Urteil des OLG Köln vom 28.11.1991
OLG Köln (kläger, fahrzeug, vvg, persönliche anhörung, versicherungsnehmer, entwendung, wahrscheinlichkeit, bild, anhörung, falle)
Oberlandesgericht Köln, 5 U 114/91
Datum:
28.11.1991
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 U 114/91
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 24 0 434/90
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 29. Mai 1991 verkündete
Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 0 434/90 - wird
zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der
Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung ist nicht begründet.
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Auch unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens des Beklagten und der von ihm
vorgelegten Gutachten des Sachverständigen B. erweist sich die angefochtene
Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis als zutreffend.
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Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten gemäß § 12 Nr. 1 I b) AKB der
zuerkannte Entschädigungsanspruch in Höhe von 20.000,-- DM nebst Zinsen aus der
für seinen Pkw der Marke mit dem amtlichen Kennzeichen: beim Beklagten
abgeschlossenen Fahrzeugversicherung zu. Der Kläger hat einerseits bewiesen, daß
sein Fahrzeug am 22. Mai 1990 vom Parkplatz des Einkaufs-Centrums in H.
entwendet worden ist; andererseits besteht für den Beklagten keine Leistungsfreiheit
gemäß § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles.
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I.
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Bei der Frage des Nachweises des Eintritts des Ver-sicherungsfalles war zu
berücksichtigen, daß einem Versicherungsnehmer in Entwendungsfällen der
vorliegenden Art grundsätzlich Beweiserleichterungen zukommen, da er in aller
Regel keine Zeugen oder sonstigen Beweismittel für die Entwendung des Fahrzeugs
beibringen kann und der Wert der Diebstahlversicherung in den häufigen Fällen
fehlender Tataufklärung von vornherein in Frage gestellt wäre. Es genügt daher in
aller Regel, wenn der Versicherungsnehmer einen Sachverhalt nachweist, der nach
der Lebenserfah-rung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluß auf die in
den Versicherungsbedingungen genannte Entwendung zuläßt. Im Normalfall genügt
insoweit die Feststellung von Beweisanzeichen, denen hinreichend deutlich das
äußere Bild eines bedingungsgemäß versicherten Diebstahls entnommen werden
kann. Eine Ausnahme von der erleichterten Beweisführung gilt dann, wenn der
Versicherer Tatsachen darlegt und beweist, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit
für die Vortäuschung eines Versicherungsfalles nahelegen; in diesem Falle muß der
Versicherungsnehmer den sogenannten Vollbeweis erbringen (ständige
höchstrichterliche Rechtsprechung, der sich der Senat angeschlossen hat; vgl. BGH
VersR 1984, 29 ff.; VersR 1986, 53 f.; r+s 1989, 5 f.; 1990, 129, 130).
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Für den Nachweis eines äußeren Bildes im vorgenannten Sinne muß zumindest
feststehen, daß das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort
abgestellt, es später an diesem Ort nicht mehr aufgefunden wurde und es nach den
Umständen des Falles mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als ausgeschlossen
angesehen werden kann, daß der Versicherungsnehmer selbst oder ein anderer mit
seinem Willen das Fahrzeug von dem Abstellort weggefahren hat. Demgemäß
erfordert es das äußere Bild eines entschä-digungspflichtigen Kfz-Diebstahls auch,
daß der Versicherungsnehmer sämtliche Fahrzeugschlüssel vorlegen kann, die er
oder eine andere Person mit seinem Willen vor der Entwendung in unmittelbarem
Besitz hatte.
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Den Nachweis der für ein äußeres Bild einer Fahrzeugentwendung zwingend
erforderlichen Mindesttatsachen (sogenannter "Minimalsachverhalt") hat der
Versicherungsnehmer allerdings in vollem Umfang zu beweisen. Stehen ihm auch
insoweit keine Zeugen oder sonstigen Beweismittel zur Verfügung, kann im Einzelfall
auch eine persönliche Anhörung des Versicherungsnehmers selbst nach § 141 ZPO
für eine Beweisführung gemäß § 286 ZP0 ausreichen, wenn der
Versicherungsnehmer zuverlässig und vertrauenswürdig erscheint und seinen
Angaben uneingeschränkt geglaubt werden kann (vgl. BGH VersR 1991, 917 f.;
Senat r+s 1991, 221, 222 und Urteil vom 27.06.1991 - 5 U 189/90 -).
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Entsprechend diesen Grundsätzen ist eine entschädigungspflichtige Entwendung
des Fahrzeugs des Klägers bewiesen.
