kreis möglicher
Geschädigter abschließend erfaßt, sondern die Erstreckung auf weitere, bislang in der
Anklage nicht ausdrücklich aufgeführte Taten, ermöglicht. Durch die Angabe, es seien
"in der Regel" Gegenstände entwendet worden, die bestimmten Warengruppen
zugehören, lassen sich keine bestimmten, entwendeten Gegenstände einzelnen
Geschädigten oder zumindest Tatorten zuordnen. Auch mittels des Wertes der
entwendeten Gegenstände, der "durchschnittlich pro Tag 2.500,00 DM" betragen haben
soll, läßt sich eine nähere Konkretisierung und Individualisierung der Taten nicht
vornehmen. Zwar ist ein Tatzeitraum angegeben, innerhalb die Anklagten die ihnen
vorgeworfenen Taten begangen haben sollen; dies reicht jedoch für sich alleine zur
hinreichenden Konkretisierung nicht aus, zumal auch insoweit unklar ist, ob es sich bei
den angegebenen Monaten August und Februar um den Beginn oder das Ende des
jeweiligen Monats gehandelt haben soll. Zwar verkennt der Senat nicht, daß eine
derartige Konkretisierung um so schwerer zu treffen ist, je mehr Taten den Angeklagten
vorgeworfen werden, je mehr unterschiedliche Tatorte sie aufgesucht und je mehr
Geschädigte durch ihr Vorgehen betroffen sind. Wenn jedoch - wie im vorliegenden Fall
- in der Anklage weder mitgeteilt wird, was die Angeklagten entwendet haben sollen,
wer die Geschädigten sind, welchen Wert die Gegenstände hatten, läßt sich eine
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Abgrenzung der vorgeworfenen Taten von anderen, gleichartigen Taten derselben Täter
nicht treffen. Derart allgemein gehaltene Vorwürfe sind weder geeignet, den
Prozeßgegenstand hinreichend zu bestimmen noch eröffnen sie dem Angeklagten
hinreichende Verteidigungsmöglichkeiten.
Die bezüglich des Vorwurfs der Diebstahlstaten unzureichende Anklage stellt -
zusammen mit dem ebenfalls fehlerhaften Eröffnungsbeschluß - ein endgültiges, nicht
behebbares Verfahrenshindernis dar; insoweit muß das Verfahren gemäß § 206 a StPO
eingestellt werden. Einer förmlichen Urteilsaufhebung bedarf es nicht (vgl. SenaE vom
9. April 1997 - Ss 105/97-44).
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Soweit sich die Revision des Angeklagten K. gegen die Verurteilung wegen
gewerbsmäßiger Hehlerei richtet, ist sein Rechtsmittel zulässerweise auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
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Auf die Sachrüge hin führt die Revision zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs, da
die Bemessung der Einzelstrafen und der - darauf basierenden - Gesamtstrafe
rechtsfehlerhaft ist.
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Das Landgericht hat bei der Strafzumessung u.a. zum Nachteil des Angeklagten
berücksichtigt, "daß er in einer erheblichen Vielzahl von - mindestens - 90 Fällen sich
des gewerbsmäßigen Diebstahls und in weiteren 9 Fällen der gewerbsmäßigen
Hehlerei schuldig gemacht hat, insgesamt also 99 Straftaten in einem Zeitraum von
August 1994 bis Februar 1995 begangen hat. Hinsichtlich der 90 gewerbsmäßigen
Diebstähle war hier der Organisator, Planer und Leiter bei der Tatausführung ... . Er
richtete einen erheblichen Schaden, insbesondere durch die 90 Diebstähle an, da
jeweils mindestens Waren im Werte von 300,00 DM hierbei entwendet wurden ..."
(Urteilsausfertigung S. 33).
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Auch die Gesamtstrafenbildung hat die Kammer "unter nochmaliger
zusammenfassender Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und der von ihm
begangenen 99 Straftaten" (Urteilsausfertigung S. 34) vorgenommen. Hieraus ergibt
sich, daß die Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten K. die 90 Diebstahlstaten
berücksichtigt hat, die durch Beschluß des Senats wegen eines Verfahrenshindernisses
(mangelhafte Anklage) eingestellt worden sind und daher straferschwerend weder bei
der Bildung der Einzelstrafen noch der Gesamtstrafe Berücksichtigung hätten finden
dürfen.
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Gemäß § 354 Abs. 2 StPO ist das Urteil daher bezüglich des Angeklagten K. im
Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Die Sache wird wegen der Bildung der neuen
Einzelstrafen betreffend die gewerbsmäßige Hehlerei in 9 Fällen und der neu zu
bildenden Gesamtstrafe zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten
und Auslagen der Revisionsinstanz unter Berücksichtigung des eingestellten
Verfahrensteils an eine andere Strafkammer dse Landgerichts Aachen
zurückverwiesen.
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