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Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Senat, die ihm nicht zuvor angekündigt
worden war, in sich widerspruchsfrei und anschaulich in Einzelheiten geschildert, er
sei am Vormittag des 22. Mai 1990 zum Einkaufs-Centrum in H. gefahren, habe dort
seinen Pkw auf dem Parkplatz vor dem Geschäft A. abgestellt und verschlossen und
sodann im Einkaufs-Centrum eingekauft. Als er später zum Parkplatz
zurückgekommen sei, habe er sein Fahrzeug nicht mehr an dem Platz, wo er es
seiner Meinung nach abgestellt hatte, vorgefunden. Er habe zunächst in der näheren
Umgebung nachgeschaut, ob er das Fahrzeug nicht doch an anderer Stelle
abgestellt habe, was aber nicht der Fall gewesen sei, und sei daraufhin zur Polizei
gegangen, um die Entwendung des Fahrzeugs anzuzeigen. Ferner hat der Kläger
ausgeführt, er habe bei Erwerb des Fahrzeugs nur zwei Fahrzeugschlüssel erhalten,
obwohl, wie ihm bekannt sei, normalerweise drei Schlüssel zum Fahrzeug gehörten.
Zunächst habe er einen Schlüssel an seinen Schlüsselbund getan und den anderen
Schlüssel zuhause aufbewahrt; einige Monate später habe er einen Schlüssel unter
dem Fahrzeug in einem Querträger mittels eines Kabelbinders befestigt. Nach der
Entwendung des Fahrzeugs habe er daher nur noch den von ihm benutzten
Fahrzeugschlüssel im Besitz gehabt; diesen habe er der Geschäfts-stelle des
Beklagten in per Post übersandt.
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Diesen Angaben des Klägers, denen das äußere Bild einer bedingungsgemäß zu
entschädigenden Fahrzeugentwendung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
entnommen werden kann, kann nach Auffassung des Senats geglaubt werden. Sie
sind nicht nur in sich widerspruchsfrei und stimmig; der Kläger ist auch von dem
persönlichen Eindruck her, den der Senat von ihm bei der Anhörung gewinnen
konnte, glaubwürdig. Irgendwelche Umstände in der Person des Klägers, die Zweifel
an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit aufkommen lassen könnten, wie etwa
zahlreiche oder zweifelhafte frühere Versicherungsfälle, unwahre Angaben
gegenüber Versicherern oder Vorstrafen, liegen nicht vor und sind vom Beklagten
auch nicht aufge-zeigt worden; der Kläger hat auch in Abrede gestellt, bereits zuvor
einmal von einem Kfz-Diebstahl betroffen gewesen zu sein.
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An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts aufgrund der vom Beklagten vorgelegten
Gutachten des Sachverständigen B. vom 17. September 1991 und 24. Oktober 1991.
Dem Sachverständigen war vom Beklagten ein -Fahrzeugschlüssel vorgelegt
worden, der nach den Feststellungen des Sachverständigen keine
Verschleißstrukturen aufwies, die bei normalem Gebrauch entstehen, vielmehr
lediglich Kratz- und Spurmarkierungen, die zum Teil einer Drahtbürste zugeordnet
werden konnten, zum Teil nicht eindeutig identifizierbar waren. Selbst wenn diese
Feststellungen des Sachverständigen B. zuträfen, was vom Kläger bestritten wird,
könnte hieraus weder auf eine Unredlichkeit des Klägers geschlossen werden, noch
würden sie eine Vortäuschung der Fahrzeugentwendung mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit nahelegen mit der Folge, daß der Kläger für die
Fahrzeugentwendung den Vollbeweis erbringen müßte. Es steht nicht fest und kann
mit dem vom Beklagten angebotenen Beweismittel auch nicht bewiesen werden, daß
es sich bei dem vom Sachverständigen B. untersuch-ten Fahrzeugschlüssel um den
vom Kläger der Geschäftsstelle des Beklagten in per Post übersandten
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Fahrzeugschlüssel handelt. Der Kläger ver-mochte den ihm in der mündlichen
Verhandlung vorge-legten Schlüssel nicht als den der Geschäftsstelle übersandten
Schlüssel zu identifizieren. Angesichts dessen, daß dieser Schlüssel keine irgendwie
gearteten besonderen Merkmale aufweist, anhand derer der Kläger eigentlich in der
Lage hätte sein müssen, die Identität des Schlüssels zuverlässig zu beurteilen, kann
ihm sein Unvermögen, den Schlüssel entweder als seinen ehemaligen
Fahrzeugschlüssel zu identifizieren oder dies sicher in Abrede zu stellen, durchaus
geglaubt werden. Nicht als eher fernliegend und unwahrscheinlich auszuschließen
ist nach Meinung des Senats sodann auch, daß bei einer der verschiedenen Stellen
im Bereich des Beklagten, die mit der Bearbeitung des vorliegenden Schadensfalles
befaßt waren (Geschäftsstelle ; Hauptverwaltung ) eine Verwechselung des
Fahrzeugschlüssels geschehen ist. Soweit der Beklagte im Schriftsatz vom 6.
November 1991 unter Bezugnahme auf eine Checkliste der Geschäftsstelle in
vorträgt und hierfür den Sachbearbeiter als Zeugen benennt, daß am 8. Ju-ni 1990
nur der vom Kläger übersandte Kfz-Schlüssel und kein anderer Schlüssel eingereicht
worden sei, der dieselbe besondere Form des Schlüssels des Klägers aufgewiesen
hätte, würde dies, die Richtigkeit des Vorbringens unterstellt, die Möglichkeit einer
Verwechselung des Schlüssels bei der Übersendung an die Hauptverwaltung oder
im Bereich der Hauptverwaltung selbst nicht ausschließen. Unter diesen Umständen
besteht auch kein Anlaß, wegen des Schriftsatzes vom 6. November 1991 die
mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
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II.
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Der Beklagte ist nicht gemäß § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des
Versicherungsfalles leistungsfrei.
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1.)
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Was die Anbringung des zweiten Fahrzeugschlüssels in einem Querträger unter dem
Fahrzeug betrifft, kann hierin keine grob fahrlässige Herbeiführung des
Versicherungsfalles gesehen werden. Ob allerdings, wie das Landgericht es
angenommen hat, der Tatbestand des § 61 VVG schon wegen fehlenden
Nachweises der Ursächlichkeit des Anbringens eines Fahrzeugschlüssels unter dem
Fahrzeug für die Entwendung des Fahrzeugs verneint werden kann, erscheint
fraglich. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 1986, 962 f.) setzt
§ 61 VVG nicht voraus, daß das Verhalten des Versicherungsnehmers die alleinige
Ursache des Versicherungsfalls war. Es genügt, daß irgendein Verhalten des
Versicherungsnehmers mitursächlich war.
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Der Tatbestand des § 61 VVG liegt jedoch in jedem Falle deshalb nicht vor, weil die
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Anbringung des Fahrzeugschlüssels unter dem Fahrzeug in einem Querträger
zumindest in subjektiver Hinsicht nicht als grob fahrlässig angesehen werden kann.
Dies würde ein nahezu leichtfertiges, schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten
voraussetzen (vgl. zur Definition der groben Fahrlässigkeit Prölss/Martin, VVG, 24.
Aufl., Anm. 12 zu § 6), das im Streitfall nur dann gegeben wäre, wenn es sich
entweder um ein nicht sehr gutes oder ein in einschlägigen Täterkreisen bestens
bekanntes Versteck für einen Fahr-zeugschlüssel gehandelt hätte und dies dem
Kläger auch bewußt war. Letzteres hat der für die Voraussetzungen des § 61 VVG
voll beweispflichtige Beklagte (insoweit bestehen keine Beweiserleichterungen, vgl.
BGH VersR 1990, 894) aber nicht bewiesen. Bei dem vom Kläger gewählten
Schlüsselversteck handelt es sich nach Auffassung des Senats um ein äußerst
ungewöhnliches Versteck, auf das im allgemeinen kaum jemand kommen würde.
Selbst wenn es, wie der Beklagte behauptet, ein in einschlägigen Kreisen bestens
bekanntes Versteck wäre, ist nichts dafür ersichtlich, daß der Kläger dies gewußt hat.
Solange aber der Kläger zu Recht davon ausgehen durfte, es handele sich um ein
ganz ungewöhnliches, schwer zu fin-dendes Versteck, kann ein leichtfertiges,
schlecht-hin unentschuldbares Fehlverhalten nicht bejaht werden.
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2.)
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Soweit der Beklagte erstmals im Schriftsatz vom 19. September 1991 den Tatbestand
des § 61 VVG auch dadurch verwirklicht sieht, daß der Kläger das Lenkradschloß
nicht habe einrasten lassen, kann er damit schon deshalb nicht durchdringen, weil
seine Behauptung unbewiesen ist. Der Kläger hat mehrmals geäußert, er könne sich
nicht erinnern, ob er das Lenkradschloß hatte einrasten lassen oder nicht (vgl. schon
Bl. 2 der polizeilichen Ermittlungsakte, ferner das Schreiben des Klägers vom 21.
Juni 1990 an den Beklagten, Bl. 69 d.A., sowie das Sitzungsproto-koll vom 31.
Oktober 1991, S. 4). Demnach ist es ebensogut denkbar, daß er es tatsächlich hatte
einrasten lassen. Beweispflichtig ist auch hier der Beklagte, der den Beweis nicht
erbracht hat (so daß im übrigen auch dahinstehen kann, ob unter den Umständen des
vorliegenden Falles ein Unterlassen des Einrastens des Lenkradschlosses
überhaupt grob fahrlässig gewesen wäre, was nicht ohne weiteres in jedem Falle
gegeben ist; vgl. dazu Prölss/Martin, a.a.O., Anm. 11 c zu § 12 AKB, Stichwort
"Parken" = S. 1188).
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III.
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Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZP0
zurückzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbar-keit beruht auf den §§ 708 Nr. 10,
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713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungs- verfahren und Wert der Beschwer für den Beklagten:
20.000,-- DM.
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